Leonore

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Kira Berg

Mitglied
Leonore

Ein kleines Cafe´ an einer kaum befahrenen Straße. Die Hitze des Tages ließ die Luft vibrieren und hüllte alles in ein viel zu enges Gewand. Der kleine Bürgersteig vor dem Cafe´ reichte gerade aus, um zwei Tischen mit schmalen, unbequemen Stühlen Platz zu lassen. Menschenleer war die Straße. Die Fensterläden der umliegenden Häuser verschlossen. Kein Auto, kein Motorengeräusch, nichts war zu hören. Der Ort machte den Eindruck einer Kulisse. Er schien verlassen zu sein. Es roch nach Provinz, nach Vergangenheit, eine Luft, die einem die Kraft zum Atmen nahm.
Das Cafe´ hatte wie überall hier um die Mittagszeit keine Gäste. Claudette, die Besitzerin saß hinter der Theke, über ein Magazin gebeugt. Ein Radio spielte ...“ c´est une chanson...“Pierre hatte seine Apotheke abgeschlossen und lief heute nicht wie sonst immer um die Mittagszeit in Richtung des kleinen Parks am Gemeindehaus, um sich auf eine Bank, immer dieselbe unter dieselbe Pinie zu setzen, sein frisches Baguette mit Käse zu bestreichen und sich in sich selbst zurückzuziehen. Nein, heute Morgen hatte er eine Nachricht von Leonore erhalten.
Leonore, bei diesem Gedanken öffnete sich sein Herz. Leonore, dunkelhaarig von zarter Statur und dieser Blick mit den strahlend blauen Augen, puppengleich. In diesen Blick war er vor drei Jahren in Paris versunken.
Pierre, der den Blick eher angstvoll senkte, wenn eine Frau ihre Augen auf ihn richtete, nahm Menschen kaum wahr. Es sei denn, sie kamen in seine Apotheke. Wenn der Tresen für ihn zum Schutzschild wurde, dann schaute er die Menschen an, analysierte ihre Blicke und versuchte, noch ehe sie ihren Kaufwunsch an ihn richteten, zu ergründen, welches Mittel sie verlangen könnten. Ein alltägliches Spiel, das er im Laufe der Jahre bis zur Perfektion beherrschte.

Außerhalb der Apotheke machten ihm die Menschen eher Angst. Er ging ihnen aus dem Weg. Die Angst, dass seine Seele verwundet werden könnte, war zu groß. Seine innere Stimme warnte und er hörte auf sie. Sich selbst vertraute er. In sich selbst war er sicher, einsam und zufrieden.
Vor drei Jahren in Paris hatte Leonore seine Seele im Sturm erobert. Als er sie nach dem Pharmaziekongress das erste Mal sah, konnte er nicht wegsehen. Sein Blick lag wie gebannt auf der zarten Frauengestalt. Wie ein magischer Sog zog es ihn an, als er seine Augen auf sie richtete und schon am selben Abend nahm er sie mit zu sich nach Hause und er spürte, wie sich ihre Seelen vereinten und ineinander überflossen.
Seitdem trafen sie sich jeden Donnerstag in seinem Haus. Für diese Nächte lebte er. Sie waren zu seinem Mittelpunkt und Lebenssinn geworden. An diesen Tagen wurde aus ihm ein anderer Mensch. Wenn er Donnerstags die Apotheke abschloss, ging er in den kleinen Supermarkt, kaufte frischen Fisch und Baguette, holte Wein aus dem Keller und deckte festlich den Tisch.
Überall brannten Kerzen, als sie dann kam. Meist trug sie ein weißes Kleid aus fließendem Satin, das bei jedem Schritt um ihren Körper wehte. Ihr langes schwarzes Haar fiel in vielen kleinen Löckchen um ihre Schultern. Sie kam und nahm den gesamten Raum ein. Er war ihr verfallen, ihrem Duft, ihrem Wesen.
Nach dem Essen lagen sie viele Stunden stumm nebeneinander auf seinem Bett, sich nur an den Händen haltend.
Er war viel zu sehr von ihr gefangen, als dass er hätte reden können. Es brauchte keiner Worte. Ihre Körper und ihre Seelen wurden eins.
Spät in der Nacht verschwand sie, um eine Woche später wiederzukehren.
Keiner wusste von dieser Liebe. Keiner hatte sie je bemerkt. Für alle blieb er der eher seltsame, verschrobene Apotheker.
Doch Pierre lebte in seinem Glück und genoss es, beide Leben nebeneinander zu leben. In der Woche der immer ernste Apotheker, donnerstags der Geliebte und Begehrte. Das Leben hatte einen Sinn bekommen und für diesen lebte er.

