Leichengeflüster

Dirk Radtke

Mitglied
„Mieses Drecksstück!“ Die flache Hand schoss so schnell auf ihn zu, dass er sich dem Schlag unmöglich hätte entziehen können. Sein Kopf wirbelte zur Seite, die Wange vibrierte unter der Wucht des Aufpralls.
Schützend hob er die Hände vors Gesicht. „Verdammt! Was soll denn–“ Der zweite Hieb traf ihn am Ellbogen. Der dritte in den Magen. „Umpf!“ Vom Schmerz überwältigt, krümmte er sich zusammen, die Stimme ertrank in stöhnendem Würgen.
Diese ungeheure Kraft hätte er seiner Frau im Leben nicht zugetraut. Ebenso wenig die enorme Aggression, mit der sie gegen ihn vorging. Dabei hatte er doch nur…
„Das werd ich dir nie verzeihen, dass du es mit dieser Schlampe treiben wolltest!“ Ein weiterer Treffer in den Bauchraum. „Verdammter Hurensohn!“
Er sank zusammen und krachte Hart auf die Knie. Etwas säuerlich Schmeckendes sammelt sich im Mund. Er spie aus, Blut mischte sich in den schäumenden Speichel.
„Hätte ich bloß auf meine Schwester gehört, dich jämmerlichen Wixer nicht zu heiraten!“ Die Rippen knackten, als ihr Absatz in sie hinein rammte. Er heulte erbärmlich auf. Tränen quollen ihm aus den Augen, ließen das Umfeld zu einem brennenden Schleier gerinnen.
„Ich hasse dich, du mieses Stück Scheiße! Das werd ich dir nie verzeihen!!“ Und dann drosch etwas Hartes über Bens Schädel, dass Sterne vor seinem Blickfeld sprühten. „Hör auf! Hör auf! Ich kann das erklären!“ Die eine Hand schützend vor den Kopf gehalten, wuchtete er sich mit der anderen mühsam hoch. Schleim sammelte sich im Mund.
„Du brauchst mir nichts zu erklären, Ben! Ich hab genug gesehen!“ Die Stimme hysterisch, das Gesicht Wutgerötet, die Augen Blutunterlaufen. „Ich hasse dich!“
Er hörte noch das Pfeifen des auf ihn zu rauschenden Kantholzes, bevor es ihm mit fürchterlichem Geräusch das Nasenbein brach. Der Schmerz war überwältigend. Brüllend taumelte er zurück, die Werkbank im Rücken. Blut strömte ihm aus beiden Nasenlöchern über die Lippen, sammelte sich am Kinn, von wo aus es in dicken, zähen Tropfen zu Boden pladderte.
Wenn ich nicht sofort was gegen die Raserei unternehme, nimmt das Ganze ein böses Ende.
„Hör auf! Du bist ja wahnsinnig!“
„Ich mach dich fertig!“
„Du bist verrückt!“
„Du hast es nicht anders verdient!“ Das Kantholz prallte gegen das Ohr, der Schädel schleuderte in den Nacken. Schrilles Pfeifen schien das Trommelfell zu zerreißen, ein glühender Stab bohrte sich ins Hirn.
Sie ist zum äußersten entschlossen!
Sie wird sich mit Worten nicht beruhigen lassen!
Sie wird nicht aufhören, bis…
Seine Finger durchnestelten hinterrücks das Durcheinander auf der Werkbank. Schrauben, Zettel, Drähte, Plastikbehälter, nichts womit man…
Der Zimmermannshammer!
Wie durch ein Wunder fügte sich der gummierte Griff in Bens Handfläche. Die Schwere des eisernen Kopfes überzeugte, ihn durchaus als Waffe einsetzen zu können. Die Spitzen waren gefährlich scharf.
Aber ich kann doch nicht…
„Scheißkerl!“ Das Kantholz krachte gegen die Kniescheibe. Gleißender Schmerz blitzte hinauf bis in die Hüfte. Das Bein versagte die Standfestigkeit, sein Gewicht zog ihn hinab. Er krallte sich mit der Hand an einer Ecke der Werkbank fest, während die andere den Hammergriff fest umschlossen hielt. Durch einen Schleier sah er das Holz hoch über Susans Kopf erhoben. Blut klebte an den splitterigen Fasern.
Sein Blut.
Noch ein Treffer, und ich bin geliefert!
