Man sagt, das Meer sei niemals weit entfernt

Anonym

Gast
Der Geruch von ranzigem Fett und altem Fisch liegt wie ein stiller Vorwurf über der Stadt. In den Straßen stinkt es nach Bier und Scheiße. Die Kanalisation rülpst und furzt die menschlichen Extremente zurück in die beschissene Welt.
Die Häuser sind nicht mehr wirklich da. Kalte, von allem Leben verlassene Mauern, sind zurückgeblieben.
Farbe blättert von den Wänden. In Fetzen, voller Narben und Falten, wartet sie darauf, mit dem Wind zu ziehen. Die Geschichte ist längst aus den Häusern verschwunden. Händler haben sich eingenistet. In jedem Haus ein Laden, jeder Laden eine Kopie des übernächsten Ladens. Sie verkaufen Scheiße, nichts als Scheiße. Alles passt ins Bild.
Alte, aufgedonnerte Matronen, in Begleitung ihrer dickbäuchigen, aufgeschwemmten Männer, auf der Suche nach einem wundervollen Gestern, einem Gestern, das sie nicht wirklich erlebt haben, ziehen durch eine Stadt, die es nicht mehr gibt.
Treffpunkt ist die mit Hunderten bunten Lämpchen geschmückte Plastikpalme am Ende der Hauptstraße. Dort steht diese Miniaturausgabe einer Eisenbahn…auf Reifen, versteht sich. Sie bringt die lebenden Toten zum Kasino. Ein offener Leichenwagen. Inhalt unbekannt. Nach den Blicken zu urteilen, ist es für sie der Orient-Express. Ja, ja, echt nobel! Sie lächeln ein so verdammt dümmliches Lächeln, dass einem die Kotze im Hals stecken bleibt.
Die Wagen sind mit Werbung voll geknallt. Ein Nachtclub wirbt damit, dass er alle Wünsche erfüllt. Ja! Die geilen Dickbäuche würden ihre Alten gewiss gerne allein ins Kasino fahren lassen. Ihnen steht das Unbefriedigte in den wässrigen Augen. Aber sie sind längst zu träge für das Spiel. Ein, zwei kleine Gewinne beim Zocken tun´s auch. Was soll´s.
„Are you ready“, brüllt der spanische Fahrer mit Rosinantegebiss in schlechtem Englisch und alle antworten: „Yes“, worauf Don Quijote die Glocke läutet und das Abenteuer beginnt.
Ja. Ready zur letzten Fahrt. Abzocke, alles Abzocke. Ob der Sonnenuntergang noch echt ist? Die Kakerlaken sind es. Are you ready for Kakerlak-Island?
Später werden diese lebensmüden Marionetten zwischen Plastiksäulen ein wenig Plastikgeld verspielen und träumen. Träumen vom großen Gewinn und einem Häuschen auf der Insel.
Ich bin es leid, so leid. Was helfen die kleinen Momente? Gestern beobachtete ich einige Möwen beim Flug. Sofort dachte ich an Jonathan. Sie mussten bei ihm in die Schule gegangen sein. Bei jedem Flugmanöver setzten sie alles auf eine Karte. Die Letzten ihrer Art, vom Aussterben bedroht.
Wenig später trat ich in einen Haufen Scheiße. Geschmückt war er mit einer Serviette des Hotels New Hampshire ****. Na, wenigstens kein Bär und auch noch vier Sterne. Fast eine Auszeichnung. Rings herum lagen die Reste mehrerer Lunchpakete. Noch mehr Auszeichnungen.
Auf meinem Weg zum Strand stellte sich mir ein Afrikaner in den Weg.
„Du Deutscher? Hier…kaufe gute Sonnenbrille. Echt Nike. Nur 20€.“
Ich verneine dankend im Vorübergehen und höre ihn noch leise „shit“ sagen. Ja, so ist es, lieber Freund. Du hast die tiefe Wahrheit dieser Insel erkannt. Vielleicht noch mehr.
Es ist Abend.
Ich sitze wie immer auf der Kaimauer und beobachte den Sonnenuntergang. Neben mir hat sich eine Kakerlake niedergelassen. Gemeinsam betrachten wir, wie die Sonne im Meer ertrinkt.
„Na, was denkst du“, frage ich meinen dunklen Freund, „ist das echt, oder auch nur noch Kulisse?“
Für einen Moment scheint mich die Kakerlake anzuschauen. Dann dreht sie sich um und geht ihres Weges. Da, wo sie gesessen hatte, liegt ein winziges Stück Scheiße.
 
A

aligaga

Gast
Jaja, die böhse Welt, wie sie sich im erhabenen Auge des Betrachters spiegelt, der neben einer Kakerlake ruhend einen auf sittin' on the dock of the bay macht.

Schade, dass der Schluss ohne jeden Witz ist. Es müsste doch heißen:
Für einen Moment scheint mich die Kakerlake anzuschauen. Dann stehe ich auf und gehe meines Weges. Da, wo ich gesessen hatte, sieht sie ein großes Stück Scheiße dampfen.
TTip: Bei der Welt-Schelte nie den eigenen Stoffwexel außer 8 lassen, sonst kommt's zu überheblich.

Auch Schriftsteller brauchen Klopapier ...

Heiter

aligaga
 



 
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