Mach's gut!

Lean Beck

Mitglied
„Heute gehe ich entgültig. Nach Mittel- oder Südamerika. Mal sehen, wohin es mich verschlägt. Nach langem Hin-und-Her ziehe ich den Schlussstrich und schlag ein neues Kapitel auf“, sagte Benni.
Janis schüttelte den Kopf. Er fragte sich, wie viele Phrasen man eigentlich in einem Satz verwenden konnte. Benni war der König der abgestandenen Redewendungen, wobei Janis Sprichwörter generell überflüssig fand. Er kannte Benni schon seit dem Kindergarten. Sie waren lange die besten Freunde gewesen. In den letzten Jahren hatte sich ihr Verhältnis jedoch verschlechtert. Janis hatte Benni ständig Geld geliehen, welches er zum Großteil nie wieder sah. Er hatte auch keine Hoffnung, es jemals wieder zu bekommen. Eigentlich war er nur in den Park gekommen, weil Benni am Telefon gesagt hatte, es gäbe etwas Wichtiges zu besprechen, und dass heute die letzte Chance sei, ihn zu sehen. So drastisch hatte er es noch nie formuliert.
„Weißt du? Ich halt das alles nicht mehr aus mit meinen Eltern und meinem Bruder, der falschen Schlange. Ich kann nicht mehr.“
Schon wieder so eine abgedroschene Redewendung. Flasche Schlange. Wenn Schlangen sowieso für Falschheit stehen, wieso dann überhaupt „falsche Schlange“ sagen?
„Mein Bruder bekommt alles und ich werde kein bisschen unterstützt. Ich hab jetzt meine Lehre fast beendet und keiner respektiert das.“
„Ja, deine dritte, fast fertige Lehre mit 32“, sagte Janis monoton.
„Aber wenn du wüstest, wie stressig es bei mir zuhause ist. Du kennst meine Eltern. Nimm das, was du früher bei uns miterleben musstest mal zehn, dann weißt du ungefähr, was bei mir abgeht. Ich muss weg. Ausziehen alleine bringt nichts. Ich muss weit weg. Einen Cut machen. Meine Brücken verbrennen. Ich wollte mit dir persönlich sprechen, weil du immer loyal zu mir warst“.
Er griff in seine Tasche und streckte Janis einen Zehneuroschein entgegen. Janis zögerte erst, doch dann nahm er den Schein. Bei 9000 Euro Schulden musste man vielleicht einmal ein Zeichen setzen, auch wenn es geizig wirkte.
„Und mein Chef will mich sowieso nicht übernehmen, also scheiß drauf. Jenny hat mich wieder mal verlassen und meine Medikamentierung ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Ich will weg. Ich hab noch ein Geschenk für dich.“
Er griff in seine Pullovertasche und holte eine Kassette heraus. Das war das erste Mal seit Langem, dass Janis in Bennis Gesicht etwas erkannte, das einem Grinsen sehr nahe kam.
„Kennst du die noch?“, fragte er.
Janis erkannte seine krakelige Schrift auf der Kassette. “The Noun – Promotape”. Er nickte.
Er steckte die Kassette in seine Jackentasche. Er war immer dafür gewesen, das Tape zu vernichten, aber jetzt war er etwas neugierig auf ihre stümperhaften versuche, etwas musikähnliches zu fabrizieren.
„Vielleicht geh ich doch erst morgen. Jetzt wird es dunkel, da kann man sowieso nicht so gut trampen. Wobei? Ich glaube, ich ziehe es einfach durch. Ich weiß, ungewöhnlich für mich aber dieses Mal tu ich es.“
Letztes Jahr war es Tschechien, das Jahr davor Spanien und vor drei Jahren Norwegen. Janis zweifelte daran, ob er tatsächlich nie wieder von ihm hören würde. Sie gingen noch einige Meter zusammen, dann verabschiedeten sie sich.
„Mach`s gut. Auch wenn es mir wehtut. Auf nimmer Wiedersehen.“
„Mach`s gut, Benni. Bis bald.“
Gerade als Janis sich umdrehte, sagte Benni: „Hey, Janis. Mir fällt gerade auf, dass man hier gar nicht richtig trampen kann. Ich muss also den Bus in Richtung Autobahnraststätte nehmen. Kannst du mir den Zehner vielleicht irgendwie wieder geben? Ist mir echt unangenehm, zu fragen.“
Kurz hatte Janis gedacht, Benni würde mir noch etwas Freundschaftliches sagen. Aber das hätte er auch erwarten können. Er war überrascht darüber, dass er überrascht war. Er gab ihm die zehn Euro, sie verabschiedeten sich ein weiteres Mal und gingen beide ihrer Wege.