Susan fauchte, Schaumbläschen glitzerten in den Mundwinkeln.
„NEIN!“ Wie ein Diskuswerfer schwang er das Werkzeug um seinen Körper.
Auf die Schulter zielen!
Die ungeheuren Schmerzen versagten ihm die Feinmotorik. Unkontrolliert pfiff der Hammerkopf durch die Luft, bis er mit dumpfen Knacken in Susans Schädel krachte. Der Hammer versank in einer tief klaffenden Wunde, verkeilte sich darin und wurde ihm glatt weg aus der Hand gezerrt, als die Wucht des Aufpralls Susan einmal um die eigene Achse schleuderte. Blut spritzte wie Gischt umher, Haarbüschel stoben auf. Susan brachte nur einen kehligen Laut von sich, die Augen weit aufgerissen, die Finger gespreizt. Das Kantholz klapperte auf den Betonboden.
Für einen Moment schien sie in der Bewegung innezuhalten. Nur die schwere Goldkette, zu der Ben ihr einmal einen klotzigen Anhänger geschenkt hatte, schwirrte empor.
Dann fiel seine Frau in sich zusammen.
„Heilige Scheiße, was…“ Ben starrte sie ungläubig an. Ihre Augen blickten gebrochen ins Leere.
Ich hab sie umgebracht.
Verdammt nochmal, ich hab sie umgebracht!
„Das kann nicht sein.“ Er ging neben ihr in die Hocke, während sich ein brennendes Eisen in die geprellte Kniescheibe zu bohren schien. „Das kann verflucht nicht sein!“ Sein Finger berührte den Hammergriff, doch die Hand zuckte zurück, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Bens Körper begann unkontrolliert zu zucken. Ein Blutstropfen bildete sich an Susans Haarspitzen.
„Susan! Susan, bitte sag was!” Sein zitternder Finger berührte ihre Halsschlagader.
Nichts.
Die eben noch vor Rage wild pulsierende Vene blieb glatt und ruhig.
„Susan!! Susan, wach auf!!!“ Er hörte die Worte aus seinem Mund, ohne zu begreifen, sie wissentlich formuliert, noch gesprochen zu haben. „Susan, bitte! Es tut mir leid! Ich wollte nicht…“ Die Stimme versagte, ging in ein unartikuliertes Geheul über. Der, aus dem Schädel ragende, Hammergriff bläute ihm unwiderlegbar ein, dass jegliche Hilfe zu spät käme.
Ich habe sie erschlagen!
„Gott, was habe ich getan!?“ Die Lippen bebten, Tränen brannten ihm in den Augen. „Warum hast du mich nicht einfach nur ausreden lassen…?“
Sie hatte ihn dabei beobachtet, wie er einer Prostituierten mit Feuer aushelfen wollte. Wozu er zuerst hatte die Geldbörse herausziehen müssen, um an das Feuerzeug zu gelangen. In dem Moment hatten sich ihre Blicke getroffen, und er hatte, völlig verschreckt, das Portemonnaie zurück in die Hosentasche geschoben.
Sie hat die verdammte Situation völlig missverstanden…
Worauf sie, ohne auch nur ein Wort der Erklärung zuzulassen, fortgelaufen war.
Bis sie mich hier im Werkraum ohne Vorwarnung angriff.
„Du hast mir ja praktisch gar keine andere Wahl gelassen!“ Der weinerliche Vorwurf hallte von den kahlen, gekälkten Wänden wider. Selbst aus dem Tod heraus, schien Susan ihn noch zu verabscheuen. Ihr bleiches Gesicht war zu einer verzerrten Fratze verzogen, Blutsprenkel verunzierten die Wangen. Ein Haarbüschel klebte unterhalb des Ohres. „Scheiße! Was mach ich denn –“
Bumm, Bumm, Bumm…
Dumpfe Schläge hieben gegen die Tür.
Ben fuhr erschrocken zusammen. „Was zum -“
Bumm, Bumm…
Die Nachbarn müssen irgendwas mitbekommen haben!
Zwar lag der geräumige Werkraum im Keller des Mehrfamilienhauses, aber die Wände waren dünn. Und den Lärm, den die beiden unten fabriziert hatten, konnte nicht überhört worden sein. „Was mach ich den jetzt?“
Er sah sich um.
Wenn ich die Tür nicht ganz öffne, bleibt die Leiche im Verborgenen.
