Locke und der Pferdehändler

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wowa

Mitglied
Locke und der Pferdehändler

Nein, wirklich überrascht war ich nicht, als ich vom Tod Chuck Bibers erfuhr. Eher die Art und Weise war ungewöhnlich: Kopfüber von einer Brücke baumelnd mit durchschnittener Kehle wie ein Schwein, daß man ausbluten läßt.
Hier wäre er diskreter gestorben, drüben in Mexiko mögen sie es theatralisch, der Tod als Demonstration. Ihm kann es egal sein, aber die Flucht hätte er sich sparen können, er war schon vorher ein toter Mann. Ein Suizid wäre in seinem Fall das Vernünftigste gewesen. Wer sich das Kartell zum Feind macht, hat keine Chance, realistisch betrachtet.
Kennengelernt habe ich Locke im Knast, er hieß damals anders, Chuck Biber kam später. Im Knast war er Locke, alle nannten ihn so.
Ich hatte wegen bewaffnetem Raub und Körperverletzung zehn Jahre abzusitzen und kam gerade aus dem toten Trakt, Disziplinarstrafe. Drei Monate Kontaktsperre, Stille, täglich eine Stunde Hofgang allein, nachts eine hell erleuchtete Zelle und jede Stunde Kontrolle, wegen der Selbstmordgefahr. Sensorische Deprivation nennt sich das, machen sie gern, weil es keine körperlichen Spuren hinterläßt. Gelegentlich ist auch von weißer Folter die Rede, sensible Naturen zerbrechen daran. Ulrike Meinhof z.B. hat in den Siebzigern über die Folgen geschrieben, kurz bevor sie sich erhängte. Ich war jedenfalls in schlechter Verfassung, als sie mich zu Locke auf die Zelle verlegten.
Ich kannte ihn damals kaum, wir hatten unterschiedliche Kreise; ich war bei den White Eagles, er bei den Black Rebels. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum man uns zusammenschloß. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein harmonisches Miteinander. Minimale Unterschiede in den Lebensgewohnheiten führen in derartigen Situationen zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen, die das System mit gezielter Gewalt beantwortet. Aus dieser Athmosphäre aggressiver Körperlichkeit bezieht der Knast sein Recht auf totale Kontrolle. Würden aber die Gefangenen ihre Regeln dagegen setzen, könnten sie das Chaos beherrschen und das System verlöre an Einfluß.
Locke sah das ähnlich und so versuchten wir es erstmal im Kleinen.
Er war ein heller Junge. Kein Eierdieb, den die Verhältnisse ins Abseits gespült hatten. Sie konnten ihm einige Banküberfälle nachweisen, doch die Beute blieb verschwunden. Locke sagte, die wäre in die 3. Welt transferiert worden, an irgendeine Befreiungsbewegung, deren Namen ich vergessen habe. Eine schwer zu schluckende Geschichte von naiver, heroischer Selbstlosigkeit, aber die Überfälle waren spektakulär und professionell durchgeführt. Ich konnte mich noch an die Schlagzeilen erinnern.
Erwischt haben sie ihn schließlich durch Verrat und was den Verbleib der Beute betraf, beschlichen ihn damals die ersten, leisen Zweifel. Doch er blieb seinen Überzeugungen treu und diese Haltung verdient im Knast Respekt.
Nach einem Aufstand verlegten sie mich in einen Hochsicherheitsbau. Vorzeitige Entlassung war damit nicht mehr drin, ich ging über die volle Distanz und vor ungefähr fünfzehn Jahren war ich dann endlich wieder draußen.-
Wie wohl jeder, der seine Zeit abgerissen hat, schwor ich mir: Nie wieder!
Im Gegensatz zu den meisten andern hatte ich immerhin eine ungefähre Vorstellung von Zukunft. Vorsichtig reaktivierte ich meine alten Kontakte und mischte noch bei einigen hundertprozentigen Sachen mit, eher im Hintergrund, auf der logistischen Ebene. Egal, die Angst vor Verrat, Festnahme, Knast, diesmal für immer, wurde ich nicht mehr los. Paranoide Gangster sind eine echte Belastung für ihr Umfeld, entsprechend begrüßt wurde mein Ausstieg.
Mit den besten Wünschen und einem kleinen Kapital ließ ich mich auf dieser Insel nieder.
