Loa - Teil 1

nemo

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Hierbei handelt es sich um einen Text an dem ich seit längerem arbeite.
Ich habe vor einiger Zeit, eine kürzere Version des Textes hier gepostet, der allerdings einen unfertigen Eindruck hinterlassen hat. Ich habe mich entschieden die Geschichte weiterzuführen und wollte die geneigten Leser nach ihren Eindruck fragen, um heraus zu finden, ob sich die Arbeit lohnt. Es handelt sich noch um eine Rohversion, deswegen verzeiht die Fehler, die sich in dieser Geschichte rumtummeln.

X.

Der Herbst hatte in New York Einzug erhalten und die Lunge der Stadt, den Central Park, in ein braun-gelbes Kleid gehüllt. Ein leichter Wind strich über die Blätter und Sträucher des Parks, wehte über dem Lake, und teilte sich am Obelisk, einem grauen pockennarbigen Ungetüm, das in den Himmel ragte, wie ein erhobener Zeigefinger. Auf der Spitze der Ägyptischen Skulptur saß ein Rabe von beeindruckender Körpergröße, der, so schien es, den Sonnenuntergang beobachtete. Es war ein altes Tier; sein mit Narben verziertes Gesicht zeugte von vielen Kämpfen und sein Gefieder war matt und wies kahle Stellen auf. In einer geschmeidigen Bewegung streckte er die Flügel aus und ließ sich von dem steinernen Turm fallen. Erst sah es so aus, als würde der alte Rabe wie ein Stein zu Bode stürzen, dann manövrierte er sich in einen Luftstrom, der ihn hoch in den blutroten, dämmernden Himmel trug. Bis zum Containerhafen ließ er sich, vom Wind getragen, treiben, bis er auf einen der riesigen Verladekräne landete, um sein Federkleid zu putzen. Gut dreißig Meter unter ihm kam ein schwarzer Lieferwagen vor einem Lagerhaus zu stehen. Vier Männer in schwarzen Mänteln stiegen aus. Alle hatten sie dunkle Haut und ihre Blicke musterten die Umgebung, fast so als hätte sie etwas zu verbergen. Einer von ihnen, ein Kerl wie ein groß und breit wie ein Schrank, mit schulterlangen Rastalocken, ging auf dem Eingang des Lagerhauses zu. Er ließ den Blick noch mal von rechts nach links schweifen, klopfte drei mal und trat in das Lagerhaus ein. Wenig später ratterte das Rolltor des Lagers hoch und der Van wurde rückwärts hineingefahren, dicht gefolgt von den restlichen bemantelten Männern. Die Seitentür des Transporters wurde geöffnet und zwei Kisten wurden hineingetragen. Grosse metallene Behälter, die neben einigen Gasgranaten, noch fünf Heckler & Koch MP5 Maschinenpistolen, die gleiche Anzahl an Colt Double Eagle Pistolen und die dazu passende Munition beinhaltete. Nach der zügigen Beladung verschwanden drei der Kerle in den Lieferwagen und die Tür wurde schwungvoll von innen geschlossen. Der Rastamann schaute sich nochmals um, stieg dann ein und der Transporter fuhr los.
Hoch oben auf dem Kran stieg der Rabe wieder in die Lüfte. Die nächtliche Dunkelheit hatte sich inzwischen wie ein Leichentuch über die Stadt gesenkt. Mit ausgestreckten Flügeln schwebte der Vogel über dem Hudson River, der sanfte Wellen schlug. Auf der anderen Seite des Flusses, in New Jersey, war es ländlicher und einfacher für ihn Beute zu machen. Wenig später ließ er sich auf der Preisanzeige einer Tankstelle nieder. Der Flug war anstrengend gewesen und er brauchte eine Pause. Er genoss die Ruhe, die er in der hektischen Metropole nur selten fand. Aus der Dunkelheit tauchten erst zwei Lichtkegel auf, dann ein rostiger 69er Camarro, der auf die Tankstelle einbog.
Der Wagen blieb stehen, die Beifahrertür wurde aufgerissen und ein Mann stieg hastig aus. Er trug einer dieser Masken, die Motorradfahrer im Winter unter ihren Helmen anziehen. Mit gezückter Waffe stürzte er in den Tankstellenshop.
Wieder erhob sich der Rabe in die Lüfte. Es wurde langsam Zeit, dass er was in den Schnabel bekam.

X.

So, jetzt erst mal locker bleiben und nicht die Milch verlieren.
Kurzer Blick nach links, kurzer Blick nach rechts und die Lage ist gepeilt.
Insgesamt sechs Personen. Zwei Kassiererinnen und vier Kunden. Leichtes Spiel.
Ein paar Schritte Richtung Kasse, die Knarre aus der Jacke ziehen und ab geht’s.
„Ihr verfickten Penner, ihr geht jetzt alle auf den Boden sonst gibt’s Blut!“
Ich liebe diesen Part. Cool sein, böse aussehen und kein Mitleid zeigen.
„So du Schlampe steh auf!“
Immer diejenigen aussuchen die am meisten Angst haben.
„Pack das scheiß Geld in die Tasche und zwar schnell, sonst kannst du demnächst aus der Stirn kacken!“
Es geht schnell, sehr schön.
Blick nach draußen, alles ruhig.
Bewegung hinter mir.
Umdrehen. Zielen.
„ Was soll die Scheiße du Wichser, willst du als Held sterben?“
Waffe auf die Stirn legen und lächeln.
„Na kleiner , hast du Angst?“
Zittern, Stille.
Der typische Geruch von Angstschweiß, Augen die sich mit Tränen füllen.
„Peng, du bist Tot.“
Ich richte die Waffe knapp über seine Schulter.
Ein lauter Knall, Schreie, und der Kerl bricht zusammen, bewusstlos.
Umdrehen, auf die Kassiererin zielen.
„Mach hinne sonst bist du die nächste!“
Sie heult und beeilt sich.
So, jetzt die Kohle nehmen und nichts wie raus aus dem Laden.
Draußen steht Paul und lässt den Motor aufheulen.
Rein in die Karre. Maske vom Gesicht reißen. Tür zu. Und ab geht’s.
„Und wie isses gelaufen?“ fragt Paul .
„Halt’s Maul und gib Gas!“ schnauze ich.
Paul ist nicht gerade ein Genie, aber im Umgang mit allem was zwei oder mehr Räder hat ist er unschlagbar.
„War ganz O.K., keine größeren Probleme gehabt.“ sag‘ ich.
Ich krieg wieder Kopfschmerzen. Jedes Mal wenn ich’n Ding drehe, platzt mir danach die Birne. Kommt bestimmt vom rumballern, sollte mir n’en Schalldämpfer besorgen.
„Paulie, halt bitte am Candie’s, ich muss mir was zum Qualmen besorgen, mir platzt der Kopf.“
Paulie nickt.
Er weiß, dass er mich jetzt lieber in Ruhe lassen sollte, deswegen mag ich den Kerl so.
Seitdem sein älterer Bruder Sam bei ’ner Schießerei mit den Bullen draufgegangen ist, hängt er mit mir rum. Ich bin so’ne Art Ersatzbruder für Ihn. Er ist noch zu Jung um alleine klar zu kommen und von mir kann er noch’n paar Tricks lernen. Er ist mit achtzehn zwar einen Kopf größer und drei Schränke breiter als ich mit zweiunddreißig, aber ihm fehlt noch die Erfahrung. Das Leben ist hart, wenn man’s so lebt wie wir.
„Wir sind da.“ meldet sich Paul.
„Warte im Wagen, ich bin gleich wieder da.“
Ich nehme zweihundert Kröten aus der Tasche und ab in’s Candies.
Ein Kopfnicken reicht und der Typ an der Tür lässt mich rein.
Scheiße ist der Laden voll. Ich schau mich um. Ein paar nette Weiber sind da, aber ich hab‘ heute kein Bock auf Ficken. Ich dränge mich durch die Massen Richtung Bar. Meine Birne pocht bei jedem Bassbeat. Verdammt, müssen die, die Musik so laut aufdrehen. An der Bar sitzt der Mann den ich suche. Ich geh an ihm vorbei und ein Augenkontakt genügt. Dann auf’s Klo, wo ein paar Sekunden später der Typ auch auftaucht.
„Was geht Alter?“ fragt er mich grinsend. Er riecht das Geschäft.
„Ich hab‘ hier zweihundert Mäuse die nach dir gefragt haben. Hast du was gutes
da?“ frage ich.
„Ja klar, für meinen Lieblingskunden doch immer. Wart‘ mal 'ne Sekunde.“
Er greift in seine Jackentasche und bringt ein Beutel Gras zum Vorschein.
Er wiegt‘s vor meinen Auge ab und meine hart verdienten Mäuse wechseln den Besitzer.
„Bis demnächst Meister.“ verabschiede ich mich.
Raus aus dem Klo und wieder durch die nach Rauch und Alkohol stinkende Menge.
Mit meiner linke Schulter stoße ich jemanden an.
„He du Sack, pass mal auf! “
Ich dreh mich um. Ein Kerl wie‘n Baum schaut mich grinsend von oben herab an.
„Hast du mich gerade Sack genannt?“ frage ich ihn freundlich.
„Hast du ein Problem damit kleiner?“
Ich lächele und trete ihm in die rechte Kniescheibe. Es knackt. Er krümmt sich vor Schmerzen. Nächster tritt von unten in die Fresse. Er kippt um und hält sich das Gesicht.
Blut läuft zwischen seinen Fingern.
„Selber, Sack ! “ zische ich und verpisse mich schleunigst.
Am Ausgang wieder kurzes Kopfnicken und schnell in’s Auto.
„Hau‘ rein Paulie, ich will nach Hause, entspannen ist angesagt.“

X.

