Lycanthropulus

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Mazirian

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Lycanthropulus

Ein widerwärtiger Tag war das. Kalt, grau und nass - wie eine tote Ratte in der Regentonne. Kemmetmüller stand mit hochgeschlagenem Kragen unter dem Vordach des Bibliotheksportals. Hin und wieder schaute er auf die Uhr, dann die Straße hinab, die Straße hinauf … wieder auf die Uhr. Und wenn er das einmal durch hatte, seufzte er tief. Er hätte ja lieber geflucht, aber vielleicht tat er ihr damit Unrecht. Vielleicht konnte sie ja gar nichts dafür - war aufgehalten worden oder so …
Andererseits: so lange hatte Ricarda ihn noch nie warten lassen. Fast eine Stunde jetzt. Er presste die Lippen zusammen und schlenkerte ein wenig mit der Aktentasche. Nicht zu wild, damit die Leute nicht guckten - oder Anlass zum Gucken haben könnten. Er stand sowieso schon viel zu lange hier draußen. Mit Sicherheit sah das merkwürdig aus für jemanden, der ihn beobachtete.
Sollte er noch einmal hineingehen und dort warten? Besser nicht. Ricarda würde sicher nicht anhalten, wenn sie ihn nicht vor der Tür stehen sah. Und er würde nicht schnell genug wieder draußen sein, um ihr zu winken.
Kemmetmüller drehte sich um, schaute steil nach oben und las zum x-ten Mal die Goldschrift über dem Eingang: "Der Kunst und dem Volke". Er lächelte schwach. Das war doch was - oder?
Die große Glastür unter der Schrift öffnete sich. Kotlewsky kam heraus und tänzelte leichtfüßig die Treppe hinunter. Kotlewsky war sein Büronachbar. Er betreute die Slavistik-Abteilung und Kemmetmüller die Altgriechische Literatur.
"Na Bruno, hat dich deine Frau vergessen?"
Kemmetmüller spürte wie er leicht errötete – und sich plötzlich unbehaglich zu fühlen begann. Wenn er auch nicht genau wusste, warum.
"Nee nee, Gerhard, hat sich wohl nur ein bisschen verspätet. Die kommt schon noch", rief er und nickte betont zuversichtlich.
Kotlewsky hielt inne, schien einen Moment lang zu überlegen und trat zu Kemmetmüller hin. Er stellte seine Aktentasche zwischen die Beine und zündete sich eine Zigarette an.
"Eine rauch ich noch mit dir. Dann musst du nicht so alleine hier rum stehen."
"Ja danke, ist ganz schön nervig bei dem Wetter."
Kotlewsky nahm einen tiefen Zug, pustete den Rauch rücksichtsvoll nach oben und sagte:
"Passiert immer öfter in letzter Zeit, was?"
"Was?"
"Na, dass deine Frau sich verspätet, wenn sie dich abholen soll."
Kemmetmüller zuckte verlegen die Achseln. Kotlewsky hatte recht, aber das gab man natürlich nicht gerne zu.
"Och joh, eigentlich … ich meine, ich führ da nicht Buch drüber. So was kommt schon mal vor - oder?"
"Und jedesmal lässt sie dich länger warten, stimmts?", forschte Kotlewsky weiter.
"Pffh", Kemmetmüller blies die Backen auf und breitete die Arme aus. "Weiß nicht, kann schon sein. Was…".
"Und heut hat sie dich sogar ganz vergessen." Es klang wie eine sichere Feststellung und fühlte sich an wie ein Dolchstoß zwischen die Rippen der Seele. Kemmetmüller schwieg und sah aus, als wolle er jeden Moment davonrennen. Aber Kotlewsky legte ihm in einer väterlichen Geste die Hand auf die Schulter.
"Hast du dir schon mal Gedanken drüber gemacht, warum das so ist?", fragte er ernst.
"Gedanken…? Ich weiß nicht. Wir sind jetzt acht Jahre verheiratet. Da ist es natürlich nicht mehr so wie am Anfang. Da schleift sich manches ab. Moment, ich glaub ...", er drehte sich nach einem vorbeikommenden roten Kombi um und schaute so, als ob es Ricarda hätte sein können.
"Blödsinn! Und das weißt du!", knurrte Kotlewsky barsch. Er bohrte sich den Daumen in die eigene Brust und sagte: "Ich! Ich hab mir Gedanken gemacht. Und weißt du warum?"
Kemmetmüller schüttelte zaghaft den Kopf.
"Weil's mir genauso ging! Darum. Weil ich immer mit dem Bus fahren musste, wenn meine Frau das Auto zum Spazierenfahren brauchte und weil ich meinen Geburtstagskuchen selber backen musste und … und ich sag dir, es liegt an uns selbst!"
"An uns?"
"Mensch Bruno, hast du denn gar keine Ahnung vom Leben? Sieh uns doch mal an. Was sind wir? Bibliothekare! Blasse, schwächliche, blutarme Bücherwürmer. Leisetreter, Waschlappen! Nur ein Buchhalter ist noch fader als ein Bibliothekar. Das einzig Interessante an uns ist, dass wir jeden Monat unser Gehalt nach Hause bringen. Meinst du, dass sich irgendeine Frau so einen richtigen Mann vorstellt? Einen der sie beschützt? Der ihr überlegen ist? Zu dem sie aufschauen kann? Der sie begehrt und einfach nimmt, wenn ihm danach ist?"
"Gerhard, ich weiß nicht, ob das …", begann Kemmetmüller, aber Kotlewsky war richtig in Fahrt gekommen:
"Ich hab mir den Typ genau angesehen, mit dem ich Liselotte damals im Schuppen erwischt hab. Ein versoffener, ungepflegter Paketdienstfahrer war das. Unrasiert und mit einem karierten Hemd an, das wie ein alter Turnschuh gestunken hat. Aber er hat's ihr besorgt, dass sie die halbe Nachbarschaft zusammen geschrieen hat. Und sie ist zu ihm in sein Dreckloch gezogen und hat ihm acht Wochen lang die Unterhosen waschen dürfen, bevor er sie achtkantig wieder rausgeschmissen hat." Vom Rand des Vordachs tröpfelte Regenwasser und löschte seine Zigarette. Mit einer rabiaten Geste pfefferte er sie in die Blumenrabatten und schaute sich hastig um, als ihm bewusst wurde, dass er fast geschrieen hatte. Dann drehte er sich wieder zu Kemmetmüller, machte schmale Augen und hob den Zeigefinger.
„Und als Bärmeyers Frau dann das Kind von ihrem Fitness-Trainer gekriegt hat, da ist mir klar geworden, wo's bei mir gefehlt hat. Und bei dir übrigens auch."
"Wo denn?", fragte Kemmetmüller schüchtern. Kotlewskys Ausbruch machte ihm ein bisschen Angst.