Pferde waren schon immer eine meiner Leidenschaften und die Zucht von Polopferden ist auf diesem Gebiet das lukrativste. Die Geschäfte entwickelten sich erstaunlich gut und heute verkaufen wir unsere Tiere auf drei Kontinenten. Demnächst steigen wir in den chinesischen Markt ein. Polo ist in Asien der kommende Sport.
Zurück zu Locke.
Vor drei Wochen fragte ein C. Biber, kanadischer Staatsbürger, nach einem kurzfristigen Besichtigungstermin. Das ist nicht ungewöhnlich, viele spätere Kunden möchten sich vor dem Kauf ein Bild von den Lebensumständen der Pferde machen. Wir unterhalten auf dem Gelände der Hacienda ein kleines Hotel, für potentielle Käufer ist dort immer etwas frei.
Ich sagte also zu und erwartete an dem bewußten Abend Mr. Biber und Frau. In der Dämmerung trafen sie ein.
Ein großgewachsenes nordamerikanisches Paar mit leichtem Gepäck, gutsituiert. Er mittleren Alters, Bauchansatz, schütteres, schwarzes Haar, vermutlich gefärbt. Sie jünger, eine natürliche Schönheit mit filigranen Falten um die Mundwinkel.
Wir verabredeten uns auf der Hotelveranda, ich bestellte das inseltypische Menü und beide aßen mit gutem Appetit. Missis Biber entschuldigte sich bald darauf, sie sei müde. Mr. Biber und ich blieben zurück in der subtropischen Nacht, tranken, rauchten und lauschten den Zikaden.
„Hübsch hast du es hier, Vova,“ sagte Mr.Biber.
Ich sah mich um. Wir waren allein.
Schlagartig produzierte das Gehirn eine Bilderflut: Locke, die Zelle, der Knast, die Demütigungen, die Gewalt.
Locke,- er hatte zugelegt und sein volles blondes Haar war schwarz und dünn geworden. Dazu noch die Brille, trotzdem, ich wunderte mich, ihn nicht sofort erkannt zu haben.
„Auch du hast dich verändert,“ sagte Locke. Hoffentlich, wir hatten schließlich beide die Nationalität gewechselt und eine andere Vergangenheit gewählt.
„Findest du es nicht ein bißchen fett, als Kanadier auch noch `Biber` zu heißen?“ sagte ich.
Er lachte: „Man nimmt, was da ist, wenn es schnell gehen muß.“
Ich nickte. Die Situation kannte ich.
Locke war in Schwierigkeiten. Je länger ich seiner etwas wirren Geschichte zuhörte, desto deutlicher wurde die Gefahr, die von diesem Mann ausging. Nach ihm wurde gefahndet. Nicht unter seinem aktuellen Namen und er war sicher, daß ihm niemand auf die Insel gefolgt war. Seine Tarnung war gut, zugegeben.
Soviel ich verstand, hatte er im Auftrag des mexikanischen Kartells den europäischen Markt öffnen sollen. Offenbar unterschätzte er jedoch die Macht der etablierten Strukturen und ihre Verbindungen zu den Behörden. Er schmierte die falschen Leute, konnte zentrale Figuren nicht neutralisieren und war wohl insgesamt etwas zu human für den Job. Jedenfalls hatte das Kartell einen Haufen Geld verpulvert und zitierte ihn nach Mexiko.
Das war gefährlich. Andererseits stand er hier auf diversen Abschußlisten und dort hatte er Freunde, die helfen würden, die Mißverständnisse zu klären. So hoffte er.
Ich war nervös. Sein überraschender Besuch führte mir drastisch die Zerbrechlichkeit meiner Existenz vor Augen. Er wollte mich nicht erpressen, das war es nicht. Geld war nicht sein Problem. Locke hatte mein Bild in der Zeitung gesehen, als sie mich zum erfolgreichsten Unternehmer des Jahres kürten und wollte einfach über alte Zeiten reden. Vielleicht auch seine Spuren mit dem Inseltrip verwischen. Andere hätten aus meinem Geltungsbedürfnis eine veritable Goldgrube gemacht. Verdammte Eitelkeit!
Für die folgende Nacht besorgte ich den beiden ein Boot und einen verläßlichen Mann, der sie ans Festland brachte. Dort wollten sie sich trennen. Missis Biber hatte keine Lust auf Mexiko und flog direkt in die USA. Sie wird es auch gewesen sein, schätze ich, die mir die mexikanische Zeitung mit dem gräßlichen Foto schickte.
Ich habe geweint, kurz und heftig. Er war mein Freund. Und in Zukunft werde ich vorsichtiger sein. Ich denke, das ist in seinem Sinn.
 

