Mein Vogel

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Walther

Mitglied
Mein Vogel


Ich sag zum Vogel: Vogel friß!
Der Vogel frißt, worauf ich sterb,
Und nehme ihn, den letzten Biß,
Daß er nicht nebenbei verderb.

Ich sag zum Vogel: Vogel sing!
Der Vogel singt, und ich werd stumm,
Dabei ich mich im Netz verfing
Und sicher weiß, ich komm drin um.

Ich sag zum Vogel: Vogel flieg!
Der Vogel fliegt, und ich stürz ab.
Und stürz nur so von Sieg zu Sieg
Und fall am Ende doch ins Grab.

Ich sag zum Vogel: Tirili!
Der Vogel schweigt und schaut erstaunt,
Weil diesen Ton hört er noch nie,
Und tirilat dann gut gelaunt.
 
L

Larissa

Gast
Hallo Walther,

dein Gedicht besticht durch perfekten Reim und tadellose Metrik. