Liebesspiele im Schatten

Liebesspiele im Schatten

Der Kinderlärm vom Ufer wurde immer leiser. Sie schwammen stumm in gleichmäßigen Zügen dahin. Die Mittagssonne schien ihnen unbarmherzig auf den Kopf. Hans lies sich von seinem Schwimmnachbarn anspornen. Zuerst schwamm er hinter diesem. Er schien in seinem Alter zu sein. So dachte er. Denn er hatte, so wie er, eine lichte Stelle am Hinterkopf. Gerade so licht, um sich darauf immer wieder einen Sonnenbrand zu holen. Aber Hans wusste dies mit einer Kappe zu verhindern. Zuerst wollte er ganz gemächlich bis zur Mitte der vor ihnen liegenden Insel schwimmen. Er hatte gerade davor, gemeinsam mit seiner Frau, den mitgebrachten Wurstsalat mit Tomaten verzehrt, den sie beide so liebten. Dazu aßen sie am liebsten türkisches Fladenbrot. Abgerundet wurde dieses spezielle Sommergericht für den Badebesuch am See mit einem kühlen Blonden. Sie liebten diesen leicht bitteren Geschmack nach einem würzigen Gericht. Beides wurde stets mit der Kühltasche zum See transportiert.
Wenn er so ausgiebig gegessen hatte, gedachte Hans stets eine kleine Runde zu schwimmen oder rund um den See zu spazieren. So hielt er es die ganzen Jahre, die sie an diesem herrlichen Ort verbrachten. Nach dem Essen zu ruhen hielt er für ausgemachten Blödsinn. Zurückzuziehen in das Gartenhäuschen, das sie den ganzen Sommer über gemietet hatten, wie es seine Frau tat, käme für ihn niemals in Frage. Sich zwei gute Stunden zu bewegen hielt er für angemessen.

„Wissen sie“ begann der Schwimmnachbar ganz unverhofft, als Hans in gleicher Höhe schwamm „ich schwimme meist eine Stunde vor dem Essen. Ich versuche mich damit in Form zu halten. Ich bin schon zweiundsechzig und kann mit Stolz behaupten, einen Waschbrettbauch zu haben, wie in weit Jüngere nie gehabt haben.“ Dabei versuchte er im tiefen Wasser mit Ruderbewegungen wie ein startender Schwan seinen Bauch zum Beweis aus dem Wasser zu heben. Was ihm auch beinahe gelang.
Hans sah gleichzeitig bewundernd und abwertend auf seinen Schwimmnachbarn. Mit seinen zweiundfünfzig Jahren hatte er Mühe, ihm in gleicher Höhe einigermaßen zu folgen. Der Schwimmnachbar schnalzte mit der Zunge und fuhr fort. “Mit meiner makellosen Figur ist es unglaublich leicht an die Weiber ran zu kommen. Und man bekommt genau die, die das Selbe wollen - nämlich Sex. Sie alle wollen genau das eine. Sex!“
Hans sah in nur mehr verächtlicher Haltung auf den sexgierigen Zweiundsechzigjährigen. „Jede andere Frau“, fuhr der Triebhafte fort, “wäre nicht so kritisch. Sähe über ein kleines Bäuchlein oder einen gebeugten Gang hinweg. Die Frauen, die ich suche, erwarten kein Charakterhäschen mit Kuscheleigenschaften oder Hausmannsqualitäten. Für die Weiber zählt allein der Körperbau und natürlich die damit verbundene Ausdauer.“ Er lachte und aus seinem Mund blitzten makellos aufgefädelt, zweiunddreißig weiße Zähne.
„Wissen sie“, fuhr der Waschbrettbauchbesitzer fort. „Frauen sind erbarmungslos, unaufhörlich verlangen sie von uns, sich ihnen unter Beweis zu stellen. Ständig wollen sie Geständnisse und sind selbst keinen Deut anders. Ich spreche aus Erfahrung. Habe einiges hinter mir.“
Hans nickte er hatte Mühe, kein Wasser zu schlucken. Die Strecke nagte an seinen Reserven. Aus Freundlichkeit gegenüber seinem Schwimmnachbarn und weil die Insel schon näher war als das zurückliegende Ufer, dachte er jedoch nicht an Umkehr.
Er konnte jetzt unmöglich schlapp machen, dieser Wichtigtuer war ganze zehn Jahre älter als er. Dieser Gedanke spornte die allerletzten Kraftreserven in Hans an.