Fünf Tage später hatte Janis einen verpassten Anruf auf seinem Telefon. Janis konnte die Nummer auswendig seit er ein kleines Kind war. 770. Eine der ältesten Nummern im Dorf. Er hatte gewusst, dass Benni es nicht durchziehen würde. So oft saßen sie schon im Park und er erzählte ihm, dass er auswandern würde. Janis war kalt geworden. Immer die gleiche Leier. er hatte sich zum Selbstschutz in den letzten Jahren von Benni distanziert, das wurde ihm immer bewusster.
„Dieses Mal gehe ich wirklich”. Wirklich? Ich habe dir immer geholfen. In jeder Situation. Aber du wolltest dir nie helfen lassen. Wieso hast du nicht einmal was durchgezogen?
Janis’ Telefon klingelte erneut. 770. Er überlegte, den Anruf abzuweisen, tippte dann aber doch auf das grüne Hörersymbol. Am anderen Ende der Leitung war aber nicht Benni, es war seine Mutter.
„Janis“, sagte sie schluchzend. „Benni ist…“
„Ja, ich weiß, er ist in Süd- oder Mittelamerika. Oder auf dem Weg dorthin.“
„Nein, er ist…“
Janis legte auf. Er wusste, was sie sagen wollte, eine weitere Phrase. Sie würde lügen. Benni war in Brasilien oder Mexico und bräunte sich in der prallen Sonne. So wie er ihn kannte, trank er morgens schon Rum und gaffte den Señoritas am Pool nach. Janis nahm seinen alten Walkman und legte das Tape ein.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo Lean Beck, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von jon

(aushelfender Redakteur in diesem Forum)
 

