Liebe-Liebe-Liebelei

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EviEngel

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Liebe-Liebe-Liebelei


„Du bist so heiß wie ein Vulkan!“, sprach mein Großer zu mir. Meine Gedanken spazierten auf der dunklen Seite des Mondes umher und hatten keinen Bezug zur Wirklichkeit. Ich grinste ihn töricht an, weil ich nicht wusste, woher er die Eingebung für seinen Spruch hatte. Wir saßen in einem klitzekleinen Restaurant in Oostende und genossen ein unverhofft gutes Abendessen. Die Kinder mümmelten ihre Pommes-frites und wurden von uns mit Garnelenkroketten gefüttert.
„Die Musik ist die reinste Körperverletzung!“, sprach mein Liebling ohne Kenntnis dessen, was gerade auf der dunklen Seite des Mondes geschah. Ich horchte auf die Hintergrundmusik:
„Liebe-Liebe-Liebelei ...“
Nun verstand ich die Anspielung und tauchte in der Gegenwart auf.
„Tanze Samba mit mir, Samba-Samba die ganze Nacht!“, tönten die Lautsprecher in der Decke.
„Die Belgier haben einen furchtbaren Musikgeschmack!“, mein Liebster grinste dabei über den Widersinn in seiner Bemerkung, schließlich war es deutsche Musik.
Ich hatte versucht, mit der Bedienung niederländisch zu sprechen, sie antwortete so rasend schnell, dass ich kein Wort verstand. Mein Liebster sprach mit ihr französisch, darauf gab sie keine Antwort. Die Abneigung der beiden Volksgruppen innerhalb Belgiens ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, die Flamen verachten die französisch sprechenden Wallonen und die Wallonen reißen geschmacklose Witze über die Flamen.
Wir nahmen beide die Garnelenkroketten und waren überrascht über die gute Qualität des Essens. Wir speisten von einem liebevoll mit Obst und Garnelen und einem kleinen Salat angerichteten Gourmet-Teller und waren des Lobes voll. Es war wirklich köstlich und verhältnismäßig preiswert.
„Tanze Samba mit mir ...“, sang ich auf dem Heimweg.
„Aha, ein Ohrwurm!“, mimte der Vater meiner Kinder den Verständnisvollen.
„Liebe-Liebe-Liebelei,
morgen ist es mit uns vorbei!“ sang ich vor dem Einschlafen.
„Morgen ist es mit uns vorbei?“ murmelte mein Geliebter in sein Kissen. „Versprochen?“
Ich nahm den unromantischen Grobian noch kurz in den Schwitzkasten und hoffte, dass durch unsere Aktivitäten der Ohrwurm abgetötet würde. Am nächsten Morgen, kurz vor dem Aufwachen:
„Liebe-Liebe-Liebelei ...“
„Nee!“, entsetzte sich mein Angetrauter und hielt sich das Kissen vor beide Ohren.
Beim Tischdecken trällerte ich:
„Tanze Samba mit mir,
Samba, Samba die ganze Nacht.
Tanze Samba mit mir,
Weil der Samba uns glücklich macht.“
„Hier!“, meinte mein Süßer und drehte seinen Laptop, auf dem er den Text gegoogelt hatte, zu mir:
„Es heißt 'Die Samba' und nicht der Samba. Außerdem ist es nicht morgen mit uns vorbei, sondern Boogie und Mambo und wasweißich ist für mich vorbei.“
„Kluges Kerlchen!“, ich kniff ihm bewundernd in die Wange, „Wann gehen wir mal wieder tanzen?“
„Wieso wieder? Waren wir denn schon mal?“
„Schuft, schmutziger! Wenn die Kinder nicht dabei wären, dann würde ich dich …!“
Mein Angetrauter zwinkerte mir zu: „Das würdest du für mich tun?“
Statt einer Antwort zeigte ich ihm die Faust.
„Was würde die Mama tun?“, fragte die Große. Ich überließ es dem Schlaumeier, unserer Tochter eine einleuchtende Ausrede für unseren Insider-Spaß aufzutischen.
Das Coole an einem Wohnmobil ist es, dass du wohnen und fahren gleichzeitig kannst.
„Du bist so heiß wie ein Vulkan und heut verbrenn ich mich daran, aha, aha.“
Das war meine selbst gemachte Begleitmusik, als wir wieder auf der Straße waren.
„Ist gut jetzt, Schatz“, mein Gebieter wurde langsam ungnädig und legte als Alternative zu meinem Gesang unsere derzeitige Lieblings-CD ein. Früher hat er meine 'wunderschöne, klare Altstimme' bis in den Himmel gelobt, jetzt war sie ihm anscheinend nichts mehr wert. So ändern sich die Zeiten.
In der Pause zwischen den beiden schönsten Liedern auf der CD trällerte ich:
„Liebe-Liebe-Liebelei!“
Mein Gemahl biss sich auf die Zähne und schaute starr nach vorn auf die Straße.
Langsam wurde es auch mir zu bunt, aber die Melodie ging mir nicht aus dem Kopf. Als sie sich wieder in den Vordergrund drängte, presste ich die Lippen zusammen und summte:
„Tanze Samba mit mir, Samba, Samba die ganze Nacht!“
Mein Großer lachte: „Mit dir hab ich einen Fang gemacht!“
„Tja, selbst schuld. Ich hab dich gewarnt, meine Mutter hat dich gewarnt und mein großer Bruder hat dich gewarnt. Wer nicht hören kann, muss fühlen!“