Seit einigen Wochen aber hatte sich etwas verändert. Er spürte es. Er spürte die Angst in sich, dieses Aufgeregt-sein, diese Spannung, die ihn einengte. Dieser Zustand, der sich in seiner Brust an jenen letzten Donnerstagen ausbreitete. Sie wirkte kühler, entrückt von ihm. Wenn er nach ihrer Hand griff, spürte er die Kälte, die von ihr auszugehen schien.
Er lag neben ihr, doch er konnte sie kaum noch wahrnehmen. Ihre Umrisse verschwanden. Die Konturen schienen eins zu werden mit der Enge, die ihn zu erdrücken drohte.

Und dann heute morgen, ein kleiner Zettel unter der Tür, die Visitenkarte des Cafes im Ort. Ihm war sofort bewusst, dass es das Ende bedeutete. Seine Gedanken kreisten um Paris, um die vielen Abende des Glücks. Sie kreisten schneller und schneller, wurden zu einem Sog, zu einem Tunnel, an dessen Ende die nackte Wut lauerte, sich als Stimme in ihm erhob, die ihn anschrie. Alles um ihn herum lärmte.
In diesen Lärm drang eine Stimme c´est une chanson, qui nous ressemble. Für einen kurzen Moment schien es ihm die Orientierung zu nehmen. Er schaute sich angstvoll um und erblickte vor sich den Eingang des Cafes. Er ging an zwei Tischen auf dem Gehweg vorbei und trat ein.
Er setzte sich an die Theke, ihr gegenüber und schaute sie mit unbändiger Wut an. Sie schien ihn etwas zu fragen, doch ihre Worte klangen wie breitgezogen und verzerrt, auf einer falschen Tonspur abgespielt, an sein Ohr. Ihr lächelnder Mund schien sich zu einer fürchterlichen Grimasse zu entstellen. Sie sang, lachte, gestikulierte. Es war ein unheimliches Stimmengewirr, das an sein Ohr drang. Er hielt sich die Ohren zu und schrie ihr seinen Hass ins Gesicht. Sie lachte. Sie lachte ihn aus.

Erst als seine Hände über die Theke hinweg ihren Hals umfassten und sich immer enger zusammendrückten, entschwand diese Lachen aus ihrem Gesicht und nichts als das blanke Entsetzen blickte aus ihren Augen.
Es sollte ihr so gehen, wie ihm. Sie sollte seinen Schmerz erleben.
Sie spürte ihn, dessen war er sich sicher und er ließ erst los, als ihr lebloser Kopf nach hinten fiel und ihre Arme schlaff am Körper herabhingen.
Jetzt hatte er sie verlassen. Die entspannende Stille und Ruhe legten sich wie ein Tuch auf seine Wut. Mais la vie separe ceux quisaiment tout....
Entspannt und ruhig verließ Pierre das Cafe. Nichts hatte sich verändert. Die drückende Wärme vibrierte noch immer in der Luft. Es roch nach Vergangenheit. Er ging zurück und schloss die Apotheke auf. Es kamen kaum Leute an diesem Nachmittag, hatte sich doch im Ort ein grauenvolles Verbrechen ereignet. Erst einige Tage später erschien die Polizei in der Tür. Pierre wusste nicht, was man von ihm wollte.
Er kannte keine Claudette.
 



 
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