Gott, eine Leiche. Susan war jetzt eine Leiche…
Bumm, Bumm…
„Hallo? Ben!? Alles in Ordnung da drin!?” Paulas. Die Alte wohnte über ihm, hatte aber ständig einen Grund, im Flur oder Keller herumzuschnüffeln. „Ben!? Alles klar!?“
„Augenblick, Paula! Ich komm sofort!“
Wenigstens hat sie Anstand, nicht einfach gleich hineinzuplatzen.
Er wuchtete sich, den aufkeimenden Schmerzensschrei unterdrückend, mühsam hoch. Sein Schädel pochte, das Gesicht fühlte sich zerschmettert an, und die Kniescheibe mochte in tausend Trümmer zerborsten sein. Die Zähne zusammen beißend schob er sich zur Tür. Sie knarrte, als er sie aufzog und durch den Spalt hindurch blickte.
„Ben, was… Um Himmels Willen, was ist denn mit dir passiert?“ Paula starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen heraus an. Im Bruchteil einer Sekunde wich die Farbe aus ihrem Gesicht, die Kinnlade klappte hinunter und schloss sich nicht wieder. Die Arme fielen schlaff am Körper herab.
„Das verdammte Regal ist runtergekommen!“ Ben deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg in Richtung Werkraum. „Ist mir direkt auf den Schädel geknallt. Gott, war das ein Schlag. Hätte wohl doch größere Dübel nehmen sollen.“
„Meine Güte, du siehst ja schlimm aus.“ Sie tippte den Zeigefinger behutsam an ihre Nase. Dass sich bereits ein leichtes Brillenhämatom um seine Augen herum bildete, wusste er nicht.
„Halb so wild.“ Er versuchte, die Situation mit gequältem Lächeln herunter zu spielen. „Das heilt wieder!“
„Du musst zum Arzt, Ben, wirklich. Du hast dir bestimmt die Nase gebrochen!“ Sie reckte den Kopf etwas vor, als könne sie dadurch den Zustand seiner Nase besser beurteilen.
„Ach quatsch!“ Forsch an die Nasenspitze getippt. Im selben Moment verspürte er den Schlag des Kantholzes ein weiteres Mal. Übelkeit stieg in ihm auf. Vor seinem geistigen Auge sah er den Hammer sich in Susans Schädel graben.
Ich muss die Alte abwimmeln…
„Ben, Paula ist immer sehr nett zu uns gewesen. Es ist unfair, wenn du sie als Alte bezeichnest!“
Susans Stimme.
Ben schrak zusammen. „Das kann nicht sein!“
Paula hob die Brauen. „Was kann nicht sein, Ben? Wovon redest du?“
„Was?“ Eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken.
„Du hast gesagt: Das kann nicht sein…“ Sie legte den Kopf schief. „Was kann nicht sein?“
„Das… Ich… Ich meine, das wäre nicht nötig gewesen. Das mit dem Regal, meine ich.“
„Hast du Kopfschmerzen, Ben?“
Sie denkt, wenn ich das Regal auf den Schädel bekommen habe, könnte der Schlag einen Verwirrungszustand ausgelöst haben…
„Nein, mir geht’s gut. Wirklich!“
„Aha…“
„Wirst du mich entschuldigen? Ich…“ Er deutete mit dem Kopf hinter sich. „Ich wollte das Durcheinander noch beseitigen, und… und das Regal wieder anbringen. Diesmal nehm ich bestimmt stärkere Dübel…“ Das versuchte Lächeln misslang.
Paula musterte ihn aufmerksam. Ihre ohnehin schon faltige Stirn runzelte sich zu dünnen Schlangen, aus denen pure Besorgnis sprach. „Ist Susan auch hier?“
Die Frage traf Ben wie ein Blitzschlag. Der vollständigen Kontraktion seines Schließmuskels konnte er sich gerade noch rechtzeitig erwehren.
„Ich bin hier, Paula! Hier unten! Auf dem Boden!“
Ben prustete. „Ohhh, nein, nein, nein!“
„Was?“
„Sie ist nicht hier. Sie… Sie ist oben.“
„Ich werd mal nach ihr sehn.“
„Ooooh, nein. Das ist nicht nötig. Überhaupt nicht nötig!“ Das heftige Kopfschütteln ließ seinen Schädel beinahe zerbersten. „Sie wollte sich ein wenig hinlegen, weil –“
„Warum lügst du Paula an, Ben? Ich wollte mich gar nicht hinlegen. Das ich jetzt für immer liegen muss, hab ich einzig allein dir zu verdanken!“
Das bilde ich mir nur ein. Bestimmt! Die Phantasie geht mit mir durch. Aber das ist nur logisch, nachdem was ich getan habe.