"Der animalische Faktor! Das Tier im Mann! Das ist es, was die Frauen wirklich beeindruckt. Sie wollen den Wolf heulen und den Löwen brüllen hören, nicht das Piepsen eines Bücherwurms", er spuckte das letzte Wort aus wie eine ranzige Pistazie. "Männer wie uns verachten sie und benutzen uns nur als Dienstboten und Hofnarren."
"Aber du hast doch erzählt, dass Liselotte wieder bei dir ist und ihr euch prima versteht. Und du bist immer noch Bibliothekar."
"Das stimmt schon. Aber ich hab auch was getan dafür. Und wie du siehst, geht's mir jetzt blendend. Liselotte frisst mir aus der Hand; und wenn sich mal wieder jemand im Schuppen vergnügt, dann bin ich das und Liselotte ist stolz drauf, dass ich so einen Schlag bei den Frauen hab. So muss das gehen."
Kemmetmüller biss sich auf die Unterlippe und nickte zögernd. Da war was dran. Kotlewsky hatte sich verändert in letzter Zeit. Er wirkte irgendwie freier, dynamischer, männlicher. Die Art wie er sprach und sich bewegte, wie er immer im Mittelpunkt stand - souverän und dominant, locker und doch voller Spannkraft. Das war ein anderer Kotlewsky, als der, den er noch vor einem halben Jahr gekannt hatte.
"Und … was hast du getan?"
"Weißt du, ich beobachte dich schon eine ganze Weile, wie du immer hier stehst und wartest und von deiner Frau ignoriert wirst. Ich hab auch mitgekriegt, dass sie nie zu Hause ist, wenn du Mittags anrufst. Und du hast mir leid getan. Deshalb hab ich beschlossen, dir zu helfen und dich dran teilhaben zu lassen." Er bückte sich zu seiner Aktentasche hinunter nahm ein schmales, in brüchiges Leder gebundenes Buch heraus und reichte es Kemmetmüller.
"Hier, das hab ich letzten Winter im Bibliothekskeller gefunden. War ein reiner Zufall aber seitdem ist alles anders geworden."
"De Re Bestialica", las Kemmetmüller laut vor. Die Buchstaben auf dem Deckel waren in das Leder eingeprägt, aber von dem Gold, mit dem sie einst ausgelegt waren, konnte man nur noch Spuren erkennen. Das Buch musste sehr alt sein. "Sieht mir nach Alchimie oder Okkultismus aus", sagte er und verstaute es rasch in seiner eigenen Tasche - immerhin musste es sehr wertvoll sein, und so etwas durfte auch ein Bibliothekar nicht einfach mit nach hause nehmen.
"Weisheit!", verbesserte ihn Kotlewsky. "Uralte, vergessene Weisheit. Älter als der Quatsch, den einem die Eheberater erzählen. Ich hab dir an die entsprechende Stelle ein Lesezeichen gesteckt."
"Und um was geht's da?"
"Befreiung durch Verwandlung", sagte Kotlewsky geheimnisvoll. "Es ist ein Rezept, ein Ritus, um sich in jenes Wesen zu verwandeln, das eigentlich in einem selbst steckt. Es von seinen Ketten zu befreien und loszulassen … für eine kurze Zeit."
"Du spinnst."
"Wenn ich's doch sage. Seh ich aus wie jemand der phantasiert?“
"Und wenn … was soll das helfen?"
"Hast du eine Ahnung! Ich hab mich in einen riesigen Wolf verwandelt. Das Gefühl war unbeschreiblich, nachts durch den Wald zu stürmen, das Wild vor sich her zu hetzen. Dieses Gefühl von Macht und Kraft und Wildheit … ah, zu fühlen, dass man Muskeln hat und töten kann … könnte. Das Hetzen, das Jagen, diese pure ungebärdige Freiheit. Schon als ich nach dem ersten Mal heimgekommen bin, hat Liselotte es gespürt - gespürt, dass ich ein Sieger war, ein Leittier. Ich konnte sie mit ein paar Worten um den Finger wickeln. Und seitdem …", er breitete vielsagend die Arme aus.
"Du hast dich wieder zurück verwandelt?", sagte Kemmetmüller langsam.
"Ja klar, siehst du doch. Nach einer halben Stunde ist alles wieder vorbei. Aber eine Nacht im Monat reicht völlig aus, um den Zustand stabil zu halten und sich frei und stark zu fühlen"
"Und du bist zu einem Werwolf geworden?"
"Ja, weil es genau das Tier war, welches in mir verborgen lag. Schröder und Bärmeyer haben’s auch gemacht. Schröder war ein Luchs und Bärmeyer - du wirst's nicht glauben - ein Bär. Es kommt eben ganz drauf an, was in dir drin steckt."
"Hm."
"Man muss natürlich ein bisschen vorsichtig sein, wenn noch nicht klar ist, in was man sich verwandelt. Stell dir vor, du machst es zu Hause im Garten und wirst zu einem Tiger. Es wäre nicht so gut, wenn du die Nachbarskinder vor dir her hetzt", Kotlewsky lachte scheppernd. "Am Besten du fährst dazu ein Stück weit raus, in den Wald oder so, wo dir niemand begegnen kann. Man hat sich während der Transmutation nicht ganz so gut unter Kontrolle wie sonst, weißt du?"
Kemmetmüller sah ihn von unten herauf an. Er hatte immer noch den Verdacht, dass Kotlewsky ihn ganz gehörig verarschte. Aber warum? Sie waren immer die besten Freunde gewesen. So gute Freunde, wie Arbeitskollegen es nur sein konnten. Irgendwie musste es also schon ernst gemeint sein.
"Hm. Weißt du, so unzufrieden bin ich gar nicht mit meiner Situation. Ich meine, Ricarda ist eine sehr starke, selbstbewusste Frau, das stimmt schon. Aber das hat auch seine guten Seiten und man muss natürlich aufeinander eingehen, den anderen so nehmen wie er ist und…"
Kotlewsky legte den Kopf schief, als hätte er nicht richtig gehört. Und sein Blick triefte vor Mitleid und Verachtung. Kemmetmüller erkannte blitzartig, dass er gerade dabei war, seinen – wenn auch noch so unbedeutenden – Platz in der Gesellschaft aller richtigen Männer zu verlieren.
„Naja, ich kann ja mal rein gucken“, sagte er schnell und versuchte ein kerniges Lächeln.
"Und ich muss dann los", sagte Kotlewsky fröhlich. "Lies dir's durch, denk drüber nach und versuch's einfach mal. Würde mich freuen, wenn es dir auch hilft. Bis dann!", er drehte sich um und ging mit wehendem Mantel hinüber zum Bibliotheksparkplatz, wo er in sein Auto stieg und davon fuhr. In sein Auto … Kemmetmüller nickte nachdenklich.
Da war was dran.
Ein hektisches Hupen ließ ihn herumfahren. Ricarda war doch noch gekommen. Sie stand in der Schlange vor der roten Ampel und deutete energisch nach oben.
"Beeil dich, die wird gleich grün!", konnte er von ihren Lippen ablesen.
Kemmetmüller beeilte sich.

