Mandy

Dirk Radtke

Mitglied
Gestern starb Anette.
Wegen mir.
Sie war eine von den Labilen. Nach zwei Schnitten erlag sie einer Ohnmacht und verdarb mir den Spaß, den ich ihr gegönnt hätte. Eine von wenigen, die meine Gesellschaft mit Ignoranz bestraften. Die meisten ziehen es vor zu schreien, zu flehen, zu bitten. Natürlich nutzt ihnen das nichts. Aber das können sie ja im Vorfeld nicht wissen.
Heute ist Mandy an der Reihe.
Eigentlich passt sie so gar nicht in mein Schema. Sie ist keine Prostituierte, wie die anderen, die ich habe ausbluten lassen.
Ich finde ihren Namen schön.
Er klingt so exotisch und wird sich auf meiner Liste bestimmt gut machen, wenn ich ihn in geschwungener Schrift mit Tinte zu den anderen schreibe.
Mandy.
Ich parke den Wagen vor ihrem Haus, schalte den Motor aus und nehme mir die Zeit für einen Augenblick der Entspannung. Das Wetter ist phantastisch, ich schätze die Temperatur auf etwa 24 Grad. Ein wunderbarer Tag für einen Mord. Ich mag es nicht, wenn es zu heiß ist und ich bei meiner Arbeit ins Schwitzen komme. Je nach Opfer und der Art der Behandlung, die ich ihm angedeihen lasse, kann sich die Prozedur schon mal über Stunden hinausziehen. Da braucht es einen kühlen Kopf. Während das Opfer dann am Ende im Tode relaxt, muss ich mit dem Erschöpfungszustand kämpfen, dessen Auswirkung sich meist über Tage erstreckt. Doch ich will mich nicht beklagen.
Mandy weiß, dass ich komme, obwohl ich nicht glaube, dass sie mit mir rechnet. Die e-Mail, die ich ihr geschickt und darin ihren Tod, sowie den Zeitpunkt dessen mitgeteilt habe, kam mit einem gehässigen Kommentar wieder an mich zurück.
Verständlich.
Ich hätte auch nicht anders auf meine Nachricht reagiert. Aber ich bin ein freundlicher Mensch und zeige eine gewisse Art Mitgefühl für meine Opfer, weil ich sie im Voraus darüber informiere, was mit ihnen geschehen wird.
Ich steige aus und nehme vom Beifahrersitz den kleinen Lederkoffer an mich. Er ist ein Konfirmationsgeschenk meines Stiefvaters. Gott, hab seine arme Seele gnädig. Nachdem er Mutter zerstückelt hatte, schoss er sich die Rübe weg.
Bumm.
Der Sarg, den er brauchte, war kürzer als andere. Vielleicht war es das Beste für ihn, sich das Leben zu nehmen. Er wäre im Knast nicht klargekommen, unter all den Räubern und Verbrechern.
Damals hatte er mir Kriminalromane in den Koffer gelegt. Heute halte ich ihn in Ehren, indem ich meine Werkzeuge darin aufbewahre.
Meistens habe ich die Messer darin. In drei verschiedenen Ausführungen, für allerlei filigraner Arbeiten.
Aber heute fühle ich mich etwas ausgelassener, beschwingter, weswegen ich die Pistole benutzen will. Natürlich wäre es einfach, Mandy direkt ins Herz zu schießen oder in den Kopf. Die Sache würde eine Patrone kosten und wenige Sekunden Zeit. Doch wo bleibt da die Kreativität, die Vorfreude, der Enthusiasmus?
Auf der Strecke.
Nein, auch mit einer Pistole kann man schöne Dinge machen, wie zum Beispiel einen Finger abschießen. Der Effekt ist derselbe wie beim Schneiden, mit dem Unterschied, dass ich genau zielen muss, wenn nicht zu viele Kugeln vergeudet werden sollen. Das Zielen schult übrigens die Augen gleichermaßen wie die Feinmotorik, weshalb es wichtig ist, regelmäßig im Training zu bleiben und nicht gleich den finalen Schuss abzufeuern.
Ich besitze ein Magazin mit achtzehn Schuss.
Nicht das ich ein schlechter Schütze bin. Nein. Nur, nach acht Schüssen nachladen zu müssen, hemmt in mir die Lust wie ein Pickel am Hintern. Diese Erfahrungen habe ich gemacht.
