Magnesium

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„Wenn das Leben ein Strand ist, dann sind Frauen das Meer.“
Michel Bierbeck

Zwei Gründe sprachen dafür, die Wohnung nicht zu verlassen: erstens war sie wohlig warm und heimelig, draußen dagegen herrschte die empfindliche Kälte der ersten Novembertage des Jahres.
Ein eiskalter Nordost trieb die letzten Reste des Herbstlaubs vor sich her, wie ein Rattenfänger, der es anders herum machte, und der Nebel hatte einen zerfetzten Watteteppich über die Welt gelegt, wie ein löchriges Tuch, das eine labyrinthartige Welt schuf, in der man sich ohne Karte leicht verirren konnte.
Der andere Grund war pragmatischerer Natur, doch er hatte abergläubische Tendenzen: es regnete und Jonas mochte Wasser nicht. Ganz und gar nicht. Es war sogar vielmehr so, dass er es regelrecht hasste und verabscheute.
Er hatte gelernt zu hassen, hatte gelernt wie es ist, wenn jedes Gefühl der Liebe und Zuneigung ertrinkt in … Fluten dunklen, schäumenden Wassers … einem toxischen Gefühl der Leere. Eben der Leere, die Selenes Tod hinterlassen hatte, wie eine kahle, fleckige Stelle im Familienalbum, die einen blind und vorwurfsvoll anstierte. Jemand hatte das Bild irgendwann herausgenommen und vergessen wieder hineinzukleben, und egal wie sehr man es auch versuchte, … blondes, ellenlanges, fließendes Haar … man konnte sich nicht daran erinnern, wie das Gesicht der Person auf dem Foto ausgesehen hatte (wenn man überhaupt noch wusste, wen es dargestellt hatte), und genau so ging es ihm mit ihr. Wenn er an Selene dachte, dann sah er nur Umrisse und Schatten, die aus Wellen und Haaren bestanden, aus ihren Haaren.
Es war nicht leicht für ihn so zu leben, mit all diesem Hass und Ekel und der Verzweiflung, die mit dem Gram einherging, doch der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier, und noch zählte Jonas sich zur Gattung homo sapiens.

„Seit wann sind Sie hier?“
„Seit etwa zwei Stunden, aber ich habe eigentlich gar nichts gesehen, und will auch nichts damit zu tun haben.“

Irgendwann, im Laufe der Zeit, waren aus den anfänglichen Symptomen einer unterschwelligen Abneigung gegen das feuchte Nass etwas Dunkleres geworden. Etwas, das tiefer … TIEFER … reichte, wie ein in seine Seele gerissener Mariannengraben. Jonas und der Wal und die unendliche Weite der Meere! Und wie Jonas im Bauch des Wales, harrte er der Dinge, die da kommen mochten, während er den Gesängen der Sirenen und den Schreien der Meeresbewohner lauschte, die durch das Wasser, durch die Ozeane, schallten und unter Wasser scheinbar über ewig weite Strecken hörbar waren. Schreie und eine Stimme, die er kannte. Eine Frauenstimme, doch anders, als er sie in Erinnerung hatte, rauer und kratzender.
Irgendwann riss Jonas sich von seinen Gedanken los und verließ seine Wohnung, trotz des Regens. Er hatte überlegt, ob er einfach seinen alten Schirm benutzen sollte, doch er griff auf die kostspieligere Variante zurück: er rief sich ein Taxi. Die zwei Meter von seiner Haustür bis ins Innere des Wagens waren eine Tortur für ihn.
Wenn das Leben ein Strand ist und die Frauen das Wasser sind, dann bin ich der Asphalt und Du bist der Regen. Und wenn sie der Regen war, dann waren es ihre Tränen, die er auf seiner Haut spürte und die aus den Regenrinnen schossen.
Es waren zwar nur zwei Blocks zu Dr. Hauser, doch Jonas wären sie zu Fuß wie zwei Kilometer vorgekommen. Zwei Welten trennende Kilometer in der lauernden Kälte herabfallenden Wassers.
Es war nicht gut im Wasser zu sein. Dort hörte er ihre Stimme.
Sie sang für ihn, und manchmal hatte er eine unbestimmte aber solide Ahnung, dass ihr Gesang niemals enden und ihn noch bis in sein Grab verfolgen würde.

