Lou Reed in concert

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen

knychen

Mitglied
Lou Reed in concert

Es war der zweite oder dritte Titel, die Vorband hatte mich eh nicht überzeugt, als Lou’s Bassist eröffnete. Ganz dumpf begann er zu spielen, kaum wahrnehmbar, die ersten Töne hörte man überhaupt nicht, aber man wußte, man spürte, er spielt schon.
Ich dachte nur „Von wo kommt das Aas?“ und meinte natürlich den Bass. Er war überall, wie eine lauernde Gefahr. Und dann sah ich ihn kommen.
Er hatte sich von der Bühne ins Parkett begeben und wühlte sich nun wie ein rußbeschmierter Dschungelkrieger durch die Dielung des Fußbodens.
Die engstehende Masse der gleich mir auf die große Show wartenden Fans machte es mir unmöglich, auszuweichen und so trafen wir uns etwa drei Meter vor der Bühne , der Bass und ich.
Direkt unter mir war er zum Stehen gekommen, wohl um die Stärke des Bodens zu peilen und jetzt begann er zu bohren.
Er bohrte sich durch das Holz, er bohrte sich durch die Gummisohlen meiner gewiss recht soliden Schnürschuhe, selbst meine verschwitzten Socken waren ihm kein Hindernis. Er verharrte kurz an der Hornhaut meiner Füße, aber aufhalten ließ er sich nicht. Er ging schlichtweg unter die Haut, direkt ins Blut und ergriff somit langsam Besitz von meinem Körper.
In diesem Augenblick schoß Lou Reed’s Gitarre ein glasklares Riff ab.
Es kam aus den Boxen und auf dem Weg zu mir verwandelte es sich in ein sichtbares glänzendes, akustisches Geschoß. Einen Hauch vor meiner Stirn spaltete sich der Ton, umschmeichelte die Schläfen, zeichnete die Windungen der Ohrmuscheln nach, um dann im Inneren meines Kopfes zu verschwinden.
Ohren, Hirn, Rückenmark und dann der Showdown mit dem von unten kommenden Bass auf Höhe des Bauchnabels.
„ICH MUSS TANZEN !“
Einzig möglicher Gedanke bei mir und gleichzeitig die Erkenntnis „Scheiße, kein Platz!“
Aber dann fiel mir ein, daß ich ja fliegen konnte und Augenblicke später schwebte ich über den Köpfen der staunenden und teilweise neidischen Fans.
Von noch weiter oben hörte ich den Ruf „Ronald!“
Mittlerweile geübt im Sichtbarmachen von Tonspuren und somit problemlos den Ursprung des Rufes erkennend, entdeckte ich auf der Galerie-die Melanie.
„Komm tanzen!“ rief ich und um die Worte zu unterstreichen, machte ich einen ziemlich misslungenen Kratzfuß.
Sie zog die Achseln hoch, streckte beide Arme mit nach vorn gerichteten Handflächen nach unten, zog den Kopf ein und sah aus wie ein wunderschönes bildgewordenes „WIE ?“
„Tanz einfach, es geht!“ brüllte ich und dann kam sie angeschwebt und wir tanzten dreidimensional, als hätten wir uns nie anders bewegt.
Lou und seine Band schauten zwar sehr interessiert, ließen sich als Vollprofis jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
Nach dem furios ausgespielten Finale und anschließendem frenetischen Applaus sah Lou nach oben, zeigte mit dem Finger auf uns und sagte: „I don’t know, how it goes, but it’s cool.“
Das Konzert wurde noch sehr schön.
 
R

ralph raske

Gast
ein schönes erlebnis

lou reed ist einer meiner lieblingsrocker
gratuliere für den guten geschmack

ralph
 

knychen

Mitglied
geschmack ist erziehungssache und läßt sich in sachen musik unendlich fortführen( cale, iggy, grayfolded, sonic youth etc.)
kritik zum geschriebenen wäre mir lieber gewesen, egal wie sie ausfällt, man ist ja noch lernfähig.
trotzdem schönen dank
 
R

ralph raske

Gast
lou reed hat einfach klasse!

kann ich nachvollziehen
soll ich sagen: ich finde deine story ganz nett
aber sie reißt mich nicht vom hocker
kannst du damit mehr anfangen?
auch literatur ist eben geschmackssache
und beurteilungen absolut subjektiv
selbst von sogenannten professionals

ralph
 

GabiSils

Mitglied
Hübsch, knychen. Du hast da ein paar sehr nette Bilder gefunden; "ein wunderschönes bildgewordenes WIE?", z.B.