***

"Vun denen Man-Thyren unth Vaerewulfen…", begann das Kapitel, wo Kotlewsky das Lesezeichen eingelegt hatte. Kemmetmüller hatte einige Mühe den Text zu entziffern. Zum Einen waren die lateinischen Minuskeln nicht besonders kunstgerecht ausgeführt, zum Anderen war der Text im 16. Jahrhundert von einem irischen Mönch aus dem Altslawischen ins Deutsche übersetzt worden - zumindest in etwas, was der Mönch für Deutsch gehalten hatte. Aber der Inhalt war überraschend einfach: Ein Rezept für eine Tinktur und die Beschreibung eines Rituals, in dem diese angewendet wurde – obwohl das Ritual eigentlich nur darin bestand, dass das Zeug im Freien bei Vollmond eingenommen werden musste.
"Sintemalen er eyn starck und reysick Man sey, so mecht er transmuthiren in eyn wesenhaftt Kreatur vun nehmlicher Gestallth."
Aha, da hatte Kotlewsky schon drauf hingewiesen. In jedem Menschen steckte natürlich ein anderes animalisches Prinzip, das befreit werden konnte. Was würde aus ihm werden, wie sah die animalische Seite seines eigenen Selbst aus? Er horchte in sich hinein und versuchte zu erfühlen, welches Wesen da in ihm verborgen sein mochte.
Ein Panther vielleicht? War er nicht wie ein Panther, der träge und unbeteiligt in seinem Versteck ruhte und sich schließlich geschmeidig und lautlos erhob, um zuzuschlagen? Ja, ein Panther! Er fühlte, wusste förmlich, dass er ein Panther war.
Kemmetmüller schrieb sich alles im Klartext auf einen alten Briefumschlag und zog los, um die Sachen zu besorgen. Gottseidank hatte er das ganze Wochenende für sich. Ricarda war mit den Kindern zu ihrer Cousine gefahren und würde erst Sonntag abend wieder zurück kommen. Naja, selbst wenn sie da gewesen wäre, hätte es sie wahrscheinlich nicht die Bohne interessiert, was er da in der Garage wurstelte. Jawohl wurstelte. Genau diesen Audruck hätte sie benutzt. Kemmetmüllers Blick wurde immer finsterer und entschlossener.
Die verschiedenen Bestandteile waren recht einfach zu beschaffen, auch wenn er ein gutes Dutzend Gärtnereien und Apotheken abklappern musste, bevor er alles beisammen hatte. Adlerfarn, Bärlapp, Rauwolfia und eine ganze Menge anderer Kräuter und Salze - nur der indische Hanf hätte sich beinahe als unlösbares Problem herausgestellt. Aber dann erinnerte er sich daran, dass seine Frau bei den Kaffeekränzchen mit ihren Freundinnen hin und wieder mal ein "Tütchen" herumgehen ließ, und er fand einen kleinen Vorrat in ihrem Schminktäschchen.
Das Ganze musste zu Pulver zerrieben und eine Nacht lang mit Schwarzbier angesetzt werden. Als er dir Brühe abfiltriert hatte, roch sie ein wenig nach Pferdestall, aber nicht so stark, dass er sich davor geekelt hätte. Er gab aber sicherheitshalber noch einen Löffel Honig hinzu, denn das war in dem Rezept ausdrücklich erlaubt und sollte keinen Einfluss auf die Wirksamkeit haben.
Als letzte Vorbereitung schlug er seinen Autoatlas auf, um nach einem Platz zu suchen, der abgelegen und einsam genug war. Auch das war kein Problem. Zwanzig Kilometer weiter östlich begann die Heide. Kaum Dörfer, wenige Straßen und außerdem Naturschutzgebiet. Bis auf den einen oder anderen Einsiedlerhof gab es dort nichts als roten Sand, Wacholder und Birkenwäldchen. Das war der Platz, wo er seine Persönlichkeit neu erschaffen würde!