Das Zeug knallt ja mächtig rein. Ich habe mir gerade das erste Köpfchen reingezogen und bin schon hammerbreit. Gott segne das THC !!
Die härteren Sachen vertrage ich nicht mehr, ab und zu 'ne priese Koks oder 'ne Flasche Wodka is' noch O.K., aber ich kenne genug Jungs die von dem ganzen synthetischen Zeug in der Heilanstalt vor sich hin sabbern. Cannabis hingegen ist Natur pur.
„He Paulie, deine Blubbi ist fertig, komm schon !!“ rufe ich in den Raum.
Paulie füttert gerade seine Ratte.
Das Tier gehörte seinem Bruder und er glaubt tatsächlich, dass ein Teil von Sam in dem Vieh weiterlebt. Ich habe Paul schon oft mit der Ratte reden hören, als rede er zu einem Menschen. Es ist halt’n bisschen abgedreht.
„Paul, Essen ist fertig!“ scherze ich und greife zum Telefon.
„He, hast du die Nummer vom Pizzadienst im Kopf?“
Paul, der sich auf seinen Sessel fallen lässt, schüttelt den Kopf.
„Keine Ahnung.“
„Verfickte Scheiße, wir haben jetzt drei Uhr morgens, ich bin dicht wie ein Otter und hab’nen Höllen Fresskick!“
Ich stehe auf, schwanke und gehe in die Küche.
Ich mache den Kühlschrank auf und mir kommen fast die Tränen.
Kühlschranktür wieder zu, zurück in’s Wohnzimmer.
Paul hustet sich die Lunge aus dem Hals.
„Immer vorsichtig mein Freund.“ lache ich ihn aus. „Sei nicht immer so gierig!“
Ich kann gerade noch das Wort Arschloch an seinen Lippen ablesen, da fällt mein Blick schon auf das Telefonbuch.
„Unsere Rettung naht.„ sage ich und schnappe mir das Ding.
Die richtige Nummer rausgesucht, zwei Pizzen Gran Plaza bestellt und die Nacht ist gerettet.
Über die Kohle müssen wir uns die nächsten Tage nicht mehr den Kopf zerbrechen.
Tankstellen haben zwar nie sehr viel Bargeld in den Kassen, aber es reicht fürs erste.
„He du Sack, du sollst nicht pennen !!“ rufe ich Paul zu, der immer tiefer in seinem Sessel versinkt.
Langsam aber sicher bin auch ich ziemlich platt. Ich setzte mich hin und zappe durch die Fernsehlandschaft.
Ich entscheide mich für einen Tierfilm. Kommt echt relaxend wenn man dicht ist.
„He, mach die Scheiße weg, sonst penne ich gleich wirklich ein!“ meckert Paul.
„Bleib mal locker Paulie, da kannste noch was lernen!“ meckere ich zurück.
„Was soll ich denn von beschissenen Erdmännchen lernen können du Arsch!“
„Nicht von beschissenen Erdmännchen, sondern über beschissenen Erdmännchen!“
„Und was bringt mir das?“
„Wolltest du nicht schlafen?“ frage ich und wende mich ab.
„Nein, ich will das jetzt klären. Ich möchte jetzt gerne wissen was mir dieser Tierfilmscheiß bringen soll?“
„Ich finde es einfach nur entspannend.“ antworte ich.
„Und ich finde das einfach nur einschläfernd!“ erwidert Paul.
„Dich sollte man lieber einschläfern.“ sage ich ernst
Paul fängt an zu lachen.
„Mach doch was du willst!“ sagt er schließlich.
Ich packe meine Knarre aus und fange an sie zu reinigen.
Ein Klopfen an der Tür.
„Mann, das ist doch endlich mal ein schneller Pizzadienst!“ staunt Paul.
Als er sieht, daß ich nicht den Anschein gebe aufstehen zu wollen, erhebt er sich aus seinem Sessel.
„Ist schon gut, ich geh schon!“ teilt er mir mit.
Ich nicke nur.
Er öffnet die Tür, einige Sekunden passiert nichts und plötzlich höre ich eine männliche Stimme die ich zu kennen glaube.
Es ist in einem bestimmten Rauschzustand echt schwierig sein Langzeit Gedächtnis zu überreden eine gespeicherte Information auszuspucken.
Ich beuge mich nach vorne und versuche meine Neugierde zu befriedigen.
Doch Paul steht in meinem Blickfeld, so das ich nur ein in schwarz gekleidetes Bein sehen kann.
Ich lasse mich zurück auf’s Sofa fallen und mache ein dummes Gesicht.

Es gibt Menschen die es einfach verdient hätten, daß man Sie nach der Geburt im Klo ertränkt. Und genau zu dieser Gattung gehören die Mahoney Brüder.
Der ältere der beiden, Korgan Mahoney, sitzt mir gegenüber und grinst mich dämlich an. Während sein Bruder, Bricks Mahoney, wie ein Schutzwall hinter Ihm steht und mir die Geburt einer neuen Erdmännchen Generation verdeckt.
"Ist das dein neuer Busenfreund?" fragt Korgan lächelnd und zeigt mit dem Finger auf Paul.
Ich versuche cool zu bleiben und antworte "Warum fragst du ? Ist dein Bruder jetzt von Tieren auf Männer umgestiegen?"
Sein arrogantes Grinsen bleibt, und ich würde Ihm am liebsten die Eier wegtreten.
"Was willst du von mir?" frage ich Ihn.
"Ich wollte dir Arbeit anbieten. Wie Ich gehört habe, hast du dich jetzt auf Tankstellen und Lebensmittelgeschäfte spezialisiert hast. Ich will dir nur etwas Abwechslung bieten."
Er zündet sich einen Zigarillo an, lässt mich aber nicht aus den Augen
"Es war nicht meine Idee, dich zu Fragen. Ich habe dich schon immer für einen Versager gehalten. Aber der Boss scheint noch einiges von dir halten."
Ich hätte es mir fast denken können. Dieses fette Schwein Santiago hat die beiden Wichser geschickt.
"Ich arbeite nicht mehr für Santiago." sage ich und schaue Korgan in die Augen.
Er wendet seinen Blick ab, zieht an seinem Zigarillo, und schüttelt den Kopf.
"Bist du etwa immer noch Sauer, Frankie Boy?"
"Für dich immer noch Mr. Maddox!" schnauze ich ihn an und stehe auf.
"Du kannst Mr. Santiago bestellen, dass er sich seinen Job in den Arsch schieben soll!"
Mein Kopf fängt wieder an zu schmerzen. Das Pochen an meinen Schläfen macht mich Wahnsinnig.
Korgan drückt sein Zigarillo aus und schaut zu mir hoch.
Er hat endlich aufgehört zu grinsen.
"Möchtest du nicht zu erst hören wie viel der Boß dir für den Job bietet?" fragt er
"Bist du taub, Mahoney? Ich arbeite nicht mehr..." fange ich an als er mir plötzlich andeutet leise zu sein und auf die Eingangstür starrt.
Ich stocke mitten im Satz und höre Schritte im Gang.
"Das ist bestimmt der Pizza Typ." sagt Paulie leise.
Stille.
Ein leises Klicken.
Ich kenne dieses Geräusch.
Das entsichern einer Waffe.
"Paulie geh in Deckung!" schreie ich und setze mich in Bewegung.
Während ich beim laufen meine Waffe nachlade höre ich ein lautes Knallen als die Türe eingetreten wird. Ich springe in die Küche und gehe in Deckung.
Plötzlich setzt das laute rattern einer Maschinenpistole ein.
Ich stelle mich an die Küchentür und schaue vorsichtig ins Wohnzimmer.
Die Mahoney Brüder sind hinter dem umgeworfenen Wohnzimmertisch in Deckung gegangen. Bricks schießt blind in Richtung Flur während Korgan scheinbar mit seinem Handy rumhantiert. In der Tür zähle ich vier schwer bewaffnete und vermummte Männer in schwarzen Mänteln.
Ich suche Paulie und sehe Ihn aus dem Fenster auf die Feuertreppe steigen.
Wir stellen unseren Wagen immer in der nähe der Feuertreppe ab, falls wir unerwünschten Besuch bekommen.
Ich blicke wieder Richtung Haustür und sehe ein rundes Objekt in den Raum fliegen.
Ich drehe mich um, renne zum Küchenfenster und springe.
Ich spüre wie sich Glassplitter in meine Arme bohren, und Tränen mir in die Augen schießen. Ich lande krachend auf der Feuertreppe, als gerade eine laute Explosion aus der Wohnung zu hören ist. Ich versuche aufzustehen, verliere aber das Gleichgewicht und falle wieder hin. Ich bemerke, daß ein Stück Glas in meinem Oberschenkel steckt.
Ich packe es und ziehe es schreiend aus meinem Bein.
Mir wird schwindelig, und der Schmerz verbreitet sich in meinem Körper wie ein Lauffeuer in der Steppe.
Aus dem Augenwinkel nehme ich Bewegungen in der Wohnung wahr.
Ich halte mich am Geländer fest und ziehe mich hoch.
Ich schaue nach unten und sehe Paulie ins Auto einsteigen.
Eine Rauchwolke kommt mir aus dem zerbrochenen Küchenfenster entgegen.
Tränengas.
Ich lege mein Körper auf das Geländer, stoße mich mit meinem unverletzten Bein ab und falle.
Ich bringe meine Arme schützend um meinen Kopf und hoffe au einen sanften Aufprall.
Ich denke an Pizza Gran Plaza, an Erdmännchen...
Und dann der Schock und Dunkelheit.

X.

