»Papa, Papa!« wisperte es an meinem Ohr.
Ich drehte mich um und vergrub mich tiefer ins Kissen, ich wollte noch nicht aufwachen.
Ein Gewicht legt sich auf mich.
»Papa!«, jetzt war das andere Ohr dran, »Papa, mein Sandkasten ist weg, wer hat den weggenommen? Das sieht alles ganz komisch aus draußen. Papa, wach auf!«
Ich öffnete für eine Zehntelsekunde die Augen, es begann wohl gerade zu dämmern, auf alle Fälle war es noch früh, sehr früh am morgen. Viel zu früh, um schon aufzustehen, ich hatte Urlaub, Weihnachtsurlaub, ich wollte ausschlafen ...
Ich hörte meine Freundin von der anderen Seite »Heute bist du dran ...« sagen, und sie schien sich daraufhin betont genüsslich in ihre Bettdecke zu kuscheln.
»Papa ...«, meine Tochter konnte wirklich sehr hartnäckig sein, »und warum sind die Bäume nicht grün?«
O Gott, nicht solche Fragen, nicht jetzt, um diese Zeit!
»Willst Du in Papas Bett kommen, Nami, noch ein bisschen schlafen?«, murmelte ich mit geschlossenen Augen und schlug einladend die Bettdecke zurück.
Normalerweise hilft dieses letzte Mittel, jedenfalls vielleicht für eine halbe Stunde, und Namine nistet sich blitzschnell in unserem Bett ein. Heute nicht. Keine Antwort. Nur ein Kitzeln in meinem Gesicht, von ihren Zöpfchen, offenbar von einem stummen Nein-Kopfschütteln.
Als ich kurz darauf nackte Füße über die Diele huschen und sich entfernen hörte, dämmerte mir, dass ich nun wohl oder übel aufstehen und Frühstück machen musste. Bald, gleich, nur noch fünf Minuten ...
War ich wieder eingeschlafen? Halb im Traum hörte ich Namine fragen: »Das hier, was ist das?« - und plötzlich patschte mir ein eiskaltes nasses Etwas ins Gesicht.
»Nami, was machst Du denn, was soll das denn?!«
Ich war schlagartig wach, setzte mich ruckartig auf, es war wirklich verdammt kalt und sehr nass, ich schüttelte mich, ziemlich unbegeistert.
»Na wenn das auf meinem Fenster liegt!«, kam es vorwurfsvoll zurück, in einer Logik, auf die ich meistens keine Antwort wusste.
»Aber deshalb musst Du den Schnee doch nicht hier 'reinschleppen! Das ist Schnee, Nami. Guck doch mal, das ganze Bett ist jetzt nass!«
Sie machte ein Fragezeichen-Gesicht und große Augen und mir fiel natürlich ganz schnell ein, dass Namine nicht wissen konnte, was Schnee ist. Sie hatte noch niemals Schnee gesehen, außer im Fernsehen vielleicht. Und als ganz kleines Baby, aber daran konnte sie sich bestimmt nicht mehr erinnern.
Als Namine noch nicht einmal ein Jahr alt war, waren Fatuma und ich mit ihr für mehrere Jahre in Fatumas Heimat gegangen. Meine Freundin wollte dort als Dolmetscherin etwas für ihr Land tun und ich hatte Arbeit in einem Entwicklungshilfe-Projekt gefunden.
Jedenfalls half nun alles nichts, ich musste aufstehen.
Wie erklärt man seinem Kind, was Schnee ist?
»Papa, was ist das denn: Schnee?« Eine Frage, die kommen musste, und Namine schaute mich schon erwartungsvoll an. »Und warum ist überall Schnee. Und warum war das gestern noch nicht da, wo kommt das her? Bleibt das Schnee jetzt immer da?«
Nun ja, Nami ist im Warum-Alter und ich versuchte, während ich aufstand und weitere Fragen auf mich einprasselten, auf kindgerechte Art zu erklären, was Schnee ist, dass es "der Schnee" und nicht "das Schnee" heißt, wo er herkommt und wo er hingeht.
Ich hätte gerne erst einmal gefrühstückt und eine Tasse Kaffe getrunken, aber Namine wollte natürlich zuerst im Garten nach ihrem Sandkasten suchen. Offenbar glaubte sie mir nicht, dass der Sandkasten nur unter dem Schnee versunken war.
Es war inzwischen schon heller geworden, wir zogen uns also warm an und gingen hinaus.
Über Nacht waren mindestens zehn Zentimeter Schnee gefallen, alles war wie in Watte verpackt, die parkenden Autos, die Zaunpfähle, der Sandkasten, alles trug eine weiße Mütze. Die vorher grünen Koniferen im Garten hatten sich ebenfalls weiß verkleidet - DARUM also waren die Bäume nicht mehr grün.
Namine schaute sich um, ganz still, mit großen, staunenden Augen, sie wusste wohl noch nicht, was sie von der veränderten Welt halten sollte.
Dann tapste sie mit staksigen Schritten durch den Garten, freute sich über ihre Spuren und grub mit ihrer kleinen Schippe nach ihrem Sandkasten - er war da, unter dem Schnee, und meine Autorität als Vater wuchs in diesem Moment ganz gewaltig..
Als dann noch große weiche Flocken zu fallen begannen, breitete meine Tochter die Arme aus, schaute in den Himmel und drehte sich im Kreis, während sie ein Schneelied sang, dass sie wohl eben gerade dichtete.
Ich sah lächelnd zu.
Die weißen Flocken fielen sanft auf Namines schokoladenfarbenes Gesicht und blieben sekundenlang liegen, bevor sie tauten, und selbst an ihren langen dunklen Wimpern hingen glitzernde weiße Kristalle.
Welch schönes Bild!
Mir weitete sich das Herz.
Später, nach dem Frühstück und nachdem Namine ihrer Mutter ALLES über Schnee erzählt hatte, bauten wir einen Schneemann.
Namine war eifrig dabei und hatte sich nun wohl endgültig mit dem Winter angefreundet und ihren Sandkasten vergessen, wenigstens vorübergehend. Der Schnee bot ja auch ganz neue und reizvolle Möglichkeiten zu spielen!
Aber als der Schneemann fast fertig war, wurde meine Tochter zunehmend stiller. Irgendwie nachdenklich. Sie guckte immer wieder den Schneemann an und dann mich, mich und den Schneemann, irgendwie prüfend, zweifelnd, sagte aber nichts.
Ich kannte das schon und wappnete mich innerlich auf eine Kaskade neuer Fragen, die sicherlich gleich auf mich hereinbrechen würde. Warum der Schneemann keine Beine hätte, zum Beispiel, und keine Füße.
Aber nichts geschah, Namine blieb still.
Es platzte erst aus ihr heraus, als ihre Mutter zu uns kam, um unseren Schneemann zu bewundern.
»Mami, Mami, ihr habt mich angeschwindelt! Guck mal«, rief sie und nahm meine Hand und hielt sie an den fertigen Schneemann, »guck mal, Papa ist gar nicht weiß. Und ihr habt gesagt, Du bist wie Kaffee und Papa wie Milch und deshalb bin ich braun wie Kaffee mit Milch. Aber Papa ist nicht weiß, gar nicht, der Schneemann ist weiß, aber Papa nicht!«
Und während unsere Kaffe-und-Milch-Theorie einstürzte, unsere kindgerechte und einst effektvoll vorgeführte Erklärung über unsere verschiedenen Hautfarben, rief Namine:
»Papa ist ja auch braun, KOMISCHBRAUN, guck doch mal, gar nicht echt braun, nur so ein bisschen!«
Sie wollte sich vor Lachen fast ausschütten und hüpfte kichernd und prustend zu ihrer Mutter.
Und ich, ich stand still da und staunte und dachte:
Wie recht Du hast, mein Kind!
Wenn nur jeder, der sich als "Weißer" für etwas Besseres hält, die Farben mit deinen ehrlichen Augen sehen könnte.
Um wieviel besser könnte die Welt dann sein!
Und der Schneemann, weiß und kalt und stumm, schien mir ernsthaft zuzunicken.
Schöner als zuvor glitzerte der Garten im Licht der nun aufgehenden Sonne.
Ich drehte mich um und vergrub mich tiefer ins Kissen, ich wollte noch nicht aufwachen.
Ein Gewicht legt sich auf mich.
»Papa!«, jetzt war das andere Ohr dran, »Papa, mein Sandkasten ist weg, wer hat den weggenommen? Das sieht alles ganz komisch aus draußen. Papa, wach auf!«
Ich öffnete für eine Zehntelsekunde die Augen, es begann wohl gerade zu dämmern, auf alle Fälle war es noch früh, sehr früh am morgen. Viel zu früh, um schon aufzustehen, ich hatte Urlaub, Weihnachtsurlaub, ich wollte ausschlafen ...
Ich hörte meine Freundin von der anderen Seite »Heute bist du dran ...« sagen, und sie schien sich daraufhin betont genüsslich in ihre Bettdecke zu kuscheln.
»Papa ...«, meine Tochter konnte wirklich sehr hartnäckig sein, »und warum sind die Bäume nicht grün?«
O Gott, nicht solche Fragen, nicht jetzt, um diese Zeit!
»Willst Du in Papas Bett kommen, Nami, noch ein bisschen schlafen?«, murmelte ich mit geschlossenen Augen und schlug einladend die Bettdecke zurück.
Normalerweise hilft dieses letzte Mittel, jedenfalls vielleicht für eine halbe Stunde, und Namine nistet sich blitzschnell in unserem Bett ein. Heute nicht. Keine Antwort. Nur ein Kitzeln in meinem Gesicht, von ihren Zöpfchen, offenbar von einem stummen Nein-Kopfschütteln.
Als ich kurz darauf nackte Füße über die Diele huschen und sich entfernen hörte, dämmerte mir, dass ich nun wohl oder übel aufstehen und Frühstück machen musste. Bald, gleich, nur noch fünf Minuten ...
War ich wieder eingeschlafen? Halb im Traum hörte ich Namine fragen: »Das hier, was ist das?« - und plötzlich patschte mir ein eiskaltes nasses Etwas ins Gesicht.
»Nami, was machst Du denn, was soll das denn?!«
Ich war schlagartig wach, setzte mich ruckartig auf, es war wirklich verdammt kalt und sehr nass, ich schüttelte mich, ziemlich unbegeistert.
»Na wenn das auf meinem Fenster liegt!«, kam es vorwurfsvoll zurück, in einer Logik, auf die ich meistens keine Antwort wusste.
»Aber deshalb musst Du den Schnee doch nicht hier 'reinschleppen! Das ist Schnee, Nami. Guck doch mal, das ganze Bett ist jetzt nass!«
Sie machte ein Fragezeichen-Gesicht und große Augen und mir fiel natürlich ganz schnell ein, dass Namine nicht wissen konnte, was Schnee ist. Sie hatte noch niemals Schnee gesehen, außer im Fernsehen vielleicht. Und als ganz kleines Baby, aber daran konnte sie sich bestimmt nicht mehr erinnern.
Als Namine noch nicht einmal ein Jahr alt war, waren Fatuma und ich mit ihr für mehrere Jahre in Fatumas Heimat gegangen. Meine Freundin wollte dort als Dolmetscherin etwas für ihr Land tun und ich hatte Arbeit in einem Entwicklungshilfe-Projekt gefunden.
Jedenfalls half nun alles nichts, ich musste aufstehen.
Wie erklärt man seinem Kind, was Schnee ist?
»Papa, was ist das denn: Schnee?« Eine Frage, die kommen musste, und Namine schaute mich schon erwartungsvoll an. »Und warum ist überall Schnee. Und warum war das gestern noch nicht da, wo kommt das her? Bleibt das Schnee jetzt immer da?«
Nun ja, Nami ist im Warum-Alter und ich versuchte, während ich aufstand und weitere Fragen auf mich einprasselten, auf kindgerechte Art zu erklären, was Schnee ist, dass es "der Schnee" und nicht "das Schnee" heißt, wo er herkommt und wo er hingeht.
