MORD IM MAISFELD - (die ganze Geschichte)

MORD IM MAISFELD


Noch ist es diesig. Noch liegen die Gärten unberührt im Dunste müder Nacht, noch trifft kein matter Lichtstrahl die weißen, flachgestreuten Bungalows, das Mobiliar auf den Veranden, die Reste offenen Kaminfeuers. Derart träumt es sich leicht hinter geschlossenen Läden in den Tag, wacht sicher das Verborgene. Indes beugt sich das Gras unter dem Tau, hängt einsame Stille über den Dächern. Nur im Geäst stoßen ab und an zögernde Laute nach außen, gleich einem schwachen Beben, das in kühle Tiefen dringt, sich von Resten vergangener Nächte zu lösen sucht. Das Ufer aber erreicht es nicht. Dort grenzen scharf geschliffene Blöcke ab von dem See, der dunkel und starr sich möglichen Blicken entzieht. Dazwischen schieben sich Tannen, sehnen sich steil in den Wald zurück, in das Moos, in's massive Gestein. Denn hier gibt es nichts. Hier ist der Grund eine reingewaschene Platte, der Fülle des Wachstums entzogen. - Um wieviel Strecken überlebt die Nacht den Tag? - Auf der glatten Fläche morschen Sees ruht dumpf die Schwerkraft allen Tuns: der tiefe, tiefe Schlaf.

Langsam zerfällt auch ihr die Nacht, enthüllt das Verschluckte: graue Klötzchen, ockerfarbene Rechtecke, hinter dunkelgrünen Streifen die gläsernen Mauern des Sees. Sie beugt sich nach vorn, winkelt die Beine an, inhaliert einen tiefen Zug an der Zigarette. Noch trägt der Wind den Geruch von modrigem Holz und frischer Tünche von den leeren Balkonen um sie herum ungestört zu ihr her. Doch inzwischen interessiert sie die Vorstellung schlafender Menschen nicht mehr. Die heruntergelassenen Jalousien im Rücken beugt sie sich über die Brüstung, taucht in das Grün des Rasens ein, das taubedeckt ihr seinen Atem schenkt und rettet sich, derart erleichtert, in einen neuen Tag.

Mittlerweile hat sich sein Becken dem Liegestuhl angepaßt; der Drang, das Haus noch in der Nacht zu verlassen, ist dem Bedürfnis nach Schlaf gewichen. Rauchend starrt er in das Dunkel, das weich ineinanderfließt und keinen Namen braucht. Weit flüchtet er hinter den See, wandelt dort zwischen verkrusteten, schimmelweiß durchbrochenen Schollen einher und begeht so die letzte unberührte Natur, um all jene sinnlosen Verrichtungen zu vergessen, die ohne Liebe und Anstand das Sein in den Dingen vorzutäuschen suchen. Oh ja, derart bewegt er sich oft. Denn würde er stillstehen, würde sich die Erinnerung gleich einer Blende öffnen und die Menschen und ihre Güter und seine eigene Verschwendung darin sich wie ein Netz über ihn spannen, seinen Körper lähmen, seine Träume vergiften. Darum muß er so oft wie mög-lich verreisen, in Gedanken oder auch nur bis an's andere Ufer des Sees, muß gegen die Vergeblichkeit ankämpfen, wegwischen, was lähmt: seine Frau, seine berufliche Stellung, seinen Besitzstand, die Unmöglichkeit, lachen und weinen zu können; dieser Gründe wegen muß er aus ihrem Kreis, ihrem Schutz, ihrer Gier nach Bemächtigung hinaustreten. Und wird einmal, das ist sicher, endgültig gehen, - nein, schreiten, den Beweis seiner Existenz wiederfinden. Wie könnte er ohne diese Hoffnung sonst weiterleben? Niemand mit Gespür für Gerechtigkeit wird so weiterleben können, denkt er und auch daran, daß, wenn der Tag über ihn hereingefallen ist, er nicht mehr hier sein wird.