wowa

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Locke und der Pferdehändler

Nein, wirklich überrascht war ich nicht, als ich vom Tod Chuck Bibers erfuhr. Eher die Art und Weise war ungewöhnlich: Kopfüber von einer Brücke baumelnd mit durchschnittener Kehle wie ein Schwein, daß man ausbluten läßt.
Hier wäre er diskreter gestorben, drüben in Mexiko mögen sie es theatralisch, der Tod als Demonstration. Ihm kann es egal sein, aber die Flucht hätte er sich sparen können, er war schon vorher ein toter Mann. Ein Suizid wäre in seinem Fall das Vernünftigste gewesen. Wer sich das Kartell zum Feind macht, hat keine Chance, realistisch betrachtet.
Kennengelernt habe ich Locke im Knast, er hieß damals anders, Chuck Biber kam später. Im Knast war er Locke, alle nannten ihn so.
Ich hatte wegen bewaffnetem Raub und Körperverletzung zehn Jahre abzusitzen und kam gerade aus dem toten Trakt, Disziplinarstrafe. Drei Monate Kontaktsperre, Stille, täglich eine Stunde Hofgang allein, nachts eine hell erleuchtete Zelle und jede Stunde Kontrolle, wegen der Selbstmordgefahr. Sensorische Deprivation nennt sich das, machen sie gern, weil es keine körperlichen Spuren hinterläßt. Gelegentlich ist auch von weißer Folter die Rede, sensible Naturen zerbrechen daran. Ulrike Meinhof z.B. hat in den Siebzigern über die Folgen geschrieben, kurz bevor sie sich erhängte. Ich war jedenfalls in schlechter Verfassung, als sie mich zu Locke auf die Zelle verlegten.
Ich kannte ihn damals kaum, wir hatten unterschiedliche Kreise; ich war bei den White Eagles, er bei den Black Rebels. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum man uns zusammenschloß. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein harmonisches Miteinander. Minimale Unterschiede in den Lebensgewohnheiten führen in derartigen Situationen zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen, die das System mit gezielter Gewalt beantwortet. Aus dieser Athmosphäre aggressiver Körperlichkeit bezieht der Knast sein Recht auf totale Kontrolle. Würden aber die Gefangenen ihre Regeln dagegen setzen, könnten sie das Chaos beherrschen und das System verlöre an Einfluß.
Locke sah das ähnlich und so versuchten wir es erstmal im Kleinen.
Er war ein heller Junge. Kein Eierdieb, den die Verhältnisse ins Abseits gespült hatten. Sie konnten ihm einige Banküberfälle nachweisen, doch die Beute blieb verschwunden. Locke sagte, die wäre in die 3. Welt transferiert worden, an irgendeine Befreiungsbewegung, deren Namen ich vergessen habe. Eine schwer zu schluckende Geschichte von naiver, heroischer Selbstlosigkeit, aber die Überfälle waren spektakulär und professionell durchgeführt. Ich konnte mich noch an die Schlagzeilen erinnern.
Erwischt haben sie ihn schließlich durch Verrat und was den Verbleib der Beute betraf, beschlichen ihn damals die ersten, leisen Zweifel. Doch er blieb seinen Überzeugungen treu und diese Haltung verdient im Knast Respekt.
Nach einem Aufstand verlegten sie mich in einen Hochsicherheitsbau. Vorzeitige Entlassung war damit nicht mehr drin, ich ging über die volle Distanz und vor ungefähr fünfzehn Jahren war ich dann endlich wieder draußen.-
Wie wohl jeder, der seine Zeit abgerissen hat, schwor ich mir: Nie wieder!
Im Gegensatz zu den meisten andern hatte ich immerhin eine ungefähre Vorstellung von Zukunft. Vorsichtig reaktivierte ich meine alten Kontakte und mischte noch bei einigen hundertprozentigen Sachen mit, eher im Hintergrund, auf der logistischen Ebene. Egal, die Angst vor Verrat, Festnahme, Knast, diesmal für immer, wurde ich nicht mehr los. Paranoide Gangster sind eine echte Belastung für ihr Umfeld, entsprechend begrüßt wurde mein Ausstieg.
Mit den besten Wünschen und einem kleinen Kapital ließ ich mich auf dieser Insel nieder.