Die Stirn des alten Priesters legte sich in Falten. Er war unzufrieden, denn der Einsatz war nicht nach Plan verlaufen. Zwei Männer hatten sie verloren. Das hatte man davon, wenn man Amateure mit wichtigen Jobs betraute. Die Männer waren zwar allesamt erfahrene Wiederstandkämpfer der FRRA gewesen und hatten einen großen Anteil am Sturz Aristides gehabt, aber scheinbar waren sie mit diesem speziellen Auftrag überfordert gewesen. Na, ja immerhin hatten sie jemanden dabei, den er für seine Zwecke benutzen konnte, auch wenn es dadurch zu unerwünschten Verzögerungen kommen würde. Der alte Mann kniete nieder und begann mit lauwarmen Hühnerblut Zeichen auf den Betonboden zu malen, dabei verfiel er in einem monotonen Gesang, der an den Kahlen Steinwänden des leeren Raumes wiederhallte. Dann schloss er die Augen und hob die Hände in einer kreisenden Bewegung in die Luft. Die Ärmel seines algengrünen Umhangs rutschten herunter und auf der dunklen Haut seines Unterarms kamen noch dunklere Tätowierungen zum Vorschein.
Einen Raum weiter saß ein Mann gefesselt an einem Stuhl.
Er hatte ein harte, kantige Visage mit breiten Wangenknochen. Strähnen seines schwarzen Haares fielen ihm über die geschlossenen Augen. Sein Kopf hing vornüber und ein Speichelfaden baumelte unmotiviert an seiner Unterlippe. Ein Halogenleuchter war ihm gegenüber aufgestellt worden; helles, kaltes Licht strahlte ihm ins Gesicht.
Wenige Schritte entfernt stand ein Mann mit Rastalocken an einem Tisch und füllte eine Spritze mit einer grünlichen Flüssigkeit. Er hatte seinen Mantel abgelegt und unter einem engen, schwarzen Pullover zeichnete sich ein muskulöser Oberkörper ab. Um seine Schulter herum war ein Holster gebunden, aus dem der Knauf seiner Pistole lugte. Er begutachtete die Droge, die sich in der Spritze befand durch das Licht und ein länglicher Schatten legte sich auf sein vernarbtes Antlitz.
Aus dem Nebenraum drang leise der Gesang des Priesters. Der Rastamann legte die Spritze vorsichtig auf den Tisch und griff in seine Hosentasche, aus der er ein Päckchen Tabak holte. Er drehte sich eine Zigarette und behielt dabei den Typen auf dem Stuhl im Auge, der nun den Kopf leicht hin und her bewegte und dabei unverständlich vor sich hin murmelte. Der Gesang verstummte und wenig später betrat der Priester den Raum. Ein glänzender Transpirationsfilm hatte sich auf seinem Gesicht gelegt und vereinzelt rannen salzige Tropfen Schweiß durch die Schneisen seiner Falten, wie eine reißende Flutwelle durch einen Flusslauf.
Er nickte dem Rastamann zu, der seine gerade angezündete Zigarette zu Boden schnippte und drauf trat. Der Mann auf dem Stuhl stöhnte auf. Die Zeit war gekommen dem Kerl die Droge zu verabreichen und mit dem Ritual zu beginnen.

X.

Es scheint ein Naturgesetz zu geben, das besagt, dass man immer dann wach wird, wenn ein Traum gerade anfängt interessant zu werden.
Eben noch liege ich im Bett mit einer asiatischen Schönheit und setze zum finalen Stoß an, und schon sickern Stimmen durch meine vernebelten Gedanken, die sich einfach nicht mit meinem Traum vereinbaren lassen. Ich versuche mich umzudrehen um diesen Stimmen zu entkommen, doch ein stechender Schmerz im rechten Bein, bringt mich zurück in die Realität.
Ich öffne die Augen, aber ein helles Licht blendet mich und zwingt meine Augenlieder sich reflexartig zu schließen. Ich höre Stimmen, kann sie aber nicht verstehen. Mir wird klar, dass ich auf einem harten Stuhl sitze und meine Hände hinter meinen Rücken festgebunden sind.
Ich versuche mich auf die Stimmen zu konzentrieren.
Ich bin mir nicht sicher, aber irgendwie hört es sich Französisch an.
Ich öffne erneut die Augen, diesmal langsamer um sie an das Licht zu gewöhnen, aber die Lampe scheint mir genau ins Gesicht. Wer immer mich hier festhält, möchte nicht gesehen werden.
„Was wollt Ihr Penner von mir?“ ich versuche cool zu klingen aber meine Stimme zittert.
Keine Antwort.
Ich spüre wie jemand den linken Ärmel meine Hemdes zurückzieht und ich ahne schlimmes.
„Ihr verfickten Affen! Ich reiß euch die Eier ab und steck sie euch in’s Maul!“ schreie ich.
Sekunden später bohrt sich langsam die Nadel einer Spritze in eine meiner Venen und ich fühle wie sich eine heiße Flüssigkeit in meine Blutbahn verteilt.
Mein Arm prickelt als wäre er eingeschlafen.
Ich werde müde, versuche aber dagegen anzukämpfen.
Und wieder Dunkelheit.

Ich schwebe, auf einem Klodeckel stehend, über die Straßen New-Yorks.
Auf dem Ding ist Micky-Maus beim pinkeln abgebildet;
sieht aus wie ein Airbrush, ziemlich gute Arbeit.
Ein strammer Wind weht mir in’s Gesicht und treibt mir Tränen in die Augen.
Seltsamerweise verspüre ich keine Angst, ich fühle mich eher euphorisch, als hätte ich mit irgendetwas eingeschmissen.
Das Empire State Building zieht an meiner linken vorbei und ich frage mich ob ich den Flug lenken kann. Ich konzentriere mich und siehe da, das verdammte Ding fliegt tatsächlich durch reine Gedankenkraft. Ich gebe richtig Gas und rase mit einem Höllentempo durch die Hochhausschluchten. Ein Hochgefühl überkommt mich und der Geschwindigkeitsrausch pumpt mir Adrenalin in die Blutbahn.
Erst jetzt fällt mir auf, daß die Stadt verlassen zu sein scheint.
Keine Autos blockieren die Strassen, keine Menschenmassen die sich auf den Bürgersteigen drängen.
Ich fliege Richtung East-River und drossel mein Tempo ein wenig.
Plötzlich verändert sich meine Umgebung.
Es wird dunkel. Es wird Nacht.
Ich stehe mitten in einem Sumpfgebiet.
Knietief im stinkenden Wasser, versuche ich mir die Mücken vom Leib zu halten.
Langsam geht mir die ganze Sache auf die Nerven.
In der Ferne sehe ich ein flackern.
Ein Feuer.
Ich setzte mich in Bewegung und stampfe durch das trübe Wasser.
Als ich mich nähere, sehe ich mehrere schwarze menschlich Formen die anmutig um ein Lagerfeuer tanzen. Sie scheinen zu singen, es ist eine Art Gebet, eine Litanei.
Während ich sie beobachte fühle ich wie meine Glieder schwerer werden und meine Augenlieder sich schließen.
Eine Welle der Müdigkeit überrollt mich wie eine Tsunami.
Und wieder Dunkelheit.

X.

Als ich diesmal aufwache, traue ich mich nicht die Augen zu öffnen.
Etwas hat sich aber verändert.
Ich liege seltsam weich und ein penetranter Geruch bohrt sich in meine Nasenflügel.
Ich bewege mich und ein brennender Schmerz gibt mir zu verstehen, dass es meinem Bein immer noch nicht sehr gut geht. Mit meiner rechten Hand greife ich in etwas, dass sich verdächtig nach Essensresten anfühlt.
Ich sammle meine Gedanken, und durch die Dunkelheit meiner Gehirngänge kriecht eine Erkenntnis.
Vorsichtig öffne ich die Augen und sehe meine Vermutung bestätigt.
Ich schiebe den Deckel des Müllcontainer, in dem ich stecke, zurück, und klettere mit sehr viel mühe heraus.
Es ist Nacht und ich befinde mich in einer abgefuckten Gasse.
Ich habe wohl ein paar Penner geweckt, die mich jetzt ungläubig anstarren. Ich werfe Ihnen nur einen abschätzigen Blick zu und sie schauen weg.
Ich habe jetzt echt die Schnauze voll. Mir tut alles weh und ich fühle mich wie ausgekotzt. Die Wunde an meinem Bein hat sich entzündet und klebt an meiner Jeans, so dass jeder Schritt zu Qual wird.
Ich mache eine kurze Bestandsaufnahme. Ich habe kein Handy dabei und mein Portemonnaie liegt noch in der Wohnung, allerdings habe ich noch einen zerknüllten Hundert Dollar Schein in der Tasche. Was ich jetzt brauche ist ein Arzt und ein Telefon.
Das Krankenhaus kann ich vergessen, weil ich keine Sozialversicherungskarte habe aber ich kenne jemand der mir noch ein Gefallen schuldet.
Ich humpele bis zu nächstgrößeren Strasse und winke ein Taxi heran.
Als Taxi Fahrer, würde ich bestimmt nicht anhalten um mich mitzunehmen so wie ich jetzt aussehe, aber es ist dunkel und ich habe Glück.
Im Taxi komme ich endlich dazu die vergangenen Stunden Revue passieren zu lassen.
Ich lehne mich etwas zurück und lege mein Bein in eine erträglichen Lage.
Alles hatte mit dem Besuch der Mahoney Brüder begonnen.
Das konnte nur bedeuten, dass Santiago seine dicken Wurstfinger im Spiel haben musste.

Humberto José Santiago, auch das fette Schwein Santiago genannt, verfügt über einen derart gigantischen Leibesumfang , dass dieser schon in Metern statt in Zentimetern gemessen werden muß. Seine Körperfülle scheint auch in direkter Relation zu seinem Ego zu stehen und das macht diesen Mann wohl so gefährlich. Wenn er einen Raum betritt, füllt er Ihn nicht nur durch seine unübersehbare Präsenz aus, sondern auch durch sein unerschütterliches Selbstvertrauen, das es einem schwer macht Ihm zu widersprechen.
Er ist der geborene Manipulator, eine Puertoricanische Version Machiavellis.
Auch mich hatte dieser Mann fasziniert, der es perfekt verstand mir Honig um den Mund zu schmieren, und mir eine goldenen Zukunft in seiner Organisation prophezeite.
Es dauerte drei Jahre bis ich Ihn durchschaute.
Ich hatte mich in dieser Zeit vom Laufburschen, Fahrer bis zum Vertrauensmann Santiagos hochgearbeitet und erst dann erkannte ich sein wahres Gesicht.
Er ist gar nicht so darauf besessen Reichtümer anzuhäufen wie es in dieser „Branche“ üblich ist, sondern es ist das Machtgefühl wonach es Ihm dürstet. Das Gefühl andere Menschen zu benutzen und sie, wenn nötig, zu vernichten.
Von Drogengeschäften über Prostitution bis hin zu Waffendeals mit Kopftuch-Trägern, vor nichts schreckt er zurück. Er hat Verbindung zu der wichtigsten Mafia Familie der Stadt, den Cipones, zu den Japsen und zu den Kolumbianern. Er kennt die Reichen und die Wichtigen, die Aufsteiger und diejenigen die gerne wichtig wären. Er ist wie eine Spinne, die Ihr Netz über die Stadt gesponnen hat. Er interessiert sich nicht für Frauen, verabscheut öffentliche Auftritte und liebt es das Geschehen aus dem Schatten zu lenken.
Sein einziges Hobby, soweit ich das beurteilen kann, ist das Sammeln und Handeln mit Antiken Kunststücken. Sein ganzes Haus ist voll mit Relikten vergangener Tage; alte Statuen die grimmig dreinschauend, die Räume bewachen, Vasen mit kunstvoll gezeichneten Drachen und sein ganzer Stolz, ein Zimmer voller altertümlicher Waffen.
Ich hatte einmal die Ehre diesen Raum zu sehen und ich kam mir vor wie in einer Mittelalterlichen Waffenkammer.
Ich möchte nicht behaupten, daß ich mir aufgrund meiner bisherigen Taten einen Freischein für’s Paradies verdient hätte, aber für Santiago sieht’s am Tage des Jüngsten Gerichts verdammt düster aus. Wenn er dort auf die Seelen derjenigen trifft, die er auf dem Gewissen hat, dürfte es im Fegefeuer eng werden.

