eenemenetekel
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Liebe
Vom Dach der windschiefen Bretterbude hängen an rostigen Drähten etliche Hüte, verwaschene Tücher, Windspiele und Lampenschirme. An den Wänden schweigen ein paar stehengebliebene oder angehaltene Uhren, dazwischen Gemälde – zumeist Landschaften und Stillleben – in einfachen Rahmen.
Über den zusammenklappbaren Holztisch ist eine Wachstuchdecke gespannt, an den Seiten mit teils krumm geschlagenen Nägeln befestigt. Sorgfältig geordnet, findet sich allerlei Trödel auf der abwaschbaren Oberfläche: Kerzenständer und Türklinken aus Messing, verziertes Geschirr, Kartons mit vergilbten Postkarten und Fotos.
Vorsichtig nehme ich einige der schwarz-weißen Bilder heraus. Sie zeigen überwiegend Alltagsszenen und Stadtansichten, hier und da Berge oder einen Strand.
Auf einem von ihnen ist eine junge Frau in einem enganliegenden, dunklen Kleid zu sehen. Halb im Profil, steht sie mit schulterlangem, gewelltem Haar in leicht gekünstelter Pose, das Kinn ein wenig vorgeschoben, und raucht gelassen eine dünne Zigarette.
Sie versucht es zu überspielen, aber hinter der elfenbeinfarbenen Stille ihres Gesichtes zeichnen sich deutlich die Bruchkanten einer aus dem Gefüge geratenen Erinnerung ab – eine gesonderte Scherbe, die ihr offenbar das Lächeln weggeschnitten hat – und ich überlege, was wohl der Grund für diese mit ihr verwachsene Traurigkeit sein mag, denke schemenhaft an den Tod, verlorenes Glück und die Einsamkeit.
Als die Händlerin meinen Blick bemerkt, zuckt sie mit den Schultern und erklärt, es tue ihr leid, aber sie könne mir dazu nichts sagen, da sie nichts über diese Aufnahmen wisse.
Sie seien lediglich Fragmente aus dem Leben Fremder, fanden sich in Nachlässen verstorbener oder verschwundener Menschen, deren Geschichte sie nicht kenne und deren Habseligkeiten nur mehr oder weniger zufällig in ihren Besitz übergegangen seien – angehäufte Alibis, wenn man so wolle, Füllwerk für die eigenen leeren Kartons.
Sie spricht sehr leise und hastig, als habe sie Angst, ihre Gedanken kämen sonst abhanden.
Ihre Augen scheinen den Boden beständig nach verborgenen Fallen oder einem Versteck abzusuchen. Immer wieder zupft sie sich am Ohr, reibt sich die Stirn, oder kratzt sich den Kopf. Pausenlos sind ihre Hände in Bewegung, als versuche sie die Schatten wegzuwischen, die sie gesehen hat.
Sie habe diese Dinge an sich genommen, damit sie nicht völlig verloren wären.
Das alles, und sie zeigt vage auf ihre Auslagen, sei aber nichts anderes als eine Ansammlung anonymer Grabsteine auf einem riesigen Friedhof, und niemand – sie selbst schon gar nicht – habe die Kraft, die Gräber zu pflegen, sagt sie weiter, während ich wahllos eine der Türklinken in die Hand nehme und betrachte.
Ich drehe sie ein wenig hin und her und genieße die kühle Unaufdringlichkeit des Metalls, das durch unzählige Berührungen abgegriffen und blank gescheuert ist.
Stilisierte Tierköpfe, verbunden durch Rankenmuster, sind als Relief hineingeschnitten – schlichte Verzierungen, die ich nur beiläufig wahrnehme, da der still in den Augen der Alten glühende, traurige Wahnsinn für den Moment mein Denken überlagert.
Abwesend vor sich hin blickend, sitzt sie auf ihrem Stuhl vor der Rückwand des Büdchens und trinkt Wasser aus einer weiß emaillierten Blechtasse, deren Überzug hier und da abgeschlagen ist.