***

Alles war wie es sein sollte. Die Nacht war klar und kalt und der Vollmond goss ein fahles, mystisches Licht über die Heidekrautteppiche. Es war still, nur hin und wieder zirpte eine einsame Grille und ganz in der Ferne hörte man das Blöken einer Schafherde.
Kemmetmüller hatte den Wagen auf einem Feldweg fernab der Landstraße geparkt und ging ein Stück weit in die Heide hinein.
‚Zum letzten Mal’, dachte er grimmig. ‚Zum letzten Mal einen Leihwagen!’
Er drang in einen kleinen Birkenbestand ein und zog den Sakko aus. Ein wenig beklommen war ihm doch zumute. Kotlewsky hatte zwar gesagt, dass die Verwandlung nur etwa eine halbe Stunde anhalten würde, aber was konnte in einer halben Stunde alles passieren. Ein Panther konnte in dieser Zeit erstaunliche Strecken zurücklegen. Ach was, das nächste Dorf war fünfzehn Kilometer entfernt, das musste als Sicherheitsabstand genügen. Er zog die kleine braune Flasche mit der Tinktur aus der Tasche, entfernte den Stöpsel und schnüffelte daran. Gar nicht mal so schlecht. Roch ein bisschen wie Aquavit mit Honig. Ein letztes Mal holte er tief seufzend Atem und setzte das Fläschchen an die Lippen. Fast die Hälfte trank er auf einen Zug aus und Ah! … das Zeug rann wie brennendes Öl in seinen Magen. Fast augenblicklich brach ihm der Schweiß aus. Er begann zu zittern und fühlte einen leichten Schwindel. Egal! Kotlewsky hatte gesagt, das sei normal.
Er schaute auf seine Hände. Gütiger Gott - sie begannen, sich zu verändern. Die Finger bildeten sich zurück, wurden kurz und knubbelig, derweil die Nägel krumm und kräftig aus ihnen heraustrieben.
Und auf den Handrücken bildete sich ein schütterer Flaum, der mit jedem Augenblick dichter und struppiger wurde und im Mondlicht silbrig schimmerte.
Es klappte! Es klappte wahrhaftig. Die Verwandlung hatte begonnen. Jetzt rasch runter mit den Klamotten, bevor alles in Fetzen ging. Er schlüpfte aus der Hose, schleuderte die Schuhe von sich und warf das Hemd zur Seite. Nur die Krawatte konnte er nicht mehr lösen. Seine Finger waren schon zu klobig und verweigerten die notwendigen feinen Bewegungen. Er fühlte, wie sich in seinem Bewusstsein die wilde alte Flamme entzündete und alles wegsengte, was für Bruno Kemmetmüller einmal wichtig gewesen war. In einer kraftstrotzenden Geste hob er die Augen zum Himmel, blickte den Mond an und stieß ein langgezogenes Heulen aus. Die Reize, die auf ihn einstürmten und die ungenutzte Kraft, die durch seine Muskeln pulste, ließen ihn fast wahnsinnig werden. Die Macht wollte nach draußen, wollte ausgeübt werden. Das Rascheln der Blätter, das böse, stechende Licht des Mondes, die aufreizende Witterung der Schafe … er musste sich bewegen … losstürmen … hetzen und jagen … reißen und schlagen … heulen und …
Mit einem gewaltigen Satz brach er aus dem Birkendickicht und raste los …

***

Im "Heidekrug" ging es hoch her an diesem Abend. Schon draußen auf der Straße konnte man das Gröhlen und Gelächter hören. Ansgar Behnsen, der gerade vorbeikam, blieb neugierig stehen und lauschte, ob er was verstehen konnte. Behnsen war eigentlich kein Kneipengänger, aber dieser Lärm machte ihn doch neugierig. Er nahm die Hände aus den Taschen, stieg die drei Stufen zur Wirtshaustür empor und drückte diese auf. Drinnen war es proppenvoll. Durch einen dicken bläulichen Tabaksdunst sah er den alten Willemsen an der Theke stehen, umringt von einer Traube roter Gesichter, die sich schier ausschütten wollten vor Lachen.
"Nee", brüllte Willemsen mit überkippender Stimme. "Tollwütig war der nich - der war raderkastendoll!" Und wieder brandete rauhes Gelächter auf. Behnsen schob sich ganz durch die Tür und drängte sich zwischen die Zuschauer, die an der Theke keinen Platz mehr gefunden hatten.
"Um was geht's denn da?", fragte er Willi Gutwirth, der neben ihm stand und mit dem Kopf schüttelte. Gutwirth winkte ab.
"Ach, Willemsen zieht mal wieder mächtig vom Leder. Erzählt jedem, er hätte gestern Nacht in seinem Schafspferch einen Pudel erschossen, der auf zwei Beinen lief und eine Krawatte um den Hals hatte…"


© 2004 Achim Hildebrand
 
G

Goldmund

Gast
Hallo Mazirian,

deine Schreibe gefällt mir gut!

Die Geschichte finde ich höchst interessant, aber ausbaufähig. Der ersten Teil, bis zum ersten Stern: da fehlt mir bei dem gespräch der beiden die Umgebung. Anfangs beschreibst du sie ja gut, bringst sie aber nicht mehr... Die Beiden könnten dann auch an irgendeinen Platz stehen. Lass doch ein Auto vorbeifahren, und Kemmetmüller vermuten, dass es Gerda ist.
2. den Dolchstoß und den Leisen Zorn von Kemmetmüller nehme ich dir nicht ab, weil er dann ja interressiert lauscht - ohne solche gefühlregungen. Die würde ich streichen und ihn von anfang an schon schüchtern sein lassen.
3. Was ist mit Gerda? Er wartet auf sie. Lass sie dann wenigstens kurz darauf kommen. irgendetwas fehlt...

Das zwischen zweitem und drittem Stern finde ich zwar wenig prickelnd, aber notwendig und solide.

Die Verwandlung ist große Klasse beschrieben und man denkt, dass er sich wirklich in etwas Großes verwandelt hat. Selten so etwas tolles gelesen!

Doch der letzte Absatz enttäuscht, da es sich, wie vermutet, herausstellt, dass er kein großes Tier ist - sondern lediglich ein Pudel. Zu vorhersehbar. Und noch was: Wo ist der Pudel abgeblieben?

Ist alles nur meine meinung.

Goldmund
 

Mazirian

Mitglied
Hi Goldmund...

... deine "Kommentiere" gefällt mir auch gut. Auch wenn du sie "nur" als Meinung bezeichnest - sie bringt mich schon weiter. Vielen Dank dass du dich so mit dem Text beschäftigt hast. Und für das "selten sowas tolles gelesen".

Der "leise Zorn" ist nicht ganz passend, da geb ich dir recht, das hab ich jetzt versucht, Kemmetmüllers Charakter anzupassen.
Aber den Dolchstoß find ich schon oK, für jemanden der ohne Vorwarnung eine sehr unangenehme Wahrheit gesagt bekommt, die er bisher vor sich selbst verdrängt und geheim gehalten hat. Das tut schon sehr weh - vor allem, wenn es um die "Mannesehre" geht.

