Lieben...?!

Nami

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Ich spüre immer noch, wie er meine Hand hält, sie berührt und streichelt…

Endlich sitze ich in meinem Auto, die Füße tun mir weh, der Rücken schmerzt, und meine Ohren klingeln von der lauten Musik. Doch trotzdem liebe und genieße ich es, mich der Musik hinzugeben, mich zu den lauten Bässen zu bewegen, laut mit zusingen und alles zu geben.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon kurz nach drei ist, ich gähne und versinke tiefer in meine dicke Winterjacke. Ich fröstele. Draußen ist es kalt, und es regnet.
Ich hasse es bei Regen Autofahren zu müssen!

Noch immer sehe ich, wie er mich anlächelt und mir tief in die Augen blickt…

Ich bleibe noch einige Minuten ruhig sitzen, mit der Hoffnung, dass der Regen etwas nachlassen würde. Doch die schweren Regentropfen plätschern weiter monoton auf mein Auto herab.
Der junge Mann, der mich da vorhin angesprochen hat, schien ja ganz nett zu sein, aber einfach nicht mein Typ.
Wieder schaue ich auf meine Uhr, zehn nach drei. Ich seufze und lasse den Motor an.
Nach zehn Minuten bin ich schon auf der Autobahn, es regnet in Strömen, man kann fast nichts mehr erkennen. Normalerweise bekomme ich Angst und gerate etwas in Panik.
Doch heute ist das nicht der Fall, im Gegenteil ich fühle mich irgendwie befreit und ganz leicht.
Ich beschleunige. Das Radio lasse ich ausgeschaltet.
Ich werde immer schneller. Was ist denn bloß los mit mir? Ist es vielleicht der Alkohol, der mich so empfinden lässt, ich habe doch nur einen Schnaps getrunken.

Ich spüre noch immer seine sanften Küsse, mit denen er meinen ganzen Körper bedeckt…

Das ewige Geradeausfahren ermüdet mich noch mehr. Die Augen wollen zufallen, doch ich kämpfe dagegen an. Aber wieso eigentlich kämpfen...?
Ob er sich auch so gefühlt hat, als es passiert war? Plötzlich wird mir schlecht, ich würge. Ist das jetzt schon so lange her..., fast ein ganzes Jahr! Die alte Angst kommt wieder in mir hoch. Ein halbes Jahr hatte es gebraucht, bis ich mich überwinden konnte, wieder Autozufahren und jetzt auf einmal, erreicht sie mich wieder.
Nicht darüber nachdenken. „Du denkst wieder zu viel nach, das tust du immer!“ Wieder kämpfe ich, dass meine Augen nicht zufallen. Was wäre denn, wenn ich nachgeben würde, und sie zufallen ließe...
Stunden habe ich an seinem Grabe verbracht, erst geweint, dann nur ganz still dagestanden.

Ich höre noch immer seine schöne Stimme, die mit mir spricht, mich beruhigt, mir Komplimente macht, mich zum nachdenken bringt…

Wenn ich es jetzt einfach zulasse, dass meine Augen zufallen, könnte es sein, dass ich sie nie wieder öffnen kann. Wieder denke ich nach. Was war in dem letzten Jahr alles passiert? Die ersten Wochen hatte ich mich in meinem Zimmer verkrochen, wollte niemanden mehr sehen, mit niemandem reden, habe nur noch geweint. Dann die 2 Wochen Krankenhaus, ein flüchtiger Blick auf mein Handgelenk… Mein Medizinstudium musste ich abbrechen. Ich weiß, ich hätte es schaffen können, wenn es nicht passiert wäre. Meine Eltern konnten mir nicht helfen, niemand konnte mir helfen... und mein Job jetzt, schlecht bezahlt, nur unfreundliche Kollegen und Freude bereitet mir die Arbeit auch nicht.
Ein weiterer Blick auf die Uhr sagt mir, dass es jetzt 20 nach drei ist.
Die Zeit scheint nur so zu schleichen, und meine Ausfahrt ist noch immer nicht zu sehen. Wieder drohen mir meine Augen zuzufallen.

Ich höre noch immer, wie er mir schöne Dinge ins Ohr flüstert!

Plötzlich bekomme ich einen unkontrollierbaren Lachanfall. Sein Bild ist deutlich vor meinen Augen zu sehen, mit der einen Hand versuche ich nach ihm zu greifen. Dabei mache ich einen Schlenker nach rechts. Wasser spritzt hoch.
Ich schreie auf und habe schnell wieder beide Hände am Lenkrad. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich atme schnell. Was ist denn bloß los? Ich hätte nicht in die Disco fahren dürfen, nach einem Jahr endlich mal wieder tanzen gehen. Ein Schauer läuft mir über meinen Rücken. Gleich kommt die Stelle, an der er es passiert war...
Ich zittere, mein Herz pocht, die Luft bleibt mir weg.
Jetzt schaue ich doch einmal auf meinen Tacho, 160 !

Ich trage noch immer die Kette, die er mir zu unserem 1Jährigen geschenkt hat.

Da ist die Stelle..., ich beschleunige noch einmal, mein Auto wird immer lauter. Schon bin ich vorbeigefahren.

Noch immer habe ich seinen Geruch in der Nase.

Ganz verschleiert durch den strömenden Regen kann ich ein Schild entziffern. Die nächste Abfahrt ist meine, ich nehme den Fuß vom Gas, kein anderes Auto weit und breit, ich bin ganz alleine...

Ich schmecke noch immer seine Küsse, seine leidenschaftlichen Küsse.

Auf einmal bin ich ganz ruhig, ich atme wieder ganz normal, und das Herz schlägt auch im normalen Rhythmus. Der Regen schlägt laut gegen meine Fenster. Ich lächle.

„Bitte berühre mich wieder!“

Der prasselnde Regen, der auf meine Scheibe niederschlägt, scheint mich zu lähmen. Die Augen fallen wieder zu. Soll ich diesmal dagegen ankämpfen...?

„Schenke mir noch einmal ein Lächeln von dir!“

Im Kämpfen war ich noch nie gut. Der Regen scheint noch schlimmer geworden zu sein.

„Bitte halte nur noch einmal meine Hand!“

Da das Schild, meine Ausfahrt!

„Ich möchte in deinen wunderschönen Augen versinken!“

Ich will nicht kämpfen!

„Nur noch einmal deine sanfte Stimme hören!“

Direkt vor mir..., die Kurve!

„Bitte lass mich nie wieder alleine...!“

Dieses mal kämpfe ich nicht...

„Lass mich noch einmal deine Liebe spüren...!“

Ich lasse es zu... und schließe die Augen...
 



 
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