Behutsam lege ich die Klinke zurück.
Es gibt ein Geräusch wie ein verschlossenes Zimmer.
Ein wenig erschrocken schaut sie auf und spricht dann beinahe flüsternd weiter:
„Wissen Sie, wie das ist, in einer ausgeräumten Wohnung zu stehen und den Geruch der Vergangenheit zu atmen? Wie man die letzten Dinge eines Unbekannten zusammensammelt und die Hände trotzdem irgendwie leer bleiben, weil die Erinnerungen in der Tapete feststecken und für immer in diesen Räumen gefangen sind? Wie alles verblasst und an Form und Gehalt verliert, wie es die Wirklichkeit hinter sich zurücklässt, wenn man es von dort fortträgt, als gehörten die verstrichenen Momente nicht zu einem bestimmten Menschen, sondern zu einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort?“
„Nein“, sage ich und weiche ihren Augen aus, die schwarze Tunnel sind und eine eigene Gravitation zu haben scheinen, das wisse ich nicht. Oder jedenfalls nicht genau. Oder kenne das vielleicht nur so ähnlich.
Ich will darauf nicht näher eingehen.
Sie nickt kaum merklich, als habe sie nichts anderes erwartet und schaut eine Weile in den Himmel, der aussieht wie ein seltsames, geflecktes Tier.
Ohne mich anzusehen, sagt sie dann, dass all diese Sachen bestenfalls noch als Souvenirs taugen, ohne konkrete Bedeutung für denjenigen, der sie erwirbt. Dass man einfach nur eine entlegene Vergangenheit verwalte und in verdauliche Häppchen portioniere, was am Ende aber offenbar überhaupt keinen Sinn habe, weil dadurch für den Einzelnen rein gar nichts erklärt werde und die Ungewissheit bestehen bleibe.
Ich denke darüber nach.
So müsse man das aber nicht sehen, antworte ich, da diese verwahrte Erinnerung doch durchaus als eine Art Positionssignal inmitten der Zweifel und des Taumels dienen könne.
Die meisten Menschen befinden sich schließlich auf einer immerwährenden Suche – sie sei damit nicht allein – und oft genüge schon ein kleiner Schritt zur Seite oder nach vorn für eine vollständig neue Perspektive, was sie zum Lachen bringt – aber kein nettes, aufgeräumtes Lachen, sondern eher ein Biss – und sie fragt, was ihr das denn nütze oder helfe und ich sage: „Vielleicht als Orientierung.“
Aber sie schüttelt den Kopf.
„Sie können das sicher nicht verstehen“, meint sie, trinkt noch einen Schluck und erzählt dann von den Katzen, die nachts an ihrer Seite liegen und von den Wolken, die aussehen wie Altweiberhaar, während der Sturm die Tage vor sich her treibt.
Erzählt vom Sich-weder-wärmen-noch-verstecken-können im eigenen Mantel und davon, dass, wenn die Sonne tief steht, die Schatten ins All ragen und frieren und der Mond manchmal ein Geräusch macht, als würden sich seine Tag- und Nachtseite ineinander schieben und verkeilen.
Und ich schaue auf die vorbei spazierenden Menschen und ihre meist freundlichen oder zufriedenen Gesichter, höre Fetzen ihrer Unterhaltungen und die darin schwingende Zuversicht und Hoffnung in den nächsten Morgen.
Nur ab und zu, wenn sich für einen Moment der Schleier hebt und sie der Wirklichkeit und des Abgrundes gewahr werden, zuckt das Entsetzen über ihre Züge.
Nur ganz kurz.
Aber deutlich sichtbar.
Dann richte ich meinen Blick wieder in den Himmel, der aussieht wie verschüttete, saure Milch, schließe die Augen und erinnere mich daran zurück, wie es sich anfühlt, verloren zu sein.