Die Umgebung hab ich jetzt auch ein bisschen erweitert (Auto/Gerda), mehr möchte ich aber nicht, sonst verliert der Dialog zu sehr an Tempo.

Der Teil zwischen den Sternchen - joh, klar, da passiert nicht viel. Aber musste sein, sonst hätte man den Schlussteil mit zu vielen rückgeblendeten Erklärungen verwässern müssen. Außerdem wollte ich gern die "altdeutschen" Fragmente loswerden. Die waren ursprünglich der Anfang der Geschichte :)

Dass die Pointe zu vorhersehbar ist, ist natürlich bitter. :) Wenn du eine Idee hast, wie man das ändern könnte wär ich sehr dankbar dafür. Wär's vielleicht besser, wenn er sich tatsächlich in etwas Großes verwandelt, aber dafür etwas völlig Harmloses tut? Vielleicht im nächsten Dorf die Gemeindebücherei verwüsten?
Den eigentlichen Plot, dass die Transmutation "gnadenlos ehrlich" ist, möchte ich aber schon beibehalten.

Was nun den Pudel betrifft:
da gehe ich davon aus, dass mit dem Tod der Stoffwechsel zu Ende ist, d.h. er wird sich nicht zurück verwandeln. Willemsen kriegt also keine Probleme. Und da es ein streunender Hund ist, den er abgeschossen hat, muss er ihn glaub ich beim Tierarzt oder Förster abgeben. Ins Wirtshaus kann er ihn also nicht mitbringen.

schöne Grüße

Achim
 
G

Goldmund

Gast
Hallo Mazirian,

das mit der Gerda hast du sehr elegant und gut gelöst! Hab schon befürchtet, dass da dann irgendwas hingeklatschtes kommt. Sehr schön!

Und das mit dem Dolchstoß ist auch passend. Und sein Charakter liest sich jetzt wunderbar! Wie die eines Pudels..;)

Dass die Pointe zu vorhersehbar ist, ist natürlich bitter. :) Wenn du eine Idee hast, wie man das ändern könnte wär ich sehr dankbar dafür. Wär's vielleicht besser, wenn er sich tatsächlich in etwas Großes verwandelt, aber dafür etwas völlig Harmloses tut? Vielleicht im nächsten Dorf die Gemeindebücherei verwüsten?
Den eigentlichen Plot, dass die Transmutation "gnadenlos ehrlich" ist, möchte ich aber schon beibehalten.
Hm.. dass die Pointe vorhersehbar ist, müsste eigentlich dir klar sein, denn wenn man einen solchen Charakter vor sich und, der dann auch noch von etwas großem träumt, ahnt man, dass eben das nicht passieren wird. Aber das tut der Geschichte eigentlich keinen Abbruch. Man erwartet das ja glaube ich sogar! Und wenn du ihn in etwas großes verwandelst, würde das die geschichte unvorteilhaft verändern.

Die Pointe ist klar, aber durch die Umsetzung gewinnt sie an Originalität.

Und ich sagte ja: der Mittelteil ist wichtig, wenn auch nicht besonders. (nur nichts verändern daran.)

So wie die Geschichte jetzt ist, bin ich restlos begeistert!

Goldmund
 
Hallo Achim,

meines Erachtens lädt der Anfang nur bedingt zum Weiterlesen ein. Es beginnt gemütlich, da würde ich mir einen Spannungsmoment wünschen. Ich denke, viele springen zu anfang ab und wenden sich einer anderen Geschichte zu

Bis bald,
Michael

P.S. : Meine Freundin hat Smergs gesichtet, was hast du da nur ins Rollen gebracht. Die Arme!
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Michael,

mit der Dramaturgie hatte ich tatsächlich ein wenig Probleme. Aber andererseits: es geht nun mal um einen "langweiligen" Charakter in einer für ihn typischen Situation. Hm, Schwierig, schwierig, aber wenn du'n Vorschlag hättest... :). Oder ist die Einleitung einfach zu lang?

Gruß
Achim
 
Hallo Achim,

ich finde sie zu lang. Er steht da, wartet auf die Frau, etc. Mir fehlt am Anfang der Grund, weiter zu lesen, die paar interessanten Sachen, die die Neugierde wecken.
Ich würde das Kürzen. Aber eventuell sieht das der Rest anders. Daher immer her mit den Meinungen.

Bis bald,
Michael
 

Olsen

Mitglied
Lass dir zuerst einmal zu dieser schönen Idee gratulieren. Die Geschichte sollte eine Warnung an alle sein, die "das Tier im Manne" wecken wollen. Denn es gäbe sicherlich einige, bei denen dann nur ein Mäuschen erwachen würde. Die Story liest sie sich schön flüssig und die Wortwahl ist gelungen.

Das Problem mit dem langen Anfang muss ich aber leider bestätigen. Sicherlich, er wird dem langweiligen, unterwürfigen Wesen des "Helden" (sofern diese Bezeichnung überhaupt zutrifft) gerecht ... na ja, aber trotzdem zieht es sich ein bisschen.
An anderer Stelle wurde ja schon kritisiert, dass die Pointe ein wenig vorhersehbar ist. Meines Erachtens liegt das auch an dem zu langen Anfang. Sicherlich ahnt man nicht, in welches Tier Kemmetmüller sich verwandeln würde, aber dass es nix allzu Dolles sein würde, ist klar.

Eine Anregung zur Diskussion: Könnte man beide Probleme nicht auf einen Schlag lösen? Wie wäre es beispielsweise, Kemmetmüller so zu charakterisieren, dass er nach außen (mit Worten) den großen Maxen heraushängen lässt. Während er auf seine Gerda wartet, will er nicht nur fluchen ... nein, er flucht! Gottverdammte Scheiße noch mal, wo bleibt die dumme Gans? Und ob er ihr Unrecht tut damit? Na und? Interessiert das einen echten Kerl wie Kemmetmüller? Niemals!
Vielleicht könnte er aus Wut noch einen Standaschenbecher umtreten oder so. Auch im Gespräch mit Kotlewsky könnte er forscher auftreten (sicherlich müsste das Gespräch dann anders ablaufen). Und so ist unser lieber Kemmetmüller schon ohne die Verwandlung ein richtiges Tier ... bis Gerda kommt! Dann steigt er duckmäuserisch ein, haucht ihr einen Kuss auf die Wange (den sie gar nicht richtig registriert) und flötet: „Hallo, Mausi. Schön, dass du schon da bist.“

Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch einerseits Kemmetmüller (und mit ihm die ganze Anfangsszene) etwas interessanter wäre und dass andererseits die Verwandlung in einen Pudel ein wenig überraschender käme. Denn vielleicht würde erst dann richtig klar werden, dass er in seinem tiefsten Inneren ein zahmes Schoßhündchen ist und nicht der tolle Kerl, für den er sich hält (in meinem abgewandelten Szenario – in deinem hält er sich ja nicht dafür).
Oder rede ich wirr? (Will ich keinesfalls ausschließen!)