Pferde waren schon immer eine meiner Leidenschaften und die Zucht von Polopferden ist auf diesem Gebiet das lukrativste. Die Geschäfte entwickelten sich erstaunlich gut und heute verkaufen wir unsere Tiere auf drei Kontinenten. Demnächst steigen wir in den chinesischen Markt ein. Polo ist in Asien der kommende Sport.
Zurück zu Locke.
Vor drei Wochen fragte ein C. Biber, kanadischer Staatsbürger, nach einem kurzfristigen Besichtigungstermin. Das ist nicht ungewöhnlich, viele spätere Kunden möchten sich vor dem Kauf ein Bild von den Lebensumständen der Pferde machen. Wir unterhalten auf dem Gelände der Hacienda ein kleines Hotel, für potentielle Käufer ist dort immer etwas frei.
Ich sagte also zu und erwartete an dem bewußten Abend Mr. Biber und Frau. In der Dämmerung trafen sie ein.
Ein großgewachsenes nordamerikanisches Paar mit leichtem Gepäck, gutsituiert. Er mittleren Alters, Bauchansatz, schütteres, schwarzes Haar, vermutlich gefärbt. Sie jünger, eine natürliche Schönheit mit filigranen Falten um die Mundwinkel.
Wir verabredeten uns auf der Hotelveranda, ich bestellte das inseltypische Menü und beide aßen mit gutem Appetit. Missis Biber entschuldigte sich bald darauf, sie sei müde. Mr. Biber und ich blieben zurück in der subtropischen Nacht, tranken, rauchten und lauschten den Zikaden.
„Hübsch hast du es hier, Vova,“ sagte Mr.Biber unvermittelt auf deutsch mit leicht rheinischer Färbung.
Ich sah mich um. Wir waren allein.
Schlagartig produzierte das Gehirn eine Bilderflut: Locke, die Zelle, der Knast, die Demütigungen, die Gewalt.
Locke,- er hatte zugelegt und sein volles blondes Haar war schwarz und dünn geworden. Dazu noch die Brille, trotzdem, ich wunderte mich, ihn nicht sofort erkannt zu haben.
„Auch du hast dich verändert,“ sagte Locke. Hoffentlich, wir hatten schließlich beide die Nationalität gewechselt und eine andere Vergangenheit gewählt.
„Findest du es nicht ein bißchen fett, als Kanadier auch noch `Biber` zu heißen?“ sagte ich.
Er lachte: „Man nimmt, was da ist, wenn es schnell gehen muß.“
Ich nickte. Die Situation kannte ich.
Locke war in Schwierigkeiten. Je länger ich seiner etwas wirren Geschichte zuhörte, desto deutlicher wurde die Gefahr, die von diesem Mann ausging. Nach ihm wurde gefahndet. Nicht unter seinem aktuellen Namen und er war sicher, daß ihm niemand auf die Insel gefolgt war. Seine Tarnung war gut, zugegeben.
Soviel ich verstand, hatte er im Auftrag des mexikanischen Kartells den europäischen Markt öffnen sollen. Offenbar unterschätzte er jedoch die Macht der etablierten Strukturen und ihre Verbindungen zu den Behörden. Er schmierte die falschen Leute, konnte zentrale Figuren nicht neutralisieren und war wohl insgesamt etwas zu human für den Job. Jedenfalls hatte das Kartell einen Haufen Geld verpulvert und zitierte ihn nach Mexiko.
Das war gefährlich. Andererseits stand er hier auf diversen Abschußlisten und dort hatte er Freunde, die helfen würden, die Mißverständnisse zu klären. So hoffte er.
Ich war nervös. Sein überraschender Besuch führte mir drastisch die Zerbrechlichkeit meiner Existenz vor Augen. Er wollte mich nicht erpressen, das war es nicht. Geld war nicht sein Problem. Locke hatte mein Bild in der Zeitung gesehen, als sie mich zum erfolgreichsten Unternehmer des Jahres kürten und wollte einfach über alte Zeiten reden. Vielleicht auch seine Spuren mit dem Inseltrip verwischen. Andere hätten aus meinem Geltungsbedürfnis eine veritable Goldgrube gemacht. Verdammte Eitelkeit!
Für die folgende Nacht besorgte ich den beiden ein Boot und einen verläßlichen Mann, der sie ans Festland brachte. Dort wollten sie sich trennen. Missis Biber hatte keine Lust auf Mexiko und flog direkt in die USA. Sie wird es auch gewesen sein, schätze ich, die mir die mexikanische Zeitung mit dem gräßlichen Foto schickte.
Ich habe geweint, kurz und heftig. Er war mein Freund. Und in Zukunft werde ich vorsichtiger sein. Ich denke, das ist in seinem Sinn.
 

