Man lacht nur einmal

Steewee

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Noch eine Woche bis zu meiner Pensionierung. Eine Woche noch in diesem Affenkäfig voller Gestank und Heuchelei. Ich mochte niemanden hier. Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Deswegen fanden es die Spaßvögel hier urkomisch, mir ausgerechnet diesen einen, letzten Fall zu zuschanzen. Ein Toter in einem Zirkus. Ich spare mir beim Verlassen des Reviers Vergleiche mit dem Innendienst, schließlich musste ich nochmal her, um meine paar Habseligkeiten von meinem Schreibtisch zu fischen. Das Bild von mir und meinem Mädchen aus besseren Tagen und den kleinen Stoffhasen, den mir ein Junge aus meinem ersten Fall vor fast 40 Jahren geschenkt hatte. Konnte ihn einfach nicht weggeben, war so ’ne Art Glücksbringer. Viel Glück hat er mir bisher nicht gebracht, aber zumindest lebe ich noch. Hab viele kommen und in ’nem Sarg gehen sehen. Zuviele. Die 38er bleibt in der Schublade, wie die letzten 40 Jahre auch. Bin nicht John Wayne.
Ali wartet schon in seiner pissgelben Gurke vor der Tür. In einer Stadt, die mehr Taxis als Einwohner hat, ist wohl jeder Eseltreiber für ’nen Stammkunden dankbar. Brauch keinen Dienstwagen. Sein Vater hatte mich auch schon gefahren. Alibaba. Keine Ahnung, wie er wirklich hieß, beherrschte kein Wort meiner Sprache. Oder umgekehrt, ist Ansichtssache. Irgendwann hat sich der Alte in’ner Moschee in die Luft gejagt. Hab dafür gesorgt, dass seine Komplizen kein Sonnenlicht mehr sehen und seinen Jungen in ’nem guten Heim untergebracht. Und jetzt kutschiert der mich zwischen Revier, Scheiße und Appartement hin und her. Was für ’n bekackter Kreislauf.
Als wir vor dem lächerlich kleinen Zirkuszelt halten, bleibe ich kurz im Wagen und denke laut anhand der Flagge nach, welche Moschkoken hier wohl ihre Zelte aufgeschlagen haben. Ali meinte, es könnten Szekler sein. Ist auf seiner Flucht durch Europa einigen von denen begegnet. Ich will mir keine Blöße geben und sage, dass ich das auch schon vermutet hatte. Beim Verlassen des Wagens frage ich Ali, wo in Europa er solchen Typen begegnet ist, nur interessehalber. Rumänien, ruft er mir hinterher, Siebenbürgen.
Der blasse Junge am Eingang hatte mich schon gemustert, als ich noch im Wagen saß. Meine Dienstmarke interessiert ihn sicher wie die Börsenkurse, ich halte sie ihm trotzdem unter die Nase. Unbeeindruckt deutet er mir wortlos, ihm zu folgen. Ich frage, ob schon ein Arzt vor Ort ist, was ebenso unbeantwortet bleibt, wie meine Frage, warum er mir nicht antwortet. Versteht mich wohl nicht, der Gypsy.
„Doch. Der Gypsy versteht jedes Wort.“ kommt es aus einer düsteren Ecke. Ein dunkelhaariger, faltiger Exot in schillerndem Gewand tritt auf mich zu. Dass dieser meine Gedanken liest, blende ich aus. An so ’nen Humbug glaube ich nicht.
„Sie müssen verzeihen. Vadim ist ein guter Junge. Er hat mich halt nur einmal zuviel belogen.“ Der Alte tippt an eine riesige Lederscheide in seinem Gürtel, in der sicher ein ebenso riesiges Messer steckt „Das tut er nun nicht mehr.“ lächelt er mich breit an. Jetzt fällt mir auch auf, dass einer der Anhänger an den vielen Kettchen und Bändern um seinen Hals, kein Schwamm ist, wie ich zuerst geglaubt habe. Was für ’n kranker Scheiß, geht mich aber nichts an. Eine Woche noch.
„Wie unhöflich von mir. Raúl. Raduc Raúl.“ Das Männchen streckt mir seine fleckige Hand entgegen, mit Finger- nägeln, die jeder Kosmetikerin ein Dollarzeichen in die Augen zaubern würden. Ich will nicht als dämlicher Rassist dastehen und drücke die knotige Wurzel. Hat ’n verdammt festen Händedruck für seine augenscheinlichen zweihundert Jahre. Da ich nicht vorhabe, noch Freundschaften zu schließen, frage ich ihn schnell nach dem Fundort. Er tritt mit einer theatralisch tiefen Verbeugung zur Seite und gibt damit den Blick auf die Manege frei, in deren Mitte ein lebloser Körper liegt. Ich versuche es erneut mit der Frage nach dem Arzt.