Aber ich denke, das ist Geschmackssache. Und dass die Pointe vorhersehbar ist, ist ja auch nicht wirklich schlimm. Denn man kann das Ganze auch so sehen, dass der Leser im Fortgang der Geschichte eine Erwartungshaltung aufbaut, die er am Schluss bestätigt sehen will – und zu seiner Freude dann auch bestätigt sieht.

An dem Text gibt es allerdings eine Kleinigkeit, die mir wirklich absolut nicht gefällt (was aber auch wieder Geschmackssache ist): die Namen der Beteiligten. Kemmetmüller, Kotlewsky, Gerda, Schröder, Bärmeyer. Ich weiß nicht ... Die ersten beiden haben keinerlei Erinnerungswert, die nächsten beiden sind zu gewöhnlich (eine Gerda ist für mich niemand, die ihren Mann unter dem Pantoffel hat und vielleicht auch noch fremdgeht). Insbesondere hinsichtlich dieses Punktes würde mich interessieren, wie die Erfahreneren das sehen!

Ansonsten, noch einmal: Hut ab vor der glänzenden Idee! Die etwas andere „Werwolf“-Geschichte ... oder besser „Werpudel“-Geschichte.
 
hallo mazirian

.... ich hab zwar keine erfahrung, was dieses genre angeht, zumindest nicht mit dem selber schreiben, dafür aber mit dem lesen, aber mich stören die namen nicht. manchmal wirkt das ganz bürgerliche (wie gerda z. b) ja immer noch am schrecklichsten, wenn sich solche charaktere dahinter verstecken. von der hätte ich auch gerne mehr gelesen.

ich finde es auch nicht schlimm, dass die pointe vorhersehbar ist. wenn ich z. b. stephen king lese, passiert mir das oft, dass ich das ende schon voraus ahne, obwohl ich mit einem anderen ende gerechnet hatte.

ich dachte mir zwar, dass etwas schief gehen wird in deiner story, aber ich dachte eher an eine andere richtung, wie z. b. dass das mittel anders bei ihm wirkt, etwas schlimmes geschieht (wobei ich mir an dieser stelle ein wenig mehr von der psyhche des prot. gewünscht hätte - so die richtige höllenreise eben). diese art von höllenreise verändert einen ja auch - die veränderung hätte ich dann zum schluss beschrieben. es können ja z. b. auch dinge passieren, wie dass er sich nicht zurück verwandelt, eben doch ein schreckliches monster wird und sich an der erstbesten dame rächt, die ihm tatsächlich auch begegnet. dann würde ich gerda am ende gern sich fürchten sehen, weil sie das spürt. so in dem sinne hätte ich mir das ende gewünscht.
manche dinge spalten sich bei transmutationen ja auch einfach so ab vom ursprung und vegetieren weiter an seltsamen orten.

für den anfang fand ich die idee gar nicht so übel, die altdeutschen worte hinzustellen und dem ganz gleich zu beginn einen hauch von schwärze zu verpassen. als epilog zusagen.
 

majissa

Mitglied
Hurraa...

...endlich habe ich mal was an einem deiner Texte zu bemäkeln. Wenn's auch nur Kleinigkeiten sind. Dazu aber später. Zuvor meine Empfindungen beim Lesen: Mir war an keiner Stelle langweilig. Auch zog sich für mich der Anfang nicht, weil die Atmosphäre - nicht zuletzt durch die Verwendung starker Bilder und lebendiger Dialoge - so schön dicht war und ich dadurch am Text hängen blieb.
Im Mittelteil wurde ich dann regelrecht neugierig. Die Beschreibung der Verwandlung ist dir wirklich gelungen. Das Ende war für mich zwar nicht vorhersehbar, kam mir aber im Verhältnis zur Gesamtlänge des Textes definitiv zu kurz. Außerdem tauchen im letzten Absatz plötzlich viel zu viele Personen auf. Die Idee, den Prot. in einen Pudel zu verwandeln, ist gut. Aber warum lässt du ihn zuvor nicht noch irgendwie agieren? So erfährt man nur, dass da ein Pudel in Krawatte auf zwei Beinen herumlief. Punkt, Schluss, Paukenschlag. Das ist witzig, auch überraschend, aber es fehlt etwas, wenn du verstehst, was ich meine.

Ansonsten ist die Story wirklich gelungen. Was mir besonders gefiel:

„…er spuckte das letzte Wort aus wie eine ranzige Pistazie.“

Das ist ein toller Vergleich.

„Nicht zu wild, damit die Leute nicht guckten - oder Anlass zum Gucken haben könnten.“

Am „Gucken“ könnte ich mich ergötzen. Das muss ich einfach mal erwähnen. Viel zu selten finde ich es in Texten und glaube, es wird zu Unrecht vermieden.

"Kemmetmüller blies die Backen auf und breitete die Arme aus.“

Ein wirklich gutes, eindringliches Bild.

Nun noch oben genannte Mäkeleien:

Ich weiß – es ist Geschmackssache, aber ich kann mich auch nicht für den Namen Gerda erwärmen. Zu Anfang bei Kemmetmüller dachte ich „typisch Maziran“, einige Zeilen später bei Gerda „Gott, was hat ihn denn da nur geritten?“ Bruno ist auch nicht so der Renner. Gerda und Bruno – da denke ich automatisch an ein älteres deutsches Ehepaar, das jede freie Minute im eigenen Schrebergarten verbringt. Er pedantisch, in Feinripp mit Karnevalsordensammlung auf dem Schoß, sie beleibt mit Kittelschürze und Schwatzdrang. Aber gut, ich will nicht weiter darauf herumreiten. Den Namen Kotlewsky finde ich übrigens klasse.