„Wie fühlen Sie sich?“
„Ähhm … gut … glaube ich.“
Jonas dachte nach und schien zu einer anderen Meinung neigen zu wollen, doch die Zweifel hielten selbst der Nässe, die er von draußen mit herein gebracht hatte, stand.
„Doch … ich kann nicht klagen. Und Sie?“
„Ja, doch. Aber bleiben wir bei Ihnen. Wie haben Sie sich gefühlt … auf dem Weg hierher … im Regen? Und … wie fühlen Sie sich jetzt … in diesem Moment?“
„Ich habe ein Taxi genommen.“
„Sie haben also die angstauslösende Situation bewusst vermieden, aber der Regen … auf der Scheibe. Wie war es ihn zu sehen?“
Wieder wählte Jonas seine Worte mit Bedacht.
„Es war, als … blicke ich in den Rachen eines Raubtieres. Wie im Zoo.“
„Seit meine Freundin Selene“, sag es, los, sag es, „ … seit sie gestorben ist“, BRAVO, „ … ich hatte eine schwere Zeit und … seitdem hasse ich das Wasser. Nein, ich fürchte es … glaube ich.“
„So“, entfuhr es Dr. Hauser, beinahe als hätte er auf seinen Einsatz gewartet. „Was WIR wollen, ist die Angst vor dem Wasser zu besiegen. Sehe ich das richtig?“
„Ja.“
„Und Sie sind bereit an ihre äußersten Grenzen zu gehen?“
„ … ja.“
„Nun, dann sollte es unser Ziel sein, die Glasscheibe oder das Gitter zu entfernen und uns die Bestie mal aus der Nähe anzuschauen.“
Der Arzt schmunzelte. Man sah ihm förmlich an, dass nun seine Lieblingsstelle kommen würde.
„Ist Ihnen der Begriff Flooding geläufig?“ (Er sprach es Fladding aus und spuckte ein wenig dabei).
Jonas schüttelte den Kopf, soweit das in liegendem Zustand möglich war.
„Flooding meint, die aktive und bewusste Initiation des phobischen Faktors, der Essenz der Angst und zugleich ihrer Seele und Quelle, wenn Sie so wollen. Das, was Sie, Jonas Hansmeyer, ausmacht.“
Er räusperte sich und fuhr nun sichtlich gewandter und etwas referierender fort: „Das beste Beispiel ist wohl die Arachnophobie, die Angst vor Spinnen. Bei einer Flooding-Therapie würde man in diesem Fall den Patienten in einen Raum führen, in dem eine haarige, Handtellergroße Spinne hockt. Der Patient dürfte sich kein „Taxi rufen“ um die Situation zu umgehen. Er müsste den Moment mit allen Sinnen erfahren und durfte nicht die Augen verschließen und nicht den Arm wegziehen, wenn die Spinne daran hoch krabbelt.“
Nun blickte er ein wenig ernster.
„In ihrem Fall würde ich Folgendes vorschlagen:“, meinte er und reichte Jonas einen Umschlag, einen kleinen Karton und eine Badekappe.
Jonas wunderte es kein Bisschen, dass in dem Umschlag eine Jahreskarte für das städtische Schwimmbad befand. Das passte zu der sarkastisch-offensiven Art des Arztes. Dr. Hauser war eben sehr um Kontinuität und Regelmäßigkeit bemüht, deshalb war es gleich eine Jahreskarte, doch gerade in Kontinuität hatte Jonas sich nie besonders ausgezeichnet.
„Ich werde also im wahrsten Sinne des Wortes geflutet.“
„Exakt, genau so ist es!“
„Und das hier? So was wie eine Tarnkappe, ja?“
„Mehr noch: wenn Sie die Badekappe aufsetzen, dann kann ihre Stimme Sie nicht mehr erreichen.“
„Und das?“ Er hielt die Packung Magnesiumtabletten hoch und blickte den Arzt fragend an.
„Die sind gut für den Muskelaufbau und den Ballaststoffausgleich. Als Nahrungsergänzung … beim Schwimmen!“ Das letzte Wort sang er förmlich.