Keine Angst!
Vom Dach der windschiefen Bretterbude hängen an rostigen Drähten etliche Hüte, verwaschene Tücher, Windspiele und Lampenschirme. An den Wänden schweigen ein paar stehengebliebene oder angehaltene Uhren, dazwischen Gemälde – zumeist Landschaften und Stillleben – in einfachen Rahmen.
Über den zusammenklappbaren Holztisch ist eine Wachstuchdecke gespannt, an den Seiten mit teils krumm geschlagenen Nägeln befestigt. Sorgfältig geordnet, findet sich allerlei Trödel auf der abwaschbaren Oberfläche: Kerzenständer und Türklinken aus Messing, verziertes Geschirr, Kartons mit vergilbten Postkarten und Fotos.
Vorsichtig nehme ich einige der schwarz-weißen Bilder heraus. Sie zeigen überwiegend Alltagsszenen und Stadtansichten, hier und da Berge oder einen Strand.
Auf einem von ihnen ist eine junge Frau in einem enganliegenden, dunklen Kleid zu sehen. Halb im Profil, steht sie mit schulterlangem, gewelltem Haar in leicht gekünstelter Pose, das Kinn ein wenig vorgeschoben, und raucht gelassen eine dünne Zigarette.
Sie versucht es zu überspielen, aber hinter der elfenbeinfarbenen Stille ihres Gesichtes zeichnen sich deutlich die Bruchkanten einer aus dem Gefüge geratenen Erinnerung ab – eine gesonderte Scherbe, die ihr offenbar das Lächeln weggeschnitten hat – und ich überlege, was wohl der Grund für diese mit ihr verwachsene Traurigkeit sein mag, denke schemenhaft an den Tod, verlorenes Glück und die Einsamkeit.
Als die Händlerin meinen Blick bemerkt, zuckt sie mit den Schultern und erklärt, es tue ihr leid, aber sie könne mir dazu nichts sagen, da sie nichts über diese Aufnahmen wisse.
Sie seien lediglich Fragmente aus dem Leben Fremder, fanden sich in Nachlässen verstorbener oder verschwundener Menschen, deren Geschichte sie nicht kenne und deren Habseligkeiten nur mehr oder weniger zufällig in ihren Besitz übergegangen seien – angehäufte Alibis, wenn man so wolle, Füllwerk für die eigenen leeren Kartons.
Sie spricht sehr leise und hastig, als habe sie Angst, ihre Gedanken kämen sonst abhanden.
Ihre Augen scheinen den Boden beständig nach verborgenen Fallen oder einem Versteck abzusuchen. Immer wieder zupft sie sich am Ohr, reibt sich die Stirn, oder kratzt sich den Kopf. Pausenlos sind ihre Hände in Bewegung, als versuche sie die Schatten wegzuwischen, die sie gesehen hat.
Sie habe diese Dinge an sich genommen, damit sie nicht völlig verloren wären.
Das alles, und sie zeigt vage auf ihre Auslagen, sei aber nichts anderes als eine Ansammlung anonymer Grabsteine auf einem riesigen Friedhof, und niemand – sie selbst schon gar nicht – habe die Kraft, die Gräber zu pflegen, sagt sie weiter, während ich wahllos eine der Türklinken in die Hand nehme und betrachte.
Ich drehe sie ein wenig hin und her und genieße die kühle Unaufdringlichkeit des Metalls, das durch unzählige Berührungen abgegriffen und blank gescheuert ist.
Stilisierte Tierköpfe, verbunden durch Rankenmuster, sind als Relief hineingeschnitten – schlichte Verzierungen, die ich nur beiläufig wahrnehme, da der still in den Augen der Alten glühende, traurige Wahnsinn für den Moment mein Denken überlagert.
Abwesend vor sich hin blickend, sitzt sie auf ihrem Stuhl vor der Rückwand des Büdchens und trinkt Wasser aus einer weiß emaillierten Blechtasse, deren Überzug hier und da abgeschlagen ist.