„Liebe-Liebe-Liebelei, gestern da warst du noch frei!“, ich tanzte dabei auf dem Sitz herum.
„Du bist eine der besten Sitz-Rock'n'Rollerinnen, die ich so kenne“, meinte mein Schatz, „Aber ich schlage dich um Längen!“
Zum Beweis schrie er in seine leere Faust:
„Do you like Rock'n'Roll-Musik
Any oh-Time oh use ik“
Und wedelte dabei mit seinem Hintern über den Sitz.
„Bei deiner Text-Interpretation wird sich John Lennon im Grab umdrehen.“
Und ich musste so lachen. Er ließ sich natürlich nicht bremsen und verballhornte den Rest des Textes auch noch. Das Auto wackelte über die Straße, mein Liebster schrie und kreischte, die Kinder und ich lachten lauthals über den Clown am Steuer. Der Mann bekleidet einen sehr verantwortungsvollen Posten und ist ein ernsthafter Familienvater, trotzdem macht er solche Faxen. Ich liebe ihn und nicht nur dafür.
„Sechskommaneun!“, gab ich meine Wertung ab und wischte die Lachtränen aus den Augen.
„Und die B-Note?“, meinte er grinsend.
„Haltungsnote 1a“, bestätigte ich meinen Eindruck, „Jetzt tanz mal Sitz-Samba!“
Das Lachen blieb ihm im Hals stecken.
„Wie geht eigentlich Samba?“, schob ich eine Frage nach. Ich hab mir nichts dabei gedacht, ehrlich. Und dann:
„Tanze Samba mit mir, Samba Samba die ganze Nacht, tanze Samba mit mir, weil der Samba mich glücklich macht!“, dazu bewegte ich die Arme wie eine Bauchtänzerin und wiegte die Hüfte.
„Ja, ungefähr so!“, bestätigte mich mein Allerbester, „Nur, man singt nicht dazu!“
Ich wiederholte die Sequenz und summte die Melodie.
„Ja, nee, ist klar!“, mein Allerliebster strich sich, der Verzweiflung nah, übers Gesicht. „Mutter, nimm mich von der Zeche, ich kann das Schwarze nicht mehr sehen!“
Wir landeten in Bray-Dunes, gingen ein paar Meter am Strand entlang, ließen uns den Wind um die Ohren pfeifen und beobachteten das Meer, wie es emsig von Ebbe zu Flut überging und seinen anderen, wichtigen Geschäften nachging. Die Strandpromenade war jetzt im November ziemlich leer, die meisten Fenster der Ferienwohnungen verhangen oder mit Fensterläden verbarrikadiert. Wenige Unentwegte leisteten uns Gesellschaft und tummelten sich an Strand und Promenade.
Wir turnten unten am Wasser herum, wo der Vater seinen Kindern beibrachte, wie man sich ruckzuck nasse Füße holt, indem man sich zu weit vorwagt. Meine drei Helden waren bis zu den Knien nass und brauchten etwas Heißes zu trinken. Wir flitzten zum Wohnmobil, zogen geschwind trockene Sachen an und wetzten zum Strand zurück, zu dem uns die Reklame und die Fassade eines Bistros zurücklockten. Dort wurden wir herzlich willkommen geheißen, es empfing uns die tätowierte Wirtin mit heiserer Raucherstimme. Sie gab sich ganz verzückt von unseren Kindern. Die Kleinen tranken heißen Kakao, unser Anführer und seine Geliebte ließen sich einen Glühwein schmecken.
In der Bar rockte AC/DC 'You shook me all night long' aus der kraftvollen Musikanlage, die Kindergärtnerinnen unseres Nachwuchses werden es uns hoffentlich verzeihen. Wir hatten Freude an der ungezwungenen und herzlichen Atmosphäre bis, ja, bis eine kurze Pause eintrat und eine Person, mit der ich nichts zu tun haben will, die aber in meinem Körper wohnt, in einer Rockpause trällerte:
„Tanze Samba mit mir, Samba, Samba die ganze Nacht ...“
Der Allerbeste all jener Ehemänner die ich so kenne verbarg vor Scham und Verzweiflung sein Gesicht in den Händen. Die 4 Rocker am Tresen wendeten sich uns neugierig zu, die Wirtin legte die Zigarette aus der Hand und kam an unseren Tisch:
„Rabarber, rabarber, fisch ze sinn?“, fragte sie meinen Mann, ich kann ja leider kein Französisch. Der bekam rote Bäckchen, wehrte ab und verneinte ganz entschieden. Emerson, Lake and Palmer hoben an, Lucky-Man zu singen, eines der Lieblingsstücke meines Mannes, ein Heiligtum, das nicht durch Kindergeschrei oder 'blöde Fragen' gestört werden durfte.
„Was ist, was will sie?“
„Sie hat eine CD mit Stimmungs-Hits und hat gefragt, ob sie die auflegen soll!“
Ich musste so lachen.
Die Musik erstarb an der schönsten Stelle des Liedes, der Gesichtsausdruck meines Mannes versteinerte sich, denn seine heilige Kuh wurde zur Schlachtbank geführt. Neue Musik erschallte:
„Aha aha, du bist so heiß wie ein Vulkan
Aha aha, und heut verbrenn` ich mich daran.“
„Nee, oder?“, mein Gatte stand empört auf: „Kommt, Kinder, eure zarten Seelen sollen diese Grausamkeiten nicht erleiden müssen!“, schnappte sich die Jacken der Kinder, ergriff deren Hände und verschwand in Richtung Strand.
Mein Liebster denkt eben immer zuerst an seine Verantwortung. Gut, oder?
 

