Luca

sophie

Mitglied
[Suzanne Vega: Luka. "My name is luka, I live on the 2nd floor. I live upstairs from you, maybe you've seen me before. If you hear something late a night, some kind of trouble, some kind of fight. Just don't ask me what it was."]


Der Tag begrüßte die Nacht und Sonne und Mond standen sich gegenüber. "Heute ist ein guter Tag zu sterben!" murmelte Luca.
Er lag auf seinem Bett. Das Kopfkissen zu einem Ball zusammengeknüllt, die Bettdecke bis über beide Ohren gezogen, der Körper wohlig in das Wärmetuch gewickelt, mit Jeans und Pulli. Tränen kullerten über seine Wangen und verschwanden in der Zudecke. Diese saugte eifrig die salzige Substanz auf und nährte sich an ihr.
Leise herzergreifende Schluchzer drangen gedämpft durch das Federbett.
Er weinte und die Einsamkeit fraß sich Stückchen weise in sein kleines doch so erfülltes Herz.
Langsam quälte er sich aus seinem Bette und trocknete sich die Wangen mit einem zarten Taschentuch. Die traurigen Augen starrten hilflos auf und ab, sie durchsuchten jeden Zentimeter des Zimmers. Immer wieder schüttelte er seinen Kopf von links nach rechts, zog die Nase hoch und spürte all den wässrigen Schnupfen auf seiner Zunge. Er schluckte, verzog das Gesicht und versuchte sich vorzustellen, wie sein Magen über dieses Geschenk reagieren würde. Freut er sich? Ärgert er sich? Vielleicht bestraft er mich mit Bauchkrämpfen, Durchfall, Brechreiz.... als er sich über seinen Magen und die Art der Bestrafung genug Gedanken durch alle Ecken seines Gehirns fließen ließ, stelle er fest wie unsinnig sie doch seien.

Er wollte sterben, kein trostloses Leben auf diesem Planeten ernten, jung und schön sterben, verschwinden und nichts zurücklassen, dem Alltag entfliehen. Er erinnerte sich an Geschichten seiner Oma, alle Menschen hätten Flügel und das Leben nach dem Tod sei Erfüllung und höchste Befriedigung. Zwar schenkte er ihren Worten kein Vertrauen, aber heimlich hoffte er auf ein Fünkchen Wahrheit.
In seinem Eifer hatte er vergessen einen heldenhaften Tod zu wählen. Alles hatte er geplant, alles - nur seinen Tod nicht. Aufhängen kam nicht in Frage, die Angst doch an Durchfall zu leiden und stinkend von Wildfremden Menschen gefunden zu werden, erschien ihm schrecklich. Gar unangenehm.
Auch in den Kopf wollte und konnte er sich nicht schießen. Vor ein paar Tagen las er im Lokalteil, seiner Heimatzeitung von einer jungen Frau, die ihrem Leben per Kopfschuß ein Ende bereiten wollte.
Sie hatte keine Erfahrung im Umgang mit Pistolen. Statt des erlösenden Kopfschusses, traf die Kugel ihr rechts Ohr. Nun liegt sie gehörlos, mit zerfetztem Ohr im Krankenhaus. Die Vorstellung gehörlos und einem hässlichen, zerrissenem Ohr all das Leid der Welt ertragen zu müssen, veranlasste Luca den Kopfschuß auszuschließen.
Er könnte sich vor einen Zug werfen. In der Nähe seines Hauses befand sich eine ICE-Schnellstrecke. Diese Art zu sterben wollte er auch ausschließen, sie schien zu riskant. Die Mutter einer Bekannten hatte Pech. Beim Selbstmordversuch trennte der Zug ihr nur beide Beine ab. Ein Leben lang im Rollstuhl vegetieren schien noch trostloser zu sein, als auf dieser Welt gesund durchzuhalten. Die Angst vor einen Zug zu springen pochte zusätzlich in seinem Kopf. Gedanken, er würde das Leben doch lieben überfielen ihn. Mit schüttelndem Haupt grübelte er weiter.
Von einem Hochhaus, einer Brücke, einer Treppe.. wollte er auch nicht springen. Luca wünschte sich schön zu sterben, einfach einschlafen und nie wieder aufwachen, solch ein Tod wäre wunderbar. Er wollte keine hässliche entstellte Leiche sein, schön wolle er sterben und im Sarg liegen. Seine Eitelkeit verfolgte ihn bis in den Tod. Mit Schlaftabletten könnte er einen Versuch wagen oder er würde sich die Pulsadern aufschneiden, vielleicht würde er sich auch vergiften. Doch die Angst vor Magenkrämpfen und mit Schmerz verzerrtem Gesicht in die Leichenstarre zu fallen, beängstigte ihn.
Da sich Luca mit einem elektrischen Rasierer das Gesichtshaar stutze, hatte er keine Rasierklingen.
Auch die Schlaftabletten fehlten ihm. Er könnte seinem Opa ein paar Pillen stehlen, dieser stopfte von Valium über Morphium, stärkste Schlafmittel und sämtliche Putsch- wie Down-Mittelchen in sich. Eine gute Mischung dachte sich Luca. Ups und Downs und Sleepis. Ein guter Rausch für das Ende.

