Mein Ableben

casagrande

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Mein Ableben
Der Tag begann ganz normal. Duschen, ein bisschen herumkruschen, Frühstück machen. Ich setzte mich gerade an den Tisch und biss in das Brot, da krampfte sich der Muskel an der linken Seite unter der Achselhöhle derart, dass ich ohne Reaktion auf den Boden stürzte. Sofort erinnerte ich mich an das Gespräch, das ich eine Woche zuvor mit Edlinger geführt hatte, der mir von den Symptomen eines Herzinfarktes bei seiner Mutter erzählt hatte. An der linken Seite, direkt unter der Achselhöhle ein krampfartiger Schmerz. Stechend und brennend. Langsam nachlassend. Genauso wie ich es verspürte. Seine Mutter war nur deshalb mit dem Leben davon gekommen, weil sie sofort in das Allgemeine Krankenhaus (AKH) in Wien eingeliefert worden war. Und ich? Hier gab es kein AKH, hier gab es vielleicht einen Arzt, aber wo und vor allem, wie erreichen. Jeddah war diesbezüglich ein verdammt unglücklicher Ort, krank zu werden. Nicht umsonst pilgerten die hiesigen Kranken nach London, München, Wien. Ich röchelte mehr als ich sprach zu meiner Frau, die in die Küche kam und mich verwundert in meiner Lage auf dem Boden betrachtete:
„Ich habe einen Herzinfarkt“
„Du spinnst! Du bist gar nicht der Typ für einen Infarkt!“
Ich war entsetzt. Meine Frau sah mich sterben und es berührte sie nicht! Aber ich wollte nicht darum streiten, ob ich nun am Sterben war oder nicht. Resigniert kämpfte ich mich zurück auf meinen Stuhl, unfähig etwas zu essen, quälte mich in meine Kleider und sah als einzige Chance zu überleben nur, irgendwie ins Büro zu fahren und von dort zu einem Arzt zu kommen. Meine Frau konnte mich nicht fahren, für Frauen war das Lenken von Autos verboten. Sie schaute mich an, wie einen Simulanten. Mir war alles egal. Nur ins Büro. Vorsichtig, nur keine Erschütterung oder Anstrengung, das konnte mein direkter Tod sein, aufrecht und aufmerksam in mein Inneres lauschend ging ich langsam zum Auto und fuhr die fünf Kilometer ins Büro. Dort sagte ich mit leiser Stimme zum Büroleiter:
„Ich glaube, ich hatte einen Herzinfarkt. Heute Morgen.“
Er war dabei gewesen, als Edlinger mir vom Infarkt seiner Mutter erzählt hatte und war sofort in hellster Aufregung. Er rief alle verfügbaren Leute zusammen und beauftragte sie mit Aufgaben. Mich begleitete ein Fahrer zu meinem Auto und fuhr mich zu einem Arzt, der telefonisch benachrichtigt war und mich schon am Haustor erwartete. Vorsichtig wurde ich auf die Liege für das EKG und andere Untersuchungen gelegt. Die nächste Stunde wieselte der Arzt mit seiner Helferin um mich herum und betrachte mich zwischen den Checks mit besorgter Miene. Ich sah mich als einen weitgehend hoffnungslosen Fall, für den zwar alles getan wurde, aber bedauerlicherweise kaum eine Chance bestand.
„Lassen Sie sich nach Hause fahren. Legen Sie sich ins Bett. Absolute Ruhe. Keine Aufregung! Morgen liegt das endgültige Ergebnis vor.“
Zu Hause empfing mich meine Frau mit skeptischem Blick. Es war ihr suspekt, dass ich nun auch noch mit ärztlicher Empfehlung einen Infarkt simulierte. Warum wohl?
Jedenfalls kroch ich ins Bett und überließ mich den trüben Gedanken über mein baldiges Ende. Nach ungefähr einer Stunde kam der libanesische Geschäftsführer um nach mir zu sehen und machte ein ebenso betrübtes Gesicht wie der Arzt. Meine Frau begann mehr und mehr an die Ernsthaftigkeit meines Übels zu glauben. Der Geschäftsführer blieb nur kurz und ermahnte mich, nur ja nach den Anweisungen des Arztes ruhig liegen zu bleiben.
Gegen zweiundzwanzig Uhr klingelte es und der Fahrer des Geschäftsführers kam mit einem fremden Herrn, den er als den führenden Herzspezialisten des Libanon vorstellte. Den hatte man mobilisiert und eingeflogen, um mich vor dem Ableben zu bewahren. Ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, als dass ich dies würdigen konnte.
Der Spezialist untersuchte mich gründlich, hörte mich ab und schickte den Fahrer los, das EKG vom Arzt zu besorgen. Dann verschwand er wieder mit der Ermahnung, mich völlig ruhig im Bett zu halten.
Am nächsten Tag fühlte ich mich wohl, nur etwas bedrückt, stand mir doch der Tod kurz bevor. Gegen zehn Uhr kam der Fahrer und meinte, er solle mich ins Büro bringen, der libanesische Spezialist wolle mit mir reden.
„Kein Problem? Er sagte doch, ich solle mich ruhig im Bett halten!“
„Kein Problem!“
Wir fuhren hin und dort eröffnete mir der Herzspezialist, dass ich keineswegs einen Herzinfarkt erlitten hätte, sonder der für den Infarkt typische krampfartige Schmerz von einem Rheumasymptom ausginge, das zwar selten, aber doch manchmal auftrete und bedingt sei durch die Autoklimaanlage, die genau auf diesen Muskel blase.
Ich war entsetzt, welch eine Blamage! Herzinfarkt und dann so etwas!
Der Spezialist wie auch der Geschäftsführer waren aber nur erleichtert und beglückwünschten mich zu einem solch glücklichen Ausgang. Kein Vorwurf, keine Häme.
Nur zu Hause großes Gelächter und jahrelanger Spott:
„Hypochonder!“
 



 
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