Masken

Nyxon

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Maskenbus - Episode 1

Stefan Richter war neunundzwanzig Jahre alt und arbeitete bei einer kleinen Kanzlei in München. Er studierte Jura und war mittlerweile Dozent bei einem renommierten Anwalt. Sein Monatsgehalt war durchschnittlich, er war ledig und hatte zur Zeit keine feste Freundin. Sein Bruder lebte seit zehn Jahren in dieser Stadt und Stefan besuchte ihn mindestens einmal im Jahr. Wenn es seine Arbeit zuließ, auch mehrmals. Stefan war mit seinem Leben vollends zufrieden. Er hatte mit fast dreißig alles erreicht, was er angestrebt hatte. Er hatte einen tollen Job, wohnte in einer schicken Eigentumswohnung im Herzen von München und er hatte Kontakt zu vielen mächtigen Menschen.

Stefan Richter fühlte sich unwohl in diesem grauen Anzug. Er war geschäftlich in diese Stadt gekommen und mußte den Anzug notgedrungen auf der Fahrt tragen. Was hätte es für ein Bild abgegeben, wenn er im Zug eine Jeans und einen Rollkragenpullover getragen hätte? Wenn nun jemand in das Abteil gekommen wäre, der ihn kannte? Vielleicht ein Geschäftsfreund. Ein einziger Blick auf seine Kleidung und man hätte Stefan Richter sofort eine Schublade tiefer verfrachtet. Das konnte er sich nicht leisten. So etwas würde er sich nicht leisten.
Er hatte den Anzug bei einem Schneider anfertigen lassen. Der Stoff war voller Reinheit und Schönheit. Stefan hatte viele hundert Mark für ihn ausgegeben. In den Momenten der Freude, dachte Stefan oft daran, was ihm dieser Anzug bereits alles eingebracht hatte.
Als er von seinem jetzigen Vorgesetzten die Frage gestellt bekam, ob er nicht als Dozent für ihn arbeiten wolle, hatte er diesen Anzug getragen. Und er hatte ihn getragen, als er sein Büro im vierten Stock der Kanzlei bezog. Erst hatten ihn alle als Assistenten bezeichnet, doch der Anwalt hatte es richtiggestellt. Nun hatte Stefan viele Freunde in der Kanzlei. Er ging mit ihnen essen, spielte gelegentlich Golf mit ihnen und ihren Bossen. Er hatte auch schon einmal eine große Konferenz im Ausland mitmachen dürfen. Er hatte mit diesem Anzug wirklich vieles erreicht, was er sich früher nur erträumt hatte.
Aber er hatte auch schlechte Zeiten in diesem Anzug erlebt. Zum Beispiel der große Brombeerfleck auf der Hose. Er war nur sehr schwer wieder herausgegangen. Die Wäscherei hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Doch Stefan hatte ihnen den doppelten Preis geboten, wenn sie nur den Fleck herausbekommen könnten und es hatte geklappt! Doch die Erinnerung an die Entstehung des Flecks saß tief.

Das Brombeereis hatte vorzüglich geschmeckt. Sabine hatte ihm gegenüber gesessen und einen großen Cappuccino getrunken. Sie waren sehr glücklich gewesen. Sie hatten eine feste Beziehung geführt. Sabine war drei Jahre jünger als er gewesen und sie wollten zusammenziehen. Stefan hatte bereits einen teuren Verlobungsring beim Juwelier gekauft. An diesem einen Tag im Sommer hatte er sie fragen wollen. Er hatte die Unterhaltung mit allgemeinen Dingen angefangen. Freunde hatten sie zum Essen eingeladen. Er sollte für den Anwalt anfangen. Und er mußte dafür von Stuttgart nach München umziehen. Das hatte er Sabine erzählt und sie war gar nicht begeistert gewesen. Sie arbeitete in einer Praxis für Allgemeinmedizin und war ebenfalls glücklich in ihrem Job.
Stefan hatte sie nach München mitnehmen wollen. Dafür hätte sie jedoch ihre Arbeit in der Praxis niederlegen müssen. Sabine hatte es nicht gewollt. Stefan fragte sie, was wohl wichtiger wäre. Er und ihre gemeinsame Zukunft in München oder die Arbeit in Stuttgart. Sabine entschied sich für Stuttgart und dafür, ihm seinen Brombeereisbecher über die Hose zu kippen. Dann war sie wutentbrannt davongerauscht.
Stefan hatte sie seit diesem Zeitpunkt nie wieder gesehen.
Von Freunden erfuhr er ein Jahr später, daß sie einen guten Freund geheiratet hatte, ein Kind erwartete und ihre Arbeit in der Praxis aufgab.

