Markus Veith
Mitglied
Mein Spiegelbild. Es ist gestorben.
Seit Wochen sehe ich ihm beim Sterben zu. Erst hat es mich nur traurig angestarrt. Dieser eigenartige Blick. Mitleidsheischend. Dieses arme geplagte Bild von mir. Aber auch mitleidig.
Ich konnte mir erst keinen Reim dieses Ausdrucks auf meinem Spiegelbild erdichten. Doch es war Mitleid. -- Mit mir. Es wußte, das es bald sterben würde.
Ich würde mein Spiegelbild bald nicht mehr haben. Und das wußte es. Es würde bald fort sein. Tot. Dahin. Aus der Spiegelwelt gebrochen und zerklirrt.
Mein Bild siechte dahin. Unendlich langsam. Wie das Welken einer Welt. Es wurde krank und immer schwächer. Ich sah es niemals etwas essen. Stets hatte ich den Eindruck, es tat immer nur so, als nehme es mit mir etwas zu uns.
Restkrümel fielen unter den Tisch. Sie blieben dort liegen.
Mein Spiegelbild schlich verstohlen umher, als suche es nach seinen Spuren. Dabei trat es nur meine Gegenwart klein.
"Laß mich doch nicht so gehen!" rief ich meinem Spiegelbild zu. "Wie ich aussehe! Schau dich doch nur an!"
"Nein." flüsterte es. "Das kann ich nicht. - Das sollst nur du."
Jene Augen, die den meinen glichen, wie ein Ei dem anderen, versanken in ihren Höhlen. Die Mundwinkel zogen sich in die Tiefe des immer spitzer und kantiger werdenden Kinns. Bildeten eine Brücke der Qual. Unsicher gestützt auf dem dünnen und trocken schluckenden Hals. Der ganze Körper sackte in sich zusammen, als sei jemand aus ihm gewichen und nichts nehme dessen Platz ein.
"Schau nur um dich!" rief ich meinem Spiegelbild zu und es regte den mir so identischen Kopf. Seine schuldbewußten Blicke schlichen durch den Raum.
Vorbei am Lebensbaum, dessen verdorrten Wurzeln sich durch die Wände traten. Vorbei am Fenster, hinter dem die fremd gewordenen Nächte schwarz und schweigend explodierten. Durch die Ecken, in deren Innern die Schatten gebärten. Aus der ganzen Verlegenheit drumherum gähnte Leere.
"Gib mir Ruhe." ächzte mein Spiegelbild. Die Stimme, die wie meine klang, nur viel schwächer, stemmte sich aus diesem verfallenen Körper und aus dem Spiegel heraus, wie aus einer Kühlzelle. "Gib mir Ruhe. Nur du kannst es. - Bitte. - Schau mich nicht so lebendig an. - Ich kann nicht mehr sein."
Ich gab meinem Spiegelbild Zeit. Ich drehte alle Spiegel um und gab sie der Wand zur bewahrenden Dunkelheit. Lange Zeit war ich nicht zu sehen.
Ich staunte mir nicht in die Augen.
Ich biß mir nicht in die Lippe.
Ich streckte mir nicht die Zunge heraus.
Ich führte mich nicht an der Nase.
Ich fletschte mir nicht die Zähne.
Ich sprang nicht über meinen Schatten.
Doch dann ... Irgendwann. ... hielt ich es blind nicht mehr aus, mich nicht zu sehen. Und ich drehte mir mich im Spiegel zu.
Ich erbleichte von Angesicht zu Angesicht. Ich erkannte mich selbst nicht mehr. Mein Schatten war meiner selbst. Röchelnd lag mein Spiegelbild in meinem erschreckten Blick. Die Augen rollten zuckend und unsicher in dem Schädel, wie Stützräder an Kinderfahrrädern. Eine hauchfeine Schicht bleicher Haut spannte sich um die hervortretenden Knochen. Bleich. Gleich einem Seidenhemd im Winter. Seine Finger zupften nervös an ihren roten Nägeln. Auf dem Teppich lagen Haarbüschel herum. Der Fußboden stöhnte unter dem mangelnden Gewicht meines Gegenübers. Die Wände in dem Spiegel ächzten. Sie ertrugen meinen Anblick nicht, mit dem ich mein Bild marterte.
Dann hob mein Spiegelbild flehend seine Arme. Wie verdorrte Zweige wuchsen sie mir entgegen. Flatterten fiebrig, als stünden sie unter Strom. "Es tut mir leid." flüsterte mir mein Spiegelbild zu.
Dann wurde es von der Zeit zertreten.