Beide!
Ich schlendre gemächlich über den Parkplatz hinüber zum Haus und freue mich auf das, was gleich geschehen wird. Ein Vogel zwitschert mir von seinem Baum heraus zu, als wolle er meine Fröhlichkeit mit einem Liedchen untermauern. Mandy würde wahrscheinlich ganz andere Gefühle entwickeln, wenn sie wüsste, was ich mit ihr vorhabe. In dem Punkt kann ich sie sehr gut verstehen, sogar mit ihr fühlen. Was aber nichts an meinem Vorhaben ändern wird. Ganz im Gegenteil, es motiviert mich und das Wissen darum läuft mir als wohliger Schauer befriedigend über den Rücken.
Ich halte an der Haustür und blicke in einen tadellosen, azurblauen Himmel. Wie schön die Welt doch sein kann. Ich stelle mir vor, wie mir Mandy hier draußen vornehme, im wärmenden Schein der Sonne. Zwischendurch pustet uns eine angenehme Brise über unsere verschwitzten Körper, erfrischt und beflügelt sie zu neuen Taten, wobei sich die ihren mehr in Passivität äußern. Sofern man Schmerzen auf der Passiva Seite verbucht.
Ich seufze ob dieser wunderbaren Vorstellung, dann knacke ich das Schloss.
Im Inneren des Hauses ist es kühl. Mandy hat die Vorhänge zugezogen, damit sich die Räume nicht zu sehr aufheizen. Sie ahnt nicht, inwieweit sie dadurch schon eine gewisse Vorbereitung für unser Rendezvous getroffen hat.
Die Wohnung ist dezent aber geschmackvoll eingerichtet. Wahrscheinlich hat ihr Mann das Meiste davon finanziert, bevor er sich über Nacht mit einer anderen aus dem Staub machte. Ich kann nicht verstehen, wie herzlos manche Ehemänner sein können. Vor allem nicht, wenn sie eine so reizende Frau haben wie Mandy. Es hätte ein anderes Ende mit ihr genommen, wenn er sie nicht im Stich gelassen hätte.
Ich hätte beide umgebracht.
So aber macht er es mir um einiges leichter. Dafür bin ich ihm dankbar und sehe ihm die Sache mit der anderen Frau nach.
Mandy ist oben. Im Schlafzimmer. Ich war bereits einmal in ihrer Abwesenheit im Haus und habe mich mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht. Nichts ist gefährlicher, als unvorbereitet zur Arbeit zu gehen.
Durch die angelehnte Tür dringt leise Musik, romantische Klänge. Ich glaube, die Komposition stammt von Haydn, dem alten Klassiker. Mandy berichtete mir über das Internet von ihrer Vorliebe für die alte Musik. Für eine junge Frau ist es eher ungewöhnlich solchem Musikgeschmack zu folgen, wo doch der Markt von ganz anderen, grölenden Hampelmännern beherrscht wird. Doch ich bin ja auch ein ungewöhnlicher Mensch, mit ungewöhnlichen Hobbys, also denke ich, passen wir beiden ganz gut zusammen. Wie dumm nur, dass die meisten Menschen - vor allem Frauen - im Internet gewaltige Spuren hinterlassen. Wenn jemand wie ich ein wenig Ahnung von der Materie besitzt, ist es ein Kinderspiel, die gewünschten Adressen und viele weitere nützliche Informationen herauszufinden. Und was man nicht herausbekommt, erfragt man einfach von der Person selbst, im Chat.
Ach, wie gut, dass das Leben so einfach ist, wobei ich immer noch zu viel Elend in der Zeitung lese. Berichte über ermordete Frauen zum Beispiel, für deren Schicksal oftmals ich verantwortlich bin. Was soll ich machen? Nur durch Gegensätze wird die Welt erst bunt.
Ich schließe die Haustür, stelle den Koffer auf den Wohnzimmertisch und lasse die Schnallen aufknacken.
Klack – Links – Klack - Rechts
Dann hebe ich den Deckel an. Mein Herz macht vor Freude einen Sprung, als mir das matte Schwarz der Beretta seidig entgegenschimmert. Ich habe sie in der 9 mm Ausführung erworben, um winzige Ungenauigkeiten beim Zielen durch die Größe des Kalibers auszugleichen.