Val Sidal

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EviEngel,

die Episode ist hinreißend, liest sich, als hättest du den Text einfach so runtergeschrieben. Das ist eine große Stärke.
Ich sehe da aber auch die kleine Schwäche: obwohl die Figuren so ziemlich alles anstellen, was geht und nicht geht, bleibt einiges liegen - ärgerlich nur, weil mit wenigen Handgriffen mehr herauszuholen wäre...
Ich konnte mich mit deinem Schatz gut identifizieren...
 

EviEngel

Mitglied
Hallo Val,

danke für deinen Kommentar.
Nee, das ist eine erarbeitete Story, Anlass war das Abendessen in Oostende und die schreckliche Musik dort.
Der Rest ist Fiktion.
Was findest du, was liegen geblieben ist?
Es ist eine Kurzgeschichte.

Gruß Evi :)
 

Val Sidal

Mitglied
EviEngel,

Zunächst, was liegen bleibt:
Meine Gedanken spazierten auf der dunklen Seite des Mondes umher und hatten keinen Bezug zur Wirklichkeit. Ich grinste ihn töricht an
Das Bild irritiert: Gedanken, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben... Der Mond, mit seinen vielfachen bewussten und unbewussten Assoziationen...
Der Satz erzeugt Erwartungen. In meiner Lesart: kann es sein, dass die Frau einen depressiven Schub hat?

sprach mein Liebling ohne Kenntnis dessen, was gerade auf der dunklen Seite des Mondes geschah.
Nun verstand ich die Anspielung und tauchte in der Gegenwart auf.
Die Wiederholung des Bildes steigert meine Erwartung.

Dann aber überzogen ausgedehnt, albern, exaltiert: die Sambapathie (eine durch Tony Holiday übertragene Krankheit, deren Wirt ein Ohrwurm ist, das erste Mal in Italien aufgetreten)
Mein Verdacht scheint sich zu bestätigen: Die Protagonistin hat ein ernsthaftes Problem. Meine Erwartung steigt.

eine Person, mit der ich nichts zu tun haben will, die aber in meinem Körper wohnt
Jetzt ist es klar: Manische Depression, mit schizoiden Elementen. Wow! Bin schwer betroffen!
Schweres Geschütz! Jetzt bin ich richtig gespannt, wie AUTOR die hingeworfenen Brocken (dunkle Seite des Mondes, fremde Person im Körper) in der Figur der Protagonistin zusammenführt.

