Meer in der Nacht

Elfi

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Meer in der Nacht

Du stehst am Ufer des tosenden Meeres, keine Möwen kreischen, denn es ist Nacht. Die Sterne leuchten so hell und klar vom mondlosen Himmelszelt und ein sanfter Wind weht übers Meer, der dir dein Haar aus dem Gesicht weht. Er trägt dir einen Duft herüber, nicht nach Fisch oder Meer, sondern nach mehr. Angestrengt lässt du seine Augen über die Wellen blicken. In der tosenden Gischt schwimmt nichts, aber hinter dem Meer siehst du plötzlich das andere Ufer und ein heller Lichtschein dringt zu dir herüber. Ein Irrlicht? Du legst deine Hände über die Augen und schaust ein weiteres Mal herüber: das Licht schneidet noch immer mit seinem Strahl durch die Dunkelheit.
Dort ist das Licht und hier? Ich wünschte, ich hätte das Licht ...
Wenn ich dort wäre, hätte ich Licht!
Aber wer weiß, ob es nicht eines Tages verlischt, wenn ich am anderen Ufer bin ...
Die Müdigkeit überkommt dich, du legst dich hin und träumst, und als du erwachst, denkst du an diesen Traum:
Sie lag neben dir und du konntest sie sehen. Haare wie flüssiges Gold bedeckten ihr Gesicht und das Licht strömte ihr aus den Augen, als sie ihr langes Haar aus dem Gesicht strich. Ihr Lächeln war so sanft und sacht und mit ihren Händen strich sie über dein Gesicht.
Du kannst es noch fühlen, als war der Traum kein Traum!
Noch dauert die Finsternis an; es ist eine lange Nacht und du erhebst dich. Wartend stehst du am Ufer und die Wellen umspülen deine Füße. Erneut schaust du über das tosende Meer und vom anderen Ufer scheint das Licht zu dir herüber, doch du fühlst die Kälte an deinen Füßen. Rasch trittst du einen Schritt zurück. Unruhe überkommt dich. Du läufst am Ufer lang und siehst, wie das Meer deine Fußabdrücke im feuchten Sand verwischt, deshalb weißt du nicht, wie viele Schritte du machst, während du darauf wartest, dass das Licht zu dir kommt.
Das Licht kommt nicht, doch die Müdigkeit macht sich in dir breit und erneut legst du dich zur Ruhe. Ehe der Schlaf dich überkommt, denkst du an den wunderbaren Traum, dass das Licht zu dir käme.
Du erwachst und erinnerst dich daran, dass sie erneut bei dir war. Ihre Hände berührten abermals dein Gesicht, und mit deinen Händen kämmtest du ihr langes Haar.
Du kannst es noch fühlen, als war der Traum kein Traum!
Noch immer ist Finsternis um dich herum, als du dich erhebst. Wieder starrst du zum anderen Ufer und das Licht scheint dir so hell und klar herüber, dass du das Meer vergessen möchtest! Du krempelst deine Hosenbeine auf und watest durch das Wasser des Meeres. Kalt ist es und nach einigen Schritten spürst du deine Beine kaum noch.
Nein, wenn ich jetzt weiter gehe, wird das Meer mich von den Beinen reißen! Ich muss hier warten!
Ungeduldig gehst du am Strand auf und ab und überlegst.
Dann bleibe ich eben wach, wenn ich schlafen möchte, um herauszufinden, ob das Licht tatsächlich bei mir ist ...
Du wartest, bis es Zeit ist, sich niederzulegen und träumst mit geschlossenen Augen den schönen Traum, ohne zu schlafen.
Sie ist da! Du kannst ihre Anwesenheit fühlen und ihren lieblichen Duft riechen! Spürst ihre Hände an deinem Gesicht und mit deinen Händen fährst du ihr sacht übers güldene Haar.
Dann schlägst du deine Augen auf:
Sie ist unsichtbar! Nur das Licht brennt gleißend neben dir. Und dann ist es weg, als wäre es nie bei dir gewesen.
Grübelnd stehst du am Ufer und starrst hinüber. Das Licht! Es leuchtet.
Tage vergehen, du schläfst und wachst, und wenn du wachst, starrst du herüber. Das Licht! Es leuchtet in der Ferne, aber es ist nicht bei dir.
Wochen vergehen, du schläfst und wachst, und das Licht leuchtet noch immer so hell zu dir herüber, wenn du am Ufer auf und ab gehst.
Wenn doch das Meer nicht wäre!
Jahre sind vergangen und das Licht vom anderen Ufer leuchtet immer noch hell und klar zu dir herüber. Unbeirrt nimmst du deinen ganzen Mut zusammen und watest durch das tosende Meer auf das Licht zu. Kalte Wellen umspülen deine Füße.
Ich kann noch, wenn ich das Licht sehe!
Die Wellen beißen in deine Waden.
Ich kann noch, wenn das Licht immer noch brennt!
Sie zehren schon an deinem Oberkörper und du besinnst dich darauf, dass du schwimmen kannst.
Ich lasse mich nicht vom Meer vertreiben, so lange ich das Licht sehe!
Und du schwimmst, ohne deinen Blick vom Licht zu lösen, doch die Distanz zum anderen Ufer schwindet nicht!
Kräfte verzehrend! Du bist kurz davor, umzudrehen, doch dann siehst du erneut zum Licht!
Es leuchtet dir den Weg und gibt dir Wärme, nebst Kraft, dein Vorhaben auszuführen.
Du schwimmst weiter, Zug un Zug, aber das Ufer bleibt in der Ferne; nur das Licht leuchtet und noch weißt du nicht, dass du endlos schwimmen wirst ...
 



 
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