Die Erfahrung zeigte mir, dass es funktioniert.
Durch einen funkelnagelneuen Schalldämpfer stelle ich sicher, sorglos feuern zu können. Ich nehme ihn in die Linke, wiege die Beretta in der Rechten und vereine die beiden zu einer todbringenden Maschine. Ich schiebe das Magazin hinein und lade die Waffe durch. Einmal kurz und schnell. Ich finde, es geht etwas Erotisches von diesem Geräusch aus, was sich Außenstehenden nur schwer beschreiben lässt. Dafür spüre ich es umso deutlicher zwischen meinen Beinen. Ich hoffe, Mandy wird ähnlich empfinden. Ansonsten könnte es sein, dass sie ihre Erfahrungen nicht richtig genießt, so, wie ich es ihr eigentlich gönne. Aber selbst das Gegenteil würde mich nicht sonderlich beeindrucken. Ich bin es gewohnt, von Menschen falsch verstanden zu werden, vor allem, wenn es sich dabei um meine Opfer handelt. Man kann es niemandem Recht machen, so groß die Mühen auch sind, die dafür aufgewendet werden. Ich glaube, so steht es schon im neuen Testament geschrieben, also gehe ich davon aus, Recht zu haben.
Haydn beendet sein Werk durch eine fulminante Kadenz in Moll. Anstelle seiner fiedelt nur der alte Beethoven zu mir hinunter. Ich bin zufrieden. Haydn wäre mir als Begleitmusik für einen Mord ein wenig zu schwer gewesen. Vielleicht hat Mandy das geahnt und deshalb den Interpreten gewechselt?
Ich werde es nie herausfinden.
Schon auf dem Weg die Treppe hinauf zum Schlafzimmer schlägt mir ein angenehmer Duft entgegen. Was die Wahl ihres Parfums angeht, beweist Mandy einen guten Geschmack. Ich tippe auf Chanel, würde es aber nicht beschwören. Meine Nase ist eher auf das Erschnuppern anderer Gerüche ausgerichtet. Es gibt nichts Ästhetischeres, als das einzigartige Odeur aus Angst und Tod.
Vorsichtig schiebe ich die Tür auf, bis ich gut sichtbar im Türrahmen erscheine, wobei ich immer einen ganz besonderen Wert auf die Präsenz der Waffe lege. Den beängstigenden Eindruck, den ihr Anblick hinterlässt, ist in der Regel für mich meistens schon die halbe Miete der Einschüchterung.
Mandy reiht sich in die Liste dieses Erfahrungswertes problemlos mit ein. Ihr Mund ist zu einem stummen Schrei geöffnet, während sich ihre Augen anscheinend bis ins Grenzenlose weiten wollen. Zeitgleich verschwindet jegliche Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Unterlippe beginnt unkoordiniert zu zucken.
„Darf ich reinkommen?“, frage ich der Höflichkeit halber, denn Anstand sollte einer Frau gegenüber immer gewahrt sein.
Mandys Überraschung scheint sie so sehr einzunehmen, dass ich keine spontane Antwort von ihr bekomme. Ich werte ihre kurzfristige Lethargie als ein „Ja“ und trete ein.
Auch hier sind die Vorhänge vorgezogen, allerdings weniger wegen mir, sondern eher aus dem Grund, neugierigen Nachbar den Anblick ihres reizenden Körpers zu verwehren. Ich könnte die Nachbarn durchaus verstehen, wenn sie darüber verärgert wären, denn so, wie Mandy sich mir in Spitzenunterwäsche darbietet, würde sie jeder Mann wohl gerne einmal betrachten.
„Wer sind sie? Was wollen sie von mir?“ Mandy versucht, ihre knapp bedeckten Brüste mit einem Arm und der Hand zu verdecken. So, wie es im Fernsehen gezeigt wird, wenn Frauen von ihren Männern in flagranti erwischt werden.
Ich zucke mit den Schultern.