Lean Beck

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„Heute gehe ich entgültig. Nach Mittel- oder Südamerika. Mal sehen, wohin es mich verschlägt. Nach langem Hin-und-Her ziehe ich den Schlussstrich und schlag ein neues Kapitel auf“, sagte Benni.
Janis schüttelte den Kopf. Er fragte sich, wie viele Phrasen man eigentlich in einem Satz verwenden konnte. Benni war der König der abgestandenen Redewendungen, wobei Janis Sprichwörter generell überflüssig fand. Er kannte Benni schon seit dem Kindergarten. Sie waren lange die besten Freunde gewesen. In den letzten Jahren hatte sich ihr Verhältnis jedoch verschlechtert. Janis hatte Benni ständig Geld geliehen, welches er zum Großteil nie wieder sah. Er hatte auch keine Hoffnung, es jemals wieder zu bekommen. Eigentlich war er nur in den Park gekommen, weil Benni am Telefon gesagt hatte, es gäbe etwas Wichtiges zu besprechen, und dass heute die letzte Chance sei, ihn zu sehen. So drastisch hatte er es noch nie formuliert.
„Weißt du? Ich halt das alles nicht mehr aus mit meinen Eltern und meinem Bruder, der falschen Schlange. Ich kann nicht mehr.“
Schon wieder so eine abgedroschene Redewendung. Flasche Schlange. Wenn Schlangen sowieso für Falschheit stehen, wieso dann überhaupt „falsche Schlange“ sagen?
„Mein Bruder bekommt alles und ich werde kein bisschen unterstützt. Ich hab jetzt meine Lehre fast beendet und keiner respektiert das.“
„Ja, deine dritte, fast fertige Lehre mit 32“, sagte Janis monoton.
„Aber wenn du wüstest, wie stressig es bei mir zuhause ist. Du kennst meine Eltern. Nimm das, was du früher bei uns miterleben musstest mal zehn, dann weißt du ungefähr, was bei mir abgeht. Ich muss weg. Ausziehen alleine bringt nichts. Ich muss weit weg. Einen Cut machen. Meine Brücken verbrennen. Ich wollte mit dir persönlich sprechen, weil du immer loyal zu mir warst“.
Er griff in seine Tasche und streckte Janis einen Zehneuroschein entgegen. Janis zögerte erst, doch dann nahm er den Schein. Bei 9000 Euro Schulden musste man vielleicht einmal ein Zeichen setzen, auch wenn es geizig wirkte.
„Und mein Chef will mich sowieso nicht übernehmen, also scheiß drauf. Jenny hat mich wieder mal verlassen und meine Medikamentierung ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Ich will weg. Ich hab noch ein Geschenk für dich.“
Er griff in seine Pullovertasche und holte eine Kassette heraus. Das war das erste Mal seit Langem, dass Janis in Bennis Gesicht etwas erkannte, das einem Grinsen sehr nahe kam.
„Kennst du die noch?“, fragte er.
Janis erkannte seine krakelige Schrift auf der Kassette. “The Noun – Promotape”. Er nickte.
Er steckte die Kassette in seine Jackentasche. Er war immer dafür gewesen, das Tape zu vernichten, aber jetzt war er etwas neugierig auf ihre stümperhaften versuche, etwas Musikähnliches zu fabrizieren.
„Vielleicht geh ich doch erst morgen. Jetzt wird es dunkel, da kann man sowieso nicht so gut trampen. Wobei? Ich glaube, ich ziehe es einfach durch. Ich weiß, ungewöhnlich für mich aber diesmal tu ich es.“
Letztes Jahr war es Tschechien, das Jahr davor Spanien und vor drei Jahren Norwegen. Janis zweifelte daran, ob er tatsächlich nie wieder von ihm hören würde. Sie gingen noch einige Meter zusammen, dann verabschiedeten sie sich.
„Mach`s gut. Auch wenn es mir wehtut. Auf nimmer Wiedersehen.“
„Mach`s gut, Benni. Bis bald.“
Gerade als Janis sich umdrehte, sagte Benni: „Hey, Janis. Mir fällt gerade auf, dass man hier gar nicht richtig trampen kann. Ich muss also den Bus in Richtung Autobahnraststätte nehmen. Kannst du mir den Zehner vielleicht irgendwie wieder geben? Ist mir echt unangenehm, zu fragen.“
Kurz hatte Janis gedacht, Benni würde ihm noch etwas Freundschaftliches sagen. Aber das hätte er auch erwarten können. Er war überrascht darüber, dass er überrascht war. Er gab ihm die zehn Euro, sie verabschiedeten sich ein weiteres Mal und gingen beide ihrer Wege.


Fünf Tage später hatte Janis einen verpassten Anruf auf seinem Telefon. Janis konnte die Nummer auswendig seit er ein kleines Kind war. 770. Eine der ältesten Nummern im Dorf. Er hatte gewusst, dass Benni es nicht durchziehen würde. So oft saßen sie schon im Park und er erzählte ihm, dass er auswandern würde. Janis war kalt geworden. Immer die gleiche Leier. er hatte sich zum Selbstschutz in den letzten Jahren von Benni distanziert, das wurde ihm immer bewusster.
„Diesmal gehe ich wirklich”. Wirklich? Ich habe dir immer geholfen. In jeder Situation. Aber du wolltest dir nie helfen lassen. Wieso hast du nicht einmal was durchgezogen?
Janis’ Telefon klingelte erneut. 770. Er überlegte, den Anruf abzuweisen, tippte dann aber doch auf das grüne Hörersymbol. Am anderen Ende der Leitung war aber nicht Benni, es war seine Mutter.
„Janis“, sagte sie schluchzend. „Benni ist…“
„Ja, ich weiß, er ist in Süd- oder Mittelamerika. Oder auf dem Weg dorthin.“
„Nein, er ist…“
Janis legte auf. Er wusste, was sie sagen wollte, eine weitere Phrase. Sie würde lügen. Benni war in Brasilien oder Mexico und bräunte sich in der prallen Sonne. So wie er ihn kannte, trank er morgens schon Rum und gaffte den Señoritas am Pool nach. Janis nahm seinen alten Walkman und legte das Tape ein.
 



 
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