Martinstag

anemone

Mitglied
Die Lehrerin läuft durch die Reihen. Sie verteilt das schwarze Tonpapier an die Kinder, die daraus ihre Fackeln für dieses Jahr basteln sollen.

Jede Grundschulklasse hat ihre eigenen Fackeln und jede Lehrerin ihre eigene Vorstellung, wie diese aussehen sollen. Diesmal muss eine Martinsgans aus dem Papier entstehen, die mit buntem Transparentpapier hinterklebt wird.

Und am 10.11. ist es dann so weit. Der Umzug kann beginnen. St. Martin, der in diesem Jahr als Bischof durch den Ort reiten will, steht bereits im Kindergarten vor den Kindern und zieht sein Gewand über, damit keines der Kinder Angst bekommt, wenn es später dem St. Martin die Hand reicht zum Gruß. Jedes Kind soll erkennen: Dieser Mann kommt nicht vom Himmel, er ist nur verkleidet.


Victor erlebt zum ersten mal dieses Martinsfest. Victor hat die gleiche Fackel, wie die anderen Kinder aus seiner Klasse. Mühsam fand er die Bastelei in der Grundschule und überhaupt gefällt die Schule ihm nicht sonderlich. In Russland war alles viel schöner.

Er hasst diese deutsche Sauberkeit. Er versteht die Sprache nicht und reagiert bockig, wenn die Lehrerin etwas von ihm will. Zum Beispiel, dass er das Heft aus seine Schultasche holt.

Gerade stellt sich der Zug auf. Er muss mit seiner Klasse überlaufen. Victor sieht hinüber zu seiner Mutter. Viel lieber wäre er mit ihr und den Kindergartenkindern über gelaufen. Doch Mutter zeigte unerbittlich auf die Kinder seiner Schulklasse. Ihm gefällt der Tag überhaupt nicht und er ist froh, wenn alles endlich vorbei ist.

Mit vorgeschobener Lippe trottet er den Mitschülern hinterher. Sie singen irgendein Lied, dass er nicht kennt, das heißt eigentlich doch, sie haben es ja in der Schule geübt. Doch Victor bewegte dort nur die Lippen und keiner merkte so, dass er den Text nicht kannte, weil es ihm zu mühsam war ihn zu lernen.

Die Strecke ist eigentlich gut zu schaffen, aber Ramona ist nicht gut zu Fuß und schon bald sehnt sie sich danach, dass sie wieder auf dem wunderschönen mit Tonpapier beleuchteten Schulhof ankommen. Gerade kommt die Lehrerin in ihre Nähe und singt demonstrativ laut den Text, denn sie erwartet, dass die Kinder mitsingen. Doch Ramona denkt nicht daran. Sie hat genug damit zu tun, die Fackel hoch zu halten und nicht zu stolpern.

Die Männer von der Feuerwehr laufen am Rand und beleuchten den Weg mit ihren Pechfackeln.

Die wenigen Kinder aus der Hauptschule tragen an einer überdimensional großen Fackel, die sie auf 4 Schultern abstützen. Sie stellt eine Kirche dar.

2. Teil folgt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

den 2.teil kann man mit spannung erwarten, der anfang ist recht gelungen. vielen dank, daß du mich aufmerksam gemacht hast. aber ick doofer ossie hab schon wieder ne frage: was is n tonpapier? ganz lieb grüßt
 

anemone

Mitglied
2. Teil

Am Ende des Umzuges auf dem Schulhof zerteilt St. Martin mit einem Schwert seinen warmen Mantel, dessen zweite Hälfte er einem Bettler übergibt, der am Rande kauert und schrecklich friert.

Dies alles findet vor den Augen der Zuschauer statt, die danach der Rede des St. Martin folgen: Er spricht vom Teilen, von Toleranz und bittet die Kinder, auf einen Teil der guten Gaben aus der Martinstüte zu verzichten und sie in die bereitstehenden Körbe für die armen Menschen in Polen zu spenden.

Danach stiebt das Publikum auseinander: Die Schulkinder in die Klassen, die Kindergartenkinder mit ihren Eltern zum St. Martin, der in der Eingangshalle der Schule darauf wartet, den Kindern die Hand zu reichen. Die Erwachsenen zum Stand mit dem Glühwein und den Martinspüfferchen.

Victor hält seine Tüte schon in dem Arm. Er möchte schleunigst nach Hause, doch seine Mutter und die kleine Schwester warten noch auf die Begrüßung des St. Martin.


Ramona hockt sich in die Ecke und schaut sich den Inhalt ihrer Tüte an: „Spekulatius, die bekommt Mama, Lakritz kann sie auch haben, mag ich nicht!“ beschließt sie. Die Kaubonbons schiebt sie schnell in den Mund. „Die Schokolade mag ich auch!“ denkt sie und ehe man sich versieht sind die leckeren Süßigkeiten schon in ihrem Bauch verschwunden. Das Brausepulver wird in ihre Hand geschüttet und aufgeleckt.

Nun kommen noch einige Kinder dazu und der Tauschhandel geht los. „Gibst du mir dies, bekommst du von mir das!“

Nun muss sie aber nach Hause. In ihrer Tüte steckt nur noch der Weckmann, sowie die Spekulatius und die Lakritz. Die Spende für den Wäschekorb steht noch aus. Im Moment ist sie etwas ratlos. „Was kann ich da hineingeben?“

Victor kommt an ihr vorbei. Seine Tüte ist noch bis obenhin voll. „Ach was,“ denkt sie „Polen!“ Sie drückt ihm die Lakritz in die Hand und begibt sich auf den Nachhauseweg.

Unterwegs beginnt es dann in ihrem Magen zu rumoren. Gerade, als sich ihr Magen wieder verkrampft, überholt sie Victor mit seiner Familie. Er redet mit seiner Mutter und steht kurze Zeit später mit einem Taschentuch vor ihr. Sobald sie es in ihrer Hand hält, schießt ihr Mageninhalt heraus und sie übergibt sich in den Sträuchern.

Als ihr wenige Tage später Victor auf der Straße begegnet sagt sie zu ihm: „Danke, Stankt Martin!“ Seitdem geht Victor gerne zur Schule.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aha,

danke für die aufklärung. nebenbei - der zweite teil scheint mir etwas schwächer zu sein als der erste. aber es freut mich sehr, daß der junge nun lieber zur schule geht als vorher. ganz lieb grüßt
 



 
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