Liebe Asien Europa

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a.dues

Mitglied
Lieber Leser,

bedrückt starre ich auf den Bildschirm. Meine Augen sind müde. Weil sie nichts Lohnendes sehen.

Mir ist schlecht, von der Dose Ananas vom Discounter, die ich in mich hineingeschaufelt habe.

Asumi hat mir ein Email geschickt. Sie kann nicht um 16.00 Uhr mit mir skypen, da ihre Freunde noch länger mit ihr sprechen möchten.
Natürlich hat sie das nicht so direkt geschrieben!
Ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie noch länger bei ihren Freunden bliebe, da diese noch gerne mit ihr sprechen würden. Sie würde dann gegen 18.00 Uhr nach Hause gehen. Ob es mir ginge, dann mit ihr zu sprechen. Wenn nicht, würde sie gleich nach Hause gehen, um mit mir zu skypen.
„Klar, kein Problem, sprich mit deinen Freunden! Vielleicht geht es mir um 18.00 Uhr“, schreibe ich ihr zurück auf ihr Mobiltelefon.

Mir schießen Tränen in die Augen. Mir ist echt zum weinen!

In Asien ist das mit den SMS anders. Dort verwenden sie Emails von Handy zu Handy. Mein Mobilfunkanbieter hat das bei mir noch nicht hingekriegt. Warte immer noch auf das Serviceteam, das sich – ach, wieso schreibe ich über Technik?

Der Musikplayer beschallt mich aus meinem 5.1 Soundsystem, das mir einst so viel Freude machte. Doch langsam graust es mir vor der Technik. Begünstigt sie nicht die Einsamkeit, fördert sie nicht die Isolation?
Die Freude, die sie mir lange Jahre schenkte, versiegt mehr und mehr.
Eine 8800 GT – overclocked! - ist im online Preisvergleich für 220 Euro zu haben, ein Core 2 Duo 8400 - neueste Generation! – für schlappe 170, ein klasse Mainboard für 90, und 2 GB Marken-RAM DDR2 800 für lächerliche 40 Euro. So billig und leistungsfähig war Hardware noch nie!

Doch etwas tief in mir wehrt sich dagegen, meinen alten Tower auf ebay zu verscherbeln – vermutlich kriege ich 100 Euro dafür- um dann mit einer Gesamtinvestition von nur 400 Euro einen High-End Gamer-PC zusammenzustellen.
Hätte ich vor drei Jahren eine High-End Maschine gekauft, hätte sie mindestens das Doppelte gekostet. Aber das bringt mir doch nichts, verdammt, denn:

Asumi ist wieder in Asien, und ich hocke in meinem fürchterlichen 14 m2 Zimmer in einem entsetzlichen Studentenheim im 70er Jahre Design – alleine!

Skypen, selbst mit Webcam, gibt mir auch keine Befriedigung. Was nützt es mir, sie zu sehen? Das schürt bloß mein Verlangen. Sehnsucht entflammt in mir, wie ich es von mir gar nicht kenne.
Und nicht zu kriegen, was ich will, macht mich krank.

Habe an diesem Samstagnachmittag online gepokert. Werde langsam besser. Sonst spiele ich noch ein paar andere Offline-Games.

Mein Vorderhirn ist taub. Ich weiß nicht wieso, aber ich fühle mich so.

Ich halte es nicht mehr aus.

Ich will ausbrechen, aus meinem Gefängnis. Ich mache mir Vorwürfe. Wieso schaffe ich es nicht, mir ein halbwegs angenehmes Leben zusammenzustellen?

Wenn ich im Sommer meine Reisen mache, auf den Schulen, die ich dort besuche, ist mein Leben anders. Ich habe viele Freunde, eine Klassengemeinschaft, eine Schulgemeinschaft. Die Location ist exotisch, mein Abenteuersinn lodert auf, ich bin in einem Rausch.

Hier ist es kalt. Grau in Grau. Wie lange dauert der Winter hier? Von Mitte September bis Mai? Zumindest lauf ich in dieser Zeit höchst selten mit T-Shirt und kurzen Hosen herum.

Hier ist es orthodox. Unexotisch.

Und meine exotische Schönheit, die ich mir aus meiner Traumzeit im Sommer in mein Leben hier „rübergerettet“ habe, ist wieder weg. Rund zwei Monate lang, ist sie bei mir geblieben. In meinem Zimmer. Ein großes Bett, Platz für zwei, hab ich mir zusammengezimmert.

Ich kann mir mein Geschwafel nicht mehr anhören.

Ach, wo ist die Lösung? Ich resigniere, rege mich auf, werde wütend und traurig, verfluche mich und die Welt und fasse mich wieder.

Es ist ein Wahnsinn, eine Fernbeziehung zu führen. So scheint es mir. Ich verzehre mich vor Sehnsucht und Liebe nach ihr.

Ich kann meine Liebe abtöten. Das kann ich. Möchte ich aber nicht. Muss ich aber vielleicht, sonst drehe ich noch durch.

Wann werden wir uns wieder sehen? In fünf Monaten?
Selbst wenn, wie viele Opfer und Komplikationen sind mit dieser Liebe verbunden?

Ich bin erstaunt. Zum ersten Mal empfinde ich wirklich Liebe für jemanden, glaube ich zumindest. Doch was nützt mir die Freude über ein Gefühl, das ich endlich kennen lerne, wenn es mir nur Leid bringt. Nicht nur. Aber zumindest jetzt.

Die Stunde rückt näher, in der ich mit ihr skype.

Wie ein Idiot warte ich in meinem Zimmer auf sie, leide, verzweifle.

Ich kriege wieder Hunger. Ich sollte essen, um besser drauf zu sein, wenn ich mit ihr skype.

S-----e!

Wirklich! S-----e! S-----e! S-----e! S-----e!

Muss ich diese Liebe der Vernunft wegen aufgeben?
Vielleicht führt nichts daran vorbei.

Doch Asumi, meine Asumi, ist eine so wundervolle Person, wie ich noch nie eine kennen gelernt habe.
Sie exotisch. Das belebt etwas in mir, das im Alltag erstickt wird. Ich gerate in einen Rausch und spüre das Leben plötzlich ungestüm in mir pulsieren.

All das Gute soll ich aufgeben, um mir all das Schlechte zu sparen?

Was soll ich tun?

Meine Gefühle überschlagen sich.

Was weiß ich schon über mich?


© Anton Nemo Dues
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo anton,

willkommen in der welt der worte. dein tagebucheintrag hat mich bewegt, mir zu denken gegeben. mehr geht nicht...

alles liebe

otto
 

R. Herder

Mitglied
Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Im Gegensatz zum Unsäglichen im Kurzprosaforum, hast du hier mit Blut geschrieben.
Hier kaufst du dir selbst auch ab, was du schreibst.
Und ich ebenso.


Grüße,
René.
 



 
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