Die Stimme des Taxifahrers reißt mich aus meinen Gedanken.
„Wir sind da, Sir.“, sagt er mit einem unüberhörbaren indischen Akzent.
Mein Kopf lehnt an der beschlagenen Scheibe und ich raffe mich auf obwohl ich auf der Stelle einschlafen könnte.
„Das macht 14 Dollar und 10 Cent, Sir“ sagt er und kramt eine große Brieftasche auf der Fahrertür.
Ich steige aus, und das Brennen in meinem Bein macht mich fast wahnsinnig.
Ich bezahle, warte auf mein Rückgeld und halte mich am Taxi fest.
Als es losfährt, schwanke ich etwas, kann mich aber noch gerade so auf den Füßen halten.
Zum Glück ist es nicht mehr weit. Ich gehe, mein Bein hinter mir her schleifend, durch ein kleines weißes Gartentor. Ich spüre leichten Regen an meinen Kopf prallen.
Als ich an der Eingangstür des Hauses stehe, hoffe ich kurz, dass ich auch das richtige erwischt habe. Einen größeren Spaziergang, traue ich mich nicht mehr zu.
Ich schiele auf den Namen auf dem Briefkasten.
„Matthew Zuckerman“ steht dort.
„Da haben wir noch mal Dusel gehabt, Mr. Maddox“ murmele ich vor mich hin.
Ich drücke auf die Klingel und warte.
Ich höre Schritte im Hausflur und bete, dass es Matthew ist, und nicht seine Frau.
Seit er vor fünf Jahren geheiratet hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Ich weiß, dass er jetzt eine eigene Praxis besitzt, und recht erfolgreich ist, aber seine
Frau, Catherine, konnte ich noch nie leiden. Matthew und ich, sind seit der Schulzeit dicke Freunde. Ich habe ihm zwar immer erzählt, ich würde für einen Sicherheitsdienst arbeiten, aber ich glaube, er wusste recht gut, wie ich meine Mäuse verdiente. Nach der Hochzeit, wo ich mich so besoffen habe, dass ich der Braut auf die Schuhe gekotzt habe, ist unser Kontakt abgebrochen. Ich weiß, dass Catherine, damit zu tun hat, na ja, ist ihr gutes Recht. War vielleicht auch besser für Matt.
Die Tür öffnet sich.
Er sieht noch genauso aus wie früher; vielleicht nur etwas stabiler.
„Hast zugenommen. Man merkt das ‘ne Frau im Haus ist.“ sage ich und versuche zu lächeln.
„Ach du Scheiße !! Frank, was ist los mit dir?“ fragt er scheinbar überrascht mich zu sehen.
„Ich war gerade mit dem Hund spazieren, als ich mir dachte, ich könnte doch mal meinen alten Freund, den Juden, besuchen.“
Matthew lächelt, legt meinen Arm um seine Schulter und trägt mich ins Haus.
„Ich bin kein Jude mehr. Ich bin jetzt Buddhist.“ sagt er ernst.
„Willst du mich verarschen?“
„Klar doch.“ sagt er mir und zeigt mir ein Stuhl, auf den ich mich setzen soll.
Er schaut sich meine Wunde an und schüttelt den Kopf.
„Ich stelle dir keine Fragen, möchte aber gerne etwas klar stellen.“
Er überlegt kurz.
„Also, ich werde dir helfen. Die Wunde muss genäht werden, da heißt...“
Ich unterbreche ihn.
„Ich dachte du bist Tierarzt! Wieso nähen? Kannst du sie nicht einfach desinfizieren und ein Pflaster drauf knallen?“
„Die Wunde musst genäht werden. Da gibt es kein wenn und aber. Eine Fleischwunde bei einem Menschen, ist nicht viel anders als eine bei einem Pferd. Vertrau mir einfach.“
Er holt kurz Luft.
„Also, noch mal von vorne. Ich werde dir helfen und keine Fragen stellen. Wir werden gleich in meine Praxis fahren. Catherine werde ich von einem Notfall erzählen. Du weißt ja, was sie von dir hält oder?“
Ich nicke kurz.
„Dort werde ich deine Wunde behandeln und dich dann nach Hause fahren.“
Ich schüttele den Kopf.
„Das wäre keine gute Idee.“ sage ich kraftlos.
„Gut wir haben morgen Sonntag, dass heißt, du kannst in der Praxis übernachten. Aber Morgen bist du weg. Ist das O.K.?“
Ich nicke wieder.
„Warte hier.“ sagt er und geht die Treppe hoch.
Eigentlich der richtige Augenblick für einen coolen Spruch der Marke: „Ich geh noch mal ‚ne Runde um den Block.“
Aber ich fühle mich kraftlos und leer, und lasse es lieber bleiben.
Was danach alles passiert, nehme ich nur noch durch einen Schleier aus Müdigkeit wahr; die Autofahrt im Regen, der Aufzug, die Praxis, die Spritze. Ich lege mich hin, schließe die Augen und schlafe ein.

X.

Ich wache mal wieder auf. Diesmal fühle ich mich nicht ganz so beschissen wie beim letzten mal. Ich stehe auf und versuche vorsichtig mein Bein zu belasten. Es tut zwar weh, aber es geht. Eine hässliche, violett gefärbte Wunde, an dessen Ende zwei Fäden, wie die Fühler eines Insekten, ragen, ziert nun mein Oberschenkel.
Ich ziehe die Hose an, die Matthew mir da gelassen hat, trinke einen Schluck Wasser und verlasse die Praxis. Den Schlüssel werfe ich in den Briefkasten. Es hat aufgehört zu regnen und nur vereinzelt sind noch Wolken am blauen Himmel zu sehen. Ich blicke auf die Uhr und stelle entsetzt fest, dass es schon zwei Uhr Nachmittags ist. Ich habe verdammt lange gepennt, aber ich hatte es auch nötig. Ich besorge mir einen Hot-Dog um meinen Hunger zu stillen. Während ich das Ding in meinen Mund stopfe, denke ich über meine nächsten Schritte nach. Als erstes werde ich versuchen Paul zu finden, um zu sehen ob es ihm gut geht. Dann werde ich mal Santiago einen Besuch abstatten; ich möchte rausfinden, was der Scheiß von gestern sollte. Ich muss mir jetzt erst einmal einen fahrbaren Untersatz besorgen. Da ich kaum noch Kohle in der Tasche habe, bleibt mir nichts anderes übrig als eine Karre zu klauen. Ich suche mir einen alten Chrysler aus, der in einer dunklen Seitenstrasse steht. Zu meinen besten Zeiten habe ich kaum eine Minute gebraucht um einen Wagen zu knacken. Diesmal dauert es ein wenig länger aber es klappt. Die Karre springt an und ich mache mich vom Acker. Ich schalte das Radio ein und während Elvis rockt, was das Zeug hält, genieße ich den erfrischenden Fahrtwind der mir ins Gesicht bläst. Ich fahre über den Lincolnzubringer in Richtung Eastside. Ich vermute das Paul bei seiner Mutter ist. Dort verkrischt er sich normalerweise, wenn die Kacke am dampfen ist. Seit dem Tod Ihres zweiten Mannes, Pauls Stiefvater, der beim Versuch eine Sattelitenantenne auf dem Dach des Hauses zu befestigen, stürzte und starb, und dem unglücklichen Ableben von Sam, war Paul ihr ein und alles.
Als ich vor dem abgewrackten Haus stehen bleibe, kommen alte Erinnerungen hoch. Caruso, damals Santiagos engster Vertauter, hatte mich mit Sam und Paul bekannt gemacht. Sie wuschen gerade ihren alten Chevy als wir ankamen. Man merkte sofort, dass die beiden Geschwister waren; obwohl Paul ganze zwei Köpfe größer war als sein älterer Bruder, konnte man es an ihren Augen und dem kantigen Kinn erkennen. Sie machten sofort einen netten Eindruck auf mich, und es dauerte nicht lange bis wir Freunde wurden.
Wir führten ein paar Jobs für Santiago durch, wobei sich schnell rausstellte, dass wir ein gutes Team waren. Ich habe den beiden mehr vertrau, als ich meinen Eltern vertrauen würde und sie haben mich nie enttäuscht. Es ist verdammt schwierig gute Freunde zu finden und verdammt beschissen, einen von ihnen zu verlieren.
Als ich mich dem Haus nähere, sehe ich Pauls Mutter die Veranda fegen.
Ich schlendere so cool wie möglich auf sie zu, wohlwissend, dass gleich ein kräftiges Gewitter losbrechen wird.
Sie sieht mich und ihre Augen werden zu strengen Schlitzen.
Sie holt Luft und faucht mich giftig an.
„Was willst du hier, du Schweinepriester?“
Ich lächele krampfhaft und versuche ruhig zu bleiben.
“Ich muss mit Paul sprechen.“, sage ich nüchtern.
„Du hast schon Sam auf dem Gewissen ! Reicht dir das nicht?“
Aua, das tut weh.
Sie holt wieder aus und schreit mit bebender Stimme, ich solle mich gefälligst verpissen.
Am liebsten würde ich jetzt auch losbrüllen, aber zum Glück gerade Pauls Gesicht im Türrahmen auf. Er legt seine gewaltigen Hände sanft auf den Rücken seiner Mutter, beruhigt sie und bringt sie in die Küche. Ich bleibe im Flur stehen und warte. Als Paul wieder auftaucht, lächelt er.
„Alles klar bei dir?“ fragt er grinsend.
„Das gleiche wollte ich dich auch gerade fragen!“
„Es tut mir leid mir leid wegen Mutter...“ fängt Paul an.
Ich winke mit der Hand ab und die Sache ist gegessen.
Er macht mir Zeichen, ihm ins Wohnzimmer zu folgen.
Wir fläzen uns hin, und ich erzähle ihm, was mir seit dem Überfall passiert ist.
Als ich fertig bin, schaut er mich leicht betrübt an.
Ich lächele und versichere ihm, dass ich nicht sauer bin, dass er sich verpisst hat.
„Ich habe versucht dich auf dein Handy anzurufen, aber du hattest es wohl nicht dabei.“
Ich nicke zustimmend.
„Was hast du jetzt vor?“ fragt Paul mich.
Ich schaue ein Augenblick lang zu Decke hoch und denke nach.
“Erst werde ich Santiago fragen, was er mit der Sache zu tun hat und dann mal schauen, dass ich in meine Wohnung komme, ein paar Sachen rausholen:“
“Die Bullen waren da. Die haben die Wohnung abgesperrt, aber Nachts wirst du wohl reinkommen.“ er mach eine kurze Pause, zieht an seiner Kippe.
“Soll ich dich begleiten. Ich meine zu Santiago. Vielleicht kannst du Hilfe gebrauchen?“
Ich schüttele den Kopf.
„Ne, ist schon in Ordnung. Mit Santiago werde ich sicherlich besser fertig, als mit deiner Mutter.“ sage ich und zwinkere ihm zu.
Er antwortet schmunzelnd „Das denke ich mir.“, dann wieder mit ernster Miene,
„Kann ich sonst irgendetwas für dich tun? Brauchst du ‚ne Karre?“.
„Ein Auto habe ich! Was ich bräuchte wäre ’ne Knarre und ein bisschen Kleingeld!“
„Sollst du bekommen.“ sagt Paul, steht auf und verschwindet kurz.
Ich zünde mir eine Zigarette an und atme den Rauch tief ein.
Paul erscheint im Türrahmen und schmeißt mir ’ne Tüte auf dem Schoß.
Ich checke den Inhalt : eine 45er und ein paar Scheine.
„Du hast was gut bei mir!“ bemerke ich und mache mich auf.
Ich klopfe Paul freundschaftlich auf die Schulter.
„Pass auf dich auf, Alter!“ sagt er.
„Klar doch, ich bin die Vorsicht in Person!“
Er begleitet mich zur Tür. Erneute Umarmung.
Ich zwinkere noch kurz seiner Mutter zu, die mich grimmig anstarrt, als wollte sie mich auffressen und steige in den Chrysler. Zuerst muss ich aber die Karre loswerden.

