Mathildas Jahrmarkt (Kurzgeschichte)

mikhan

Mitglied
Mathildas Jahrmarkt
Mathilda, ein kleines, achtjähriges Mädchen, mit zwei ganz wunderbaren Zöpfen, die sie noch zusätzlich mit Schlaufen geschmückt hatte und einer kunterbunten Kleidung, die sie jeden Tag aufs Neue zusammenstellte, sehr zum Verdruss ihrer Mutter, die Mathilda am liebsten den ganzen Tag in ihre Schuluniform eingehüllt gesehen hätte, hatte einen Traum.
Schon seit einer Woche war ein Jahrmarkt in der Stadt gewesen und Mathilda hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als daß ihre Mutter sie einaml dorthin mitgenommen hätte. Doch Mathildas Mutter hielt nichts von Jahrmärkten, und so kam es, daß der Jahrmarkt die Stadt wieder verließ, ohne daß Mathilda auch nur in die Nähe von ihm gekommen wäre. Wie glücklich war sie da, als sie in ihrem Traum durch das Eingangstor zum Jahrmarkt schreiten konnte. Sie war noch nie auf einem Jahrmarkt gewesen und war daher sehr gespannt, was sie dort wohl noch erwarten würde.
Im gleichen Moment, wie mathilda den jahrmarkt betrat, wurde sie auch schon von einer gewaltigen Menschenmenge aufgesogen, welche sie unbarmherzig vorwärtsstieß. Die Schaubuden, die den Weg zu beiden Seiten säumten zogen an ihr vorbei, ohne daß es ihr möglich gewesen wäre, sich einer von ihnen zu nähern. Lediglich den starken Geruch von Süssigkeiten konnte sie aufschnappen, ebenso wie eine fröhliche Musik, die aus allen Richtungen ertönte, und Mathilda albern vorkam.
Der Weg, der einen Kreis um den gesamten Jahrmarkt beschrieb, gab seine erste Attraktion frei, ein gigantischer, rosaroter Elefantenkopf erschien am Wegesrand. Aus den leeren Augenhöhlen quollen Kinder heraus, die darauf brannten, den riesigen, gewundenen Rüssel des Elefanten hinabzurutschen.
Mathilda wäre auch gerne einmal gerutscht, aber die Menge wurde von den Rufen eines Marktschreiers angelockt, der die nächste Attraktion anpries. Ehe sie sich versah, stand sie auch schon davor: zuerst sah sie nur zwei grosse Füsse, die an zwei langen Beinen hingen, dann den grossen weiblichen Oberkörper, Mathilda kam dieser Körper auf seltsame Weise vertraut vor, und als sie ihren Kopf bis ganz nach oben richtete, wusste sie auch warum. Dort oben, auf dem fetten Plastikhals dieser unheimlich grossen Puppe thronte der Kopf ihrer Mutter. Der oder die Künstler hatten gute Arbeit geleistet, das böse, unbewegliche Lächeln der Puppe liessen diese äußerst realistisch erscheinen. Beinahe glaubte Mathilda die Stimme ihrer Mutter hören zu können.
"Mathilda, ich hatte dir doch verboten jemals hierher zu kommen. Sieh nur, was sie aus mir gemacht haben! Alle lachen mich aus!"
In der Tat schien der Zweck dieser Puppe die Belustigung des Publikums zu sein, denn die Menge lachte brüllend heraus und machte abfällige Bemerkungen über die Proportionen ihrer Mutter. Das war verständlich, schliesslich war der Körper iher Mutter auf groteske Art und Weise deformiert und aufgebläht worden. Mathilda ignoriert swohl die Puppe als auch die Menschen und war froh als die Menge schliesslich beschloss weiterzuziehen. Sie trug keine Schuld daran, daß ihre Mutter zu einer Jahrmarktsattraktion geworden war. Sie hätte eben netter sein sollen.
Als Nächstes lockte ein lustiger Clown die Zuschauer herbei, um sie zu einem heiteren Ratespiel zu animieren. Mit verführerischen Preisen versuchte er die Menge zur Teilnahme zu ermuntern. Doch seine Fragen waren so schwierig, daß niemand es wagte, eine Antwort zu geben. Schäumend vor Wut suchte sich der Clown daraufhin einfach einen Kandidatenheraus und erniedrigte ihn dann vor den Augen des Publikums, daß die Dummheit des Kandidaten mit einem schadenfrohen Lachen kommentiert, daß sofort wieder verstummte, als der Clown sein nächstes Opfer zu suchen begann. Für einen Augenblick ruhte sein ausgestreckter Zeigefinger sogar auf Mathilda.
Dies löste einen fürchterlichen Schwindelanfall bei Mathilda aus, die sich vorkam, als hätte sie ein überdimensionales Karussel betreten, daß sich immer schneller zu drehen begann.
Hilfesuchend sah sie um sich. Doch außer dem Elefanten, der ihr listig zuzwinkerte, der Puppe ihrer Mutter, deren böse Miene eine teuflische Zufriedenheit bekundete und dem Clown, der Witze über die Todesängste ausstehende Mathilda riss, und damit die Symphatie seiner Zuschauer gewann, war niemand da, der ihr hätte helfen können. Mathilda stieß einige angsterfüllte Schreie aus, mehere Male - vergeblich. Leise begann sie zu wimmern.
Mathilda schlug die Augen auf. Dicht über sie gebeugt stand ihre Mutter an der Bettkante. Für eine kurzen Augenblick meinte Mathilda wieder das fette, künstliche Gesicht der Puppe vor sich zu sehen.
"Mathilda, Lieling. Du hattest einen Alptraum." hörte sie ihre Mutter sagen. Ihre Mutter blien noch eine Weile bei ihr im Zimmer sitzen und sagte dann schliesslich, daß sie wieder schlafen gehen wolle. Mathilda sah zu, wie ihre Mutter zur Zimmertür ging und diese langsam hinter sich schloss. Im verbliebenden Licht, daß der Türspalt durchliess, sha sie noch einmal das Gesicht der Puppe, mit dem bösen sterilen Lächeln.
Dann versank ihr Zimmer in Dunkelheit.
 



 
Oben Unten