Viele meiner Opfer sind überhaupt nicht kreativ, was den Begin, die kritische Einleitungsphase unserer Treffen betrifft. Sie stellen immer die gleichen Fragen, obwohl ich, wie gesagt, mein Erscheinen in der Regel vorher ankündige. Ich finde es schon ein wenig diskriminierend, als Serienmörder nicht Ernst genommen zu werden. Gut, die meisten, denen ich das Leben verkürzte waren Nutten gewesen. Von denen konnte ich nicht unbedingt erwarten, dass sie in der Zeitung von mir lasen, wenn sie überhaupt dazu in der Lage gewesen wären, das Wort Zeitung richtig zu buchstabieren. Aber in Mandy hätte ich doch gerne mehr Ernsthaftigkeit gesehen.
„Du hast doch meine Mail bekommen. Du hast mir sogar darauf geantwortet. Wenn auch nicht besonders nett.“ Ich drohe ihr mit dem freien Zeigefinger, die Waffe weiter auf sie gerichtet. „Leg dich ins Bett!“
„Das können sie vergessen. Verschwinden sie.“
Mandys Courage imponiert mir. Trotz der ihr vorgehaltenen Waffe legt sie eine Menge Mut an den Tag. Ich bin beeindruckt. Ich mag es, wenn Frauen ein wenig rumzicken. Das reizt meinen Spieltrieb.
Um ihr deutlich zu machen, wer von uns beiden momentan die besseren Argumente hat, hebe ich den Lauf der Pistole und feure einen Schuss in die Decke. Obwohl der Knall nur sehr leise ertönt, erzeugt er in Mandy den nötigen Respekt und in der Decke ein mächtiges Loch. Staubwolken verpuffen aus der Steinwunde, Putzbrocken schießen wie Querschläger durch das Zimmer. Beißender Pulverdampf senkt sich in einer Nebelbank über uns herab.
Mandy macht einen erschrockenen Schritt zurück, als ihr ein Mörtelstück vor die Füße fliegt. Ihrer Kehle entspringt ein spitzer Schrei, der wie die Kampfansage eines Adlers klingt. Zu meiner Freude lässt sie sich auf das Bett fallen und heult. Aus dem feuchten Geschluchze dringen Wortfetzen wie „Bitte“ und „…mir nicht weh…“, die sie in ihre vorgehaltenen Hände nuschelt. So wie alle anderen vor ihr es auch getan hatten. Ich glaube, ich wäre durchaus in der Lage, eine aussagekräftige Statistik über die Verhaltensmuster weiblicher Opfer zu erstellen. Es würde nur kein normal denkender Mensch davon profitieren.
Nur ein paar erlesene Serienkiller.
Ich richte den Lauf der Waffe nun auf sie und bitte sie freundlich davon Kenntnis zu nehmen. Das hat einen weiteren Weinkrampf zur Folge, dessen schluchzende Klänge sich recht disharmonisch in Beethovens ach so zarte Klaviermusik mischen. Der Gute würde sich im Grab umdrehen, wenn er nicht taub wäre.
„Bitte tun sie mir nichts!“ Etwas Flehendes mischt sich in ihre Stimme.
„Das liegt ganz an dir.“ Obwohl das nicht stimmt und ich meine, in ihrem Blick zu erkennen, dass sie es ahnt.
„Was haben sie mit mir vor?“
Ich kann mir nicht vorstellen, sie wirklich so dumm zu wissen. Was sollte ein bewaffneter Mann mit einer halbnackten Frau in deren Schlafzimmer wohl tun wollen? Hätte sie gefragt, was ich zuerst mit ihr tun will, hätte die Frage allerdings eine echte Berechtigung gehabt. Dennoch bleibe ich höflich. „Das liegt an dir. Was dir so gefällt.“
„Ich habe Geld. Viel Geld. Ich…Ich könnte es sehr schnell besorgen, wenn sie das wollen.“
Ich frage mich, ob ich es will, stimme aber für Nein. Geld ist für einen Serienkiller nicht wichtig, weil es bereits ein toter Gegenstand ist. Es fehlt der gewisse Reiz. Es schreit nicht, wenn man ein Loch hineinschießt. Und bluten tut es auch nicht.
So in etwa erkläre ich ihr meine Entscheidung und ernte einen fragenden sowie ängstlichen Blick.
„Bitte! Tun sie mir nichts an. Ich gebe ihnen alles, was sie wollen.“
Ich lächle sie an, weil mir diese Offenbarung gefällt. Mehr als ihre Hingabe verlange ich ja auch gar nicht.