Ich drückte nochmal beide Augen zu.
Seit Wochen sehe ich ihm beim Sterben zu. Erst hat es mich nur traurig angestarrt. Dieser eigenartige Blick. Mitleidsheischend. Dieses arme geplagte Bild von mir. Aber auch mitleidig.
Ich konnte mir erst keinen Reim dieses Ausdrucks auf meinem Spiegelbild erdichten. Doch es war Mitleid. -- Mit mir. Es wußte, das es bald sterben würde.
Ich würde mein Spiegelbild bald nicht mehr haben. Und das wußte es. Es würde bald fort sein. Tot. Dahin. Aus der Spiegelwelt gebrochen und zerklirrt.
Mein Bild siechte dahin. Unendlich langsam. Wie das Welken einer Welt. Es wurde krank und immer schwächer. Ich sah es niemals etwas essen. Stets hatte ich den Eindruck, es tat immer nur so, als nehme es mit mir etwas zu uns.
Restkrümel fielen unter den Tisch. Sie blieben dort liegen.
Mein Spiegelbild schlich verstohlen umher, als suche es nach seinen Spuren. Dabei trat es nur meine Gegenwart klein.
"Laß mich doch nicht so gehen!" rief ich meinem Spiegelbild zu. "Wie ich aussehe! Schau dich doch nur an!"
"Nein." flüsterte es. "Das kann ich nicht. - Das sollst nur du."
Jene Augen, die den meinen glichen, wie ein Ei dem anderen, versanken in ihren Höhlen. Die Mundwinkel zogen sich in die Tiefe des immer spitzer und kantiger werdenden Kinns. Bildeten eine Brücke der Qual. Unsicher gestützt auf dem dünnen und trocken schluckenden Hals. Der ganze Körper sackte in sich zusammen, als sei jemand aus ihm gewichen und nichts nehme dessen Platz ein.
"Schau nur um dich!" rief ich meinem Spiegelbild zu und es regte den mir so identischen Kopf. Seine schuldbewußten Blicke schlichen durch den Raum.
Vorbei am Lebensbaum, dessen verdorrten Wurzeln sich durch die Wände traten. Vorbei am Fenster, hinter dem die fremd gewordenen Nächte schwarz und schweigend explodierten. Durch die Ecken, in deren Innern die Schatten gebärten. Aus der ganzen Verlegenheit drumherum gähnte Leere.
"Gib mir Ruhe." ächzte mein Spiegelbild. Die Stimme, die wie meine klang, nur viel schwächer, stemmte sich aus diesem verfallenen Körper und aus dem Spiegel heraus, wie aus einer Kühlzelle. "Gib mir Ruhe. Nur du kannst es. - Bitte. - Schau mich nicht so lebendig an. - Ich kann nicht mehr sein."
Ich gab meinem Spiegelbild Zeit. Ich drehte alle Spiegel um und gab sie der Wand zur bewahrenden Dunkelheit. Lange Zeit war ich nicht zu sehen.
Ich staunte mir nicht in die Augen.
Ich biß mir nicht in die Lippe.
Ich streckte mir nicht die Zunge heraus.
Ich führte mich nicht an der Nase.
Ich fletschte mir nicht die Zähne.
Ich sprang nicht über meinen Schatten.
Doch dann ... Irgendwann. ... hielt ich es blind nicht mehr aus, mich nicht zu sehen. Und ich drehte mir mich im Spiegel zu.
Ich erbleichte von Angesicht zu Angesicht. Ich erkannte mich selbst nicht mehr. Mein Schatten war meiner selbst. Röchelnd lag mein Spiegelbild in meinem erschreckten Blick. Die Augen rollten zuckend und unsicher in dem Schädel, wie Stützräder an Kinderfahrrädern. Eine hauchfeine Schicht bleicher Haut spannte sich um die hervortretenden Knochen. Bleich. Gleich einem Seidenhemd im Winter. Seine Finger zupften nervös an ihren roten Nägeln. Auf dem Teppich lagen Haarbüschel herum. Der Fußboden stöhnte unter dem mangelnden Gewicht meines Gegenübers. Die Wände in dem Spiegel ächzten. Sie ertrugen meinen Anblick nicht, mit dem ich mein Bild marterte.
Dann hob mein Spiegelbild flehend seine Arme. Wie verdorrte Zweige wuchsen sie mir entgegen. Flatterten fiebrig, als stünden sie unter Strom. "Es tut mir leid." flüsterte mir mein Spiegelbild zu.
Dann wurde es von der Zeit zertreten.
Ich drückte nochmal beide Augen zu.