Jonas scheiterte schon an den Duschen, doch er blieb am Ball und nahm wenigstens ein Fußbad im beheizten Kinderbecken. Dass er in seiner Aufmachung und unter diesen Umständen, also ein Mann anfang dreißig, der eine Badekappe trug und auf den Stufen des Kinderbeckens saß, eine durchaus merkwürdige Figur abgab, war ihm nicht bewusst.
Es hätte ihn auch nicht weiter gestört.
Das Wasser an den Füßen zu spüren war ein sonderbares Gefühl, das man wohl am ehesten nachvollziehen kann, wenn man sich einen bodenlosen Abgrund vorstellt, an dessen Rand Jonas´ Füße in die Tiefe ragten. Unzählige Mäuler könnten nach ihm schnappen, Saugnapfbewährte Greifarme könnten ihrem Namen alle Ehre machen. Er hatte sogar eine Szene aus dem „Weißen Hai“ vor Augen, als er auf das Becken blickte, auf dem sich vereinzelt kleine und zerbrechliche Wellen kräuselten. Dass es sich um das Kinderbecken handelte, schien zweitrangig zu sein bei diesen Überlegungen. Für Jonas spielte es keine Rolle in welcher Tiefe er sich befand.
Der Zustand von Wasser umringt zu sein war für ihn selbst in diesem Becken in gleichem Maße bedrohlich, als würde er auf offener See in einem Sturm um sein Leben schwimmen. Dazu kam dann noch, dass er nicht besonders gut schwamm, womit eigentlich der Auslöser der ganzen Tragödie beim Namen genannt wurde: hätte er seine Freundin rechtzeitig erreicht, wäre er schnell genug gewesen, dann würde sie mit ziemlicher Sicherheit noch am Leben sein. Zumindest redete er sich das erfolgreich ein. Er hatte ihr versprochen sie zu beschützen, ihr überall hin zufolgen, koste es was es wolle, und er hatte dieses Versprechen nicht halten können. Die endlosen Untiefen der Meere hatten sie verschlungen, hatten sie ihm genommen und nichts hinterlassen als das zerschmetternde Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn wie mit Tentakeln umklammert hielt.
Seither fürchtete er die Tiefe, das dunkle, unberechenbare Nass.
Aber … weshalb verspürte er nur dieses Unbehagen, sogar in flachem Gewässer, wo er eigentlich sicher sein konnte, dass nichts auf ihn lauerte? Es war doch unmöglich, dass ihn ein Etwas fangen und fressen könnte, nicht hier … oder?
Er stellte sich die Seen, Teiche und Tümpel, Meeresstraßen, Buchten und Ozeane der Welt vor, … Wasser … wie sie einem atmenden Geschöpf gleich verdunsteten, … ist letzten Endes immer ein Kreislauf … auf die Erde herabregneten und wieder in das Meer mündeten … eine Erneuerung von Leben, die nicht zu stoppen ist!
Solchen und ähnlichen Gedanken hing Jonas nach, als ihm die Idee kam, die Wirksamkeit seiner Badekappe zu erproben. Bevor er sich überhaupt auch nur überlegen würde ins Schwimmerbecken zu steigen, musste er sich erst ihrer Kraft und somit seiner Sicherheit gewiss sein.
Zitternd nahm er die dunkelblaue Kappe ab und schritt in das Becken hinein.
Das Wasser stand ihm bis zur Oberkante seines Bauchnabels, und er dachte noch, dass er Schwierigkeiten haben würde in so flachem Gewässer unterzutauchen, doch es war eigentlich ganz leicht.
Mit seinem rechten Daumen und Zeigefinger drückte er seine Nasenlöcher zu und tauchte unter.
Das Gefühl war unbeschreiblich!
Er konnte sehen unter Wasser, ganz weit konnte er sehen.
Etwas, das wie der Rumpf eines Schiffes aussah, aber wahrscheinlicher ein Schwimm-Flügel war, glitt vorüber. Schatten sammelten sich an … der Wurm, der niemals stirbt … und dann sah er Augen, die sich rasch näherten. Sie glommen in einem fahlen, hellen und hypnotisierenden Licht und beleuchteten das gezackte Gebiss des Wesens.
Wie vom Zitteraal gezwickt schoss Jonas aus dem Becken und überließ es wieder den Erstklässlern, die seine Abwesenheit nutzten, um eine Partie Wasserball zu spielen.