„Weil?“
„Was?“
„Warum wollte Susan sich hinlegen? Ging es ihr nicht gut?“ Sie warf Ben einen skeptischen Blick zu, der ihn wissen ließ, dass sie ahnte, dass etwas nicht stimmte.
„Ja. Ich meine, Nein. Sie meinte, sowas wie eine Erkältung zu bekommen. Naja, irgendwie normal, bei dem scheiß Wetter in den letzten Tagen…“
„Ein Grund mehr, nach ihr zu sehen. Das arme Ding kann einen heißen Tee bestimmt gut gebrauchen. Mal sehn, was ich ihr gutes tun kann.“
„Siehst du Ben, wie rührend sie sich um mich kümmert? Ganz im Gegensatz zu dir!“
Ich werd verrückt, verdammt nochmal.
Ohne weiter auf Ben einzugehen, drehte die Alte sich um, und verschwand die Treppe hinauf. Sinnlos, sie davon abzuhalten, nicht nach Susan zu sehen.
Was wird sie tun, wenn keiner öffnet…?
Ben schob die Tür ins Schloss. Das überlaute Knacken des Riegels kam ihm wie ein Gewehrschuss vor.
Erschöpft lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Tür. Jetzt erst spürte er, schweißgebadet zu sein. Die kühle Kellerluft verstärkte das Gefühl des Fröstelns. Susan lag nach wie vor leblos am Boden, den Hammer aus dem Schädel ragend. Um ihren Hinterkopf hatte sich eine weitläufige Blutlache gebildet, in dessen schwärzlicher Farbe sich die Deckenleuchte matt spiegelte.
Lag sie gerade auch schon so?
Es fehlte die Erinnerung.
Kann sein…
Alles war so fürchterlich schnell passiert. Der Schlag, der verschluckte Schrei, der anschließende Niedergang. Alle zehn Sekunden ein gespeichertes Bild.
Ben trat einige Schritte auf den Leichnam zu, und betrachtete Susans verzerrtes Gesicht. Er beugte sich ein wenig vor, worauf seine Schulter einen Schatten auf sie warf.
Was ihren Gesichtsausdruck plötzlich veränderte.
Jetzt wirkte sie, als ob sie lächle. Ein groteskes Grinsen, was ihn verhöhnen wollte. Nur das konnte sie nicht, sie war tot.
Und die Stimme, die ich gehört habe?
„Hast du vorhin gesprochen?“ In dem Moment, als die Worte verklungen, wusste er um die Irrsinnigkeit der Frage.
Susan war tot.
Eine Leiche.
Seine Frau war eine Leiche.
Wie konnte ich so morbide handeln, ihr eine Frage zu stellen? Ich bin schon völlig übergeschnappt!
Der Körper musste entsorgt werden. Versteckt. Er konnte sich nicht vorstellen, das Desaster glaubwürdig zu erklären. Aus Notwehr gehandelt zu haben, wegen eines blöden Missverständnisses. Wer würde ihm glauben, wenn er begreiflich machen wollte, die ach so liebenswerte Susan habe versucht ihn umzubringen.
Aber wohin mit ihr?
Sein Blick durchstreifte hektisch den Werkraum. In den Ecken und an den Wänden türmte sich etliches Gerümpel. Kisten, Bretter, Bauholz. Alles zu sperrig, um eine Tote kurzfristig dahinter zu verstecken. Denn Paula würde wiederkommen, wenn sie ihre angedachte Hilfeleistung Susan gegenüber erfolglos abbrechen müsste. Sie würde keine Ruhe geben, bis Ben ihr die Unpässlichkeit seiner Frau irgendwie glaubhaft erklärt hätte.
Wozu er auch noch keinen blassen Schimmer hatte, wie er das anstellen sollte.
„Wieso hast du dich auch so dermaßen beschissen angestellt!?“ Sein Zeigefinger deutete auf die Tote. „Wieso hast du mich gezwungen, dass zu tun?“
Dann betrachtete er den rostigen Spint, in dem er Arbeitskittel und Latzhose aufbewahrte.
Das könnte klappen!