IDee

Mitglied
Locke ...

Hallo,
für mich hört sich diese Geschichte wie eine Einleitung zu etwas großen und spannenden an. Die Idee finde ich gut. Ein bisschen mehr Spannung täte dem aber keinen Abbruch.
Beste Grüße
IDee
 

holzwurm

Mitglied
Locke

Hallo wowa,
schöne Geschichte besonders gut der Schluss.
Eine kleine Anmerkung: ...dass er ihn den ganzen Tag nicht erkannt hat, wollte ich dem Prota. nicht so ganz abnehmen. Ich würde noch ein paar Emotionen einfügen z.B. Er war mir irgendwie vertraut etc.
LG Ellis
 

wowa

Mitglied
Locke und der Pferdehändler

Nein, wirklich überrascht war ich nicht, als ich vom Tod Chuck Bibers erfuhr. Eher die Art und Weise war ungewöhnlich: Kopfüber von einer Brücke baumelnd mit durchschnittener Kehle wie ein Schwein, daß man ausbluten läßt.
Hier wäre er diskreter gestorben, drüben in Mexiko mögen sie es theatralisch, der Tod als Demonstration. Ihm kann es egal sein, aber die Flucht hätte er sich sparen können, er war schon vorher ein toter Mann. Ein Suizid wäre in seinem Fall das Vernünftigste gewesen. Wer sich das Kartell zum Feind macht, hat keine Chance, realistisch betrachtet.
Kennengelernt habe ich Locke im Knast, er hieß damals anders, Chuck Biber kam später. Im Knast war er Locke, alle nannten ihn so.
Ich hatte wegen bewaffnetem Raub und Körperverletzung zehn Jahre abzusitzen und kam gerade aus dem toten Trakt, Disziplinarstrafe. Drei Monate Kontaktsperre, Stille, täglich eine Stunde Hofgang allein, nachts eine hell erleuchtete Zelle und jede Stunde Kontrolle, wegen der Selbstmordgefahr. Sensorische Deprivation nennt sich das, machen sie gern, weil es keine körperlichen Spuren hinterläßt. Gelegentlich ist auch von weißer Folter die Rede, sensible Naturen zerbrechen daran. Ulrike Meinhof z.B. hat in den Siebzigern über die Folgen geschrieben, kurz bevor sie sich erhängte. Ich war jedenfalls in schlechter Verfassung, als sie mich zu Locke auf die Zelle verlegten.
Ich kannte ihn damals kaum, wir hatten unterschiedliche Kreise; ich war bei den White Eagles, er bei den Black Rebels. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum man uns zusammenschloß. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein harmonisches Miteinander. Minimale Unterschiede in den Lebensgewohnheiten führen in derartigen Situationen zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen, die das System mit gezielter Gewalt beantwortet. Aus dieser Athmosphäre aggressiver Körperlichkeit bezieht der Knast sein Recht auf totale Kontrolle. Würden aber die Gefangenen ihre Regeln dagegen setzen, könnten sie das Chaos beherrschen und das System verlöre an Einfluß.
Locke sah das ähnlich und so versuchten wir es erstmal im Kleinen.
Er war ein heller Junge. Kein Eierdieb, den die Verhältnisse ins Abseits gespült hatten. Sie konnten ihm einige Banküberfälle nachweisen, doch die Beute blieb verschwunden. Locke sagte, die wäre in die 3. Welt transferiert worden, an irgendeine Befreiungsbewegung, deren Namen ich vergessen habe. Eine schwer zu schluckende Geschichte von naiver, heroischer Selbstlosigkeit, aber die Überfälle waren spektakulär und professionell durchgeführt. Ich konnte mich noch an die Schlagzeilen erinnern.
Erwischt haben sie ihn schließlich durch Verrat und was den Verbleib der Beute betraf, beschlichen ihn damals die ersten, leisen Zweifel. Doch er blieb seinen Überzeugungen treu und diese Haltung verdient im Knast Respekt.
Nach einem Aufstand verlegten sie mich in einen Hochsicherheitsbau. Vorzeitige Entlassung war damit nicht mehr drin, ich ging über die volle Distanz und vor ungefähr fünfzehn Jahren war ich dann endlich wieder draußen.-
Wie wohl jeder, der seine Zeit abgerissen hat, schwor ich mir: Nie wieder!
Im Gegensatz zu den meisten andern hatte ich immerhin eine ungefähre Vorstellung von Zukunft. Vorsichtig reaktivierte ich meine alten Kontakte und mischte noch bei einigen hundertprozentigen Sachen mit, eher im Hintergrund, auf der logistischen Ebene. Egal, die Angst vor Verrat, Festnahme, Knast, diesmal für immer, wurde ich nicht mehr los. Paranoide Gangster sind eine echte Belastung für ihr Umfeld, entsprechend begrüßt wurde mein Ausstieg.
