Liebe zum Vater

Ich saß am Frühstückstisch an einem ganz gewöhnlichen Dienstagmorgen. Mein Vater fütterte gerade unsere Meerschweinchen und hatte sich dazu hinter dem Tisch auf eine alte Decke gekniet.

Das Radio lief, der Wasserkocher blubberte lustig vor sich hin.

Auf einmal sah ich meinen Vater, wie er immer wieder nach einer leeren Milchflasche griff, die neben ihm auf dem Flur lag. Sein Kopf pendelte ohne Halt hin und her. Ich eilte zu ihm und fragte, was denn los sei.
In diesem Moment fiel sein Kopf in den Nacken.

Seine Augen waren tot und leer.

Er stürzte nach hinten, versuchte noch mit schwacher Hand sich irgendwo festzuhalten und rutschte am Türrahmen herunter. Mit einem Seufzer streckte er alle Glieder von sich und lag still. Sein Gesicht, ja sein ganzer Körper hatten jegliche Färbung verloren. Waren so grau wie seine stahlgrauen Haare.

Es war, als ob das Leben einfach aus ihm herausgeflossen wäre.

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Dieser Vorfall hat sich erst vor wenigen Tagen zugetragen. Zuerst dachte ich, mein Vater sei gestorben. Doch das ist er nicht. Medizinisch gesehen war das ein simpler Kreislaufzusammenbruch. Er hatte die Grippe und die Anstrengung des Aufstehens hat seinen Körper überfordert.

Doch für mich war es mehr.

Ich habe schon öfters Leute gesehen, die bewusstlos wurden. Meistens waren das Mädchen, die theatralisch zusammensanken, auf einem Konzert oder während eines Tanzturniers. Das war nie ein Problem für mich, da immer eine Distanz zwischen ihnen und mir bestand. Aber mein Vater, mein Vater.

Mein Vater ist schon immer die letzte Stütze für mich gewesen. Den Vater ruft man, wenn man es im Leben einmal wieder total vermasselt hat. Er kommt dann und sagt mit tiefer, männlicher Stimme: „Mach dir keine Sorgen. Ich bin für dich da. Ich regele das.“
Ich. Bin. Für. Dich. Da. So einfach ist das. Eine starke Figur, ein Mann, der mich beschützt. Der vor allem schon immer da war. Krank werden, das tun andere. Sterben auch. Nicht mein Vater. Der ist doch stark.

An diesem Tag war es, als habe Gott mir mit einer riesigen Keule auf den Hinterkopf geschlagen.
Es wurde mir mit einer solch schmerzhaften Klarheit bewusst, wie vergänglich alles ist.

Alles.

Ich werde nicht von Leben verschont, meine Familie wird nicht vom Leben verschont, niemand wird vom Leben verschont. Es war schrecklich. In den Augen meines Vaters habe ich nicht den Frieden gesehen, von dem jeder so unbewusst immer träumt. Ich habe das Grauen darin gesehen.

Aber ich habe auch diese letzte, verzweifelte Kraft darin gesehen, die in jedem steckt. Die sich an das Leben klammert, bis zum bitteren Ende.

Und diese Kraft hat mir gezeigt, wie stark wir Menschen wirklich sind. Und wie sehr ich meinen Vater liebe.

Und ich liebe ihn so sehr, dass es wehtut.
 

peto-berlin

Mitglied
mich hat dieser text sehr berühert. denn es ist wohl so, solange die eltern gesund sind denkt man nicht daran, das sie einmal nicht mehr sein könnten. es ist alles so gewohnt, sie sind einfach da. erst wenn sie gegangen sind, weiß man, was für ein verlust man hat. und wie dieser verlust schmerzt, weiss ich nur zu gut. nach 12 jahren habe ich meine gefühle über den verlust hier in einem gedicht veröffentlicht. ja schreiben ist eine gute art, mit den problemen umzugehen. ein augenblick nur im leben und alles ist nicht mehr so wie es war. Wenn es dich interessieren sollte schau mal unter den beiträgen der letzen 60 tage nach, das gedicht heißt abschied und is am 29.10 von mir hier veröffentlicht worden.
 
Lieber peto-berlin,

Vielen Dank. Aus literarischer Sicht finde ich meinen eigenen Text grauenvoll. Er ist stilistisch schlecht und so weiter und so weiter... aber ich habe ihn in einem Moment geschrieben, der mich wirklich getroffen hat. Du beschreibst es genau richtig: die großen Gefühle offenbaren sich erst, wenn die jeweilige Person nicht mehr da ist. Und wenn man sich nach ihr verzehrt, ist das dann nicht wahre Liebe..?
 

peto-berlin

Mitglied
Ja, si zerisen wie der Stil und auch so schlecht, genau das ist auch das gefühl welches du hattest, zerrissen und schlecht. Und wer bite schön kann denn mit so einem Gefühl auf Stil achten. ne das ist schon ganz in ordnung so. Und zur Liebe kan ich nur sagen, ja letztendlich ist sie das, wenn auch für viele unbewust.
 
Ich bin erst jetzt dazu gekommen, dein Gedicht zu lesen. Es ist traurig, aber ich fühle darin nicht diesen absoluten, diesen völlig vernichtenden Schmerz, den manche Menschen in so einer Situation oft empfinden. Nein, es ist eher ein stilles Abschiednehmen. Toll, dass du dich so ausdrücken kannst.

Liebe Grüße.

Flavius
 

peto-berlin

Mitglied
Hallo Flavius, wenn dir das Gedicht dieses Gefühl vermittelt hat, so ist das völlig richtig. Es war nochmals ein stiller, mein ganz persönlicher Abschied. Diese Gedicht entstand nach einer Therapiesitzung, wo mir empfohlen wurde, nochmals nur für mich ganz allein Abschied zu nehmen. Den großen Schmerz hatte ich unmittelbar danach. Aber dieses Gefühl noch nicht entgültig den Verlust verarbeitet zu haben, hatte ich immer noch unbewußt. Ich finde jeder sollte seine Form für einen stillen Abschied finden und wenn es anderen hilft so kann er sich gerne meines Gedichtes bedienen.

Viele Grüße
peto
 



 
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