Er musste an den verbeulten Blechtüren reißen, sie zu öffnen. Sie sträubten sich mit kreischenden Geräuschen, die einem Hilferuf verblüffend ähnlich klangen.
„Nein!“ Ben wirbelte herum, den Blick auf Susan geheftet. In der Erwartung, sich erneut gegen sie wehren zu müssen, hielt er die geballten Fäuste gehoben.
Was für ein Schwachsinn!
„Reiß dich zusammen!“ Seine Worte ein krächzendes Flüstern. Absurd, die Stimme zu senken.
Sie kann mich nicht mehr hören.
Oder doch?
Ben kniff die Augen zusammen, und fixierte einen Punkt an der Wand über den zerschmetterten Schädel hinweg. Dann versuchte er sich die Abstände zwischen der Nase seiner Frau und der anvisierten Stelle einzuprägen.
„Du kannst mir nichts vormachen, Susan. Ich werde es sehen, wenn du dich bewegst!“
In der Stellung verharrte er reglos.
Gott, ich hab schon wieder mit einer Toten geredet…
Nach zehn Minuten war er sich halbwegs sicher, den Leichnam unbeweglich am Boden zu wissen. Was ihn in seinem Vorhaben wieder vorantrieb.
Er räumte den Spint aus, und ruckte ihn von der Wand. Die Metallfüße kreischten über dem Betonboden, doch diesmal ließ er sich nicht davon Irre leiten, menschliche Stimmen in den Krach hineinzuinterpretieren. Den Spint zu sich gewuchtet, bis er ihn drehen und lang hinlegen konnte, die Türöffnung zur Decke gerichtet.
Susan hinterrücks unter die Arme gegriffen, schleifte er sie über den Boden. Die Blutlache deformierte sich zu einem breiten, schmierigen Streifen, eine langgezogene, bizarre Spur des Todes.
Besser nicht darüber nach denken…
Unter dem Gezerre schabte ihr Schädel über den unebenen Beton. Die Lippen vibrierten wie zu einem tonlosen Flüstern, ein stummes Gebet oder ein lautloser Vorwurf.
Sofort hielt Ben inne, und starrte in das leblose Gesicht seiner Frau.
„Susan?“ Er lauschte in die Stille, die nur vom Pochen seines Herzens zerschnitten wurde, während er die Augen auf ihre Lippen gerichtet hielt.
Meine Güte, nicht mehr lange, und ich drehe komplett durch!
„Du bist tot. Du kannst nicht mit mir reden!“
Aber ich rede immer noch mit ihr…
„Scheiße!“ Noch ein Ruck, und er hatte sie parallel neben den Spint gezerrt. Sich zwingend, nicht mehr in ihr Gesicht zu starren, hebelte er sie um die eigene Achse, bis der schlaffe Körper in den Blechschrank hämmerte. Sofort rammte er die Tür zu, metallisch scheppernd, wie ein hysterischer Hilferuf.
„Hör endlich auf damit!“ Die Hände zitterten ihm, als er das Schloss einführte, es aber nicht schaffte, den Bügel zu schließen. Ihm fehlte die Kraft. Dazu schweißnasse Handflächen, in denen das Metall fortwährend verrutschte.
Nach dem dritten Versuch gab Ben auf. Der Bügel würde die Tür auch so verschlossen halten, wenn er den Spint wieder aufstellte.
Er rutschte auf Susans Blutspur aus, als er versuchte, den Schrank zum ersten Mal aufzurichten. Das Ding war schwerer, als er es sich vorgestellt hatte. Das schmerzende Knie, und die gebrochene Nase, aus der immer noch Blut rann, taten das Ihrige, seine Kräfte zu schmälern. Der Schädel brummte, und im Ohr rasselte ein permanentes Klingeln.
All seine Kraftreserven aufbringend, schaffte er es endlich, den Spint aufzurichten. Es gab ein dumpfes Scheppern, als Susan darin zusammensackte, und…
Deng, Deng, Deng…
Oh, Gott! Sie klopft. Sie will raus!
„Nein, sie kann nicht klopfen, weil –“
Deng, Deng, Deng…
Die Kette. Das muss die verdammte Kette sein!
Das Klopfen wurde schwächer, langsamer, bis es schließlich gänzlich in leisem Ticken verstummte.
„Was für ein Wahnsinn!“
Und dann schrillte Bens Handy.