Mit den besten Wünschen und einem kleinen Kapital ließ ich mich auf dieser Insel nieder.
Pferde waren schon immer eine meiner Leidenschaften und die Zucht von Polopferden ist auf diesem Gebiet das lukrativste. Die Geschäfte entwickelten sich erstaunlich gut und heute verkaufen wir unsere Tiere auf drei Kontinenten. Demnächst steigen wir in den chinesischen Markt ein. Polo ist in Asien der kommende Sport.
Zurück zu Locke.
Vor drei Wochen fragte ein C. Biber, kanadischer Staatsbürger, nach einem kurzfristigen Besichtigungstermin. Das ist nicht ungewöhnlich, viele spätere Kunden möchten sich vor dem Kauf ein Bild von den Lebensumständen der Pferde machen. Wir unterhalten auf dem Gelände der Hacienda ein kleines Hotel, für potentielle Käufer ist dort immer etwas frei.
Ich sagte also zu und erwartete an dem bewußten Abend Mr. Biber und Frau. In der Dämmerung trafen sie ein.
Ein großgewachsenes nordamerikanisches Paar mit leichtem Gepäck, gutsituiert. Er mittleren Alters, Bauchansatz, schütteres, schwarzes Haar, vermutlich gefärbt. Sie jünger, eine natürliche Schönheit mit filigranen Falten um die Mundwinkel.
Wir verabredeten uns auf der Hotelveranda, ich bestellte das inseltypische Menü und beide aßen mit gutem Appetit. Missis Biber entschuldigte sich bald darauf, sie sei müde. Mr. Biber und ich blieben zurück in der subtropischen Nacht, tranken, rauchten und lauschten den Zikaden.
„Hübsch hast du es hier, Vova,“ sagte Mr.Biber unvermittelt auf deutsch mit leicht rheinischer Färbung.
Ich sah mich um. Wir waren allein.
Schlagartig produzierte das Gehirn eine Bilderflut: Locke, die Zelle, der Knast, die Demütigungen, die Gewalt.
Locke,- er hatte zugelegt und sein volles blondes Haar war schwarz und dünn geworden. Dazu noch die Brille, trotzdem, ich wunderte mich, ihn nicht sofort erkannt zu haben.
„Auch du hast dich verändert,“ sagte Locke. Hoffentlich, wir hatten schließlich beide die Nationalität gewechselt und eine andere Vergangenheit gewählt.
„Findest du es nicht ein bißchen fett, als Kanadier auch noch `Biber` zu heißen?“ sagte ich.
Er lachte: „Man nimmt, was da ist, wenn es schnell gehen muß.“
Ich nickte. Die Situation kannte ich.
Locke war in Schwierigkeiten. Je länger ich seiner etwas wirren Geschichte zuhörte, desto deutlicher wurde die Gefahr, die von diesem Mann ausging. Nach ihm wurde gefahndet. Nicht unter seinem aktuellen Namen und er war sicher, daß ihm niemand auf die Insel gefolgt war. Seine Tarnung war gut, zugegeben.
Soviel ich verstand, hatte er im Auftrag des mexikanischen Kartells den europäischen Markt öffnen sollen. Offenbar unterschätzte er jedoch die Macht der etablierten Strukturen und ihre Verbindungen zu den Behörden. Er schmierte die falschen Leute, konnte zentrale Figuren nicht neutralisieren und war wohl insgesamt etwas zu human für den Job. Jedenfalls hatte das Kartell einen Haufen Geld verpulvert und zitierte ihn nach Mexiko.
Das war gefährlich. Andererseits stand er hier auf diversen Abschußlisten und dort hatte er Freunde, die helfen würden, die Mißverständnisse zu klären. So hoffte er.
Ich war nervös. Sein überraschender Besuch führte mir drastisch die Zerbrechlichkeit meiner Existenz vor Augen. Er wollte mich nicht erpressen, das war es nicht. Geld war nicht sein Problem. Locke hatte mein Bild in der Zeitung gesehen, als sie mich zum erfolgreichsten Unternehmer des Jahres kürten und wollte einfach über alte Zeiten reden. Vielleicht auch seine Spuren mit dem Inseltrip verwischen. Andere hätten aus meinem Geltungsbedürfnis eine veritable Goldgrube gemacht. Verdammte Eitelkeit!
Für die folgende Nacht besorgte ich den beiden ein Boot und einen verläßlichen Mann, der sie ans Festland brachte. Dort wollten sie sich trennen. Missis Biber hatte keine Lust auf Mexiko und flog direkt in die USA. Sie wird es auch gewesen sein, schätze ich, die mir die mexikanische Zeitung mit dem gräßlichen Foto schickte.
Ich habe geweint, kurz und heftig. Er war mein Freund. Und in Zukunft werde ich vorsichtiger sein. Ich denke, das ist in seinem Sinn.
 

