Mein Seelenheil

Astrid

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Ich nehme die Abkürzung über den Friedhof. Es ist nicht wirklich eine Abkürzung, aber ich gehe gern dort entlang. Ich mag es, wenn die Stille mich umschließt.
Es schneit wieder. Die Wege sind weiß, nur hier und da eine Spur, Fußabdrücke. Im Vorübergehen lese ich Namen. „Unsere Mutti Anna Wiese“. Daneben ein Familiengrab – ein Mann, eine Frau, darunter Maria. Ihr Todesdatum ist noch offen, aber der Platz ist ihr schon sicher. Wie wird Maria sich fühlen, wenn sie an dieses Grab kommt, um es zu pflegen. Geboren 1942. Gestorben…
Etwas weiter hinten lese ich auf einem schlichten Stein: „Das Dasein war mein Seelenheil“. Ich bleibe stehen. Trete meine Spur breit. Diese Worte. Werde ich sie auch einmal sagen können an meinem letzten Tag? Werden keine offenen Fragen bleiben, keine Schuld wegen nicht gelebter, leerer Stunden?
Ich sehe noch einmal auf die Grabschrift und ein Lächeln huscht über mein Gesicht: Die Inschrift lautet: „Dein Dasein war mein Seelenheil“.
Ich gehe weiter. Auf dem Weg liegen Rosenblätter. Dunkelrote. Noch nicht verwelkt. Schnee fällt drauf. Der Weg teilt sich und führt an einer kleinen Kapelle vorbei, ich darf wählen, ob ich rechts oder links herum gehe. Ich kann noch wählen. Für einen Moment zucke ich zusammen, als ich den schwarz gekleideten Mann bemerke. Er hantiert an der hinteren Wagentür eines schwarzen Transporters. Schiebt eine Trage hinein. Neben die andere. Bestattungsunternehmen steht in geschwungener Schrift an der Seite. Lieferwagen des Todes. Ich habe noch nie einen von innen gesehen und starre auf die beiden Liegen. Zwei Tragen. Nebeneinander. Nicht einmal in diesem Moment ist man allein. Der Mann sieht zu mir rüber. Schnell gehe ich weiter. Durch den Schnee ohne Spuren. Der Weg zum kleinen Gartentor ist verschneit und ich finde ihn erst nicht. Ich möchte nach Hause. Zu den Lebenden.

Schon von weitem sehe ich, dass in meiner Küche Licht brennt. Mein Sohn ist bereits da. Und ich eile auf das Licht zu, dieses wärmende am kalten Spätnachmittag.
 



 
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