Ein Satz weg vom Spint, über den Blutstreifen, strauchelnd durch den Raum. Halb rutschend, halb stolpernd rammte er mit der Hüfte gegen die Werkbank. Der Stoß war gewaltig. Das schwere Teil erzitterte, Schrauben, Nägel, Werkzeuge und aller möglicher Krempel prasselten zu Boden, während Ben sich mit allergrößter Mühe einen lautstarken Aufschrei verkniff. Für die Länge zweier Herzschläge wurde ihm schwarz vor Augen, der Atem ging rasselnd.
Der plärrende Klingelton riss ihn in die Realität zurück.
Ein rascher Blick zum Spint. Nichts klopfte, die Tür verschlossen. Rasch fischte er das Handy aus der Hosentasche. Das Klingeln kam ihm wie überlautes Dröhnen vor. Es würde die gesamte Nachbarschaft zusammentreiben, wenn er nicht bald ran ginge.
Martha, schrieb das Display.
Susans Mutter.
Die fehlt mir gerade noch…
„Hi, Martha!“
„Ben! Was zum Henker dauert das so lange? Ist was passiert? Susan wollte zum Abendessen um sieben hier sein. Jetzt ist es fast acht. Ich kann sie auf dem Handy nicht erreichen, und unter eurer Festnetznummer geht auch niemand ran. Kannst du dir vorstellen, welche Sorgen ich mir mache? Wo ist sie, Ben? Ist sie bei dir? Ich will sie sofort sprechen!“
Die Worte rollten wie Kugelblitze durch sein Gehirn. „Es geht ihr nicht gut.“ Worauf er beinahe hätte auflachen mögen.
„Was soll das heißen, es geht ihr nicht gut? Was hat sie? Wo ist sie? Ich will auf der Stelle mit ihr reden!“
Bens Blick verfing sich an der Spinttür. Als könne sie jeden Moment aufspringen, Susan herausstürzen, und ihm das Telefon aus der Hand reißen.
Wie komm ich auf solche Gedanken…?
„Sie hat sich hingelegt. Wahrscheinlich schläft sie.“
„Unmöglich! Ich hab sie auf dem Handy…“
Schweigen.
„Martha? Bist du noch dran?“
„Moment…“
„Warum lässt du mich nicht mit meiner Mom telefonieren, Ben?“
„NEIN!!!“ Er zuckte dermaßen hart zusammen, dass ihm das Handy entglitt und auf den Boden schepperte. Einen Schritt zurückgewichen, als könne es jeden Augenblick explodieren.
Das muss Marthas Stimme gewesen sein. Im Hintergrund. Sie klingt doch Susans sehr ähnlich. Es kann nur…
rrr…rrrrrrr… rrr…rrrrrrr
„Um Gottes Willen!“
Das schabende Geräusch drang aus dem Spint. Eindeutig. Als ob jemand mit stumpfen Fingernägeln von innen am Blech kratzte.
Susan! Sie will hinaus! Ich hätte sie nicht einsperren dürfen, sie war gar nicht tot…
rrr…rrrrrrr… rrr…rrrrrrr
„Ben?“ Die Stimme klang leise, weit entfernt und irgendwie verzerrt. „Ben? Bist du noch dran?“
Das Handy! Martha!
Die Batterieabdeckung war abgefallen, der Akku hing heraus. Trotzdem funktionierte es. Die Leitung stand noch. „Be-en!“
Er hob es auf, und hielt es sich vorsichtig ans Ohr. „Ja?“
„Sie geht immer noch nicht dran!“
„Was meinst du denn?“ Er blickte zum Spint. Das Geräusch im Inneren war verstummt.
Sie ist erstickt! Nein, sie war bereits tot, als ich sie hineingelegt habe. Sie kann gar nicht…
„Ich rede von Susan, Ben. Wen glaubst du denn, würde ich sonst erreichen wollen?“
„Ja, aber –“
„Ich hatte zuerst versehentlich ihre alte Nummer angewählt. Aber auch unter der neuen geht sie nicht dran. Unmöglich, dass sie den Anruf nicht bemerkt hat, Ben, sie stellt doch sonst immer den Vibrationsalarm ein!“
„Dann wird sie es wohl diesmal –“
Bumm, Bumm, Bumm
„Ben!“ Der Alten Stimme hinter der Werkraumtür, gegen die sie mit Fäusten zu hämmern schien. „Ben, mach auf!“
„Moment! Ich telefoniere gerade!“
„Ben? Was ist denn da los bei euch? Was ist das für ein schreckliches Poltern?“ Martha klang zunehmend aufgeregter. Unter welchen Vorstellungen mochte sie leiden? So impulsiv sie manchmal war, lag es im Bereich des Möglichen, dass sie kurzerhand hier auftauchte, und ihre Tochter zu sprechen verlangte. Ihr Haus lag nur fünf Autominuten von Bens Wohnung entfernt.