wowa

Mitglied
Locke und der Pferdehändler

Nein, wirklich überrascht war ich nicht, als ich vom Tod Chuck Bibers erfuhr. Eher die Art und Weise war ungewöhnlich: Kopfüber von einer Brücke baumelnd mit durchschnittener Kehle wie ein Schwein, daß man ausbluten läßt.
Hier wäre er diskreter gestorben, drüben in Mexiko mögen sie es theatralisch, der Tod als Demonstration. Ihm kann es egal sein, aber die Flucht hätte er sich sparen können, er war schon vorher ein toter Mann. Ein Suizid wäre in seinem Fall das Vernünftigste gewesen. Wer sich das Kartell zum Feind macht, hat keine Chance, realistisch betrachtet.
Kennengelernt habe ich Locke im Knast, er hieß damals anders, Chuck Biber kam später. Im Knast war er Locke, alle nannten ihn so.
Ich hatte wegen bewaffnetem Raub und Körperverletzung zehn Jahre abzusitzen und kam gerade aus dem toten Trakt, Disziplinarstrafe. Drei Monate Kontaktsperre, Stille, täglich eine Stunde Hofgang allein, nachts eine hell erleuchtete Zelle und jede Stunde Kontrolle, wegen der Selbstmordgefahr. Sensorische Deprivation nennt sich das, machen sie gern, weil es keine körperlichen Spuren hinterläßt. Gelegentlich ist auch von weißer Folter die Rede, sensible Naturen zerbrechen daran. Ulrike Meinhof z.B. hat in den Siebzigern über die Folgen geschrieben, kurz bevor sie sich erhängte. Ich war jedenfalls in schlechter Verfassung, als sie mich zu Locke auf die Zelle verlegten.
Ich kannte ihn damals kaum, wir hatten unterschiedliche Kreise; ich war bei den White Eagles, er bei den Black Rebels. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum man uns zusammenschloß. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein harmonisches Miteinander. Minimale Unterschiede in den Lebensgewohnheiten führen in derartigen Situationen zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen, die das System mit gezielter Gewalt beantwortet. Aus dieser Athmosphäre aggressiver Körperlichkeit bezieht der Knast sein Recht auf totale Kontrolle. Würden aber die Gefangenen ihre Regeln dagegen setzen, könnten sie das Chaos beherrschen und das System verlöre an Einfluß.
Locke sah das ähnlich und so versuchten wir es erstmal im Kleinen.
Er war ein heller Junge. Kein Eierdieb, den die Verhältnisse ins Abseits gespült hatten. Sie konnten ihm einige Banküberfälle nachweisen, doch die Beute blieb verschwunden. Locke sagte, die wäre in die 3. Welt transferiert worden, an irgendeine Befreiungsbewegung, deren Namen ich vergessen habe. Eine schwer zu schluckende Geschichte von naiver, heroischer Selbstlosigkeit, aber die Überfälle waren spektakulär und professionell durchgeführt. Ich konnte mich noch an die Schlagzeilen erinnern.
Erwischt haben sie ihn schließlich durch Verrat und was den Verbleib der Beute betraf, beschlichen ihn damals die ersten, leisen Zweifel. Doch er blieb seinen Überzeugungen treu und diese Haltung verdient im Knast Respekt.
Nach einem Aufstand verlegten sie mich in einen Hochsicherheitsbau. Vorzeitige Entlassung war damit nicht mehr drin, ich ging über die volle Distanz und vor ungefähr fünfzehn Jahren war ich dann endlich wieder draußen.-
Wie wohl jeder, der seine Zeit abgerissen hat, schwor ich mir: Nie wieder!
Im Gegensatz zu den meisten andern hatte ich immerhin eine ungefähre Vorstellung von Zukunft. Vorsichtig reaktivierte ich meine alten Kontakte und mischte noch bei einigen hundertprozentigen Sachen mit, eher im Hintergrund, auf der logistischen Ebene. Egal, die Angst vor Verrat, Festnahme, Knast, diesmal für immer, wurde ich nicht mehr los. Paranoide Gangster sind eine echte Belastung für ihr Umfeld, entsprechend begrüßt wurde mein Ausstieg.
Mit den besten Wünschen und einem kleinen Kapital ließ ich mich auf dieser Insel nieder.
Pferde waren schon immer eine meiner Leidenschaften und die Zucht von Polopferden ist auf diesem Gebiet das lukrativste. Die Geschäfte entwickelten sich erstaunlich gut und heute verkaufen wir unsere Tiere auf drei Kontinenten. Demnächst steigen wir in den chinesischen Markt ein. Polo ist in Asien der kommende Sport.
