Mein Verlobter

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arle

Mitglied
Mein Verlobter heißt Klaus. Sein Nachname ist mir im Moment entfallen. Das ist vielleicht verzeihlich, wenn man bedenkt, dass ich ihn erst seit fünf Tagen kenne. Trotzdem: Ich hätte einfach besser hinschauen sollen, als er mir seinen Berechtigungsausweis für die Suppenküche unter die Nase hielt. Mit einem solchen Mann an meiner Seite würde ich niemals mehr darben müssen; das steht fest. Doch so verlockend diese Aussicht auch sein mag: Ich habe mir noch etwas Bedenkzeit ausgebeten. Er hält mich deswegen für unentschlossen und, vor allem, undankbar. Zu Recht.

Aber so schnell gibt mein Verlobter nicht auf. Immer und immer wieder malt er mir unsere gemeinsame Zukunft in den schillerndsten Farben aus. Wir werden in vierzehn Tagen heiraten, in seiner Garage – vom Feinsten! – leben und dreimal in der Woche die Trödelmärkte der näheren Umgebung um seine im Laufe der Jahre angehäuften Schätze bereichern. Kein Mensch, der noch alle Sinne beisammen hat, würde ein solches Angebot ausschlagen. Keiner. Außer einem ausgemachten Idioten wie mir.

Mein Verlobter sitzt immer, und damit meine ich wirklich: immer, in der Kneipe, an der ich vorbei muss, wenn ich zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Amt, zu Freunden oder auch nur mal eben so über die Straße gehen will. Sobald er mich sieht, springt er mit einer Behändigkeit, die ihm niemand zutrauen würde, auf und wirft sich mir vor die Füße. Ich entkomme ihm also nicht. Genau so hat er das auch ausgedrückt: Du entkommst mir nicht. Kleines. Ich widerspreche nicht. Außerdem ist in meinem Alter die Aussicht, von einem Meteoriten erschlagen zu werden, größer als die, noch jemals von einem Mann „Kleines“ genannt zu werden.

Mein Verlobter darf mich mit Fug und Recht „Kleines“ nennen. Er ist doppelt so groß und dreimal so breit wie ich. Dies unterstreicht er sehr gekonnt durch einen Kleiderstil, den man in Hell’s-Angels-Kreisen wohl als „Kluft“ bezeichnet. Auf seinen baumstammdicken Unterarmen prangen mehrere Tätowierungen, die man aber auf den ersten Blick nicht als solche erkennt. Sie sehen eher aus wie... blaue Flecken. Das kommt daher, dass sie nicht von einem Profitätowierer gemacht wurden, sondern von einem Zellengenossen. Aber das ist Schnee von gestern, sagt mein Verlobter. Er war damals betrunken. Und ein bisschen hat der Totgeschlagene es auch provoziert.

Jetzt muss er leider weg. Vor drei Wochen hat er seiner Ex-Freundin die Wohnung auseinander genommen. Und diese Schlampe hat es doch tatsächlich gewagt, ihn anzuzeigen. Aber der Richter ist ein guter alter Bekannter von ihm. Es kann also nicht lange dauern, dann ist er wieder ganz für mich da.

Er zwinkert mir verschwörerisch zu: Bis nachher. Kleines.
 

Montgelas

Mitglied
"Ich werde die Zeit nutzen, um in fieberhafter Eile das Nötigste einzupacken, die Wohnung zu kündigen, meinen Namen zu ändern und die Stadt mit unbekanntem Ziel zu verlassen. "


liebe arle,

das ungewöhnliche an deiner geschichte ist der schluss,
die regel, glaube ich, ist eher anders.
da wird nicht weggezogen, sondern leider gewartet.


ich habe den text gern gelesen,
allerdings mit ein wenig frösteln
muss ich gestehen .

dir eine gute zeit


montgelas
 

alfi

Mitglied
arle

ich muss gestehen, ich lese fast nie prosa, aber deine Zeilen habe ich von anfang bis zu ende gelesen. es hat mich fasziniert, es erinnert mich an die geschichten der knastbrüder in die sich frauen unsterblich verlieben weil....
aber das ist eher ein thema der soziologen und anderer
alibibesorger.
Sehr real und x-mal passiert-leider.
 

