Macht fernsehen krank?

Dorian

Mitglied
Wenn ich von der Arbeit komme und den Fernseher einschalte, möchte ich mich eigentlich entspannen. Für ein paar Stunden an nichts denken, was beim heutigen Fernsehprogramm nicht schwer fallen sollte. Da fällt es eher schwer, die matschige leere Dunkelheit, die sich in unser aller Kopf befindet mit etwas Profundem zu füllen.
Umso mehr ärgert es einen, wenn man sich von jedem Kanal mit Grausen abwenden muß. Man schaltet ein und erwischt eine Talkshow: Die beliebtesten Dummbeutel der Nation holen sich gegenseitig einen runter. Manchmal streiten sie aber auch, dem Moderator zuliebe, weil der der beste Runterholer ist. Respektive Bläser, wenn er schwul oder eine ModeratorIN ist. Man könnte ja glauben, dass jene Menschen ins Fernsehen gehen, weil sie etwas zu sagen haben, weil sie ihre Mitmenschen auf Mißstände aufmerksam machen wollen oder weil ihr Auftritt sonst auch nur im Entferntesten eine Aussage hat. Ja, das könnte man glauben, wenn einem als Kind ein Konzertflügel auf den Kopf gefallen ist.
Nächster Kanal. Eine Quizshow, was sonst. In einer Zeit, in der die Dummheit höher geschätzt wird, als jemals zuvor in den Jahrhunderten dämlicher Kriege und hirnverbrannter Religionsstreitigkeiten, die nun einmal unsere Geschichte bestimmen, und man nur dann beliebt, bekannt und/oder allseits geachtet werden kann, wenn man das Maul möglichst weit aufreißt, in einer solchen Zeit also will man mir weismachen, dass Fernsehsender ehrlich versuchen Leute davon zu überzeugen, dass man mit Bildung Geld machen kann. Unter den Blinden ist der Einäugige König/Großverdiener, denke ich mir und schalte weiter.
Eine politische Diskussion. Der Rechtspopulist, der seit neuestem in der Regierung sitzt und der überkommene Sozi machens wie die Kindergartenkinder: dem anderen die Schuld geben. Dazwischen sitzt, auf fast schon mitleiderregende Weise anscheinend der einzige Erwachsene am Tisch, der alternde Öko-Freak, dessen bunter Pullover und Birkenstock-Sandalen seit mindestens zehn Jahren ausgedient haben, eingezwängt in einen schlechtsitzenden knittrigen Anzug, und weiß eigentlich nicht was er tun oder sagen soll. Vor allem, weil er weiß, dass sein Parteiprogramm, gelinde gesagt, blauäugig ist. Scheiße, würde er selbst sagen.
Auf dem nächsten Kanal wird etwas verkauft. Hässliche Dinge,die zuviel kosten, werden von hässlichen Leuten, die zuviel reden, an andere hässliche Leute, die zuwenig denken, verkauft. Was genau verkauft wird ist Nebensache, vor allem, weil es niemanden interessiert. Hauptsache es wird verkauft. Aber wenn das alles so toll ist, wieso wird es dann nicht schon lange von Profis verwendet? Natürlich wird immer wieder der eine oder andere Profi herangezogen, der Betreffendes „schon seit Jahren“ verwendet. Nur, das er nicht damit umgehen kann. Dann kauft man den Schrott und nach wenigen Tagen, frühestens aber nach Ablauf der Garantiefrist, zerfällt einem der kochende, wäschewaschende, fußballspielaufzeichnende Gemüsehobel in den Händen. Oder aber er ist von Anfang an unbrauchbar. Allerdings steht über „Unbrauchbarkeit“ nichts in den Garantiebestimmungen. 38-Hauben-Gourmetköche, von denen noch nie ein lebendes Wesen (und auch kein totes, was das betrifft) gehört hat, erzählen einem über Monate hinweg, dass sie am liebsten mit diesem und jenem Wok-Set kochen und wenn man das Gelumpe kauft, darf man es auch noch selbst zusammenbasteln. Meistens sind auch noch Messer involviert. Ich bin gespannt auf die erste „Reportage“, die sich dieses Themas annimmt und berichtet, wie viel abgetrennte Gliedmaßen hierbei schon für die Abdeckerei herausgesprungen sind.
Womit wir beim nächsten Kanal wären. „C2 – Die Reportage“, „Die Journalisten“, „Implosiv“ und wie sie alle heißen, sie alle versuchen auf nicht sehr geschickte Weise und mit einem möglichst seriös klingenden Off-Stimmen-Sprecher das rüberzubringen, was man auch von „Wa(h)re Liebe“ haben kann: Sex, meistens nach zweiundzwanzig Uhr. Die durchschnittliche Nachmittagsshow bringt auch nichts anderes, allerdings harmloser (aufgrund der Sendezeit), mit jüngeren Moderatoren (weil doch auch Teenager zuschauen) und mit eingestreuten Berichten über Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist (um auf die Tränendrüse zu drücken und einem die Sexthemen ausgehen, wenn man nachmittags sendet). Man fragt sich ja, was das für Menschen sind, die ihre missgebildeten Kinder oder Gliedmaßen im Fernsehen zu Schau stellen und das bei mehreren Sendern und zu verschiedenen Themen. Und dann nicht mal ein Spendenaufruf folgt. Sind diese Leute so geil auf Aufmerksamkeit, dass sie das Seelenheil ihrer Kinder (bzw. Gliedmaßen) aufs Spiel setzen? Haben ihre Eltern ihnen zuwenig Beachtung geschenkt, oder nicht oft genug verprügelt?
Danach vergeht mir meist die Lust weiter fernzusehen. Dann treibe ich mich im Internet herum, was auch nicht viel besser ist, aber mit mehr Auswahl. Dort kann ich mich stundenlang auf Seiten aufhalten, wo ich mich nicht ärgern muß. Es sei denn, mein Computer bockt. Aber dann weiß ich wenigstens, wen ich schlagen muß.
Trotz alledem: Das erste was ich mache, wenn ich von der Arbeit komme ist was? Richtig geraten, lieber Leser, den Fernseher einschalten. Was sagt das über mich aus? Nicht allzuviel, hoffe ich.
Ich glaube es war Karl Renner der einmal gesagt hat: Ein Patriot ist ein Mensch, der niemals zulassen würde, dass ein Ausländer so über sein Land schimpft, wie er selbst es tut. Und genauso verhält es sich zwischen mir und dem Fernseher. Ich schimpfe über ihn, aber ohne ihn könnte ich wahrscheinlich gar nicht leben. Es ist fast wie mit den Frauen.
Also, wenn das nicht gesund ist.
 