Er dachte an seine Annabelle. Sie war das Kuscheltüchlein, er der Kuschelbär.
Sie hatten viele gemeinsame Interessen. Sex, spielte in ihrer fast fünfundzwanzigjährigen Ehe in den letzten Jahren eher die Nebenrolle. Für sie zählten Werte wie Respekt und Wertschätzung. In ihrer anständigen Beziehung sind Zuverlässigkeit und Treue eine Tugend, die nicht hinterfragt werden musste.

„Sind sie verheiratet?“ Hans hatte nicht die kleinste Chance zu antworten, so schnell fuhr sein Begleiter fort. “Wissen sie, ich war zweimal verheiratet. Meine erste Frau war ein Engel, sie hatte blonde Locken und die Figur einer Göttin. Sie wollte unbedingt Kinder, aber es hat nicht geklappt. Sie flüchtete in eine für uns nicht existierende Welt. Hatte schwere Depressionen. Suizid, verstehen sie! War ihr letzter Ausweg.“
Für Bruchteile von Sekunden hatte Hans Mitleid mit ihm. „Ich war jung, hatte wieder meine ganze Freiheit vor mir“ mit dieser Aussage hob er Hans´ Mitleid mit einem Schlag wieder auf.
„Wissen sie“ hob der Wortheld, mit einer Lautstärke, die völlig unnötig war, wieder an. „Mit meinem Aussehen kann ich sie mir aussuchen. Ich brauch nicht mal zu suchen, sie werfen sich reihenweise an mich. Gerade hier am See...

...und er tanzte seinen Tango, mit erhobener Brust und Männerstolz....

Das Gebiet mit den Gartenhäuschen ist sehr weitläufig rund um den See. Drei Wochen verbringen Hans und seine Frau schon die herrlichen Sommertage hier, aber dieser Flachbauchschwimmer ist ihm noch nicht aufgefallen. Wahrscheinlich war er so mit seinen Weibergeschichten beschäftigt, dass er sich, außer seinen Auszeiten am See, nur im Gartenhäuschen herumwälzte, dachte Hans abfällig.

Hans blieb immer weiter zurück. Er kämpfte mit Krämpfen, abwechselnd in der linken oder rechten Wade. Er würde auf dieser Insel erst mal anständig rasten. Nach Möglichkeit weit weg von diesem Großmaul, der seine Frauengeschichten in balzender Selbstverherrlichung ausschmückend weiter kreierte, der nicht merkte, dass er längst Selbstgespräche führte.
Unerwartet unterbrach der Angeber seine Prahlereien. Der alte Amor riss einen Arm in die Höhe und winkte ekstatisch zur Insel.
Am Ufer stand winkend eine Frau. Hans konnte ihr Aussehen nicht ausmachen. Seit Jahren war er Brillenträger. Da auch er nicht vor kleinen Eitelkeiten gefeit war, verbat er sich die Brille zumindest beim Schwimmen im See. Aber ihr Aussehen machte ihn nicht im Geringsten neugierig. Er konnte sich vorstellen, wie diese Art von Frauen aussah.
Abermals winkte der augenfällig Sex begierige, diesmal mit beiden Armen und rief aus Leibeskräften nach Annabelle. „ Das ist Annabelle, meine hinreißende Sexgöttin“ lachte er zu Hans nach hinten und strahlte über sein ganzes grimassenartiges Gesicht.

Hans verspürte eine Hitzewelle. Sie überzog ihn ganz unerwartet, von der Kopfhaut bis zu den Zehenspitzen. Alles rund um ihn verzog sich, in eine einzigartige Stille. Es war ihm, als würde er auf Watte brennen. Er vergaß auf die Schwimmbewegungen. Er vergaß, dass er keine Kraft mehr hatte. Er vergaß seine Krämpfe und dass er unter Wasser nicht atmen konnte. Einzig denken konnte er noch.

An seine Annabelle.
 



 
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