Mehr als nur Abenteuer / Teil 5

Kelly Cloud

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Geoffrey schweifte mit den Gedanken ab. Vor seinem geistigen Auge sah er Martinas Augen. Dieser Blick, den jeden Mann dahinschmelzen liess, galt leider nicht ihm. Er galt Gouder, dem holländischen Hünen, der ihn oder vielmehr sie beide heil durch das Wildwasser zu tale brachte. Es war ein wilder Ritt durch die schäumende Gewalt gewesen. Und Geoffrey war ehrlich stolz auf sich, dass er dieses Abenteuer gewagt hatte. Gouder musste ihn nur einmal aus einem starken Wirbel ziehen, den er zu spät gesehen hatte und dann trotz grösster, körperlicher Anstrengung nicht mehr alleine rauskam. Es war ein eigenartiges Gefühl gewesen, so machtlos im Kreis zu drehen. Aber ansonsten waren die Ritte durch die Stromschnellen und die stürze über und durch die Wasserfälle eine atemberaubende und gelungene Sache gewesen. Aber Martinas Augen...

...er, Geoffrey, hatte doch seinen Mut bewiesen! Für ihn war es schliesslich das erste Mal gewesen. Ihn hätte sie doch eigentlich bewundern sollen.
Und ihn schmerzte jeder Muskel. Er schlug die Augen auf und blinzelte in grelles, weisses Licht.
„Er kommt zu sich“, hörte er eine Stimme aus weiter Ferne.
Es war die stimme vom Charley. Er und Mikey hatten am Strand gestanden und den wilden Surfer beobachtet, als dieser auf einer gigantischen Welle dahin ritt. Nachdem dieser in der zusammenstürzenden Welle verschwunden war und kurz darauf ans Ufer gespült wurde, rannten sie auf den regungslosen Körper zu und erkannten in ihm Geoffrey.
„Was machst du denn für scheisse!“ hatte Mikey ausser sich geschrieen. Sie hatten sich schon gewundert, was für Verrückte bei diesem Sturm es gewagt hatten, da raus zu schwimmen. Und dann war es ausgerechnet Geoffrey. Einer aus ihrer Clique. Geoffrey, der Perfektionist. Aber irgendwie konnten sie sich schon ausmalen, was ihn dazu getrieben hatte. Er nahm sich die Trennung halt schon sehr zu herzen. Aber geplanter Wahnsinn oder doch nur eine Verkalkulation, zum Glück kam er mit einigen Prellungen und einer Gehirnerschütterung davon.
„Hast verdammtes Glück gehabt, Geoff“, sagte Mikey, als dieser nun endgültig die Augen aufschlug und sich im Zimmer eines Spitals bei Bewusstsein wieder fand. „Einen Anderen hätte es wohl zu Tode geschlagen.“
Geoffrey mochte nichts dazu sagen. Nachdem er ihre Augen vor seinem geistigen Auge sah und im Traum Gouders kräftige Arme gespürt hatte, wünschte er sich nur noch im Himmel zu sein.


18. Dezember, seit fast 9 Monaten in der krisengeschüttelten Region.

Während Geoffrey in Neuseeland immer noch litt, war im Irak die Hölle los. Die meisten Hilfsgüter wurden per Konvoi von Riad oder Amman in den Irak gebracht. Dank der tatkräftigen Hilfe des IKRK funktionierten die Spitäler zusehends. Mittlerweile waren Martina und Andrui im schiitischen Süden in einem Spital beschäftigt, um die einheimischen Ärzte, Krankenschwestern und Pflegern zu unterstützen. Obwohl die Wasserversorgung so gut wie wieder hergestellt war, gab es immer noch viele Menschen, die sich in ihrer Not mit verseuchtem Wasser ernähren mussten. Und wenn sie es rechtzeitig schafften, wurden sie dann kostenlos in den neu aufgebauten Spitälern wieder gesund gepflegt. Natürlich gab es auch immer noch Kriegsopfer, oder vielmehr Nachkriegsopfer. Menschen, die von Heckenschützen oder unerwarteten Raketenangriffen verletzt wurden. Leider machten unbekannte Extremisten auch nicht vor dem gut sichtbar markierten IKRK halt. Das erschwerte die Arbeit der einzigen unabhängigen Non Government -Organisation im Irak ungemein.


Die irakische Bevölkerung kommt nicht zur Ruhe

Eine Rakete schlug urplötzlich, ohne dass irgendwelche Sirenen heulten, auf Basra nieder. Genauer gesagt auf die so genannte Industriezone. Als die ersten Sirenen anfingen zu heulen waren die Menschen in der Agglomeration bereits hell wach und flüchteten in die Erdgeschosse ihrer Häuser oder direkt nach draussen. Suidualc und seine Familie wussten sehr wohl, dass sie von den Raketen bestimmt nicht direkt getroffen würden. Aber sie wussten aus der Vergangenheit sehr gut, dass die meisten Häuser im Irak den amerikanischen Bomben im Umkreis von 20 Kilometer nicht unbeschadet standhalten würden. Immer wieder gab es durch die Bodenerschütterungen und Druckwellen Risse in den Wänden und Decken. Nicht selten stürzten Deckenteile oder Dächer ein, die dann sogar ganze Wohnsilos zum Einsturz brachten.
Deshalb rannte die ganze Familie ins Freie. Das schien die sicherste Option zu sein. Die ganze Nachbarschaft versammelte sich innert Minuten auf den Bezirksstrassen. Man sah es den schreckverzerrten und ungläubigen Gesichtern an. Man hatte nicht mehr mit einem so heftigen Angriff gerechnet.
Und wieder krachte es in der Ferne. Gleissende Blitze blendeten die Menschen in den Strassen. Suidualcs kleine Tochter drückte sich schreiend und schluchzend noch enger an ihren Vater. Dann plötzlich stürmte eine riesige Staubwolke durch die Strassen auf die Menschenmengen zu. Die Erwachsenen strauchelten mit den kleinen Kindern in den Armen und hatten alle Mühe das Gleichgewicht zu halten und die Kleinen vor dem heranwirbelnden Staub zu schützen, während grössere Kinder von der Druckwelle brutal umgestossen wurden. Suidualcs Erstgeborene richtete sich mit einer zerschlagenen Nase mühsam auf und schlang untröstlich weinend ihre Arme um Mutters Beine...

Bis bald
 



 
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