Manchmal ist es noch leerer hier

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sonah

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Sie kommt in die Bar herein. Ihre Jacke sieht feucht aus, die Regentropfen haben sich tief in den Stoff hineingegraben. Ihre Frisur, heute Morgen noch frisch vom Friseur in die richtige Form gebracht, wirkt zerzaust. Sie blickt sich um: Rote Plüschsessel stehen zerstreut im Raum. Sie nimmt die Musik in sich auf und hält nach einem leeren Platz Ausschau. Auf den meisten unbesetzten Sesseln liegen Jacken. Einer ist noch frei. Direkt daneben sitzt ein Mann mit sehr schönen Augen. Vor ihm auf dem Tisch steht eine halb leere Flasche Becks Bier. Sie geht auf ihn zu. „Ist dieser Platz noch frei?“ Er nickt.

Sie zieht ihre Jacke aus, wickelt den Schal ab und wirft beides über die Lehne, holt sich ein Bier. Sie schaut sich um: Um sie herum stehen redende Menschen, nur der Mann sitzt stumm da. Sie wirft ihm einen kurzen Blick zu. „Nicht besonders voll heute.“

Sie schauen sich an. Er lacht, wendet aber dann schnell wieder den Blick ab. Sie schlägt ein Bein über das andere, hebt ihr Bier und nimmt einen tiefen Schluck. „Ich finde es ganz schön, wenn es nicht so voll ist.“

Ihr Blick wandert über den niedrigen Tisch, die beiden Bierflaschen, den Aschenbecher, seinen ungeöffneten Notizblock, die fremde Person, die mit dem Rücken zu ihnen auf dem niedrigen Tisch sitzt. Der Hintern der fremden Person belegt einen großzügigen Anteil des Tisches.

Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Er trinkt einen Schluck Bier und schaut sie kurz an.

„Manchmal ist es noch leerer hier“, sagt sie mit monotoner Stimme, in der eine Spur Verzweiflung mitschwingt. Er nickt. Sie schaut im Raum umher, nickt ein wenig mit dem Kopf, im Takt der Musik. Sie steht abrupt auf und murmelt etwas von „kurz verschwinden“.

Als sie nach einiger Zeit wiederkommt, lässt sie sich tief in den Sessel sinken und streckt beide Beine von sich. Ihre Bierflasche hält sie jetzt in beiden Händen und dreht sie langsam um die eigene Achse, im Uhrzeigersinn. Er deutet auf die Person, die immer noch auf dem Tisch sitzt. „Ganz schön unhöflich, manche Leute.“ Sie schaut ihn überrascht an. Erklärend fügt er hinzu: „Einfach auf dem Tisch zu sitzen.“

„Und einem den Rücken zuzudrehen“, ergänzt sie.

Er lächelt, schaut sie aber nicht an. „Und den Hintern.“ Der Hintern der fremden Person ist in der Tat nicht zu übersehen.

„Es gibt Männer, die mögen das.“

„Kommt darauf an.“

Sie schaut ihn an und lächelt. Er hält kurz dem Blick stand und schaut dann wieder in der Gegend herum.

Sie versucht, ihrer Stimme etwas mehr Dynamik zu verleihen: „Und was hat dich heute hierher verschlagen?“

„Dort, wo ich sonst hingehe, hat es mir nicht gefallen. Zu voll und die Musik sagte mir nicht so zu.“

„Ja, es ist blöd, wenn es zu voll ist.“ Sie streicht sich wieder die Haare aus dem Gesicht und trinkt einen Schluck Bier. Er wippt ein wenig mit dem Fuß, im Takt der Musik.

„Magst du die Musik?“

„Es geht“, antwortet er knapp.

„Was hörst du sonst für Musik?“

„Eigentlich querbeet. Zur Zeit hauptsächlich Canned Pears und Hobo.“

„Kenn ich nicht.“

„Ach so.“

Es tritt ein längeres Schweigen ein. Die Blicke der beiden wandern in sich versunken im Raum umher. Sie treffen sich nicht mehr.
 

Owly

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Ich habe Google bemüht, um die Bands(?) zu suchen - ohne Treffer. Falls es die wirklich nicht gibt, wäre das etwas schade, denn dadurch hätte deine Geschichte vielleicht eine weitere Zugangsebene bekommen. So nehme ich folgendes mit: Er hat sehr schnell ein Urteil über sie gefällt oder die Gesprächsbasis verloren.

Die Beschreibung der Begegnung finde ich definitiv treffend, aber als Prosa-Miniatur, also noch komprimierter, würde der Text denke ich besser wirken. Du verwendest nämlich einige Wörter auf Informationen, die scheinbar keine Rolle spielen. Eingangs erwartete ich z.B., dass ihr zerzaustes Aussehen wichtig sein würde, doch dann kam nichts mehr. Zudem gefällt mir der vierte Absatz sprachlich nicht, da du "Tisch" und "Person" samt ihrer Adjektive wiederholst. So würde er denke ich besser wirken:
Ihr Blick wandert über den niedrigen Tisch, die beiden Bierflaschen, den Aschenbecher, seinen ungeöffneten Notizblock, die fremde Person, die mit dem Rücken zu ihnen auf der Tischkante sitzt. Deren Hintern belegt einen großzügigen Anteil des Möbels.
Die nüchterne, melancholische Art finde ich gut. Die Frau scheint kurz davor zu sein, aufzugeben.

Gruß,
das Eulchen
 

sonah

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Danke Owly, Deine Anmerkungen kann ich gut nachvollziehen.

Nur zu den Bands: es war mit Absicht so gewählt, dass das Alter, das ganze "Drumrum" der beiden nicht so ersichtlich war. Deswegen habe ich auch keine Musikgruppen genommen, die es tatsächlich gibt, weil die männliche Figur dann gleich in eine bestimmte Ecke plaziert worden wäre. Vorteil wäre gewesen, dass das ganze etwas plastischer, bildhafter geworden wäre, aber ich wollte die Beschreibungen weggelassen und sehr neutrale Figuren schaffen, um zur das Augenmerk auf diesen Dialog zu legen.
 



 
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