Zurück zu Locke.
Vor drei Wochen fragte ein C. Biber, kanadischer Staatsbürger, nach einem kurzfristigen Besichtigungstermin. Das ist nicht ungewöhnlich, viele spätere Kunden möchten sich vor dem Kauf ein Bild von den Lebensumständen der Pferde machen. Wir unterhalten auf dem Gelände der Hacienda ein kleines Hotel, für potentielle Käufer ist dort immer etwas frei.
Ich sagte also zu und erwartete an dem bewußten Abend Mr. Biber und Frau. In der Dämmerung trafen sie ein.
Ein großgewachsenes nordamerikanisches Paar mit leichtem Gepäck, gutsituiert. Er mittleren Alters, Bauchansatz, schütteres, schwarzes Haar, vermutlich gefärbt. Sie jünger, eine natürliche Schönheit mit filigranen Falten um die Mundwinkel.
Wir verabredeten uns auf der Hotelveranda, ich bestellte das inseltypische Menü und beide aßen mit gutem Appetit. Missis Biber entschuldigte sich bald darauf, sie sei müde. Mr. Biber und ich blieben zurück in der subtropischen Nacht, tranken, rauchten und lauschten den Zikaden.
„Hübsch hast du es hier, Vova,“ sagte Mr.Biber unvermittelt auf deutsch mit leicht rheinischer Färbung.
Ich sah mich um. Wir waren allein.
Schlagartig produzierte das Gehirn eine Bilderflut: Locke, die Zelle, der Knast, die Demütigungen, die Gewalt, Deutschland. Es tat gut, deutsch zu sprechen.
Locke,- er hatte zugelegt und sein volles blondes Haar war schwarz und dünn geworden. Dazu noch die Brille, trotzdem, ich wunderte mich, ihn nicht sofort erkannt zu haben.
„Auch du hast dich verändert,“ sagte Locke. Hoffentlich, wir hatten schließlich beide die Nationalität gewechselt und eine andere Vergangenheit gewählt.
„Findest du es nicht ein bißchen fett, als Kanadier auch noch `Biber` zu heißen?“ sagte ich.
Er lachte: „Man nimmt, was da ist, wenn es schnell gehen muß.“
Ich nickte. Die Situation kannte ich.
Locke war in Schwierigkeiten. Je länger ich seiner etwas wirren Geschichte zuhörte, desto deutlicher wurde die Gefahr, die von diesem Mann ausging. Nach ihm wurde gefahndet. Nicht unter seinem aktuellen Namen und er war sicher, daß ihm niemand auf die Insel gefolgt war. Seine Tarnung war gut, zugegeben.
Soviel ich verstand, hatte er im Auftrag des mexikanischen Kartells den europäischen Markt öffnen sollen. Offenbar unterschätzte er jedoch die Macht der etablierten Strukturen und ihre Verbindungen zu den Behörden. Er schmierte die falschen Leute, konnte zentrale Figuren nicht neutralisieren und war wohl insgesamt etwas zu human für den Job. Jedenfalls hatte das Kartell einen Haufen Geld verpulvert und zitierte ihn nach Mexiko.
Das war gefährlich. Andererseits stand er hier auf diversen Abschußlisten und dort hatte er Freunde, die helfen würden, die Mißverständnisse zu klären. So hoffte er.
Ich war nervös. Sein überraschender Besuch führte mir drastisch die Zerbrechlichkeit meiner Existenz vor Augen. Er wollte mich nicht erpressen, das war es nicht. Geld war nicht sein Problem. Locke hatte mein Bild in der Zeitung gesehen, als sie mich zum erfolgreichsten Unternehmer des Jahres kürten und wollte einfach über alte Zeiten reden. Vielleicht auch seine Spuren mit dem Inseltrip verwischen. Andere hätten aus meinem Geltungsbedürfnis eine veritable Goldgrube gemacht. Verdammte Eitelkeit!
Für die folgende Nacht besorgte ich den beiden ein Boot und einen verläßlichen Mann, der sie ans Festland brachte. Dort wollten sie sich trennen. Missis Biber hatte keine Lust auf Mexiko und flog direkt in die USA. Sie wird es auch gewesen sein, schätze ich, die mir die mexikanische Zeitung mit dem gräßlichen Foto schickte.
Ich habe geweint, kurz und heftig. Er war mein Freund. Und in Zukunft werde ich vorsichtiger sein. Ich denke, das ist in seinem Sinn.
 



 
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