Mein Handy und ich

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Alina

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Seit drei Tagen bin ich unruhig. Der Vibrationsalarm meines Handys ist ausgefallen. An sich ist das keine Katastrophe- jedenfalls nicht für einen normalen Menschen. Mir bereitet diese Tatsache jedoch Sorgen.
Als ich vor nunmehr zwei Jahren den Karton öffnete und jenen silberfarbenen Gegenstand zum ersten Mal in der Hand hielt, wollte ich vor Stolz fast platzen. Endlich gehörte ich auch zu den privilegierten Menschen, die an jedem Ort erreichbar waren und zum Telefonieren außer Haus nicht mehr jene mausgrauen, oftmals penetrant riechenden Zellen betreten mussten. Ich beschloss, meine Neuerwerbung sofort auf ihre Tauglichkeit für den Alltag auszuprobieren.
Nachdem ich die bereits aufgeladenen Akkus gleich zu Beginn falsch eingelegt hatte, blieb mir nichts weiter übrig, als mich durch das über dreißig Seiten dicke Büchlein mit dem Titel „Gebrauchsanweisung“ hindurch zu arbeiten. An sich hasse ich diese Texte. Sie rufen in mir beim Lesen immer das Gefühl hervor, zu einem technischen Analphabeten zu mutieren. Aber sei’s drum. Um mein Handy richtig bedienen zu können, musste ich diesen Schritt gehen. Ich legte die Akkus entsprechend der beigelegten Zeichnung, die mehr für Comic-Fans, als für Normalverbraucher gedacht war, nun richtig herum ein und begann die einzelnen Menüpunkte zu erforschen. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass das Anrufen für den Hersteller zur größten Nebensächlichkeit geworden zu sein schien. Ich konnte fotografieren, Musik hören, mich ins Internet einloggen, Währungen umrechnen, Nachrichten und Bilder versenden, Termine eingeben und noch andere Dinge tun, von denen ich im Zusammenhang mit einem Telefon noch nie etwas gehört hatte. Dann stieß ich auf den Vibrationsalarm. Es gab unterschiedliche Varianten,um das elektronische Wunderwerk zum Erbeben zu bringen. Mein Handy erwachte plötzlich zum Leben. Sofort entstand bei mir eine Art Beschützerinstinkt und ich überlegte, wo ich das kleine Ding körpernah aufbewahren könnte. Um eventuellen peinlichen Situationen in der Öffentlichkeit aus dem Weg zu gehen, probierte ich es erst einmal zu Hause aus. Dazu platzierte ich meine Neuerwerbung an den verschiedensten Stellen. Die Oberschenkel- und Bauchtasche der Hose erwiesen sich als denkbar ungünstige Aufbewahrungsorte, da ich von Lachanfällen geschüttelt wurde. In der Leistengegend hatte ich das Gefühl, kurzzeitig mit einem Stromkabel in Berührung zu kommen. Auch die Gesäßtasche kam für mich nach diesem Experiment nicht mehr in Betracht. Ich fühlte mich wie auf einem Zahnarztstuhl.
Langsam stellte ich mir die Frage, welchen Sinn es macht, einen Vibrationsalarm zu installieren, wenn dieser am Körper solche Wirkungen hervor ruft. Etwas enttäuscht verstaute ich das Handy in die mitgelieferte Tasche und befestigte sie am Gürtel. Und da war es- jenes einzigartige Kribbeln, das sich ungehemmt seinen Weg durch alle Nerven bahnte und meine Sinne hellwach werden ließ. Seit diesem Tag freute ich mich über jeden Anruf. Mein Handy sprach mit mir. Es kündigte mir, je nach gewähltem Profil, mit unterschiedlichen Tönen und Vibrationen bereits vor dem Abnehmen an, wer mich zu erreichen versuchte.
Doch nun bleibt es seltsam unbewegt. Mein Handy klingelt nur noch leise vor sich hin. Kann es sein, dass es auf meinen I-Pod, den ich mir vor drei Tagen kaufte, eifersüchtig ist?
 



 
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