„Vom Rand des Vordachs tröpfelte es und löschte seine Zigarette.“

Das klingt seltsam.

„Mit einer rabiaten Geste pfefferte er sie in die Blumenrabatten und schaute sich hastig um, als ihm bewusst wurde, dass er fast geschrieen hatte.“

Kurz zuvor schriebst du „geschrieen“ mit nur einem „e“. Beides geht. Mir fiels auf, weil nur zwei oder drei Sätze dazwischen liegen.

„…und Liselotte ist stolz drauf, dass so einen Schlag bei den Frauen hab.“

Da fehlt ein „ich.“

„Seh ich aus, wie jemand der phantasiert?“

Das Komma wirkt da seltsam deplaziert.

„Schon als ich nach dem ersten Mal nach Hause gekommen…“

nach – nach

„…hat Liselotte es gespürt - gespürt, dass sich ein Sieger war, ein Leittier.“

…dass ich ein Sieger war…

"Ja, weil das das Tier war, das in mir gefangen war.“

das-das-das

"Man muss natürlich ein bisschen vorsichtig sein, wenn man noch nicht weiß, in was man sich verwandelt.“

man-man-man

„Kemmetmüller sah in von unten herauf an.“

…sah ihn von unten herauf an.

„Ein Rezept für eine Tinktur und die Beschreibung eines Rituals, in dem diese Tinktur angewendet wurde – obwohl dieses Ritual nur darin bestand, dass die Tinktur im Freien…“

Dreimal Tinktur und zweimal kurz hintereinander „diese“ in nur einem Satz. Das stört etwas.

„Es war still, nur hin und wieder zirpte eine einsame Grille und in ganz der Ferne hörte man das Blöken einer Schafherde.“

Hm…klänge „…und ganz in der Ferne“ nicht besser?

„Er zog die kleine braune Flasche mit der Tinktur aus der Tasche entfernte den Stöpsel und schnüffelte daran.“

Da fehlt ein Komma hinter „Tasche“.

„Ansgar Behnsen, der gerade vorbeikam, blieb…“

Das ist doch mal ein Name!

Zu guter Letzt fällt mir ein, dass man den Charakter eines Pudels ja gemeinhin als "falsch" beschreibt. Ich sehe da keine Übereinstimmung mit deinem Protagonisten. Gern lasse ich mich aber aufklären, da ich mich mit Pudeln wirklich nicht auskenne.

Lieben Gruß
Majissa (die sich fragt, obs ein Königspudel war)
 

Mazirian

Mitglied
Hallo ihr Lieben,

entschuldigt bitte, dass es ein paar Tage gedauert hat. Aber da ihr euch so eingehend und ernsthaft mit dem Text beschäftigt habt, wollte ich auch nicht zwischen Tür und Angel antworten. Musste also bis zum Wochenende warten.


hallo Olsen

Ich seh du bist neu und falls dich also noch keiner begrüßt hat - erstmal herzlich willkommen in der Lupe. Und nochmal vielen Dank für deinen Kommentar, der ist wirklich klasse. Greift genau in die Schwächen, die ich auch vermutet hab, wo ich aber nicht richtig den Finger drauflegen konnte.
Ich glaube, die Idee mit dem ambivalenten Charakter (forsch/unterwürfig) ist stärker als wenn Kemmetmüller nur als Schlappschwanz und Duckmäuser dargestellt wird. Ich werd die Geschichte daraufhin mal umarbeiten.
Was die Namen betrifft - naja, das sind Namen aus meiner weiteren Umgebung, Ich hoffe immer dass es der Authentizität dient, wenn man "richtige" Namen nimmt. Wenn nicht - gut, dann muss ich auch hier noch mal bei.
Aaaaber nichtsdestotrotz: da les ich doch letztens eine Geschichte von einem gewissen Olsen und da kommt einer drin vor, der Schörner heißt. Nicht dass ich jetzt nachtreten will, aber was den Qualitätsunterschied zwischen "Schörner" und "Schröder" betrifft, solltest du dir schon mal eine verdammt gute Erklärung zurechtlegen - ich komm vielleicht drauf zurück ;) ;)


hallo freifrau,

auch dir herzlichen Dank für deine Anmerkungen. Freut mich, dass es dir gefallen hat - und vor allem, dass du die Namen nicht ganz so schlimm findest :).
Mehr über (noch-)Gerda zu erzählen fände ich auch interessant. Vielleicht in der Form, dass sie im Mittelteil eben nicht wegfährt, sondern ihn bei seinen Vorbereitungen beobachtet und ihrem Charakter gemäß behandelt.
Auch darin, dass der psychische Aspekt bei der Verwandlung etwas zu kurz kommt, stimme ich dir zu. Ich werde das bei der Umarbeitung berücksichtigen und etwas vertiefen.
Etwas wirklich Schlimmes tun lassen möchte ich ihn aber nicht. Ich glaube, das würde sich mit dem Charakter der Geschichte als Parodie beißen.


liebe Majissa,

wie, du meckerst an meinen Texten rum? Das seh ich aber gar nicht gern! Da kann ich richtig unlecker werden.
Aber gut, die Freude, mal wieder was von dir zu hören, gleicht das mehr als aus, deshalb will ich mal friedlich bleiben und dir für die gefundenen Fehler und Anregungen danken.
Die Flüchtigkeitsfehler werd ich natürlich ausbessern.

Den Pudel agieren lassen? Hm, vielleicht versteh ich was du meinst: Einen Werwolf Pudeldinge tun zu lassen - oder? Da könnten mit Sicherheit ein paar lustige Sachen passieren. Das Bild, einen frischfrisierten Pudel auf zwei Beinen über die Weide jagen zu sehen, wie er versucht(!) den Schafen Angst zu machen, hat was. Aber würde das nicht tatsächlich den Plot vorwegnehmen? Ich meine, sobald man ihn als Pudel agieren sieht, weiß man, dass er zumindest kein Werwolf ist. Oder würdest du dann den Dorfkneipenschluss ganz rausnehmen?