„Mom, Ben lässt mich nicht mit dir telefonieren!“
„Nein!“ Das Telefon drohte ihm ein weiteres Mal aus der Hand zu rutschen. Seine Finger umkrallten es, Plastik knirschte.
„Mom! Hörst du mich?“
„Ich will jetzt auf der Stelle meine Tochter sprechen!“
„Es geht ihr nicht gut, Martha.“
Die Neonröhre flackerte für den Bruchteil einer Sekunde. Der zuckende Schatten simulierte eine Bewegung der Spinttür.
Oder ruckelte jemand daran?
Marthas Stimme drang nur noch aus weiter Ferne zu ihm. „Das glaube ich dir nicht. Was soll sie denn schlimmes –“
Klick.
Ben hatte das Gespräch weggedrückt.
„MOM!“
„Halt endlich die Klappe!“
Bumm, Bumm, Bumm
„Ben!? Was geht da drinnen vor!?“
Das hat dich einen Scheißdreck anzugehen!
Er schleuderte das Handy gegen die Wand, wo es krachend zersplitterte. Knarrend wurde die Tür aufgeschoben. Paulas besorgtes Gesicht spähte durch den Spalt. „Alles in Ordnung?“
„Ich habe telefoniert. Hast du das nicht verstanden?“
„Doch, aber du hast so geschrien, dass ich –“
„Es war eben ein sehr emotionales Gespräch. Okay?“
„Du bist ja ganz blass. Soll ich nicht besser einen Arzt –“
„Nein!“
Und da hatte sie die Tür bereits ganz geöffnet.
Den Mund aufgerissen, die Augen hervorquellend, die Hand wanderte langsam vors Gesicht. „Was ist denn hier passiert, Ben? Wo kommt denn das ganze Blut her?“ Sie fixierte den breiten rotbraunen Streifen, der sich bis zu der Stelle zog, wo er den Leichnam in den Spint gewuchtet hatte.
Sie sieht alles, und wird sich ihren Reim darauf machen…
Paula trat in den Raum. Die wuscheligen grauen Haare umspielten ihr schreckverzerrtes Gesicht. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott!“
„Die Nase hat schrecklich geblutet, nachdem mir das Regal drauf gekracht ist…“
Sie wird es nicht glauben. Sie ist alt, aber nicht blöd!
„Susan macht nicht auf. Sie ist doch oben, oder? Du solltest nach ihr sehen. Vielleicht…“
Bevor sie ihm die Hände abwehrend entgegenstrecken konnte, versank der von Ben geführte Schraubenzieher in ihrer Brust. Er ließ ihn los; sie ertastete den Griff, unfähig, die Situation zu ändern. Ihr aufkeimender Schrei erstickte in einem Röcheln. Schwarz glänzende Flüssigkeit sickerte in ihre dünne Seidenbluse, zeichnete skurrile Strukturen in den Stoff.
Ich habe ihr Herz durchbohrt!
rrr…rrrrrrr… rrr…rrrrrrr…
„Du kannst in dem verdammten Schrank rumrappeln wie du willst! Ich werd dich nicht raus lassen, verstehst du?“
Die Alte schlug der Länge nach hin. Ihre dürren, von einer mit Laufmaschen durchzogenen Strumpfhose verhüllten Beine, hüpften kurz empor, wonach sie überkreuzt liegen blieben. Ein Schuh purzelte vom Fuß.
rrr…rrrrrrr… rrr…rrrrrrr…
Sein Blick wechselte zwischen dem Spint und der Sterbenden hin und her. „Was habt ihr euch dabei gedacht? Mich in den Wahnsinn zu treiben? Mich zu Taten zu drängen, die ich nie gewollt habe?“ Er spie aus. Blut durchzog den Speichel. Paulas letztes Röcheln fraß sich in seinen Ohren fest. Ihre Augen fixierten einen Punkt an der Decke. Dann brach der Blick ins Leere.
