Mehr, als das

Schamor

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„Sooft ich rede, muss ich schreien,
Gewalt und Unterdrückung, muss ich rufen. „ Jer 20,8



Mehr, als das


Schwer hallen die Stiefel auf der kalten Betontreppe. Die Luft ist eisig und erschwert mir das Atmen. Wie ein Schlaftrunkener gehe ich zwischen den zwei Uniformierten, die mein Leben in ihrer Hand haben. Was ich wollte, war Gerechtigkeit, doch das Schicksal hat anders für mich entschieden und obwohl meine Lage aussichtslos ist, denke ich immer noch an Flucht. Freiheit! - Wer nie ein Gefangener war, kennt nicht deinen wahren Wert! Es erscheint mir ewig, dass ich frei war.
Wieso bin ich hier?
Wir sind angekommen. Der Klang der Stiefel erstickt in einem dumpfen Echo, das den finsteren Gang hinauf kriecht und verschwindet. Einer der beiden Männer hat die Schlüssel.
Er hat Mühe, den Schlüssel im verrosteten Schloss umzudrehen.
Ich sehe den stählernen Knecht in seiner rauen verschwitzten Hand und meine Lippen bewegen sich leise im Gebet, dass die Tür nicht aufgehen möge.

Rote und blaue Girlanden schmücken den kleinen weiß tapezierten Raum. Ein Kuchen steht auf dem Tisch, der nach langer Zeit mal wieder mit einer Decke aus hellblauem Bast bekleidet ist.
Jeremia zündet gerade die einzige Kerze auf dem Kuchen an, als ein schwarz gelocktes Mädchen von ungefähr fünf Jahren im Türrahmen erscheint.
„Da ist ja unser kleiner Engel, Mama!“ ruft Jeremia begeistert aus.
Er hebt den kleinen Engel der ein rotes Samtkleid mit weißem Spitzenkragen trägt hoch und und küsst ihn zärtlich auf die Wange.
„Papa wünscht Dir alles Liebe zum Geburtstag, Miriam!“
Lachend lässt er das kleine Mädchen zwischen seinen Armen in der Luft schaukeln und hält es schließlich vor den Kuchen, damit es vergnügt die Kerze ausblasen kann, als es plötzlich an der Tür klingelt.

Dichte Rauchschwaden hängen über dem spärlich beleuchteten Raum, in dem fünf Männer um einen Tisch sitzen. Schließlich geht die Tür auf und eine junge Frau kommt mit einem Tablett herein.
„Käthchen, wie oft habe ich Dir schon gesagt, dass Du anklopfen sollst! Wir befinden uns in einer vertraulichen Besprechung!“
Mit einseitig hochgezogenem Nasenflügel stellt Käthchen das Tablett auf den Tisch.
„Lass solche Grimassen! Das ziert sich für eine junge Dame nicht.“
„Entschuldigung, Vater! Aber wenn ich das Tablett mit beiden Händen tragen muss, kann ich nicht auch noch an die Tür klopfen.“, sagt sie und verlässt knicksend den Raum.
„O Gott!“, stöhnt Oberstudienrat Dr. Winter.
„Womit habe ich das nur verdient?“
„Lassen Sie sie doch, Dr. Winter! Zur Zeit haben wir größere Konflikte zu bewältigen.“
Mit festem Blick sieht Klaus van de Bloom entschlossen in die Runde und öffnet seine Aktentasche.