„… es ist … wie soll ich sagen. Es ist etwas passiert.“
Der Psychiater blieb ruhig und wartete einen Moment, bevor er nachhakte.
„Was ist passiert, Herr Hansmeyer?“
Jonas räkelte sich auf der Couch. Allein bei dem Gedanken an das Ding im Becken, fühlte er ein Gefühl des Ekels und der Übelkeit in sich aufflammen. Und da hatte er den Salat: wenn er sich das Ganze einbildete, dann war alles in Ordnung und er musste nur in die Klapse. Sollte das Wesen aus dem Becken jedoch kein Produkt seiner schizoiden Phantasie sein, so wäre er zumindest geistig gesund. In diesem Fall wüsste er allerdings die Tore der Hölle weit geöffnet und das Böse in ständiger Bewegung und auf seinen Fersen.
„Ich habe etwas gesehen“, war seine vereinfachste Formulierung der Geschehnisse.
„Was genau? Und wo?“
„Im Schwimmbad! Aber was genau … ich … weiß nicht genau, ich … fühlte mich bedroht. Da waren Augen im Wasser … und Zähne, sie … haben mich gesucht.“
„Herr Hansmeyer, ich erlaube mir die Sitzung kurz zu unterbrechen, um mit Ihnen über meine Diagnose zu sprechen. Sie sind ein erwachsener Mann und wie mir scheint Herr Ihrer geistigen Kräfte, Sie werden die Wahrheit vertragen.“
Der Arzt räusperte sich und fuhr mit gelockerter Stimme fort, die zeigte, wie sehr er darauf gewartet hatte, sprechen zu dürfen.
„Ich halte Sie für einen Verdrängungskünstler, ohne das böse zu meinen. Sie visualisieren Ihr verdrängtes Unterbewusstes, das seit Jahren in Ihnen brodelt, in das Element, das Sie am Meisten fürchten: in das Wasser! Suggestive Realität. Ich finde das … faszinierend!“ Er war ganz hin und weg.
„Da jedoch der Schock Ihrer eigenen Emotionen Sie übermannt hat, würde ich vorschlagen, die Rituale, welche das Schwimmen begleiten, zu verstärken, um Ihnen den Widereinstieg ins Schwimmgeschehen zu erleichtern. Ich denke da … in erster Linie an die Magnesium-Dosis. Sie sollten sie verdoppeln. Und Duschen, immer wieder Duschen!“

