Mein Freund mit dem stacheligen Hintern

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Art.Z.

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Mein Freund mit dem stacheligen Hintern

Ich zog mich an und ging laufen. Eine kalte Novembernacht begrüßte mich mit stechendem Frost. Laternenlichter warfen gelbes Licht, das seine Farbe auf dem Weg nach unten verlor und scheinbar gefroren weiss auf dem Asphalt aufkam. Die Bushaltestelle leuchtete schwach in 50 Metern Entfernung. Die Glasscheibe waren beschlagen und matt. Ich setzte zum leichten Trab an, um mich an die Kälte zu gewöhnen. In regelmäßigen Abständen entschwand meinem Mund eine weiße Rauchwolke und verschmolz mit dem Schwarz der Nacht. Seltsamerweise spürte ich die Kälte kaum. Nur meine Hände, besonders die Finger, waren taub. Es war ein befremdliches Gefühl, die Knöpfe meiner Uhr zu drücken mit Fingern, die scheinbar nicht meine waren. Allein die Routine dieser Bewegung ließ mich mein Ziel nicht verfehlen.
Nach zehn Minuten war mein Kreislauf aber soweit angeregt, dass das Blut auch die Finger wärmend berücksichtigte. So konnte ich problemlos den Reißverschluss meiner Tasche aufmachen, um ein Taschentuch herauszuholen. Bei solch kalten Temperaturen neigte meine Nase dazu, mitlaufen zu wollen.
Die Straßen waren vollkommen leer. Eine tiefe Stille lag auf der Stadt. Ich mochte diese Tages-, oder besser gesagt, Nachtzeit. Allein und ungestört konnte ich meinen Schritten lauschen und in mich hineinhören. Meine Gedanken schwangen gedämpft im Rhythmus meiner Bewegungen. Gelegentlich gesellte sich eine Melodie hinzu und ich summte sie innerlich mit. Auch Textfetzen bekannter Songs stimmten mit ein und so spielte ich meine eigenen unhörbaren Konzerte der Nacht. Plötzlich sah ich zwei Lichter in der Ferne. Ein Auto fuhr mir entgegen. Als es an mir vorbeifuhr, erkannte ich die Aufschrift auf der Seitentür: Bäckerei Sonne.
Es musste wohl der Lieferfahrer sein, der nachts die Bäckerei beliefert, damit diese morgens pünktlich mit frischer Ware die Frühstückstische füllen konnte.
Ich lief meine gewohnte Runde. Mein Tempo war mäßig, denn ich hatte keine Lust, mich zu verausgaben. Bei Minusgraden sollte man es nicht übertreiben; zu tiefes Einatmen könnte schnell zu einer Erkältung führen. Also atmete ich ruhig durch die Nase und setzte einen Fuß vor den anderen, immer tiefer in die Nacht hinein.
Ich hatte meine erste Runde fast beendet, bog um die letzte Kurve und sah in einiger Entfernung wieder die verlassene Bushaltestelle. Und mit einem zufälligen Blick nach unten – fast könnte man es Schicksal nennen – erfassten meine Augen etwas kleines Rundes in ein paar Metern vor mir. Ich konnte gerade noch ausweichen und mein Gewicht verlagern, sodass ich nicht drauf trat. Es bewegte sich gemächlich über den Bürgersteig und wackelte leicht von links nach rechts. Ich hielt an und schaute mir an, was es war. Ein kleiner Igel. Geschäftig machte er schnelle, tapsige Schritte auf seinen kurzen Beinen, was auch das schwappende Hin- und Her seines stoppeligen Hinterns verursachte. Ich beschaute ihn genau, und als ob er meinen Blick auf sich spürte, verlangsamte er seine Schritte, wechselte aber nicht die Richtung. Vielleicht wollte er sich seine Nervosität nicht anmerken lassen und ganz gelassen wirken. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich fand das Kerlchen einfach putzig. Nach wenigen Sekunden besann ich mich wozu ich eigentlich hier draußen war und setzte meinen Lauf fort. Ich drehte mich noch einmal um und sah meiner nächtliche Bekanntschaft das letzte Mal nach. Ob es ihn fror?
Die nächsten paar Minuten verschwand der Igel aus meinem Kopf und ein alter Song von Curse erklang: „Warum nicht, einfach so tun als wär' doch alles so gut und alles im Lot und keiner hat Not? Warum nicht?“
Doch dann dachte ich wieder an den Igel. Vielleicht hätte ich ihn mitnehmen und irgendwo im Gebüsch aussetzten sollen? Am Ende würde ihn noch ein Auto überfahren und ich wäre schuld daran. Aber es fahren doch keine Autos um die Uhrzeit. Aber ein Auto reicht doch schon! Aber wer sagt denn, dass er auf die Fahrbahn läuft? Vielleicht war er ja unterwegs zur nächsten Hecke? Und was wenn nicht? Sollte ich umdrehen und ihn retten? Aber wie will ich ihn anfassen? Er lässt sich bestimmt nicht gerne von so einem schwitzenden Riesen mitten aus der Dunkelheit holen. Da wird selbst der coolste Igel nervös. Egal, alles Unsinn, lauf einfach weiter, mach dir keine Gedanken.
So lief ich weiter. Doch in meinem Kopf wollte sich keine Musik mehr einfinden. Alles war ruhig nur das Bild des hin und her wackelnden Igelhinterns machte sich breit. Nun war ich schon mehr als über die Hälfte der zweiten Runde gelaufen und es machte keinen Sinn mehr umzukehren. Also beschleunigte ich meinen Schritt, um möglichst schnell wieder an die Stelle zu kommen, wo mein kleiner Nachtkumpane seinen Lauf bestritt. Ja, für kurze Zeit hatte ich den absurden Gedanken, dass er auch zum Joggen draußen war und dann gemütlich in seinen Erdbau verschwinden würde, um seine müden Beine auszuruhen.
Irgendwie sah ich auch immer mehr Autos auf der Straße. Als ob jedes extra rausgefahren wäre, um den Igel zu überfahren.
Ich lief immer schneller und merkte gar nicht, wie schwer mein Atem wurde. Hektische weisse Rauchschwaden stürmten in den Nachthimmel. Ich spürte ein Stechen in der Lunge. Die kalte Luft strömte in mich und ließ mich innerlich erzittern.
Schließlich kam ich an der Stelle unserer ersten Begegnung an. Und... Er war nicht da.
Ich traute mich gar nicht auf die Fahrbahn zu schauen. Nein, ich hielt gar nicht an. Ich lief einfach weiter. Mit einem flüchtigen, fast schuldbewussten Blick suchte ich die Seiten des Bürgersteigs ab und fand natürlich nichts. Jetzt merkte ich auch die Anstrengung des schnellen Laufens, wurde langsamer und joggte weiter.
So ein Unsinn! Ihm ist schon nicht passiert, dachte ich. Es ist mitten in der Nacht und kein Mensch ist draußen. Außerdem hättest du ihn fast selbst zertreten. Da hat nicht mehr viel gefehlt. Es ist nur ein Igel und er ist ganz sicher irgendwo untergekommen!
Unwillkürlich spielten sich Szenarien vor meinem inneren Auge ab, die schlimmer nicht hätten sein können. Plötzlich kamen mir alle zerquetschten Tiere, die ich am Autobahnrand jemals gesehen hatte, in den Sinn. Das erste Mal, als ich ein totes Tier am Fahrbahnrand gesehen hatte, war ich total schockiert. Aber nach und nach stumpfte ich ab. Diese Häufchen überfahrenen Lebens waren für mich so alltäglich wie Staumeldungen. Es war immer noch ein leichtes Unbehagen dabei, wenn ich daran vorbeifuhr, aber es verflog fast so schnell wie die Stelle, wo es lag, meinen Augen entschwand.
Nein, ich durfte an so etwas nicht denken.
Nun zwang ich mich dazu, eine Melodie zu summen und lief kopfnickend nach Hause. Als ich zum dritten Mal an der Stelle vorbeilief, wagte ich einen kurzen Blick auf die Fahrbahn. Dort war nichts.
Diese scheinheilige Geste beruhigte mich. Als ob er nur genau hier überfahren hätte werden können...
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Art.Z.,