X.

Der Baron hatte den Ruf des Priesters gehört. Er zog an seiner Zigarre und genoss es den Rauch in seinen Lungen zu spüren. Er saß im Schneidersitz auf einer Gruft aus Marmor und beobachtete den Tanz der Irrlichter, die in der feuchtwarmen Luft des Friedhofs ihre Choreographie aufführten. Einige Minuten später blies er den Rauch in den Sternenlosen Himmel, um dann erneut an seiner Zigarre zu ziehen, doch diese war zwischenzeitlich ausgegangen. Er blickte vorwurfsvoll auf den Tabakstumpen in seiner Hand, sprang plötzlich in einer blitzschnellen, fließenden Bewegung auf, stob nach vorne und griff nach einem der Irrlichter. Ein boshaftes Grinsen zeichnete sich auf seiner schwarzen Visage wieder und auch der Totenkopf, der auf seinem Gesicht gemalt war, schien zu lächeln. Nachdem er die Zigarre wieder in den Mund gesteckt hatte, führte er sie in seine geschlossen Hand. Ein leises Knistern, dann hauchte der Baron mit einigen tiefen Zügen wieder Leben in die Zigarre. Langsam öffnete er die Hand und das Irrlicht flog leicht schwankend davon.
Der Baron griff nach einem abgetragenem Zylinder, der noch auf der Gruft lag, und setzte ihn sich auf.
Er freute sich darauf, endlich mal wieder am Leben der Menschen teilnehmen zu können, auch wenn es vorerst durch die Augen eines Sterblichen sein würde. Doch wenn alles so lief, wie der Priester ihm versprochen hatte, würde er bald seine Maske zurückbekommen und dafür sorgen können, dass seine Macht wieder stieg. Natürlich würde er auch die Gelegenheit nutzen ein wenig zu feiern. Zu selten war er in den letzten Jahren dazu gekommen in menschlicher, vor allem in weiblicher, Gesellschaft, zu trinken. Menschen konnten so dekadent sein. Das gefiel dem Baron an ihnen, wie die Tatsache, dass sie sterben konnten.

X.

Als ich den Club betrete, spüre ich die Blicke an mir haften, wie Mücken in einem Spinnenetz. Ich weiß, dass die Hälfte der Jungs, die mich gerade ausgiebig mustern, nur auf einen Grund warten mich abzuknallen. Aber so leicht mach ich es euch nicht, Jungs!
Die Luft ist schlecht und durchschwängert vom Gestank kalten Rauchs.
Ich gehe auf die massige Silhouette Santiagos zu, der in einer dunklen Ecke des Lokals sitzt. Langsam weicht der Schatten aus seine Gesicht und ich sehe, dass er lächelt.
In seinem Mundwinkel hängt der alte Stummel einer Zigarre, der aussieht, als hätte Churchill daran schon genuckelt.
Ich setze mich hin und schau ihm in die Augen.
„Ich würde dir gerne sagen, dass du gut aussiehst, Frank, aber das wäre ein Lüge und du weißt was ich vom lügen halte.„
Ich denke mir meinen Teil und so kühl wie es nur geht spreche ich ihn auf die gestrigen Ereignisse an.
„Ich will wissen, warum und von wem meine Wohnung in Schutt und Asche gelegt
worden ist!“
„Vergiss den Vorfall. Das waren nur ein paar Nigger, die etwas zurück haben wollen, was ihnen nicht mehr gehört.“
Er holt ein Streichholz hervor, das er an dem Tisch anzündet und seinem Stummel wieder Leben einhaucht.
„Die hatten es nicht auf dich abgesehen. Sie waren hinter Korgan und Bricks her.“ sagt er und zieht kräftig an seiner Zigarre.
Während er den Rauch zwischen uns pustet, holt er erneut aus.
„Aber keine Angst, die werden mit dem Problem schon fertig.“ sagt er und lächelt, da er weiß, dass mir die Brüder Mahoney ziemlich egal sind.
Zumindest scheinen sie ja noch zu leben, schade.
Auf einmal fühle ich mich müde.
„Irgendjemand hat mich festgehalten und irgend ein Scheiß in die Blutbahn gepumpt. Ich denke es war eine Art Wahrheitsserum. Ich dachte nur du solltest, darüber Bescheid wissen.“ sage ich während ich Anstalten mache aufzustehen.
Plötzlich wird mir schwindelig und es wird mir schwarz vor Augen.
Ich bin in einem dunklen Schleier aus Ohnmacht gefangen und merke, wie mein Körper sich selbständig bewegt und ich höre meine Stimme, obwohl ich nicht spreche.
„Alles klar mit dir, Maddox?“ fragt Santiago.
„Besser könnte es mir gar nicht gehen.“ höre ich mich sagen und dann „Santiago, du hast etwas, das uns gehört.“.
Ich habe das Gefühl über mir selber zu schweben und sehe den überraschten Gesichtsausdruck Santiagos.
„Du hast uns etwas weggenommen und dafür wirst du Sterben!“
Ich stehe auf und ziehe meine Knarre.
Ich frage mich was diese verfickte Scheiße soll und würde am liebsten weglaufen, aber ich bin nicht mehr Herr meines eigenen Körpers und zum Zuschauen verdammt.
Als ich an meinen Arm herunterschaue, sehe ich schwarze, verschrumpelte Haut;
meine Hände, alt und vertrocknet und die Fingernägel, lang und scharf wie Rasiermesser.
Ich trage ein abgenutzten schwarzen Anzug und meine Füße sind nackt.
Was soll die Scheiße?
Während ich mir zusehe, wie ich Santiagos Gorillas, einen nach dem anderen über den Haufen schieße, bekomme ich es langsam mit der Angst zu tun.
„Ich will die Maske zurück!“ schreie ich, mit einem giftige Tonfall in der Stimme.
Plötzlich habe ich das Gefühl zu fallen.
Alles wird dunkel um mich herum und die Geräuschkulisse der Schiesserei entfernt sich immer mehr, bis nur eine angenehme Stille übrig bleibt.
Es vergeht eine Ewigkeit und plötzlich befinde ich mich wieder in einem Sumpf.
Doch diesmal, keine Musik, kein Tanz, nur ein alter Mann, der am Feuer sitzt und nachzudenken scheint.
Als ich mich nähere, hebt er sein faltiges Gesicht.
Er lächelt und erst jetzt, sehe ich, dass in der Dunkelheit hinter ihm jemand steht, nein, vielmehr schwebt. Eine dürre Gestalt, in einem schwarzen, altmodischen Frack gekleidet und einem Zylinder auf dem Kopf. Auf dem Gesicht der Erscheinung ist ein Totenkopf gemalt.
Seltsamerweise verspüre ich keine Angst, vielmehr durchströmt eine drogenähnliche Euphorie meinen Geist.
Der alte Mann greift in eine Ledertasche, die an seiner Hüfte baumelt, und holt eine Strohpuppe hervor. Mit monotoner Stimme beginnt er zu singen. Er legt die Puppe vor sich hin und wirft eine Handvoll weißes Pulver ins Feuer.
Nach der Korpulenz der Puppe zu beurteilen, soll es sich dabei wohl um Santiago handeln.
Der Alte Mann greift erneut in seine Ledertasche und holt ein reich verziertes Messer heraus. Er setzt das Messer unter dem Kopf der Puppe an und fängt an sie bis zum Unterleib aufzuschneiden. Sein Gesang intensiviert sich und wird immer lauter.
Die Gestalt hinter ihm beginnt im Takt des Liedes zu wippen.
Mein Blick wendet sich wieder der Puppe zu und ich sehe, dass aus der aufgeschnittenen Stelle Insekte herauskriechen; Spinnen, Tausendfüssler, Maden und Käfer, erst langsam, dann strömend, wie Wasser aus einem Bootsleck. Der dunkle Teppich aus Ungeziefer kommt auf mich zu aber ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre wie sie sich ihren Weg unter meinem Hosenbein bahnen und zielstrebig an meinem Bein herauf krabbeln. Es dauert nicht lange und ich bin bis zum Hals mit Insekten bedeckt. Was eben noch wie Euphorie schien, wird jetzt zu blanker Panik.
Ich stoße einen stummen Schrei aus und merke wie etwas in meinem Mund kriecht, dann in meine Nase, in meinen Ohren.
Ganz unvermittelt dann, erlange ich die Kontrolle über meinen Körper wieder.
Ich wische mir mit hektischen Bewegungen die Insekten vom Leib und laufe los. Äste schlagen mir durch das Gesicht und ich fühle warmes Blut über meine Wangen laufen. Ich verdränge den Schmerz und laufe immer weiter durch das sumpfige Gebiet.
Die Luft pfeift durch meine Lungen und das Atmen fällt mir immer schwerer.
Mein Fuß verfängt sich in einer Wurzel und mit rudernden Armen gehe ich zu Boden.
Mit den Händen voraus, lande ich in den feuchten Matsch, doch wider erwarten fühlt sich der Schlamm ungewöhnlich warm an. Ich öffne die Augen und sehe, dass ich in einer Blutlache liege. Ich hebe den Blick und ein Bild des Grauens baut sich vor mir auf.
Mein Atem stockt und ich habe mühe den Brechreiz zu unterdrücken.
„Verfluchte Scheiße !“ sage ich leise, während mir langsam das Ausmaß der ganzen Situation klar wird. Vor mir liegt ein säuberlich, vom Halsansatz bis zum Bauchnabel, aufgeschlitzter Santiago, der mich mit leeren Augen gen Decke starrt.
Aus der Schnittwunde quellen saftige Gedärme und Innereien, eingelegt in einer rotbraunen Soße. Ich schaue mich um und brauche einige Sekunden um zu begreifen, dass ich in Santiagos Haus bin, besser gesagt, in seinen heiligen Ausstellungsräumen, in dem die fette Sau, seine Sammlung aus Kunstgegenständen aufbewahrt.
Ich raffe mich auf und mein Blick fällt auf eine zertrümmerte Glasvitrine, unweit von Santiagos massigen Überresten. Vorsichtig nähere mich und stoße mit dem Fuß gegen ein Messer. Es ist das Messer, mit dem der alte Mann, die Puppe aufgeschnitten hatte.
Ein kalter Schauer fährt mir durch die Wirbelsäule.
Ich lasse das Messer liegen und gehe zur Vitrine.
Sie ist leer aber auf dem Holzrahmen klebt ein kupfernes Schild.
„Totenkopfmaske aus Lihue, Hawai (Baron Samedi)“
Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf, bis mir schwindelig wird.
Was ist los mit mir?
Werd’ ich wahnsinnig?
Bin ich es vielleicht schon?
Auf jeden Fall wird’s Zeit sich hier zu verpissen.
Ich nehme die Beine in die Hand, eile in den Flur und hetze die Treppe hinunter in die pompöse Eingangshalle von Santiagos Villa. Dort liegen zwei von seinen Männern. Einem von beiden fehlt die linke Gesichthälfte und das Auge hängt, nur noch vom Sehnerv gehalten, auf dem blanken Wangenknochen. Der andere liegt glücklicherweise auf den Bauch. Die Eingangstür ist auf und ich riskiere einen Blick nach draußen. Alles ruhig. Ich schlüpfe durch die Tür und laufe hinkend den kiesbesetzten Weg entlang, bis zum großen, gusseisernen Eingangstor des Anwesens. Der blutrot gefärbte Himmel verrät mir, dass die Sonne Bald untergehen wird. Ich muss mir jetzt erst mal einen Unterschlupf suchen und nachdenken.