Die Pillen wurden seine ständigen Begleiter. Wohin er auch ging, er hatte immer eine Packung dabei, um sich mal eben eine schmeißen zu können.
Sie schmeckten zwar säuerlich, und ein wenig nach Zitrone, aber süßlich genug um lecker zu sein und durchaus nicht unangenehm.
Gesunde Bonbons eben.
Eine Nahrungsergänzende Süßigkeit mehr auf dem Speiseplan eines Phobikers, dachte er ironisch, neben Snickers Ice-Cream-Riegeln und dem guten alten Nogger.
Den Beipackzettel ließ er gleich verschwinden. Er wollte gar nicht wissen, was ihm alles widerfahren konnte, wenn er dieses Produkt zu sich nahm. Jonas hatte das früher anders gehandhabt, doch seit er wusste, dass die Einnahme von Aspirinähnlichen Medi-kamenten einen anaphylaktischen Schock zur Folge haben konnte, hatte er sich davon distanziert zu viel wissen zu wollen.
Auf der Packung stand lediglich: Steigert die Nervenaktivität und fördert den Muskelaufbau auf natürliche Art und Weise!
Und das tat es! Und wie!
Nach zwei Wochen war Jonas´ Brustumfang, der bislang gerade mal als spärlich einzustufen gewesen war, um Sage und schreibe drei Zentimeter gewachsen. Auch seine Arme schienen dicker geworden zu sein. Sie fühlten sich regelrecht hart an.
Da wusste er, dass es Zeit war, ins Wasser zu gehen.

„Haben Sie Jonas Hansmeyer ins Becken springen sehen?“
Der ermittelnde Beamte stellte die Frage ohne großes Interesse. Und er befragte alle Anwesenden des Schwimmbades, sogar den Hausmeister, der zum fraglichen Zeitpunkt den Parkplatz auf der anderen Seite des Gebäudes gereinigt hatte.
„Ja. Ich glaube gesehen zu haben, dass er jemandem hinterher gesprungen ist“.

Als es soweit war und er das Element, das ihn so lange in Knechtschaft genommen hatte, besiegte, war er bereits zu euphorisch, um es zu bemerken. Jonas schwamm eine Bahn nach der anderen, schnell wie ein Pfeil und graziös wie ein Delphin.
Seine Badekappe war das Schild gegen die dunklen Mächte aus den Tiefen seiner Seele. Er badete förmlich in seiner Angst, spülte sie wortwörtlich hinweg. Mehrmals stieg er aus dem Becken um sich kalt abzuduschen. Dabei schien er mit jedem Male mehr aufzuleben und freier und unbefangener zu werden, schien sich immer mehr zu verändern, bis er sich selbst fast nicht mehr glich.
Zielstrebiger wurde er, und selbstbewusster. Vor allem jedoch Körperbewusster, und … was sagte man sich von einem gesunden Geist? Sein Körper fühlte sich an, als sei er aus sehnigem, kräftigem Ebenholz; unnachgiebig und stark, so stark, wie nie zuvor. Steigert die Nervenaktivität und fördert den Muskelaufbau auf natürliche Art und Weise!
War es vielleicht sogar den Pillen zuzuschreiben, dass er diese seltsame Halluzination im Kinderbecken hatte? Er wusste es nicht. Und noch während er darüber nachdachte, kam eine Gestalt auf ihn zugeflitzt, die ihm im Vorbeilaufen die Kappe vom Kopf riss und in Windeseile ins Wasser sprang. Wie erstarrt blieb er stehen! Er brauchte die Badekappe, unbedingt. Als er ihr hinterher hechten wollte, spürte er etwas, an seiner Hand. Etwas zwischen seinen Fingern.
Hatte die Gestalt nicht IHR ähnlich gesehen? War SIE es vielleicht sogar? Wäre es möglich? Aber Selene war doch im Meer ertrunken … letzten Endes ist Wasser immer ein Kreislauf, eine Erneuerung von Leben, die nicht zu stoppen ist!
Jonas wusste nicht, ob er sich die Schwimmhäute zwischen seinen Fingern nur einbildete, oder ob sie real waren. Er wusste gar nichts mehr und eigentlich wollte er es auch gar nicht. Es war nicht nötig! Alles was er wollte, war: schwimmen. Seine Muskeln schrieen förmlich danach.
Das Wasser nahm ihn dankbar in sich auf und zeigte ihm erbarmungslos die dunkelsten Tiefen seines Unterbewusstseins. Wieder sah er, wie sich diese gefühlslosen, kalten Augen näherten und in der Schwärze der Unendlichkeit leuchteten. Und dann erblickte er sie, und er sah, dass die Frau nicht nur wie Selene ausgesehen hatte: sie war es tatsächlich! Blondes ellenlanges Haar, ein schlanker, geschmeidiger Körper, der grüne Badeanzug, in dem sie ertrunken war.
Selene!
Wäre er nur ein wenig schneller gewesen, damals, nur ein kleines Bisschen … und dann spürte er, dass er es geschafft hatte. Er hätte sie erreicht. Mit seinem jetzigen Tempo, hätte er sie rechtzeitig erreicht!
Ihr Gesang war scheinbar überall. Er verbreitete sich in Fächern im gesamten Raum und brach sich in einem infernalischen Crescendo an den Klippen der Kontinente.
Sie lächelte ihm betörend entgegen, während sie für ihn sang, und dann sah er, wie sie sich veränderte und zu dem Ding mit den fahlen, leblosen Augen wurde.
Zähne, ihr Gesicht war voll von ihnen, doch immer noch schien sie zu lächeln, während Jonas nichts tun konnte, außer zu schreien, was ihn alle Luft kostete, die in seinen Lungen war, doch das spielte keine Rolle mehr. Alles was zählte, war zu sühnen, die Erneuerung eines Versprechens.
Jonas und der Wal und die unendliche Weite der Meere!
Strömungen und Wellenausläufer trieben sie in seine Arme und er empfing sie wie ein Liebender.