„Wissen sie,“ Raduc wühlt in seinem Gewand „wir möchten nicht viel Aufhebens um die Sache machen. Unser Ruf hier in der Stadt ist von vornherein nicht der beste, wie sie sich denken können. Es wäre schön, wenn sie das schnell und vor allem still regeln könnten.“ Er hält mir meine nächsten drei Mietraten unter die Nase. Ich mache ihm klar, daß ich ihn alleine dafür einlochen könnte, stecke das Bündel ein und nehme das zu regelnde Subjekt in Augenschein. Mit den Kenntnissen meines steinzeitlichen Erste-Hilfe-Kurses kann ich zumindest feststellen, dass der Kerl tatsächlich das Gröbste hinter sich hatte. Dass dies gewaltsam geschah, liegt ebenfalls nahe, da Augen und Mund schreckgeweitet sind, als hätte der arme Teufel eben jenem in seinen letzten Sekunden gegenüber gestanden. Sein Gesicht und Teile seines Oberkörpers sind mit einem schleimigen Film überzogen. Wahrscheinlich Kotze. In Verbindung mit dem verzerrten Gesicht möchte ich eine Vergiftung nicht ausschließen. Zumindest offeriere ich dem Gypsyking, dass das gewaltsame und sicher nicht freiwillige Ableben unseres Probanden auf ein Verbechen hindeutet und ich nunmal, wenn auch nur noch für eine Woche, Bulle bin.
Ich rufe einen befreundeten Pathologen an, der mir noch einen Gefallen schuldet. Er kann sich dem Feststellen der Todesursache widmen, ohne die Angelegenheit zu einer Riesenblase aufzublubbern. Nach fünf Minuten quietschen die Reifen seines Kombis vor dem Zelt, nach weiteren fünf Minuten ist die Leiche im Wagen. Muss ’n verdammt großer Gefallen gewesen sein. Ich erinnere mich dunkel an Schweinkram. Nekrophilen Schweinkram. Verdammte Scheiße, hoffentlich ist die Woche bald rum und ich kann mich mit Hilfe von Jack und Jim einer Lokallobotomie unterziehen.
Ich lasse die gesamte Sippe in der Manege antreten. Was ’n verschrobener Haufen. Dem pausenlosen Gewetter einer Fünfzentnerziege entnehme ich, dass diese wohl Mama Raúl und dieser Vadim der jüngste ihrer sechs Söhne ist. Abschätzend mustere ich nochmals den Alten. Sein eigenes Kind. Hätte ich selber Nachwuchs, wäre jetzt der Moment, an dem ich meine 38er vermissen würde. Da ich nur fünf Bengel zähle, war der Tote wohl der sechste. Auch wenn Verstümmeln bei Papa Raúl hoch im Kurs erzieherischer Instruktion steht, über die Klinge lässt er seinen Wurf sicher nicht springen. Dann sind da noch drei geschlechtsreife Mädels. Ob es sich dabei um die Töchter handelt, wage ich nicht einmal zu denken, da auch noch einige Knirpse mich schmutzstarrend anblinzeln. Dann ist da noch ein weiterer, geben wir dem Kind einen Namen, Verdächtiger. Dass er sich ständig im Hintergrund hält, hilft nicht unbedingt, dieses Urteil abzubauen. Ist wohl erst seit einem Monat bei der Sippe. War so ’ne Art Sonderangebot anderer Zirkusleute und ist jetzt hier Mädchen für alles.
Die Raúls schicke ich raus, ihn will ich in die Mangel nehmen. Da es draußen mittlerweile dunkel ist, stellt uns der jüngste der Szekler eine Ölfunzel in die Manege. Ihr Schein erreicht nicht einmal die ersten Ränge, so dass wir in einem kreisrunden Nichts gefangen scheinen. Gut so, Angst kann ein Verhör vorantreiben. Wer im Moment mehr Angst hat, wird sich zeigen. Ich erinnere mich an Ali’s letzten Hinweis. Siebenbürgen. Da war doch was?
Betreten steht das Schoßhündchen der Raúls vor mir und schafft es nicht, mir in die Augen zu schauen. Sein gedrungener, fast kindlicher Körperbau, das runde Gesicht mit weichen Gesichtszügen gekrönt von einem schütterem Haarkranz wirken im Moment so gar nicht bedrohlich. Aber auch Gacy hat Clowns gemalt und Kinder entleibt. Ich bleibe vorsichtig.
Sein Aussehen weist auf eine andere Herkunft, als die der Raúls hin. Ich frage ihn nach seinem Namen, seiner Heimat.
„Kaspar Mira, Sir, Lettland.“ höre ich nahezu dialektfrei. Ich bin beeindruckt, möchte mehr wissen. Scheinbar nicht oft zu einem Gespräch animiert, sprudelt es aus Kaspar heraus.