Eben sind die Leute hinter dem letzten Haus verschwunden. Auch der Radfahrer, der ihren Spuren gefolgt war. Jetzt taucht er noch vor ihnen auf und biegt bei einer Hecke ab. Hatte sie geschlafen? Sie reibt sich die Augen, kämpft gegen die Einsamkeit an, die nach Stunden des Glücks plötzlich bitter schmeckt. Hinter dem Maisfeld schlenkern Möwen über das Gras wie gegen eine trügerische Ruhe. Hin und wieder lassen sie sich nieder, bilden weiße Punkte. Sie weiß, wenn sie sich erheben, werden sie zu Flugkörpern mit unklaren Kräften und wechselndem Ziel. Oh ja, liebend gern würde sie eine Möwe sein. Aber sie ist keine Möwe, keine unklare Kraft, sie hat nicht einmal ein Ziel. Der Mann fährt den Weg ein, der Maisfeld und Wiese voneinander trennt. Wie eine weiße Gischt stürzen die Möwen nach oben, blähen schreiend ihre prall gefüllten Netze, die den Blick zum Wasser trüben und den davoneilenden Radfahrer vergiften. Sie folgt noch dem Punkt seines Rückens, bis dieser zerfällt. Dann löst sich auch das weiße Trauma schwebend auf. Links der Leute, die jetzt dem Wäldchen entgegentreten, geht die Sonne auf, trifft jäh ihre unscharfen Leiber. Sie glaubt, zwei Frauen und einen Mann zu erkennen und vermutete einen Morgenspaziergang. Mit stillem Plätschern lockt das Ufer, die Frische des Wassers, das versunkene Glück.

Er sieht, was er sehen muß. - Ist er noch da? Ist er bereits gegangen? - Auf dem Weg, der Maisfeld und Wiese voneinander trennt, steht ein dunkles Rad. Der Fahrer ist abgestiegen. Steif reicht ihm der Maiswuchs bis zum Bauche, dann verschlingen ihn die Blätter, reißen ihn rauschend in die Tiefe.

In den Blättern muß es rascheln. In den Blättern riecht es modrig. In den Blättern atmen welke Kränze und die Luft ist feuchter als am See, wo es noch Spiele gibt, weich wie das Wasser. Hier im Dschungel aber ist nichts weich; machetenscharf streift der Bambus des Mannes brennende Schultern.

Noch ist es diesig. Doch am anderen Ufer beginnt es schon, sich zögernd aufzuhellen; nicht mehr wie eine Glocke wölbt sich der Himmel über die Dächer, im zarten Sonnenlicht gibt es bereits nebelfreie Zonen. In einer von ihnen stößt der Kopf eines Mannes jäh nach oben. Er dreht ihn nach allen Seiten, während sie ihn beobachtet und sich in's Nichts verliert.

Zwischen verschlossenen Kolben wälzt sich ein Kind. Ein Schrei begleitet seinen Fortgang. Aufgenommen von oben, von irgendwo her, tönt er gläsern über die Wasseroberfläche, wo ihn ein Segel umhüllt und lautlos mit in's Weite trägt.

Jetzt schreien nur noch die Möwen. Warum geht alles immer so schnell? Das Kind lebt noch. Er sieht es an dem zarten Pochen der Halsschlagader und wundert sich über die Zähigkeit eines so schmächtigen Körpers. Wie kann er dagegen ankommen? Er sucht, findet, entscheidet sich: greift in gebückter Haltung nach herumliegenden Maiskolben und wirft sie eine nach der anderen in die Kiste unter sich, die so lange Heimat war für ihn und den Jungen, und doch nicht lange genug. Schade um den feingliedrigen Körper, der nun mit Schmutz bedeckt ist, mit feuchter Erde, mit aufgeplatzten Kolben, die auf groteske Weise die Farbe des Blutes fälschen. Es nützt nichts, die Spuren müssen verwischt werden. Alles muß seine Ordnung haben, wie die Natur auch die ihre hat. Er streckt den Kopf nach oben. Schon schimmert der See wie gesponnenes Silber, rollt der Tag an, schneller den je. Bald gibt es wieder Fenster. Und Worte und Blicke. Und eine Unschuld, die nicht auszuhalten ist. Heute nicht. Morgen nicht. Niemals