„Also … Sie haben gesagt, dass Sie gesehen haben, wie der Typ reingesprungen ist, ja?“
„Jo!“
„Und dann haben Sie gesehen, dass er aus dem Becken geklettert und abgehauen ist, ja?“
„Nö! Det is ja dat Komische daran! Er is in det Becken reinjesprungen, aber … er is nich mehr rausjekommn.“
 

Nina H.

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Die Geschichte hat mir ausgesprochen gut gefallen! Es wird einfach toll erzählt, wie der Protagonist sich fühlt.

Vom Stil her gibt es nur eine Sache, die mir nicht gefällt: Mitunter gleitet das ganze in den "Drehbuchstil" ab. Also nur wörtliche Reden ohne dass dazugesagt wird, wer spricht.

Ansonsten habe ich noch ein paar Kleinigkeiten herausgeschrieben, die hoffentlich helfen, den Text zu verbessern:

Wenn das Leben ein Strand ist und die Frauen das Wasser sind, dann bin ich der Asphalt und Du bist der Regen.
Auch in Briefen schreibt man "du" inzwischen klein.

Bei einer Flooding-Therapie würde man in diesem Fall den Patienten in einen Raum führen, in dem eine haarige, Handtellergroße Spinne hockt.
"Handtellergroße" schreibt man klein.

„In ihrem Fall würde ich Folgendes vorschlagen:“, meinte er und reichte Jonas einen Umschlag, einen kleinen Karton und eine Badekappe.
Das "Ihrem" in der Höflichkeitsforum und wörtlichen Rede gehört groß geschrieben.

...um Ihnen den Widereinstieg ins Schwimmgeschehen zu erleichtern.
"Widereinstieg" gehört mir langem mit "ie".

Eine Nahrungsergänzende Süßigkeit mehr auf dem Speiseplan eines Phobikers, dachte er ironisch, neben Snickers Ice-Cream-Riegeln und dem guten alten Nogger.
"Nahrungsergänzende" klein. Bei dem Wort "Phobiker" weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob es das überhaupt gibt (im Wörterbuch steht es nicht), aber wenn es sich von "Phobie" ableitet, müsste es von der Logik her auch mit langem "i" geschrieben werden.

Jonas hatte das früher anders gehandhabt, doch seit er wusste, dass die Einnahme von Aspirinähnlichen Medi-kamenten einen anaphylaktischen Schock zur Folge haben konnte,...
"Aspirinähnlich" gehört klein, bei den Medikamenten ist ein Strich (Silbentrennung?) dazwischengerutscht.
 



 
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