an diesem Text gefällt mir eines nicht: der Titel. „Mein stacheliger Freund“ hätte es auch getan, aber mit Deinem Titel ziehst Du natürlich mehr Leser an. Verständlich.

Ansonsten finde ich die Geschichte ganz hübsch erzählt, man kann die Gedanken des Prota gut nachvollziehen. Manchmal macht man sich eben unnötige Gedanken über nebensächliche Dinge und wird diese Gedanken lange nicht los.

Am Stil könntest Du noch ein wenig arbeiten, z. B. kommt für meinen Geschmack etwas zu häufig „war/waren“ vor. Das kann man sicher umschreiben und verfeinern.

Fehler habe ich kaum gefunden, außer vielleicht diese
[red]weiss [/red]=[blue] weiß[/blue]
[red]Kumpane[/red] = [blue]Kumpan[/blue]

Gruß Ciconia
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Art.Z.,

mit Interesse habe ich deinen Text gelesen. Du hast sehr genau die Gefühle beschrieben, die bei einem "Hätte ich doch!" aufkommen können. Aber nur sehr sensible Menschen empfinden diese Situation so, zumal es sich ja "nur" um einen Igel handelt.
Ein paar Vorschläge zum Überdenken:
Die Überschrift (Hintern) passt nicht zum Stil des Textes, außerdem hat der Igel über den ganzen Rücken Stacheln.
Eine kurze Begegnung macht ihn auch noch nicht zum "Freund".
Am Schluss würde ich nicht von "Scheinheiligkeit" sprechen, sondern eher etwa "Ihm ist nichts passiert", redete ich mir ein.
Den Schlusssatz etwas umstellen "...hier hätte überfahren..."
Am Anfang fehlt noch bei Glasscheibe ein n (Pural).

Liebe Grüße
HelenaSofie
 



 
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