Der Mann besteigt sein Rad. Weiße Gischt stürzt nach oben, baut über ihn ein neues, luftiges Netz. Wieder einmal wird er es mitnehmen müssen wie ein Stück Himmel, das ist sicher. Auf dem gegenüberliegenden Ufer zeigt sich ein Dorf. Weich leuchten die Farben im Wind. Er weiß, dort plätschert es seicht auf die Haut, wiegt sich das Schilf, belagern welke Hochzeitskränze den Grund des Sees. Den Mörder wird man nicht finden, das ist gewiß. Alles geht immer zu schnell. Ihr aber, die er nur aus der Ferne kennt und von deren Einsamkeit er nichts weiß, wird er noch lange durch Träume spuken, die weder kalt noch warm, weder hell noch dunkel sind, aber verwirkt, das ist sicher, wie alle Nächte ihres Lebens.

Ein letztes Mal sehnt es sich in ihm fort.
Aufstehen. Gehen. Sich bewegen.

Dann treffen die Strahlen das wache Feld.
Und der Tag beginnt.
 

Roberpropp

Mitglied
Allerherzlichsten Dank!

Eine willkommene Freude zum Samstagmorgen.

Euer Punktesystem hier finde ich etwas eigenartig, zumal man ja leicht sich selber bewerten koennte. Konnte mich trotzdem in diesem Fall nicht bremsen und gab zehn!

Produktiven Tag wuenscht Robert.
 
Danke Dir, Robert - auch für den Tag

ich spüre schon, er wird auf alle Fälle "produktiv" ....

Dir ein ebensolches Wochenende oder ein anderes, wenn Dir danach ist,

Gruß

Birgit
 
R

Rote Socke

Gast
Uff, is ja irre!!!

Musste doch mal schauen was so eine Lady schreibt die mich als feminen PDS-ler betitelt *g*
Ich war mehrfach überrascht. Zunächst glaubte ich an lyrische Prosa und fragte mich, was sucht die bei Horror und Krimi. Deine Story hat mich eines besseren belehrt. Nach kurzem Einlesen wurde mir ganz unheimlich zumute was da wohl vor sich ging in der Geschichte. Und in der Tat, sie hat an Horror und Unheimlichem genug zu bieten.
Besonders hat mich der Schreibstil fasziniert. Habe ich in dieser Art im Krimi/Horror-Genre nie gesehen. Mir gefällt er sehr gut und werde mich auch mal daran versuchen. Aber so ganz tief im Hinterkopf versunken, erinnert mich das ein wenig an E.A. Poe, kann das sein???
Jedenfalls vortrefflich. Dieser Ausflug hatte sich sehr gelohnt.
Gruss RS
 
Hallo Roter Napoli,

diese Story hätte ich ja jetzt glatt vergessen (nein, das ist wohl zu dick aufgetragen!) - jedenfalls danke für das Lob. Eine klitzekleine Frage hätt ich aber schon: wo bitteschön siehst du E.A.Poe herumgeistern in meiner Hausmannskost? Wäre dir sehr verbunden für eine präzise Ortsangabe.

Es grüßt Krawatte, gestreift
aus der nördlichsten Stadt Italiens
und auf Pasta-Entzug
 
R

Rote Socke

Gast
Nee, nee Birgit,

werte mal nicht ab. Diese Schreibe find ich wirklich gekonnt und absolut lesenswert.

Ich hatte mal vor langer Zeit eine Geschichte von Poe gelesen. Darin ging es um einen mysteriösen Mord in einem von innen verschlossenen Zimmer. Wie also kam der Mörder in dieses Zimmer und konnte es wieder verlassen. Der Mörder war ein Affe und kam durch das Fenster geklettert. Die Schreibe dieser Story und etwas vom mysteriösen Inhalt fand ich in Deiner Geschichte wieder. So war das gemeint.

Beste Grüße

RP (Der rote Poe) ;)
 



 
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