arle

Mitglied
Lieber Montgelas,

eben noch im chat und jetzt schon so ein netter Kommentar. Ich danke dir. Ja, vielleicht macht einen der Text wirklich ein wenig frösteln. Stalker sind wohl doch nicht nur hinter Prominenten her. Und manchmal ist abhauen die einzige Möglichkeit, Schlimmeres zu vermeiden. Ich hoffe allerdings, dass sie genug Mumm und Selbstbewusstsein in den Knochen hat, um ihn zum Verschwinden zu bewegen.

Nochmal vielen Dank und eine gute Nacht.

arle
 

arle

Mitglied
Liebe(r?) alfi,

schön, dass du mal bei der Prosa hängen geblieben bist. Vielen Dank für den freundlichen Kommentar und die gute Bewertung.

Ich gestehe: Unter dem soziologischen Aspekt habe ich die Geschichte noch gar nicht betrachtet. Eher aus diesem mulmigen Gefühl von diffuser Angst und ungläubigem Lachen heraus. Aber sicher ist es so, dass auch "Klaus", der ja durchaus seine charmanten Seiten hat, eine Frau dazu bringen könnte, sich unsterblich in ihn zu verlieben. Unsere Protagonistin ist dazu wahrscheinlich doch nicht einsam genug. Obwohl sie offenbar schon eine gewisse Hilflosigkeit ausstrahlt; denn wie sonst käme so ein Kerl dazu, dermaßen selbstsicher auf sie los zu marschieren. Wahrscheinlich muss sie, wie ganz viele Frauen, endlich mal lernen, nicht jedem Menschen erst mal freundlich und zugewandt gegenüberzutreten. Es fällt vielen nach wie vor wahnsinnig schwer, jemanden einfach mit den knackigen Worten "Verpiss dich, mein Junge" in die Schranken zu weisen.


Hoffend, das bald bis zur Perfektion zu beherrschen: arle
 

Gagjack

Mitglied
Liebe arle,
Du hast eine treffend Beschreibung absurder Realität entwickelt. Das Aufeinanderprallen zweier Lebenswelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten, gepaart mit der unmittelbaren Betroffenheit der Protagonistin, ergibt einen spannenden Erzählrahmen.
Für mich ist es vorallem durch den Gegensatz zwischen Sagen und Handeln (mein Verlobter - die Stadt mit unbekanntem Ziel verlassen) die Absurdität greifbar.
Ein schöner, runder Text.
Bis bald
Gagjack
 

arle

Mitglied
Vielen Dank,

lieber Gagjack. Und viel mehr fällt mir jetzt eigentlich gar nicht mehr ein.

Außer vielleicht noch folgendes: Um einen wirklich absurden Text auf die Beine zu stellen, braucht man eigentlich nur vom Leben abzuschreiben. ;)

Immer schön weiter die Augen offen haltend: arle
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Arle,

ein herrlich absurder Text, der mich stark an einen gewissen Prager Schriftsteller erinnert...

LG P.
 

Inu

Mitglied
Liebe arle

Auch mir gefällt Dein Text, der wie ein Vorgänger schon sagt, absurd ist u n d doch in jedem Wort Realität ausströmt.
Die Beschreibung des 'Randgruppen'-Typen ist Dir super gelungen. Solche, wie ich finde, recht sympathischen Machos ( mal abgesehen von der Stalkerei, die ich eher witzig als bierernst genommen habe) haben heute keinen Seltenheitswert mehr. Interessant ist auch die Ich-erzählende Frau... die ja eigentlich recht distanziert und kaltschnäuzig über die Sache berichtet und mir eher mit einem zwinkernden Auge erscheint, als dasss ich ihr eine furchtbare Betroffenheit abnehmen kann.

War amüsant zu lesen.