Luca gähnte, erhob sich von seinem Stuhl und ging ins Bad, dort putze er sich die Zähne und zupfte sein Haar in Form. Schlüssel, Zigaretten und Feuerzeug ließ er in seine Jackentasche gleiten und verließ das Haus. Ein kalter Wind zerzauste sein Haar. Die Straßen wirkten verloren, leer und ausgebrannt. Er liebte diese Leere, atmete einmal tief ein und aus, sein Blick schweifte von links nach rechts. Der Opa hauste nicht länger als 10 Minuten entfernt. Der Einsame zündete sich eine Zigarette an, zog genüßlich den Rauch in seine Lungen und ließ ihn durch die Nase entweichen.
Im Vorgarten des Opas lag die rot getigerte Katze des Nachbars. Luca sah sich um und beobachtete drei kleine Kinder die in der Nähe Krieg spielten. Sie rannten mit Bundeswehrklamotten und Wasserpistolen hintereinander her und schrieen um die Wetter: "Du bist tot, ich habe Dich mit 3 Schüssen erledigt!" Traurig wünschte sich Luca reale Waffen und die Kinder würden ihn in ihrem Krieg erschießen. Vielleicht würden sie ihn auch hinrichten. Stilvoll und mit Würde.
Als er so die Kinder beobachtete und hin und wieder zum Haus des Opas schielte, sah er die heruntergelassenen Rolladen und den von Werbung überfüllten Zeitungskasten. Es ratterte wie wild in seinem Kopf, die Gedanken tanzten um die Wette. Als ob tausend kleine Wimpern von seinen Augen flatterten, erinnerte er sich an die letzten Worte seine Opas: "Ich bin für über 3 Monate in Italien, bei Silvia - Du brauchst nichts machen, der Nachbar gießt meine Blumen und hat einen Briefkastenschlüssel......" vor vier Tagen reiste er ab.
Wütend über sich selbst und der leeren Taschen, die so schön mit Tabletten gefüllt seien könnten, schlug er mit fester Faust in die Luft. Er ließ sich auf die Kante des Gehweges gleiten und seufzte bitterlich. Wie konnte er nur den Urlaub vergessen. Den Kopf zwischen beiden Armen vergraben, biß er sich vor Wut auf die Zunge. Es spürte das warme Blut in seinem Mund und dachte daran sich Rasierklingen zu kaufen. Mit beiden Augen schielte er kurz auf die Uhr. 16:12 Uhr. Die Geschäfte schließen Samstags um 16 Uhr.

Er könnte Jörg besuchen und ihn um ein bis zwei Rasierklingen bitten. Doch müsste er sich erklären, Jörg war nicht dumm und wußte, dass Luca nur einen elektrischen Rasierer benützte.
Er könnte seinen Freund belügen und sagen, er hätte sich einen neuen, speziell für Rasierklingen gekauft. Er habe einen Umweltliebestick entwickelt und wolle Strom sparen. Jörg würde ihn sicherlich fragen um welche Marke, welches Gerät es sich handle.
Es war aussichtslos. Er kannte sich weder mit Marken noch mit irgendwelchen Geräten aus. Somit war das Thema Jörg gestorben.
Luca verfiel in einen nicht zu stoppenden Lachanfall. Er kugelte sich über den Gehweg, bis sein Bauch schmerzte. Welches Pech bzw. Glück verfolgte ihn nur heute.
War es nicht ein guter Tag zu Sterben?
Als er sich beruhigt hatte, gab er sich einen Ruck, stand auf und trottete Nachhause. Er hatte noch zwei Flaschen Rotwein und im Kühlschrank warteten vier Flaschen kühles Bier auf ihn. "Es ist kein guter Tag zu sterben, doch ein guter Tag zu saufen allemal." dachte er gleichgültig und zuckte mit den Achseln.
 



 
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