Behutsam lege ich die Klinke zurück.
Es gibt ein Geräusch wie ein verschlossenes Zimmer.
Ein wenig erschrocken schaut sie auf und spricht dann beinahe flüsternd weiter:
„Wissen Sie, wie das ist, in einer ausgeräumten Wohnung zu stehen und den Geruch der Vergangenheit zu atmen? Wie man die letzten Dinge eines Unbekannten zusammensammelt und die Hände trotzdem irgendwie leer bleiben, weil die Erinnerungen in der Tapete feststecken und für immer in diesen Räumen gefangen sind? Wie alles verblasst und an Form und Gehalt verliert, wie es die Wirklichkeit hinter sich zurücklässt, wenn man es von dort fortträgt, als gehörten die verstrichenen Momente nicht zu einem bestimmten Menschen, sondern zu einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort?“
„Nein“, sage ich und weiche ihren Augen aus, die schwarze Tunnel sind und eine eigene Gravitation zu haben scheinen, das wisse ich nicht. Oder jedenfalls nicht genau. Oder kenne das vielleicht nur so ähnlich.
Ich will darauf nicht näher eingehen.
Sie nickt kaum merklich, als habe sie nichts anderes erwartet und schaut eine Weile in den Himmel, der aussieht wie ein seltsames, geflecktes Tier.
Ohne mich anzusehen, sagt sie dann, dass all diese Sachen bestenfalls noch als Souvenirs taugen, ohne konkrete Bedeutung für denjenigen, der sie erwirbt. Dass man einfach nur eine entlegene Vergangenheit verwalte und in verdauliche Häppchen portioniere, was am Ende aber offenbar überhaupt keinen Sinn habe, weil dadurch für den Einzelnen rein gar nichts erklärt werde und die Ungewissheit bestehen bleibe.
Ich denke darüber nach.
So müsse man das aber nicht sehen, antworte ich, da diese verwahrte Erinnerung doch durchaus als eine Art Positionssignal inmitten der Zweifel und des Taumels dienen könne.
Die meisten Menschen befinden sich schließlich auf einer immerwährenden Suche – sie sei damit nicht allein – und oft genüge schon ein kleiner Schritt zur Seite oder nach vorn für eine vollständig neue Perspektive, was sie zum Lachen bringt – aber kein nettes, aufgeräumtes Lachen, sondern eher ein Biss – und sie fragt, was ihr das denn nütze oder helfe und ich sage: „Vielleicht als Orientierung.“
Aber sie schüttelt den Kopf.
„Sie können das sicher nicht verstehen“, meint sie, trinkt noch einen Schluck und erzählt dann von den Katzen, die nachts an ihrer Seite liegen und von den Wolken, die aussehen wie Altweiberhaar, während der Sturm die Tage vor sich her treibt.
Erzählt vom Sich-weder-wärmen-noch-verstecken-können im eigenen Mantel und davon, dass, wenn die Sonne tief steht, die Schatten ins All ragen und frieren und der Mond manchmal ein Geräusch macht, als würden sich seine Tag- und Nachtseite ineinander schieben und verkeilen.
Und ich schaue auf die vorbei spazierenden Menschen und ihre meist freundlichen oder zufriedenen Gesichter, höre Fetzen ihrer Unterhaltungen und die darin schwingende Zuversicht und Hoffnung in den nächsten Morgen.
Nur ab und zu, wenn sich für einen Moment der Schleier hebt und sie der Wirklichkeit und des Abgrundes gewahr werden, zuckt das Entsetzen über ihre Züge.
Nur ganz kurz.
Aber deutlich sichtbar.
Dann richte ich meinen Blick wieder in den Himmel, der aussieht wie verschüttete, saure Milch, schließe die Augen und erinnere mich daran zurück, wie es sich anfühlt, verloren zu sein.
Keine Angst!