Seine Familie sei seit vielen Generationen mit dem Zirkus groß geworden. Alles berühmte Hofnarren, Zauberer und Clowns. Als er elf war, fielen seine Eltern der Cholera zum Opfer und er schlug sich alleine durch die Arenen dieser Welt. Als aber auch er sich aus den Ställen und Garderoben in die Manege wünschte, hatte keiner Interesse an ihm und seinen Darbietungen. Er brachte sich selbst das Lesen bei, um die Aufzeichnungen seines Urgroßvaters entziffern zu können. Einer umfassenden Sammlung von Schaustellerwissen aus der ganzen Welt. Wissen über Späße und Lustspiele, über Streiche und Narretei, Illusionen und Magie, aber auch über dunkle Wissenschaften, Alchemie, Hypnose, Scharlatanerie. Er versank förmlich in dem mystischen Tagebuch. Besonders viel Freude bereiteten ihm aber die Aufzeichnungen über die Sketche der Clowns. So recht wollte ihm jedoch keiner davon gelingen, ihm fehlte es wohl einfach an Talent. So versuchte er verzweifelt mittels okkulter Rituale aus dem Buch seine Aura positiv zu wandeln, so dass jeder schon bei seinem Erscheinen in Verzückung geraten sollte. Dass bei einem dieser Rituale leider einer der in dieser Zeit beliebtesten Spaßmacher unter ungeklärten Umständen sein Leben lassen musste, wirkte sich aber nicht unbedingt positiv auf Kaspar’s Aura aus. Nicht wirklich für schuldig befunden, aber dafür mit Schimpf und Schande, jagte man ihn davon. Als er sich dann wieder einem kleinen Wanderzirkus anschloss und aus seinen früheren Ritualen nichts als gelegentliche Blackouts geerntet hatte, ergab er sich letztendlich seiner Rolle als Dienstbursche, der immer wieder herumgereicht wurde, da man ihm jederorts nach kurzer Zeit ein schlechtes Karma bescheinigte. Einher- gehend mit dem Dahinscheiden der Belegschaft.
Das Läuten meines Mobiltelefones unterbricht ihn. Ich deute ihm, sich nicht von der Stelle zu bewegen und nehme den Anruf entgegen.
„Carter.“
„Hier ist Schmitt.“
Ich denke kurz nach, wobei ich bemerke, daß Kaspar sich ein wenig aus dem Kreis zurückzieht.
„Schmitt?“
„Du weißt schon, der Leichenfledderer.“
„Ah, Smitty. Ich höre.“
Ich mache eine drohende Gebärde Richtung Kaspar, der sich aber nur auf dem Manegenrand setzen will. Sah vorhin schon nicht gut aus.
„Also, du hattest recht. Das Opfer ist nicht eines natürlichen Todes gestorben.“
Ich beobachte die Silhouette Kaspar’s, die plötzlich merkwürdig zu zucken beginnt. Ist er etwa das nächste Opfer?
„Der Tote war cirka 40 Jahre und kerngesund.“
Zum Zucken der Silhouette gesellt sich nun auch ein knorpliges Knirschen und Reißen. Meine Anfrage, ob alles in Ordnung sei, bleibt unbeantwortet.
„Beeil Dich, Smitty, ich habe nicht viel Zeit.“
„Also zunächst hielt ich den Schmierfilm auch für Körperausscheidungen…“
Das fahle Licht und meine whiskygetrübten Augen spielen mir einen Streich. Die Silhouette scheint sich zu verändern.
„…allerdings befand sich davon nichts in seinem Magen, sondern seine Lungen waren damit randvoll.“
Mit einem leisem Kichern erhebt sich das, was einmal Kaspar war, vom Manegenrand und kommt langsam auf mich zu.
„Daran ist er erstickt.“
Im Licht der Ölfunzel erkenne ich ein leichenblasses Gesicht mit tiefblauen Augenringen. Die Nase ist grotesk angeschwollen und die Mundpartie blutig rot aufgeplatzt. Seine Haare stehen in schimmlig grünen Büscheln vom Kopf ab.
„Und weißt du, was das Zeug war?“
„Was, Smitty, was?!“
Ich bin kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig, während dieses Wesen auf mich zutänzelt. Seine untere Körperregion, wie auch die Füße sind abnorm gewachsen und aus Kleidung und Schuhen herausgeplatzt und es hält etwas in der Hand. Etwas Rundes. Wie eine Torte.
„Buttercreme.“
„Buttercreme?!!“
„Wenn ich es dir sage. Muss ihm jemand bis zum Ableben in den Rachen gestopft haben. Wie verrückt ist das?!“ lacht Smitty ins Telefon “Attack of the Werclown, quasi.“
Mir dagegen ist nicht zum Lachen. Eine Woche. Ich hatte doch nur noch eine Woche.
 



 
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