Beethoven beendet seine Klaviersonate und reicht das Zepter der Virtuosität an Händel weiter. Leider finde ich den ausgewählten Titel nicht ganz der Situation angemessen. Er klingt mir etwas zu ruppig.
„Wie heißen sie?“ Mandys Blick ist fest auf mich gerichtet, die Augen gerötet und tränenfeucht. Die anfängliche Blässe ist aus ihrem Gesicht gewichen. Sie hat wieder ein wenig Farbe bekommen, was ihr deutlich besser steht.
„Sagen sie mir doch ihren Namen.“
Ich schmunzle, weil ich weiß, was sie durch diese Fragerei bezweckt. Sie möchte einen persönlichen Bezug zu mir aufbauen, indem sie meinen Namen aus mir herauskitzelt um mich fortan damit anzureden. Das Ganze beruht auf irgendeinem Psychologiequatsch, den ich als ernsthafter Killer selbstverständlich kenne.
Aber längst nicht dulde.
Ich beuge mich zu ihr herab und lasse die Mündung meiner Waffe geschmeidig um ihr rechtes Knie fahren. Sofort bildet sich eine Gänsehaut auf ihrer Haut, die rasch das ganze Bein einnimmt.
„Nenn mich einfach Gustav.“
„Gustav?“
„Ja.“ Ich betrachte ihr genopptes Bein. „Gustav Gans.“
Sie erschrickt bei dem Namen. Sicher ist ihr klar, wen ich meine und warum. Ich lasse das kühle Metal der Pistole über ihr anderes Knie gleiten und erreiche dadurch die gleiche Reaktion. Ich synchronisiere sozusagen ihre Gefühle.
„OK. Gustav. Wenn sie…Wenn sie mit mir schlafen wollen, dann tun sie es. Ich werde mich nicht wehren. Ich möchte nur nicht, dass sie mir wehtun.“
„Das ist aber ein reizendes Angebot.“ Und das meine ich sogar Ernst. Die wenigsten, die vor ihr ins Gras gebissen haben, waren so umsichtig gewesen. Meistens wollten sie mir die Eier abreißen oder mein bestes Stück abbeißen, was ich natürlich im Leben nicht zugelassen, geschweige denn, für Gut befunden hätte. Wie hätte ich danach ausgesehen?
„Ist es das, was sie wollen?“ fragt sie mit zitternder Stimme. Anscheinend wartet sie auf ein „Ja“. Ich soll sie schnell nehmen und am besten noch schneller wieder verschwinden.
„Nun, es klingt zumindest für den Anfang nicht schlecht.“
„Für den Anfang?“ Sie macht wieder diese unsagbar großen Augen, die nicht aufhören wollen, sich zu weiten.
„Ich könnte mir noch andere Dinge mit dir vorstellen.“
Sie sieht auf meine Waffe und plötzlich kann sie das auch. „Vielleicht sollten wir damit anfangen, dass du dich erstmal ausziehst.“
„Ganz?“
Ich muss innerlich grinsen. Wie wohl würde sie mit mir schlafen wollen, wenn das Höschen an bliebe. „Ganz!“
Mandy nickt kaum merklich, während sie umständlich am Verschluss des Büstenhalters nestelt. Sie wirft ihn vor sich auf das Bett. Weil sie zögert, gebe ich ihr mit der Pistole zu verstehen weiterzumachen. Nachdem sie sich auch des Höschens entledigt hat, versucht sie krampfhaft ihre Scham durch Verschränken der Beine zu verbergen.
„Ich überlege, ob ich dir nicht vorher ins Bein schießen sollte. Damit du nicht auf die Idee kommst wegzulaufen.“
Sie zuckt in sich zusammen, als hätte ich bereits geschossen. „Das können sie doch nicht machen.“
„Und warum nicht? Ich habe eine Pistole. Damit kriegt man so was prima hin.“
„Nein.“
„OK. Was ist mit dem Fuß?“
„Bitte! Sie können doch…“
Der dumpfe Knall, den ihr der Schalldämpfer entgegenspuckt, unterbricht sie recht barsch. Die Kugel schlägt vor ihren Füßen durch die Matratze, wo sie einen Riss im Stoff hinterlässt. Leise fällt die leere Patronenhülse auf das Laken. Ein dünner Rauchfaden steigt aus ihr auf.