Doch dann die Enttäuschung. Es folgt lapidar:
ich musste so lachen.
Mein Liebster denkt eben immer zuerst an seine Verantwortung. Gut, oder?
Hallo!?! Soll das schon alles gewesen sein? Die Geschichte stürzt einfach ab – unbefriedigend...
Schade, weil die definitiv überzogene Vorführung der Protagonistin, und ihrer Beziehung zu ihrem Mann aufschlussreich ist: eine Frau, die im Schatten des übergroßen Partners
Der Mann bekleidet einen sehr verantwortungsvollen Posten und ist ein ernsthafter Familienvater
untergeht, sich verliert, sich über den tollen Mann definierend:

sprach mein Großer
sprach mein Liebling
mein Liebster grinste
Mein Liebster sprach
mimte der Vater meiner Kinder
murmelte mein Geliebter
Ich nahm den unromantischen Grobian
entsetzte sich mein Angetrauter
meinte mein Süßer
ich kniff ihm bewundernd in die Wange
mein Gebieter wurde ungnädig
Früher hat er meine 'wunderschöne, klare Altstimme'
Mein Gemahl biss sich auf die Zähne
Mein Großer lachte
schrie in seine leere Faust
wedelte mit seinem Hintern
Er ließ sich nicht bremsen
mein Liebster schrie und kreischte
Der Mann bekleidet einen sehr verantwortungsvollen Posten
ist ein ernsthafter Familienvater,
Ich liebe ihn und nicht nur dafür.
bestätigte mich mein Allerbester
der Vater seinen Kindern beibrachte
Der Allerbeste all jener Ehemänner
fragte sie meinen Mann,
Der bekam rote Bäckchen,
Lieblingsstücke meines Mannes
der Gesichtsausdruck meines Mannes
mein Gatte stand
Mein Liebster denkt eben immer zuerst an seine Verantwortung. Gut, oder?
Nein, es ist offensichtlich gar nicht gut! Der Schluss ist sehr gut gelungen, kann aber das Gefühl, AUTOR hat nicht genug in die Protagonistin investiert nicht wettmachen.

Zwei Kleinigkeiten noch:

Der Satz stört:
[strike]Die Abneigung der beiden Volksgruppen innerhalb Belgiens ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, die Flamen verachten die französisch sprechenden Wallonen und die Wallonen reißen geschmacklose Witze über die Flamen.[/strike]
Für sowas hat eine Kurzgeschichte keine Zeit.

Und:
[strike]Das Coole an einem Wohnmobil ist es, dass du wohnen und fahren gleichzeitig kannst.[/strike]
Der Satz ist banal, hat in der Dramaturgie der Geschichte keine Funktion.

Wie bereits in meinem ersten Beitrag erwähnt, wenige Handgriffe würden reichen, um eine Geschichte der Extraklasse zu bekommen.

Freilich gilt das alles nur, wenn meine Lesart irgendwas mit der Absicht des AUTORs zu tun hat.
Sonst: Pardon!
 

EviEngel

Mitglied
Freilich gilt das alles nur, wenn meine Lesart irgendwas mit der Absicht des AUTORs zu tun hat.
Val, danke für deinen Kommentar.
Nun weiß ich, was du meinst.
Mir liegt das Drama nicht, ich will locker-leicht unterhalten, nichts Hintergründiges. Einfach eine kleine Geschichte mit nettem Ende.
Natürlich lasse ich eigene Erfahrungen einfließen, selbstverständlich lebt die Protagonistin von meinen Erfahrungen. Der Mann ist in etwa so wie meiner, nur ohne seine Fehler :D
Dieser Ausflug auf die dunkle Seite des Mondes ist ein Erlebnis, dass ich auch öfter mal habe, dann liegt die Zukunft rabenschwarz vor mir und ich versinke in unrealen Schwarzmalereien. Mein Liebster holt mich dort heraus, dazu reicht ein Wort oder eine Geste. Ich nehme an, dass jeder Mensch solche Zustände kennt.

Gruß Evi :)
 



 
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