Marionetten

HerrSommer

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Man könnte da doch ein riesiges Marionettentheater hineinbauen, Du weißt schon, mit 3 Meter großen Puppen, die man von oben bedient. Sagte er und blickte versonnen nach gegenüber in das Schaufenster des trostlos und schlecht beworbenen Ladens. Sicherlich hielt er das für eine ziemlich gute Idee, dachte sie und fragte sich, an ihre Erlebnisse des heutigen Arbeitstages denkend, was wohl los war.
Sie hatte sich, gut aufgestellt, wie sie geglaubt hatte, plötzlich in einem Sog voller Unverständnis, Intrigen, zwischenmenschlicher Kälte und großer Betroffenheit wieder gefunden und sie war noch immer verwirrt, weil sie noch keine Antworten auf ihre Fragen gefunden hatte. Eigentlich wusste sie gar nicht genau, was sie denken und fühlen sollte und so saß sie gegenüber von diesem riesigen Schaufenster und sinnierte über dem irren Knäuel unfertig gedachter Fragen und dem erdrückenden Gefühl des Alleingelassenseins mehr über sich und den noch nicht vergangenen Tag. Sie hatte vor lauter Verwirrtheit und Enttäuschung keine Antenne für ihn und sein komisches Verhalten. Es war ihr nicht bewusst, was um sie herum passierte, sie redete wirres Zeug und verstrickte sich in einen monotonen Redeschwall über offensichtlich Unwichtiges und noch nicht einmal lustig Dahergesagtes.
Sie nahm dabei nicht wahr, wie sie sich in eine Spirale von Oberflächlichkeit hinein katapultierte, wie sie ihn mit jedem Wort ein Stück mehr von sich wies und ihn immer mehr verlor, so sehr war sie mit sich selbst und den Erlebnissen ihres Arbeitstages beschäftigt.
Er saß da, neben ihr, spielte das Spiel mit, unerkennbar, was in ihm vorging. Er gebot ihr keinen Einhalt, war genauso in sich und seinen eigenen Kummer versunken wie sie.
Wie fremd sie sich waren. Noch vor kurzem hatten sie sich, in stockenden, unbeholfenen Andeutungen, ihre Liebe gestanden, einander in verzweifeltem Mut glaubhaft versichert, dass sie es noch einmal miteinander versuchen wollten. Er hatte eine schwere Zeit vor sich und beide waren sich einig, dass er erst die Dinge hinter sich lassen musste, bevor sie, beide vorsichtig und verletzt, einen Neuanfang wagen wollten.


Alles, was sie danach noch von ihm gesehen hatte, war eine kurze Nachricht, in der er ihr deutlich über sein Elend schrieb und darüber, dass er es nicht überspielen konnte. Er entschuldigte sich dafür.
Seitdem grübelte sie. Sie hatte nichts mehr von ihm gehört, ihre Emails geprüft und auf ihr Telefon gestarrt.
Sie hatte versucht, ihm zu schreiben, Trost zu spenden, für ihn da zu sein, ihm alles zu erklären. Aber die richtigen Worte wollten sich nicht finden lassen und so hatte sie an diesem Morgen seufzend zu ihrem besten Freund gesagt, Ich kann nichts für ihn tun, er muss da durch. Und sie hoffte, dass sie Recht hatte.
Sie hatte ihm doch noch eine Karte geschickt, einen kurzen, melancholischen Text dazu verfasst und danach beschlossen, ihn in Ruhe zu lassen. Keine weitere Kontaktaufnahme.
Ihn loslassen.

Damit er wiederkommen konnte.
 



 
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