Gruß
Inu

sobsurd ist und gleichzeitig ein lebensnahes Bild unserer Gesellschadt
 

Inu

Mitglied
Arle,
denk Dir bitte die letzte Zeile weg, die unter dem Gruß. Sie ist irrtümlch hineingeraten. Hab es nicht rechtzeitig bemerkt. Vielleicht kann ein Moderator sie löschen!
 

arle

Mitglied
Penelopeia und Inu,

ganz lieben Dank für Eure freundlichen Kommentare.

Mich freut ganz besonders, dass sich Euch beiden der grimmig-ironische Ton der Geschichte erschlossen hat.
 

arle

Mitglied
Liebe Lemma,

das war ja nun eine Gefühlsäußerung der besonderen Art...

Ich hoffe von ganzem Herzen, sie darf trotzdem hier stehen bleiben - so von Tochter zu vierhundert Kilometer entfernter Mutter.

Die einzig mögliche Antwort ist also: ich dich auch.
 
Hallo arle,

ich kann mich auch nur dem Lob der VorrednerInnen anschließen. Vor allem habe ich sofort beim zweiten Satz das gedacht, was Penelopeia schreibt: Kafka. Sag mir nur, du hättest nichts mit Kafka am Hut?! Ich empfinde es keineswegs als epigonal, sondern als sehr neuartig, trotz des Kafkaesken.

Also eine vortreffliche, in sich vollkommen stimmige Skizze. Ich kann mir vorstellen, dass man den letzten Absatz weglässt. Ja, ich würde ihn unbedingt weglassen. Denn diese unheimliche, ironisch-groteske Stimmung, die da erzeugt wird, wird dadurch etwas verschenkt. Als würde Godot nach längerem Warten plötzlich um die Ecke kommen.

Dieses Gefühl des willenlos und wehrlosen sich Überlassens ist doch gerade das unterschwellig Erschütternde deines Textes. Das stößt den Leser vor dem Kopf – im Sinne von aufwühlen. Das ist die Wirkung der Story. Der Grundtenor dieser Geschichte ist zu mächtig, um durch einen Schlenker am Schluss so eine Art heroisch-befreiendes Happy-End zu bekommen. Das Motto in kursiv - wenn es denn eins ist - reicht nach meinem Empfinden nicht ganz an den Text heran, es ist etwas zu allgemein, anstatt dem Text einen zusätzlich Akzent zu verleihen.

Du hattest auch mal unter Kurzgeschichten eine Geschichte, wo die Ausweglosigkeit ganz ökonomisch, stringent geschildert war.

Dein Verlobter ist, so oder so, ein ganz wunderschöner, verstörender Text.

Liebe Grüße

Monfou
 

arle

Mitglied
Lieber Monfou

Ich danke dir sehr für deine - wieder mal - so fundierte Kritik und die Zeit, die du dir für mich genommen hast.

Du hast Recht in allem, was du sagst. Nur mir war, als ich den Text schrieb, nicht klar, dass er eine solche Wirkung erzielen würde. Ich hab ihn aus einer vielleicht kabarettistisch zu nennenden Intention heraus geschrieben. Ziemlich eklig, aber doch auch irgendwie sehr komisch. Darum auch der Schlenker am Ende. Wie komm ich aus der Verstörung wieder raus? Wie hol ich den Leser wieder heraus? Doch nur, indem ich rasch was Humoriges nachschiebe. Oder?

Jetzt machst du mir, ähnlich wie ein guter Regisseur, Mut, das "Publikum" entscheiden zu lassen, wie die Geschichte ausgehen könnte. Godot hat mir sehr eingeleuchtet. Also kremple ich die Ärmel hoch und mache einen kühnen Strich durch den letzten Absatz.

Der kursive Text am Anfang hätte auch so lauten können: Also, liebe Leute, Ihr denkt vielleicht, ich übertreibe. Stimmt nicht! Genau so ist es passiert. Er ist also nichts weiter als eine private, ziemlich hasenfüßige und völlig überflüssige Bemerkung zu dem, was folgt.

Danke noch mal von arle, die, wenn sie sich recht erinnert, zum letzten Mal in den Siebzigern was von Kafka gelesen hat.
 



 
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