rrr…rrrrrrr… rrr…rrrrrrrr…
„Ihr habt geglaubt, mich überrumpeln zu können, was?“ Sabber troff ihm über die trockenen Lippen. „Mit eurem Rufen. Eurem Schaben und Kratzen. Eurem Sprechen und Flüstern!“
Er lauschte in die sich niedersenkende Stille. „Was ist denn jetzt? Was ist!?“
Seine Hände rissen an den schweißnassen Haaren. „Habt ihr plötzlich die Sprache verloren!? Habt ihr nicht mehr den Mumm, mir zu antworten!?“
Ben stürmte auf den Spint zu und hämmerte mit den Fäusten dagegen. „Hast du mir nichts mehr zu sagen? Was!? Warum schreist du nicht mehr nach deiner Mom!!?“
„Ben?“
Er wirbelte herum.
Martha stand im Türrahmen, das Handy in der Hand. Ihre Augen hoben sich von Paulas sterblichen Überresten hinauf zu Ben. „Mein Gott, was geht hier vor? Was hast du getan? Wo ist Susan?“ Ihr Blick flog suchend durch den Raum.
„Mom, ich bin hier!“
„Halt endlich die Klappe, du verdammtes Miststück!“
„Ben –“
Dröhnendes Scheppern, als er den Fuß gegen die Spinttür rammte. Der Schrank erzitterte, das Schloss prallte gegen das Metall. Martha trat verängstigt einen Schritt zur Seite. „Bist du übergeschnappt? Wo ist meine Tochter!? Was hast du mit meiner Tochter gemacht!?“
„MOM!!“
„Hörst du sie nicht? Hörst du sie nicht schreien!?“
„Ben, was –“
„Sie schreit, und fleht, und bettelt, dass ich sie herauslasse! Was bist du für eine Mutter, dass du es nicht hörst!?“ Er zitterte am ganzen Körper, dicke Schweißperlen auf der Stirn glänzend. „Sie labert, und labert, und labert, und hört einfach nicht damit auf! Was glaubst du, wie ich mich fühle, ständig von ihr bedrängt zu werden?“
Martha betrachtete ihn entgeistert. „Du bist wahnsinnig, Ben!“
„Nur weil ich das tun musste, was sie von mir verlangte?“
„MOM!“
„Da…!“ Er hämmerte die Faust gegen den Spint, strauchelte unter der Wucht des Schlages, stolperte über Paulas Kopf, der eine schaukelnde Bewegung vollzog. „Da ist sie drin, das Miststück. Deine Tochter!“
„Du hast sie eingesperrt!?“
„MOM!“
„Hörst du sie schreien? Hörst du, wie sie nach dir schreit? Sie schreit nach ihrer gottverdammten Mom!“
„Du bist ja völlig durchgedreht!“
„Nein, das bin ich nicht. Das bin ich verflucht nochmal nicht!!“ Er rappelte am Schloss, bis der Bügel sich aus der Öse löste. Mit brüllendem Kreischen flog die Metalltür auf; Susan kopfüber hinterher. Sie klatschte über Paulas Leiche, driftete zur Seite, und blieb rücklings am Boden liegen. Der wuchtige Anhänger rutschte über die Goldkette seitlich den Hals hinunter. Der Hammerkopf steckte noch immer im Schädel vergraben.
Ben würdigte ihr keines Blickes. Seine Augen waren in Marthas vertieft. „Da ist sie, deine unschuldige Tochter. Jetzt kannst du endlich mit ihr sprechen! Susan, hier ist deine Mom! Rede endlich mit ihr!! Sag ihr, das mich keinerlei Schuld trifft.“
Dann brach er schluchzend neben seiner toten Frau zusammen.
„Ben? Du hast mich umgebracht, Ben…“
 
Hallo Dirk,

ich habe mir mal den Anfang deiner Geschichte durchgelesen und muss sagen, die Szenerie macht auf mich einen sehr unrealistischen Eindruck.
Sie ist wütend, weil er wohl fremdgegangen ist. Klar, da fliegen mal Vasen und Fäuste, aber irgendwie kam nicht rüber, wieso sie so ausflippt, dass sie ihn fast umbringt.
Seine Reaktion kam dann auch wenig motiviert. Warum versucht er sie nicht erst einmal anders in Schach zu halten. Warum wehrt er sich erst nicht und schlägt dann so zu?

Ich würde das an deiner Stelle nochmal überdenken.

Bis bald,
Michael
 



 
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