Mandy starrt wie versteinert auf das Loch im Bett. Wahrscheinlich stellt sie sich grade vor, was die Kugel mit ihrem Fuß anrichten könnte, wenn ich nicht mit Absicht daneben geschossen hätte. Wahrscheinlich spürt sie auch schon einen Teil der Schmerzen, welche das Projektil in ihrem Fleisch auslösen würde.
Das gefällt mir. Ich habe sie genau da, wo ich sie haben will. Selbst durch den dichten Pulverdampf rieche ich die Angst, die ihre Poren jetzt massiv verströmen. Ich schließe die Augen und sauge sie tief in mich hinein, bis meine Lungen zu bersten drohen und mich zum Ausatmen zwingen.
Dieser Moment der Unachtsamkeit wird mir zum Verhängnis.
Mandy nutzt es schamlos aus, wie ich mich ihrem Duft ergebe. Blitzschnell reißt sie den Radiowecker vom Nachttisch und schmettert ihn mir über den Schädel.
Für einen Moment verbleibe ich in absoluter Finsternis, in der sich sämtliche Himmelsrichtungen zu einer einzigen zusammenschließen. Nachdem sich meine Sehstärke wieder ins Lot gependelt hat, sehe ich die Pistole in Mandys Händen gegen mich gerichtet. Ihr Hass scheint plötzlich viel größer zu sein, als ich angenommen hatte.
„Wie fühlt sich das an?“ Ihre Stimme klingt auf einmal so kalt, dass man den Sommer fast vergessen könnte.
„Man zielt nicht mit einer Waffe auf Menschen“, versuche ich ihr Nahe zu bringen und ernte ein eisiges Lachen.
„Wo soll ich hin schießen? Ins Bein oder in den Fuß?“
„Das wäre beides nicht gut.“
„So? Und warum nicht?“
„Du könntest mich sogar treffen.“
Sie gibt wieder dieses Eislachen von sich, doch diesmal schwingt eine gewisse Entschlossenheit darin mit, die ich am liebsten nicht hören würde. Frauen, die so lachen, haben sämtliche Skrupel abgelegt.
„Ich mache dir einen Vorschlag“, sage ich.
„Ich glaube kaum, dass Herr Gans in dieser Position ist.“
„Vielleicht hörst du ihn dir erstmal an. Ablehnen kannst du ja immer noch.“
Sie sieht mich an, als befände sie sich in einem falschen Film, wobei ich denke, dass sie es auch tut, denn eigentlich sollte ich im Besitz der Waffe sein, die sie auf mich richtet. In Gedanken spiele ich sämtliche Möglichkeiten durch, die mich aus meiner prekären Situation herausbefördern könnten. Am Ende aller Versionen steht immer wieder die Distanz zwischen uns. Jegliche Versuche, ganz gleich welcher Art, würden mich direkt in die Kugel laufen lassen.
„Ich höre.“ Sie legt den Kopf schief und zieht eine Braue nach oben. Ihre Nacktheit scheint sie nicht mehr zu stören, was mich ein wenig verunsichert.
„Wenn du es nicht schaffst, mich zu erschießen, mache ich da weiter, wo du mich…unterbrochen hast.“
„Ich fürchte, das werden sie dann eh tun.“
„Oder du schießt nicht und lässt mich laufen.“
Ich weiß, meine Chancen stehen schlecht und mir kommt nicht die geringste Idee, sie irgendwie aufzubessern.
„Nein. Ich möchte wenigstens einmal die Gelegenheit nutzen, mit so einem Dingen hier herumzuballern. Vielleicht bin ich ja gar keine schlechte Schützin.“
Nach diesen Worten formt sie ihren Mund zu einem Kuss und drückt ab. Genau sechzehn Mal, die Anzahl Patronen, die sich noch im Magazin befinden.
Obwohl der Schalldämpfer den größten Lärm eindämmt, habe ich das Empfinden, jeden weiteren Schuss lauter als den vorherigen zu vernehmen. Bis es am Ende nur noch ein metallisches Geräusch gibt und der Schlitten stehen bleibt.
Ich bin bereits nach dem ersten Treffer tot, so dass ich keinerlei Schmerzen verspüre. Bevor ich falle, denke ich noch, beim nächsten Mal doch besser wieder die Messer mitzunehmen, denn da weiß ich noch nicht, dass es kein nächstes Mal geben wird.
 



 
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