Lou Reed ist cool :)

Gruß,
Gabi
 

katia

Mitglied
gut

sehr gut beschrieben, knychen. diese umschreibung von "unter die haut gehen" hast du derart gut beschrieben, dass die erwähnung dieser allseits bekannten wortgruppe deiner super beschreibung die würze nimmt. oder kurz: weniger ist mehr. walze doch lieber die beschreibung noch ein bissel weiter aus...und der letzte satz ist überflüssig per meiner meinung. wer zu diesem zeitpunkt noch nicht kapiert hat, wie nahe dir das konzert ging und was der bass von lou reed mit dir gemacht hat - für den ist dann auch dieser satz nicht mehr nötig.

durch dich war ich jedenfalls live dabei!! danke!

sagt
kati
 
V

vanHoughten

Gast
warst du auch im Schillertheater?
okay, getanzt hat da niemand ...oder vielleicht doch???
ich hab nich nach oben geschaut, weil ich von oben geschaut hab ;-)
aber ich hab es ganau so gefühlt wie du es beschrieben hast
trotzdem ich denke is nich für jeden nachvollziebar ALDIweil ...
gehört schon auch ne mächtche Portion FANatismus dazu ;-)
und ein gewisses Erkennen dieser musikalischen Mystik
Warst du eigentlich auch im Columbia Fritz bei Spiritualized??? Das war auch ein mächtiger Trip.
Am Tag danach Ludwig Hirsch (wieder im Schillertheater) das war enttäuschend.:-((
sicher hat der sein "Geburtstagsgeschenk" auch nur von den Velvets geklaut.
 

knychen

Mitglied
hallo katia, hallo vanHoughten,
erstmal an dich, katrin: schön, daß es den live-eindruck erweckt hat. haste 56,50 DM gespart. ich hab die geschichte lange nicht gelesen und jetzt, wo du sagst, was du als leicht störend empfindest, bekomme ich richtig lust, noch mal dran zu arbeiten. allerdings bin ich jetzt nicht mehr so dicht dran wie damals. mal sehen.
nö, vanHoughten, das war nicht der auftritt im schillertheater. das war in der columbiahalle im april 2000.
falls du dort warst, wirst du dich vielleicht an den titel "small town" von der reed/cage-scheibe "songs for drella" erinnern. beim ersten anspielen des titels flog eine endstufe durch und lou war mächtig verärgert. das sind ja so die aktionen, die er überhaupt nicht mag. wahrscheinlich wegen dieser panne haben sich dann alle mächtig ins zeug gelegt und den titel perfekt und doch völlig anders als auf der cd gebracht. er ging wirklich (entschuldigung katrin) unter die haut.
aber im schillertheater waren wir natürlich auch und ich habe reed noch nie so aufgeräumt und zugänglich erlebt.
nur dieser anthony war nicht so mein ding.
wie du schreibst, scheinst du ja viel zeit und geld für tickets zu haben. ich kann das kulturelle angebot berlin's leider nicht genügend ausnutzen.
aber reed, cage, pop, madrugada und letztens auch suicide (geniales konzert) lassen wir uns nie entgehen.
heute abend ist party und exakt diese musik wird auf heavy rotation laufen.
gruß aus dem sonnigen adlershof von knychen
 
V

vanHoughten

Gast
2000 war ich auch dabei, allerdings in Dresden. War auch cool.
Wart ihr also auch im Schillertheater ..., daß wir uns da nicht begegnet sind *ggg*
ich hatte einen echt geilen Platz, Rang erste Reihe Platz 1.
War sowas von geil :) Bierchen vor mir aufm Podest, bester Blick, Füße hoch, hab Onkel Lou geschaut wie im Fernsehn und war völlig abgehoben. diesen Platz hab ich mir dann auch für Ludwig Hirsch reserviert, aber na ja, war halt für mich bißchen enttäuschend, weil ich Video von ihm hab welches Anfang der Neunziger bei nem Neujahrskonzert aufgenommen wurde und das war immernoch dasselbe. Die gleichen Sprüche, aufs Wort genau, hätch mir auch das Video von vor 10 Jahren reinziehn können.
Während die 5 mal Onkel Lou immer ein anderes Erlebnis waren. Spiritualized (2 mal) übrigens auch.
Kannst dich drann erinnern als zum Schluß des Konzertes so'ne Kirsche hoch auf die Bühne gestürmt is und Onkel Lou so'n Blümchen überreicht hat? Flower-Power, als ob er (wie die anderen Velvets übrigens auch, nicht) irgendwas mit der Hippigeneration am Hut hatte, außer das sie der genau konkrete Gegenpol waren. Naja und so befremdet hat er ja dann auch geschaut und hast ja gesehn wie er es gewürdigt hat. Verdammte Dekadenz ... wie ich ihn dafür liebe, keiner bringt das so wie ER ;-)
 



 
Oben Unten