Lea Neuberg kommt gerade mit dem Tee in das Zimmer, als es klingelt. Kreideweiß vor Schreck lässt sie das Tablett fallen. Besorgt kommt Jeremia seiner jungen Frau zur Hilfe.
„Heda, da drinnen, aufmachen!“
Die dunkle Stimme die durch die Tür dringt, klingt gefährlich. Jeremia steht auf. Seine schwarzen Augen blitzen zornig, seine Hände sind zu Fäusten geballt.
„Feiges Judenpack! - Schneider, brechen Sie die Tür auf!“
In dem Moment, als der Sturmmann die Tür aufbrechen will, wird sie von Jeremia geöffnet.
Standhaft sieht er dem Sturmführer ins Auge, der in Begleitung von vier Männern vor ihm steht.
>Nur diesen Hunden gegenüber keine Angst zeigen!<, denkt er und reißt sich zusammen.
Die Sturmmänner stürzen die Wohnung. Sie spotten über das Geburtstagsgedeck und übermitteln sogleich ihre „Gratulation“, in dem sie die Einrichtung zertrümmern.
Jeremias Herz bricht, als er seine kleine Tochter weinen sieht. Er will zu ihr hingehen um sie zu trösten, wird aber vom Sturmführer zurück gehalten.
„Jeremia!“
Lea schreit in Todesangst, während sie und Miriam von zwei Sturmmännern auf die Strasse gezerrt werden.
Der gedemütigte junge Mann will ihnen folgen, wird aber von dem SA - Führer noch immer festgehalten. Er versucht, sich von ihm loszureißen, da schleudert dieser ihn zu Boden.
„Papa!“
Miriam wird zusammen mit ihrer Mutter auf einen geschlossenen LKW verladen. Währenddessen wird Jeremia zusammengeschlagen.
Sie schleifen ihn zum Haus auf die Strasse hinaus, wo er den LKW mit seiner kleinen Familie wegfahren sieht. Der Sturmführer fordert ihn dazu auf, in das Auto einzusteigen. Jeremia schlägt ihn nieder und rennt weg. Obwohl er an der Schulter angeschossen wird, gelingt ihm die Flucht, weil eine junge Frau ihn mit sich in ein Haus einer Seitenstrasse zieht.

Vollkommen erschöpft wacht er in einem fremden Zimmer wieder auf. Als seine Augen durch den Raum wandern, nehmen sie einen Mann auf dem Stuhl neben der Tür wahr. Sein Blick ist freundlich und in seinem rechten Mundwinkel ruht eine Pfeife, die er genüsslich raucht.
„Guten Morgen, mein junger Freund! Wie geht es Ihnen?“
Beim Aufrichten im Bett bemerkt Jeremia den Verband an seiner linken Schulter.
„Das hätte für Sie böse ausgehen können!“
Der Ältere nimmt seine Pfeife und klopft deren Kopf an dem kleinen Seitentisch neben ihm aus.
„Wer sind Sie?“, fragt Jeremia.
Katharina kommt herein. Sie trägt einen Krug Wasser, sowie weiße Tücher und Binden.
„Guten Morgen! Wie geht es Ihnen?“, fragt sie lächelnd und stellt den Krug neben ihm auf den Nachttisch.
Still lässt er sich seinen Verband wechseln, verliert aber dabei den Blickkontakt mit dem älteren Mann nicht.
Danach will Katharina das Zimmer verlassen, doch ihr Vater hält sie zurück.
„Käthchen, sei so lieb und koch’ uns einen Kaffee!“
„In Ordnung, Vater!“ antwortet sie und geht mit gesenktem Kopf.