Intonia

Mitglied
Verwässert

Hallo Dorian,

Deine Gedanken sind so gut, dass ich ausnahmsweise mal ein paar Punkte vergebe. Die Abstriche kommen für den Schluss, der meiner Meinung nach das Ganze etwas verwässert. Da wirst Du etwas zu persönlich, was gar nicht notwendig ist und - entgegen Deiner Befürchtungen - doch eine ganze Menge über Dich aussagt.

Herzliche Grüsse
Intonia
 

Dorian

Mitglied
Tja...

...was soll ich dazu sagen?
Danke für die Blumen erstmal, schätze ich.
Was den Rest der Kritik angeht... ich kämpfe mit dem Handicap des Nicht-objektiv-sein-könnens, wenn es um von mir selbst verfasste Texte geht. Das geht so weit, daß ich nicht mal sagen kann, ob die nächste Kritik milde ausfallen wird, oder ich in der Luft zerissen werde.
Insofern weiß ich nicht genau, was ich mit Deinen Bemerkungen anfangen soll. Könntest Du etwas genauer werden und mir sagen, wo genau ich zu persönlich werde? Dann könnte ich den Schluß vielleicht abändern, aber so weiß ich nicht mal wo ich ansetzen soll.
Vielen dank

LG

Dorian
 

Intonia

Mitglied
Hallo Dorian,

Kritik zu üben ist leicht, aber sie zu begründen ist gar nicht so einfach. Ich will es versuchen.

Ab hier fand ich einen klaren Bruch in der Geschichte:
>Was sagt das über mich aus? Nicht allzuviel, hoffe ich.
Ich glaube es war Karl Renner der einmal gesagt hat: Ein Patriot ist ein Mensch, der niemals zulassen würde, dass ein Ausländer so über sein Land schimpft, wie er selbst es tut. Und genauso verhält es sich zwischen mir und dem Fernseher. Ich schimpfe über ihn, aber ohne ihn könnte ich wahrscheinlich gar nicht leben. Es ist fast wie mit den Frauen.
Also, wenn das nicht gesund ist. <
Das würde ich alles weg lassen,weil es zu selbstverständlich ist, und an dessen Stelle nur noch einen kurzen naseweisen, poentierten Grund für Dein Einschalten des Fernsehers nennen. Vielleicht fällt Dir ein guter Plot ein. Der Vergleich mit Frauen ist nicht schlecht. Vielleicht kannst Du den verwenden und noch etwas pfiffiger machen.

Aber denk dran, auch Kritiker irren, und ich bin ja noch nicht mal einer, sondern genau so ein Lehrling wie die meisten hier.

Schönen Sonntag und gute nacht
Intonia
 
G

Gegge

Gast
Hallo Dorian,

Ja, dieser Text ist eine Glosse. Sogar eine ganz hervorragende. Die Stelle "Hässliche Dinge,die zuviel kosten, werden von hässlichen Leuten, die zuviel reden, an andere hässliche Leute, die zuwenig denken, verkauft" fand ich besonders gelungen.

Wie Intonia Dir ja bereits schrieb, wäre der Text vermutlich NOCH BESSER, wenn der persönliche Anfang und Ende knapper gehalten würde, bzw. die ICH-Form ins allgemeine "man" ausgetauscht würde.

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Danach vergeht mir meist die Lust weiter fernzusehen. Dann treibe ich mich im Internet herum, was auch nicht viel besser ist, aber mit mehr Auswahl. [/strike]
Trotz alledem: Das erste was ich mache, wenn ich von der Arbeit komme ist was? Richtig geraten, lieber Leser, den Fernseher einschalten.
Das wäre eigentlich bereits ein toller Schluss-Satz!

Lieben Gruss
und Danke fürs "mitmachen"

Gegge
 



 
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