Ich hätte gerne erst einmal gefrühstückt und eine Tasse Kaffe getrunken, aber Namine wollte natürlich zuerst im Garten nach ihrem Sandkasten suchen. Offenbar glaubte sie mir nicht, dass der Sandkasten nur unter dem Schnee versunken war.
Es war inzwischen schon heller geworden, wir zogen uns also warm an und gingen hinaus.
Über Nacht waren mindestens zehn Zentimeter Schnee gefallen, alles war wie in Watte verpackt, die parkenden Autos, die Zaunpfähle, der Sandkasten, alles trug eine weiße Mütze. Die vorher grünen Koniferen im Garten hatten sich ebenfalls weiß verkleidet - DARUM also waren die Bäume nicht mehr grün.
Namine schaute sich um, ganz still, mit großen, staunenden Augen, sie wusste wohl noch nicht, was sie von der veränderten Welt halten sollte.
Dann tapste sie mit staksigen Schritten durch den Garten, freute sich über ihre Spuren und grub mit ihrer kleinen Schippe nach ihrem Sandkasten - er war da, unter dem Schnee, und meine Autorität als Vater wuchs in diesem Moment ganz gewaltig..
Als dann noch große weiche Flocken zu fallen begannen, breitete meine Tochter die Arme aus, schaute in den Himmel und drehte sich im Kreis, während sie ein Schneelied sang, dass sie wohl eben gerade dichtete.
Ich sah lächelnd zu.
Die weißen Flocken fielen sanft auf Namines schokoladenfarbenes Gesicht und blieben sekundenlang liegen, bevor sie tauten, und selbst an ihren langen dunklen Wimpern hingen glitzernde weiße Kristalle.
Welch schönes Bild!
Mir weitete sich das Herz.
Später, nach dem Frühstück und nachdem Namine ihrer Mutter ALLES über Schnee erzählt hatte, bauten wir einen Schneemann.
Namine war eifrig dabei und hatte sich nun wohl endgültig mit dem Winter angefreundet und ihren Sandkasten vergessen, wenigstens vorübergehend. Der Schnee bot ja auch ganz neue und reizvolle Möglichkeiten zu spielen!
Aber als der Schneemann fast fertig war, wurde meine Tochter zunehmend stiller. Irgendwie nachdenklich. Sie guckte immer wieder den Schneemann an und dann mich, mich und den Schneemann, irgendwie prüfend, zweifelnd, sagte aber nichts.
Ich kannte das schon und wappnete mich innerlich auf eine Kaskade neuer Fragen, die sicherlich gleich auf mich hereinbrechen würde. Warum der Schneemann keine Beine hätte, zum Beispiel, und keine Füße.
Aber nichts geschah, Namine blieb still.
Es platzte erst aus ihr heraus, als ihre Mutter zu uns kam, um unseren Schneemann zu bewundern.
»Mami, Mami, ihr habt mich angeschwindelt! Guck mal«, rief sie und nahm meine Hand und hielt sie an den fertigen Schneemann, »guck mal, Papa ist gar nicht weiß. Und ihr habt gesagt, Du bist wie Kaffee und Papa wie Milch und deshalb bin ich braun wie Kaffee mit Milch. Aber Papa ist nicht weiß, gar nicht, der Schneemann ist weiß, aber Papa nicht!«
Und während unsere Kaffe-und-Milch-Theorie einstürzte, unsere kindgerechte und einst effektvoll vorgeführte Erklärung über unsere verschiedenen Hautfarben, rief Namine:
»Papa ist ja auch braun, KOMISCHBRAUN, guck doch mal, gar nicht echt braun, nur so ein bisschen!«
Sie wollte sich vor Lachen fast ausschütten und hüpfte kichernd und prustend zu ihrer Mutter.
Und ich, ich stand still da und staunte und dachte:
Wie recht Du hast, mein Kind!
Wenn nur jeder, der sich als "Weißer" für etwas Besseres hält, die Farben mit deinen ehrlichen Augen sehen könnte.
Um wieviel besser könnte die Welt dann sein!
Und der Schneemann, weiß und kalt und stumm, schien mir ernsthaft zuzunicken.
Schöner als zuvor glitzerte der Garten im Licht der nun aufgehenden Sonne.