Am Abend des dritten Tages nimmt der Oberstudienrat seinen neuen Freund mit in den CLUB.
Klaus van de Bloom, Oberst des Luftwaffenheeres, debattiert heftig.
„MOGOHO bedarf keinen Aufschub mehr. Wir müssen jetzt handeln! Die Führung unseres Staates stützt sich auf ein unmenschliches Regime, das schon damals unsere Grosseltern missbraucht hat. Letzte Nacht…“
Er blickt aufmerksam und bestimmt in die Tischrunde.
„… kam es in München, Berlin und Frankfurt wieder zu so genannten Aktionen.“
Dr. Winter springt auf. Er ist sichtlich erregt.
Van de Bloom fährt fort:
„Über 65.000 RALIS sind getötet worden, mehr als 98.000 sind verletzt, während unser Führer sich am Genfer See erholte. Nächsten Dienstag ist der Führer in Düsseldorf und hält eine Kommandobesprechung ab, zu der auch ich eingerufen worden bin. Neuberg, wollen Sie mich unterstützen?“
Er sieht Jeremia beschwörend an.
Dieser muss in den letzten Tagen immer an seine Frau und seine kleine Miriam denken. Dabei hat er sich alle Mühe gegeben, dass es ein schöner Geburtstag für sein kleines Mädchen wird und jetzt wusste er nicht einmal mehr, wo die beiden sind.
Ob sie noch leben?
>Was nützt mir ein Leben ohne sie und immerzu auf der Flucht?<
Schließlich antwortet er van de Bloom:
„Ich bin bereit MOGOHO unter Einsatz meines Lebens zu förden!“
Van de Bloom lächelt zufrieden. Jeremias Bereitschaft findet Aufnahme und Hoffnung in der Männerrunde.
Die meisten von ihnen sehen schon müde aus.
„Also, Kameraden, am Dienstag besteigt unser Führer den Kahn des Todes!“

Die Tür ging schließlich auf.
Zwei Männer in weißen Kitteln erwarten mich schon. Meine Augen sehen den schrecklichen Stuhl, der in der Mitte des Raumes steht. Noch einmal überdenke ich das was ich getan habe und sage mir, dass der Einsatz meines Lebens für die Freiheit meines Volkes und meiner Lieben nicht umsonst gewesen ist.
Einer der zwei Männer befestigt mich an dem Stuhl. Die zwei SS - Männer müssen gehen. Der kalte Stahl schmerzt an meinen Hand - und Fußgelenken.
Wie lange noch wird er so kalt sein?
Ich glaube, sehen zu können wie der Mann seine Lippen zu einer schrecklichen Grimasse verzieht, als er den Hebel betätigt. Für einen Moment fühle ich noch einen heftigen Schlag in meinem ganzen Körper, dann ist alles um mich hell.
In meinem Herzen ruht eine tiefe Dankbarkeit. Ich bin an meinem Ziel.
Gott hat mich erhört.

Im Neuen Volksstürmer vom 30. September 2004 ist heute zu lesen:

Am vergangenen Dienstag ist in Düsseldorf ein Attentat auf unseren Führer Martin Obermann verübt worden. Der Führer ist dabei nur leicht verletzt worden. Klaus van de Bloom, Oberst des Luftwaffen-heeres und Minister für Kampfstrategie, hatte zur ‚Kommandobesprechung im Kriegsministerium’ eine Bombe eingeschleust. Er und sein Komplize, der Jude Jeremia Neuberg, konnten gestern verhaftet und vor das Volksgericht gebracht werden. Das Urteil lautete: >Todesstrafe wegen Hochverrats<. Beide wurden heute zwischen zwölf Uhr und zwölf Uhr zwanzig in Köln auf dem Elektrischen Stuhl hingerichtet.


© 19.12.2000


Erläuterungen:

MOGOHO: Martin Obermann GO HOme
RALIS: RAssenArme Leute Im Staat
 

Schamor

Mitglied
Wieso Charlie Chaplin?

Hi knychen, darauf habe ich auch keine Antwort!

Mit seinem Film "The great dictator" hat die KG jedenfalls nichts gemein.
Ich habe sie während meiner Gymnasiumszeit im Dezember 2000 für einen Schreibwettbewerb geschrieben. Mein Kopf war damals voll benebelt von Orwells "1984" und dem furchtbaren Gedanken an einer bundespolitischen Koalition mit "Neonazis". Die KG ist also eine fiktive Vorstellung davon, was wieder sein könnte. Natürlich hätte ich damals bei der Datierung des Zeitungsartikels auch weiter in die Zukunft greifen können.

Dir alles Gute und ein schönes Wochenende!
Schamor
 



 
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