X.

Wer immer auf die Idee gekommen ist dieses beschissene Drecksloch „Hotel Royal“ zu nennen, muss entweder Blind oder besonders Zynisch gewesen sein. Das Einzige was an dieser Absteige das Attribut „königlich“ verdient, sind die Kakerlaken und vielleicht noch der giftgrüne Schimmelfleck an der Decke, bei dem ich den Eindruck nicht loswerde, dass er jede Stunde größer wird. Ich sollte vielleicht lieber nicht mehr einschlafen, sonst wache ich noch auf und bin mit einer weichen, pelzigen Haut aus Schimmelpilz überzogen. Ich genehmige mir noch einen Schluck aus der Whisky Flasche und genieße den Rausch, der hilft zu vergessen. Zwei Tage sitz ich nun schon in diesem Drecksloch. Zwei Tage in denen ich immer wieder mein Gesicht in der Glotze sehen musste. Das Gesicht eines gesuchten Mörders. Gesucht für den Mord an den geschätzten, wohlhabenden Kunsthändler Humberto José Santiago. Ein Menschenfreund, der sich durch groszügige Spenden immer wieder für die Bedürftigen eingesetzt hat. Ein Menschenfreund, das ich nicht lache. Ich setz die Pulle wieder an. Der Whisky fließt die Speiseröhre hinunter und verbreitet seine wohlige Wärme, während die Gedanken betäubt werden. Alles nur wegen diesem verfickten Messer, auf dem die Bullen meine Fingerabdrücke gefunden haben. Je mehr ich mir darüber den Kopf zerbreche, umso weniger verstehe ich die ganze Sache. Alles spricht dafür, dass ich Santiago aufgeschlitzt habe, aber ich kann mich einfach nicht erinnern. Die Schiesserei im Klub habe ich noch vor Augen. Das Gefühl kontrolliert zu werden, als wäre mein Geist von irgendetwas zurück gedrängt worden, die eigenartigen Träume, die mich seit der Geschichte in meiner Wohnung heimsuchen. Irgendwas geht mit mir ab. Irgendetwas Krankes und ich habe keinen Schimmer, was das ist. Ich habe das Gefühl, ich werde verrückt. Ich hasse es die Kontrolle zu verlieren. Während im Fernsehen eine scharfe Blondine in einem engsitzenden Sportbody, ein futuristisches Fitnessgerät anpreist und dabei immer wieder den Hintern ausstreckt, als bettle sie darum, in der Hündchenstellung gevögelt zu werden, rolle ich mich aus dem Bett, um eine Stange Wasser zulassen. Auf dem Weg zum Klo, werfe ich einen Blick durch das schmutzige Fenster, wo ich direkt auf die Leuchtreklame eines Sex-Shops schaue. Es ist eine stürmische, verregnete Nacht, düster und kalt. Der plätschernde Regen verstärkt meinen Harndrang und ich gebe ihm nach. Ich stütze mich mit einer Hand an der Wand ab und als der Pissestrahl sich in und um die Kloschüssel herum ergießt, seufze ich erleichtert. Während ich meinen Lümmel ausschüttle, klopft es plötzlich an meiner Zimmertür. Meine Bewegung stockt. Mein erster Gedanke: Scheiße die Bullen! Ich packe meine Nudel wieder ein und gehe so leise wie möglich aus dem Bad. Wieder klopft es. Ich schleiche zum Nachttisch und greife nach meiner Knarre. Der Alkohol mach meine Bewegungen unsicher und ich verfluche mich dafür, dass ich eine halbe Flasche Johnny Walker in mir reingeschüttet habe. Wer kann das sein?
„Mr. Maddox?”
Eine weibliche Stimme. Jung und irgendwie schüchtern.
Ich stutze. Es klopft wieder.
„Mr. Maddox, sind sie da?“
Klopfen gehört eigentlich nicht zum Standardprogramm der Bullen.
„Wer sind sie?“ frage ich und versuche meine Stimme so kühl wirken zu lassen wie möglich.
„Mein Name ist Marie Lafache. Ich möchte Ihnen helfen.“
Lafache. Lafache. Der Name sagt mir nichts.
„Gehen sie ein Schritt von der Tür weg.“
Ich öffne die Tür und mit der Waffe im Anschlag, werfe ich einen Blick nach draußen. Im dämmrigen Licht des Flurs erkenne ich eine junge Frau. Sonst ist keiner im Gang. Mit einem Nicken gebe ich ihr zu verstehen, dass sie in das Zimmer kommen soll. Erst jetzt erkenne ich, dass es sich eigentlich mehr um ein Mädchen, als um eine Frau handelt. Vielleicht achtzehn, neunzehn Jahre alt. Sie hat eine kakaobraune Haut, schulterlanges, welliges, schwarzes Haar, dunkle Augen und hohe Wangenknochen, die ihrem Gesicht etwas geheimnisvolles verleihen. Alles in allem ein hübsches Ding. Sie trägt eine abgetragene Armeejacke, die vor Regenwasser trieft, und schaut mich mit nervösem Blick an.
„Wie willst du mir helfen?“ frage ich ein wenig herablassend.
„Ich weiß, was mit Ihnen los ist, was mit ihnen passiert ist.“, sagt sie und senkt ihren Blick auf meine Waffe.
„Zieh deine Jacke aus, du erkältest dich noch.“, sage ich, lege meine Knarre auf den Nachttisch und setze mich auf die Bettkante. Sie legt ihre Jacke ab und enthüllt einen sportlichen Körper. Unter einem neutralen, weißen T-Shirt erahne ich kleine, feste Brüste und auch ihr knackiger Arsch ist auch nicht ohne. „Setz dich hin und erzähl mir, was du weißt.“
Sie nimmt auf einen Sessel platz und die Art wie sie sich bewegt, verrät mir, das sie angespannt ist.
„Was ich Ihnen erzählen möchte, klingt vielleicht ein wenig verrückt. Haben sie schon mal was von Voodoo gehört?“
Ich nicke. „Schwarze Magie, hat irgendetwas mit Puppen und Nadeln zu tun.“
Sie lächelt zaghaft.
„Eigentlich ist Voodoo oder Vodoun eine Religion, die ihre Wurzeln zwar in West-Afrika hat, aber sich erst im 16ten Jahrhundert in ihrer heutigen Form entwickelt hat .“ Ihre Stimme verfestigt sich. „Damals wurden Sklaven aus vielen Teilen Afrikas dorthin verfrachtet, und aus den diversen Glaubensrichtungen, wie dem Islam, dem Katholizismus und dem Naturglauben einiger afrikanischen Stämme, entstand der Voodoo. Anhänger des Voodoos glauben an ein Pantheon von verschiedenen Göttern oder Geistern, sogenannte Loas, die mehr oder weniger alle Aspekte des Lebens abdecken. So gibt es zum Beispiel Erzulie, die Loa der Schönheit und der Schöpfungskraft, oder Baron Cimetiere, der Loa des Todes.“ Sie greift nach ihrer Jacke und holt eine zerknirschte Packung Camel hervor. „Stört sie das, wenn ich rauche?“, fragt sie und ich schüttle den Kopf.
Sie zündet sich ihre Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug und fährt fort.
„Das mit der Magie, was sie vorhin erwähnten, ist auch ein Teil des Voodoos. Aber man sollte da unterscheiden. Es gibt gute Priester, die Houngans, das sind die Männer, Mambos heißen die Priesterinnen, die weiße Magie wirken, meistens handelt es sich dabei um Heilungszauber, oder Rituale, um sich das Wohlwollen einer Loa zu sichern. Bokors hingegen sind Priester, die dem dunklen Pfad des Voodoos folgen. Sie können Anderen schaden zufügen, und schrecken auch vor Menschenopfer nicht zurück. Das sind die Jungs mit den Puppen und den Nadeln. Sie verehren die Guede, dunkle Loas, wie Baron Cimetiere, Baron Samedi oder Madame Brigitte.“
Ich hebe die Hand, um sie zu unterbrechen.
“Ich weiß ja deine Märchenstunde zu schätzen, aber was hab’ ich damit zu tun?“, frage ich sie. Langsame lichtet sich der Alkoholnebel in meinen Gedanken und ich frage mich, wie dieses Mädchen mich finden konnte.
„Eine weitere Fähigkeit dieser Priester ist die Aufrufung der Loas.“ fährt sie fort, als hätte ich sie nicht unterbrochen, „Sie stellen ihnen ihren oder fremde Körper zur Verfügung, die von der Loa in Besitz genommen werden kann. Dafür müssen diese“ sie macht mit ihren Fingern Anführungszeichen in die Luft „ Körpergefäße unter Droge gesetzt werden.“
Mein Blick wandert zu dem Einstich in meinem linken Arm.
„Ich weiß, das muss sich alles ein wenig seltsam in ihren Ohren anhören, aber wiir gehen davon aus, dass Baron Samedi von ihnen Besitz ergriffen hat, um...“
„Moment, Moment.“ unterbreche ich sie. „Was heißt wir?“
„Meine Großmutter und ich. Sie ist eine Mambo, eine weiße Magierin.“
Ich schließe die Augen und schüttle den Kopf. Diese Gefühl die Kontrolle zu verlieren, das Licht, die Spritze, meine Visionen, der Typ am Feuer, all das schwirrt in einem Höllentempo durch meinen Kopf.
Es dauert einige Sekunden, bis ich mich wieder fasse. Die Augen zu Schlitzen geformt, fixiere ich Marie, die meinen Blick verständnisvoll erwiedert.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, dass ich diesem Mädchen trauen kann, und bisher hat mich mein Gefühl nie enttäuscht, außer bei Santiago.
„Dieser Name, Baron Samedi, stand auch auf einem Schild in Santiagos Haus. Irgendeines seiner Kunstgegenstände wurde wohl geklaut. Ich habe es zumindest nicht.“, sage ich.
Marie nickt wissend. „Es handelt sich dabei um Baron Samedis Totenmaske, darauf hat er es abgesehen. Mit dieser Maske könnte ein Bokor ein Ritual durchführen, um den Baron auf unsere Welt holen. Das bedeutet nichts Gutes und deswegen bin ich hier.“
Ich schaue sie fragend an.
„Es gibt da etwas, dass sie wissen müssen. Hat sich eine Loa in einen Wirt eingenistet, kann sie immer wieder von ihm Besitz ergreifen. Ich möchte ihnen unsere Hilfe anbieten, um das zu verhindern, im Gegenzug möchte ich, dass sie mir helfen, die Maske zu finden und sie zu zerstören.“
„Darf ich eine Zigarette haben?“, frage ich sie.
Sie wirft mir die Packung herüber, aus der ich die letzte Zigarette herauskrame.
Ich zünde sie an und schaue Marie an.
“Wie hast du mich gefunden?“, frage ich.
„Wie ich Ihnen bereits sagte, ist sie eine Mambo. Sie verfügt über gewisse Kräfte.“
„Gut, dass sie nicht bei der Polizei ist.“, sage ich und puste den Rauch gen Decke.
„Nenn mich Frank. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich siezt.“