Der Bus hielt nicht an der ersten Station nach dem Bahnhof.
Weder Stefan, noch die Frau, die mit ihm eingestiegen war und jetzt leblos aus dem Fenster sah, wollten aussteigen. An der Haltestelle stand auch niemand, der in den Bus zusteigen wollte, deshalb gab der Busfahrer noch etwas mehr Gas, um noch das Grün an der nächsten Ampel zu bekommen.
Das bekommt er nicht mehr, dachte Stefan.
Der Busfahrer mußte tief in die Eisen steigen, um den Bus noch rechtzeitig zu stoppen. Stefan hatte bereits Sekunden zuvor geahnt, daß das Grün nicht lang genug anhalten würde.
Auch in dieser Situation behielt er recht.
Stefan hatte sich daran gewöhnt, fast immer in seinem neuen Leben recht zu behalten. Er hatte vorausgesagt, daß Microsoft das Kartellverfahren nicht gewinnen würde, er hatte den tiefen Fall und danach nur leichten Anstieg des Euros vorausgesagt und auch bei den übrigen Fällen in seiner Kanzlei hatte Stefan einen guten Riecher für erfolgreiche und weniger erfolgreiche Prozesse.
Stefan legte seine Hand auf die schwarze Aktentasche, die auf seinen Knien gebettet war. In ihr befanden sich die Unterlagen zu einem brisanten Fall, der in der hiesigen Stadt verhandelt werden sollte. Stefan durfte nichts sagen, weder seinen Kollegen in München, noch seinem Bruder hier. Er wollte im Moment noch nicht einmal darüber nachdenken wollen. Es war einfach zu brisant, um sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen.
Er wollte erst in ein paar Tagen darüber brüten, wenn er zusammen mit den hiesigen Kollegen den Fall vorbereiten mußte. Doch bis dahin war noch genügend Zeit. Genügend Zeit, um sich etwas zu erholen und ein paar Tage mit seinem älteren Bruder und seiner Verlobten zu verbringen. Zeit, Erholung. Beides Worte, die Stefan Richter nicht mehr allzu oft in den Mund nahm. Er hatte weder viel Freizeit, noch fand er diesem Zeitraum genügend Ruhe, um es Erholung zu nennen. Stefan arbeitete immer. Wenn er zu Hause war, schlief er entweder ein paar Stunden, oder er bereitete irgendeine Klage gegen irgend jemanden vor, den er niemals persönlich kennengelernt hatte und es auch nie tun würde. Der Anwalt würde sich um das Verfahren vor Gericht kümmern.
Stefan war nur der Mann im Hintergrund. Einer der wichtigen Männer im Hintergrund, die für die Anwälte die richtige Arbeit machten.

Station Zwei. Der Bus hielt und der Busfahrer ließ einen alten Mann einsteigen. Der Mann wollte durchgehen, doch der Busfahrer hielt ihn zurück.
"Sie müssen schon bezahlen, mein Herr", fing er an.
"Ich habe aber kein Geld", lallte der Mann zurück.
Der Busfahrer rümpfte die Nase. Scheinbar stieg ihm ein unangenehmer Geruch in die Nase. Er setzte sich zurück auf den Fahrersitz und schloß die Vordertür. "In Ordnung. Sie dürfen ausnahmsweise mitfahren. Das nächste Mal nehme ich Sie aber nicht mehr mit." Der Mann wollte weitergehen, doch der Busfahrer hielt ihn erneut zurück. "Wenn Sie hier irgendwelchen Ärger machen, fliegen Sie an der nächsten Station wieder raus. Kapiert?"
Der Mann nickte und setzte sich in die dritte Sitzreihe des Busses.
Seine Kleidung bestand fast nur aus Lumpen und im Businneren breitete sich schnell ein starker Alkoholgeruch aus. Der Mann nahm eine Flasche Whiskey aus der Einkaufstüte, die er bei sich trug und nahm einen großen Schluck.
So werde ich, Gott sei Dank, niemals enden, dachte Stefan Richter, als er den alten Mann mitleidig ansah.

Der Bus fuhr weiter...
 
Y

Yamiko

Gast
Hmm... also an sich hat mir die geschichte gut gefallen, von der Idee her. Aber es gibt einpaar punkte die meiner meinung nach wichtig sind:
1. Am ende fragte ich mich - na und? Was soll mir die geschichte denn sagen? Es fehlt ein Höhepunkt, das aha erlebnis. ich wusste auch schon vorher dass es menschen wie stefan wie sand am meer gibt. ich bin mir nicht sicher was die "aussage" sein soll.
2. du erzählst gut aber an manchen stellen "erzählst" du eben nur, es grenzt fast an aufzähling, es fehlen gefühlsbetonte details die dem leser helfen sich in die person von der berichtet wird, reinzuversetzen.

was ich gut fand war die sache mit dem fleck und dem anzug.
Ich hoffe du kannst mir den kritikpunkten was anfangen. Was meinst du dazu?

warte gespannt auf antwort
 
Y

Yamiko

Gast
sorry, sehe gerade, es war episode 1... wann kommt die fortsetzung?
 

Nyxon

Mitglied
Erst mal danke für die Kritik überhaupt. Mit Kritik kann ich immer etwas anfangen.

Also, zu Punkt eins: Du hast recht. Es fehlt ein Höhepunkt. Einfachste Erklärung ist, dass ich keinen Höhepunkt haben wollte. Alle Episoden des Maskenbuses (insgesamat 11), besitzen gewollt keinen Höhepunkt. Das soll ja gerade die Banalität der Geschichte ausmachen. Du musst dir den größten Teil der Geschichte eigentlich dazudenken. Du kannst dir anhand der einfachen und klaren "Informationen", die gegeben sind, ein Bild von Stefan & Co. machen.

Punkt Zwei habe ich gerade jetzt abgehagt, sehe ich jetzt.


Wenn du interessiert bist an weiteren Teilen des Maskenbus, dann steht dir die nächste Episode jetzt zur Verfügung.

Schöne Grüsse und allen einen schönen Urlaub,
NYXON
 



 
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