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Jeboren bin ick irjendwann
Ick erinna mich nich dran
Es war hart, die Mutta schrie
Sie verjaß die Sache nie
Hab mich gleich uff ihr Hemd erbrochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Dann war ick Kind un spielte dumm
Mit meenen Kindafreunden rum
Vastecken – keena wollt mich finden
Un im Fußball war ick schlecht
Im Sturm is mir det Been jebrochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Mit fuffzehn oda sechzehn dann
Lachte mich n Mädchen an
Ick fragte: Willste mit mir jehn?
Sie sprach: Det wirste schon noch sehn
Et jing nich länga wie zwee Wochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Nach der Schule jings dann schnelle
Un mich fand ne Arbeitsstelle
Autobauer – Kardanwelle
Dafür fand ick mich zu helle
Lass‘ mich doch nich unterjochen!
Hab mir mehr davon versprochen

Hatte eenen juten Freund
Ihm von Frauen vorjeweint
Mit ihm die Arbeitslosigkeit beklagt
„Mach wat aus Dir!“, hat er jesagt
Doch dann brach ick ooch mit Jochen
Hätt‘ ick den Braten nur jerochen!
War doch nur n Bessawissa
Ick hab mir mehr davon versprochen

Die jroße Liebe ha'ick ooch jefunden
Zumindest ha'ick det jedacht
V’leicht hamwa uns zu viel jewünscht
Un nich jenuch dafür jemacht
Sah ick sie später, det war nich oft
Wie sie mit ihm vorüberlooft
Dann hört‘ meen Herz nich uff zu pochen
Vollführt n Säbeltanz in mir
Innalich nur Glas, zerbrochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Doch, ick fand zu mir zurück
In n nebulöses Glück
Auto, Haus mit Jarten dran
Und n strammer Sohnemann
Von ner Frau, die meenen Namen
trägt un ohne Dramen
tut meen täglich Essen kochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Dann wurdick alt un wurde bitter
Sah uff meen Leben volla Gitter
Die Frau war tot, der Sohn war weg
Un jaben sie mir wat zu essen
Kriecht icks inner Schnabeltasse
Zittert‘ zu sehr für Besteck
Die Wahrheit is: ick war allein
Soll det n reichet Leben sein!
Morsch der Jeist un weich die Knochen
Ick hab mir mehr davon versprochen

Un eines leuchtends Abendrot
Da hauchte ick mir langsam aus
Die schwere Seele drang hinaus
Nur Kittelmänner schrieen: Nein!
Jaben Schocks un Sauerstoff,
Herzmassagen un so Dreck
Doch ick wollte nur noch weg
Schaffte es bis in den Tod.
Hab mühsam endlich mich vakrochen
Un mir von allem mehr versprochen.

Nu steh ick hier in eenem Saal
Die Wände weiß, det Licht is fahl
Höre, wie ick angstvoll schrei:
Is es noch immer nich vorbei!
Ein Ton, verführend, voll Jewalt
Orkangleich in mir wiederhallt
Ick spüre nur un höre nich
Wat er – in mir! – zu mir spricht,
Wie n Beben in mich jekrochen:
„Wir ham uns mehr von dir versprochen!“
 
bravo!

lieber alexanderrednaxela,

hab dank für dieset jedicht. ick kann sagen, dat mir jut jefallen hat, wie du dat so jewöhnliche darjestellt has. det is dir wirklich jelungen! mir überkam schon beim lesen det kalte jrauen bei der vorstellung, dieset leben jelebt zu ham - musst wohl überzeujend jewesen sein.

mit eem oochenzwinkern und eem spruch des tages druff:

es muß mehr als allet jebm!
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Alexander,

der Text "jefällt ma" ebenfalls sehr. Fast glaubt man, Du hättest schon ein ganzes Leben hinter Dir. Ich bin mir allerdings nicht ganz schlüssig, inwieweit die "lockere Struktur" der Verse berechtigt ist (Rhythmus, Silbenzahl, Reimschema etc.) Einerseits paßt ein zu symmetrisch und mechanisch abgespultes Schema schlecht zu mundartlichen Texten. Andererseits kann ein "Festschema", behutsam gehandhabt und unter Umständen leicht variiert oder aufgebrochen, durchaus auch den Reiz solcher Texte erhöhen. Wie gesagt: Ich bin mir im Falle des vorliegenden Textes noch nicht ganz schlüssig. Vielleicht müßte man eine "gestraffte Fassung" erstellen und mal daneben setzen...
Sicher kommen zu diesem Text noch weitere Meinungen, die erwähntes Thema beleuchten.

Liebe Grüße

Pen.
 
Vielen Dank Euch beiden.

Bin auch mal gespannt, wie die formale Uneinheitlichkeit gewertet wird; sie ist ein Kennzeichen meiner Gedichte, ohne dass es dafür einen besonderen Grund gäbe.

Nun esse ich Gummibärchen und grüße alle Lupen aus Saarbrücken;

Alex
 



 
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