X.

Der dunkle Himmel liegt tief und bedrohlich über den Straßenschluchten von New York. Unaufhörlich trommelt der Regen gegen die Karosserie des alten VW Käfers. Ich schaue mit leerem Blick durch die nasse Scheibe und versuche zu verstehen in was für eine Scheiße ich da reingeschliddert bin. Voodoo, schwarze Magie, Besessenheit, ich komme mir vor wie in einem schlechten Horrorfilm.
Neben mir sitzt Marie, die konzentriert auf die Strasse starrt. Eine vereinzelter Tropfen Wasser läuft bedächtig von ihrem Haar herunter auf ihre Wange, wo es einen kleinen glänzenden Streifen auf ihrer Haut hinterlässt. Ist sie der Grund, warum ich bei diesem Hokus-Pokus Mist mitmache? Oder tue ich das weil sie mir eine Erklärung für die Ereignisse der letzten Tage geliefert hat, eine Erklärung, die zwar unglaublich klingt, aber zumindest die Zweifel an meine geistige Gesundheit ein wenig beiseite schiebt. Vielleicht suche ich aber auch nur einen Grund den Jungs, die mir die Scheiße eingebrockt haben, mal richtig der Arsch aufzureißen. Ich war schon immer ein wenig rachsüchtig. Ich rechne zwar nicht damit, dass die Bullen so schnell von mir ablassen werden, aber irgendwann wird schon Gras über die Sache wachsen. Zur Not schlage ich mich bis Mexico durch, oder auf irgendeine einsame Scheißinsel.
Ein Blitz zerreißt die dichte Wolkendecke, kurz darauf folgt dröhnender Donner. Obwohl es Nacht ist und in Strömen regnet, ist das Leben in der Stadt noch längst nicht erloschen; verlangsamt ein wenig, aber immer noch pulsierend, unregelmäßig pochend, wie ein altes, krankes Herz. Latino Nutten, die unter dem Vordach eines Drugstores Schutz vor dem sinnflutartigen Niederschlag suchen. Freier, aus ihren Wagen stierend, auf der Suche nach dem schnellen Fick oder einen Blow-Job. Junkies, zitternd vor Kälte oder dem Entzug, betrunkene Penner. Wieder ein Blitz. Eine Wolkenformation, die aussieht wie das Gesicht eines Engels, wie einer dieser kindlichen, pausbäckigen Engel, die an Weihnachten Hochkonjunktur haben. Er schaut betrübt auf die graue Betoneinöde unter sich. Grollender Donner, wie ein wütender Aufschrei. Der Regen peitscht noch stärker gegen die Windschutzscheibe des kleinen deutschen Autos. „Beschissene Gegend hier.“, sage ich, mehr zu mir selbst, als für andere gedacht. Maria lächelt und entblößt eine Reihe tadelloser Zähne. „Och, man gewöhnt sich dran. Tagsüber ist es eigentlich ganz nett.“, sagt sie und lenkt den Wagen vorwärts in eine Parklücke rein.
Ich steige aus und folge Marie bis in einen mit Graffiti beschmierten Hauseingang. Sie kramt einen Schlüssel aus ihrer Jackentasche hervor und öffnet die Tür. Als wir den befliesten Flur betreten, weht mir der Duft von Kohl entgegen, vermischt mit dem Geruch von kaltem Zigarettenrauch. Wenig später steh ich in einer kleinen, aufgeräumten Küche und werde von Maries Großmutter gemustert. Sie ist klein und durch das Alter gebeugt, als hätte sie im laufe ihres Lebens, viele schwere Lasten zu tragen gehabt. Ihr Teint ist wesentlich dunkler als der von ihrer Enkelin und in ihrem faltigen, wettergegerbten Gesicht stecken zwei kleine schwarze, durchdringende Augen, die mich zu durchleuchten scheinen.
„Grand-Mère, das ist er“, sagt Marie. „Frank, das ist meine Großmutter Maman Bâtard.“
Ich begrüße sie mit einem Nicken.
Die alte Frau schließt die Augen und schnüffelt in der Luft.
„Oh, oui, je le sens le Baron, son odeur de tombeau, son odeur de la mort.“
Sie geht um mich herum und murmelt unverständliches Zeug vor sich hin.
„Einen Kaffe, Frank?“, fragt Marie und zieht ihre tropfende Jacke aus.
„Ja, bitte“, antworte ich, während ich die alte Schachtel beobachte, die einen Wedel aus bunten Federn aus ihren mit Blumen bemusterten Kittel zieht. Sie fuchtelt mit dem Ding vor meinen Gesicht rum und langsam frage ich mich, ob ich nicht besser im Hotel geblieben wäre, um mich weiter zu betrinken, solange bis die Bullen mich gefunden hätten.
Während die Kaffeemaschine röchelt wie ein Asthmakranker Hund, entledige ich mich meiner nassen Lederjacke und nehme auf einem durchgesessenem Sofa platz. Das kleine Wohnzimmer ist eingerichtet wie ein völlig überladener Esoterikladen. Überall stehen finster dreinblickende Holzfiguren mit Haaren aus Stroh, Einmachgläser in denen irgendetwas undefinierbares schwimmt und jede menge Grünzeug. Inmitten dieses Sammelsuriums aus okkultem Krimskrams mit Dschungelflair steht ein kleiner tragbarer Fernseher, als letzte Bastion der Moderne. Über dem Bildschirm flimmern Cartoonroboter, die sich fröhlich und ohne Ton auf die Mütze hauen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und frage mich, welche Kinder wohl um kurz nach zwölf noch Zeichentrickfilme gucken.
Marie setzt sich mit zwei qualmenden Kaffeetassen zu mir.
„Na, bist du nicht ein wenig zu alt für so was?“, fragt sie.
Ich lächle, das erste Mal seit langem und schaue sie an.
Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt eine weite Adidas Trainingshose und einen schlabberigen Wollpullover.
„Du hast echt Schneid, muss ich sagen. Immerhin bin ich ein gesuchter Mörder.“
„Na ja, eigentlich hast du ihn ja nicht wirklich getötet, ich meine irgendwie schon, aber irgendwie auch wieder nicht.“
Sie schlurft einen Schluck heißen Kaffee, verzieht das Gesicht und pustet in die Tasse.
„Hast du vorher schon jemanden getötet?“, fragt sie.
„Zweimal“, antworte ich. „Beides mal hatte ich aber keine andere Wahl. Entweder die oder ich.“
„Und wie fühlt sich das an?“
Ich genehmige mir einen Schluck Kaffee und verbrenne mir die Lippen.
„Erzähl mir was über dich.“, sage ich und tue als hätte ich ihre Frage nicht gehört.
Marie zieht ihre Beine auf das Sofa, dann ihren Pullover über die Knie.
Aus der Küche dringt das Gemurmel von Maries Großmutter.
„Na ja, da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Mutter ist gestorben als ich fünf war. Meinen Vater kenne ich nicht, er hat sich verpisst bevor ich geboren wurde. Aufgewachsen bin ich hier, in dieser gemütlichen Gegend, bei meiner Oma.“
Sie reißt die Plastikfolie einer neuen Camel Packung auf, hält mir die Packung hin.
Ich schüttle den Kopf und sie zündet sich eine an.
 