Das mit der Pistazie find ich auch gut. Hat auch viel Arbeit gemacht. Im Ernst: Ich hab mich eine Viertelstunde hinsetzen müssen, Grimassen geschnitten, Spuckbewegungen gemacht und versucht, mir dabei vorzustellen, was ich wohl gerade im Mund haben könnte.

Das Problem mit den Namen scheint ja wirklich ein schwereres zu sein (Obwohl mir der Satz "Mein Gott, was hat den den geritten?" so ziemlich am Besten an deinem Kommentar gefällt :)). Gut, Gerda und Bruno sind wirklich nicht die Waffe. Ich werde mir noch mal Gedanken machen. Wenn dir Namen einfallen, die Bedeutungslosigkeit vermitteln und trotzdem interessant klingen, darfst du Gerda gerne umtaufen. Wie fändest du Ricarda (Klingt nach Schule und dominanter Lehrerin)?

Über Pudel weiß ich auch nicht viel. Ich hab einen Pudel genommen, weil die so degeneriert aussehen wenn sie vom Friseur kommen. Und ja, es ist ein Königspudel, wenn es ein keinerer Pudel wär, würde ihm ziemlich schnell die Krawatte vom Hälschen rutschen.

liebe Grüße an euch alle

Achim
 

Olsen

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Mazirian

hallo Olsen

Aaaaber nichtsdestotrotz: da les ich doch letztens eine Geschichte von einem gewissen Olsen und da kommt einer drin vor, der Schörner heißt. Nicht dass ich jetzt nachtreten will, aber was den Qualitätsunterschied zwischen "Schörner" und "Schröder" betrifft, solltest du dir schon mal eine verdammt gute Erklärung zurechtlegen - ich komm vielleicht drauf zurück ;) ;)


Bitte nicht darauf zurückkommen!!! Ich hab keine Erklärung!

Nein, das mit den Namen war auch nur so eine Idee von mir. Nach längerem Nachdenken finde ich Kotlewsky sogar richtig schön (auch wenn ich da immer an ein schnitzelähnliches Fleischstück denken muss).

Und eigentlich gibt es ja nur zwei Arten von Namen: durchschnittliche (wie Schröder und - ja!!! - auch Schörner) und welche, an die sich das Ohr erst gewöhnen muss. Und da sind letztere eigentlich die bessere Wahl!

Was würdest du sagen, wenn du wüsstest dass Schörner in einer älteren Fassung Fischer hieß? Das ist ja noch durchschnittlicher! :)
 

majissa

Mitglied
Ricarda ist klasse!

Ich sehe eine Frau, die tagsüber Cello spielt und nachts mit Molotow-Cocktails ganze Reihenhaussiedlungen in Brand setzt. Vermutlich trägt sie eine Brille. Ja, Ricarda ist prima. Für Bruno fällt mir noch kein Ersatz ein. Kurz dachte ich an Kurt oder Klaus wegen der Dopplung KK. Aber wir sind hier ja nicht in einer Soap.

Um Gottes Willen nicht den Dorfkneipenschluss herausnehmen! Ich dachte eher daran, einige Pudelaktionen im Rückblick zu erwähnen, ohne den Plot zu beschädigen, auf den man ja auch langsamer zusteuern kann. Dann könnte man sich vor dem Aha-Effekt etwas länger wundern und den anschließenden Knall so richtig genießen. Das ist aber nur eine Idee. Ich bin mir sicher, dass du die für dich beste Lösung findest.

Richtig degeneriert sehen sie erst aus, wenn man ihnen Schühchen anzieht und sie in dicke Baumwollpullover quetscht. Bah!

Lieben Gruß
Majissa
 

Vue

Mitglied
Tolle Geschichte. Das Ende ist zwar ziemlich vorhersehbar, aber am Schluß hab ich trotzdem gelacht.
Eins hat mich allerdings verwirrt: Oben im Text wartet Kemmetmüller auf Ricarda, weiter unter ist es Gerda, die mit den Kindern übers Wochenende weggefahren ist. Ricarda = Gerda?

Und Bärmeyer verwandelt sich in einen Bären - nicht so originell, hm?
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Vue,

danke für deine Anmerkungen. Freut mich, dass es dir gefallen hat. Die anderen fanden den Namen Gerda absolut daneben, deswegen hatte ich ihn gegeg Ricarda ausgetauscht. Habs wohl einmal übersehen. Ist aber jetzt gefixt.
Bärmeyer- Bär ist natürlich nicht originell (Die Zutaten zu dem Trank sind es übrigens auch nicht, wenn du genau hinguckst ;). Aber da die Geschichte einen parodistischen Unterton hat, hab ich mir den mal geleistet.

schönen Gruß und schönen Tag

Achim
 

brain

Mitglied
Hallo Mazirian.
Ich wollte Dir unbedingt noch schreiben, dass diese Geschichte zu den witzigsten und originellsten gehört, die ich seit Langem gelesen habe:)
Die Einleitung ist nicht zu lang. Im Gegenteil, das passt alles zusammen, hat mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Auch von den "Vaarewulfen" zu schreiben fand ich sehr geil und stimmungsvoll, da ich total auf antiquarische Schinken stehe. Ich hatte zwar schon so eine Ahnung, dass der Prot. wohl doch kein Wolf wird, aber ein Pudel mit Krawatte;-) Spitze!
Ach ja, den Bärmeier, der ein Bär wurde, fand ich so offensichtlich dass es schon wieder überraschend war. Einziges Mank war "Gerda", aber das kann die Wirkung der Story nicht schmälern. Des Weiteren sind die Namen "Kemmetmüller" derb authentisch.
Hat irre Spaß gemacht (und weil ich die ganze Zeit auf einen Werwolf gewartet habe wars auch gänsehautmäßig)!
Liebe Grüße
Brain
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Brain,

entschuldige bitte, dass ich erst jetzt reagiere. Bin im Moment nicht so oft hier.
Also dann vielen Dank für's Lob. Wenn es dir Spaß gemacht hat, bin ich mehr als zufrieden.
Solche archaischen Zitate finde ich auch klasse. Allein davon läuft es mir schon kalt den Rücken runter, weil es so "strange" klingt.
Gerda ist inzwischen umgetauft.

schönen Gruß und bis bald

Achim
 



 
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