MDSpinoza

Mitglied
Nette Geschichte, a pain in the ass to read, Dein Verhältnis zur Rechtschreibung ist, äh, etwas distanziert, das macht die Lekture nicht gerade leicht...
 

nemo

Mitglied
Naja, wie gesagt, die Geschichte ist bisher noch nicht korrigiert worden. Das mache ich (oder lasse es machen), wenn die Story soweit beendet ist.

gruss / nemo
 

Vieillir

Mitglied
Hi Nemo,

ich habe mich erstmal nur bis zu Seite 4 deiner Geschichte „durchkämpfen“ können. Aus Zeitgründen, weil ich bereits in den ersten Abschnitten schon so einiges fand was mir an deiner Geschichte nicht gefiel.
Das mit der Rechtschreibung wurde ja bereits erwähnt, deshalb will ich die mal völlig außer Acht lassen. Daneben gibt es auch einige ganz seltsame Satzgefüge, die ich ebenfalls nicht weiter kommentieren möchte. Du sagtest ja du willst die Geschichte später noch mal durchgehen.

Alles in allem fehlt mir in deinem Text die Konsequenz. Die Figuren wirken nicht immer ihrem Alter entsprechend und sind sehr klischeeüberladen. Das muß nicht unbedingt negativ bewertet werden, allgemein sind solche Charaktere ja sehr beliebt. Meinen persönlichen Geschmack treffen diese Typen, in all ihrer Durchschaubarkeit überhaupt nicht. Vor allem diese ununterbrochene Fäkalsprache ist mehr als abgedroschen, und langweilt deshalb mit jedem Satz mehr, weil man nach und nach die Hoffnung verliert irgendwann auch mal ein gescheites Wort zu hören. Und das ist eigentlich der Grund warum ich ein Buch lese. Der Einfallsreichtum des Autors.

Das alles ist aber, wie ich schon erwähnte auch eine Frage des Geschmacks. Ich mische mich ohnehin ungern in den Inhalt einer Geschichte ein und wenn sie dir so gefällt und du ein Publikum findest, denke ich schon dass es sich lohnen würde weiter an der Story zu arbeiten. Etwas mehr Tiefe würde ihr nicht schaden. Das muß nicht bedeuten, dass du aus deinen Charakteren Sensibelchen machst, aber du solltest eventuell mehr Geschichten erzählen und weniger Szenen schildern. Gerade am Anfang eines Textes solltest du den Leser erstmal etwas einlullen ehe du ihn gleich in Endlosszenen schickst an denen er vollkommen unbeteiligt ist, weil er niemand kennt der dort agiert.

Der erste Abschnitt mit dem Raben war um ehrlich zu sein sehr langweilig, dabei hat er Potential. Aber du verlierst dich im schnöden Schildern des Geschehens. Besonders als der Lastwagen ins Spiel kommt. Dazu jetzt genaueres:

Auf der Spitze der Ägyptischen Skulptur saß ein Rabe von beeindruckender Körpergröße, der, so schien es, den Sonnenuntergang beobachtete. Es war ein altes Tier; sein mit Narben verziertes Gesicht zeugte von vielen Kämpfen und sein Gefieder war matt und wies kahle Stellen auf.

Warum lässt du den Raben nicht einfach den Sonnenuntergang beobachten? Warum scheint es nur so? Verstehe ich nicht ganz.
Sich den Raben vorzustellen fällt etwas schwer. Besonders die kahlen Stellen. Hast du eine Ahnung wie dick so ein Rabengefieder ist und wie Feder um Feder aufeinander liegen? Kahle Stellen sind vielleicht dort möglich wo die Federn feiner und weicher sind. Eventuell an der Brust, am Hals oder am Kopf. Jede andere Stelle halte ich für mehr als unwahrscheinlich. In diesem Punkt solltest du dich sicherheitshalber noch mal genau erkundigen. Unabhängig davon ob es nun möglich ist oder nicht, halte ich dieses Bild weiterhin für schwer vorstellbar. Ich kann mir einen Hund mit kahlen Stellen vorstellen, eine Katze usw… Aber ein Rabe… der könnte womöglich gar nicht mehr fliegen…

Etwas weiter stürzt dieser dann wie ein Stein zu Boden… Kann ich mir auch nicht vorstellen. Vielleicht mangelt es mir hier ja an Phantasie, keine Ahnung.

Dann folgt die Szene mit den Mantelmännern, die ihre Umgebung fast so mustern als hätte sie etwas zu verbergen.
Warum fast?
Dem folgt dann dieses lange hin und her in diesem Lagerhaus. Erst die vielen Blicke links und rechts. Die Tür geht auf, rückwärts fährt der Van rein. Die Tür wird geöffnet. Kisten werden getragen, geöffnet, metallne Behälter, Gasgranaten, Maschinenpistolen. Es wird zügig beladen. Die Tür wird schwungvoll von innen geschlossen. Dann wird sich wieder umgeschaut, dann eingestiegen und endlich fährt der Transporter der eben noch ein Van und zu Anfang ein Lieferwagen war fort. (ich habs ja nicht so mit Autos aber unter einem Transporter stelle ich mir was anderes als unter einem Van vor. Vielleicht irre ich ja)
Wie dem auch sei. Das alles geschieht ohne auch nur ein einziges Bild zu bekommen. Ich weiß nicht was das für eine Lagerhalle ist, wie es darin aussieht, was darin vor sich geht, wer darin vor sich geht… warum niemand was sagt, nicht mal bestätigend nickt als er den Inhalt der Kisten sieht… da passiert gar nichts und das gleich ganz am Anfang. Da war ich ehrlich gesagt schon ziemlich gelangweilt. Da gabs keine Spannung, da gabs nichts zu sehen…

Der Vergleich mit dem Leichentuch wäre vielleicht ganz nett gewesen, wenn es sich nicht gerade um New York gehandelt hätte und Leichentücher nicht weiß wären.


„Ihr verfickten Penner, ihr geht jetzt alle auf den Boden sonst gibt’s Blut!“

Diesen Spruch finde ich absolut „blöde“. Was soll das heißen, sonst gibt’s Blut? Ich gebe zu darüber mag man sich streiten können aber… genauso gut könnte man ja sagen: Sonst gibt’s Eingeweide… oder Sonst gibt’s Hirnsaft. Verstehst du was ich meine? Diese Drohung ergibt für mich keinen Sinn da das Blut ja bereits da ist. Die Frage ist doch wo es landet, nicht ob es das gibt oder nicht.

Ich bin so’ne Art Ersatzbruder für Ihn. Er ist noch zu Jung um alleine klar zu kommen und von mir kann er noch’n paar Tricks lernen.

Sorry aber Ersatzbruder? Das ist ja fast so schlimm wie der Vater den ich nie hatte. Nichts gegen eine solche Bindung aber lass den Leser doch lieber selbst zu diesem Schluss kommen, das wäre nicht nur weniger klischeelastig, es würde der Geschichte auch einen weiteren Reiz geben. Ich mag es nicht wenn mir jemand so was vorkaut.


„Ich hab‘ hier zweihundert Mäuse die nach dir gefragt haben. Hast du was gutes
da?“ frage ich.


Das scheint mir etwas viel Geld für Gras. Das wär ja fast ne Einkaufstüte voll…


„Selber, Sack ! “ zische ich und verpisse mich schleunigst.

Das ist ja drollig, wie alt war der Kerl? 32?

„He Paulie, deine Blubbi ist fertig, komm schon !!“ rufe ich in den Raum.
Paulie füttert gerade seine Ratte.


Blubbi… nicht möglich!

„Verfickte Scheiße, wir haben jetzt drei Uhr morgens, ich bin dicht wie ein Otter und hab’nen Höllen Fresskick!“

Was ist ein Fresskick?

Ich kann gerade noch das Wort Arschloch an seinen Lippen ablesen, da fällt mein Blick schon auf das Telefonbuch.

Ich bin zwar kein Amerikakenner aber im Fernsehen rufen die immer die Vermittlung an ehe sie ein Telefonbuch suchen… und wer so einen Hunger hat…

„Bleib mal locker Paulie, da kannste noch was lernen!“ meckere ich zurück.

Meckere ich zurück… und dann diese ganze Unterhaltung über diesen Tierfilm. Anders umgesetzt wäre sie vielleicht glaubhaft, so wirkt sie eher albern.

Sein arrogantes Grinsen bleibt, und ich würde Ihm am liebsten die Eier wegtreten.

Wohin soll die Reise denn gehen?


"Paulie geh in Deckung!" schreie ich und setze mich in Bewegung.

Das sind mir zu viele Worte für ein sonst so eingespieltes Gangsterteam. „Paulie Deckung!“, sollte ausreichen.

Wir stellen unseren Wagen immer in der nähe der Feuertreppe ab, falls wir unerwünschten Besuch bekommen.

Die machen es ihren Feinden leicht, kein sehr narrensicherer Plan.

Ich packe es und ziehe es schreiend aus meinem Bein.

Das macht er jetzt aber nicht wirklich? Gerade im Oberschenkel… Ich weiß ja nicht wie es weitergeht, aber das ist schon ein arg leichtsinniges Verhalten von jemandem der scheinbar noch nicht vor hat zu sterben.


So weit, so gut. Nimm mir meinen „Verriss“ nicht übel. Es wird alles weniger heiß gegessen als es gekocht wird.
Wie gesagt, wenn dir die Story gefällt, lohnt sich eine Überarbeitung. Da lässt sich sicher was draus machen.

Liebe Grüße
Vieillir
 



 
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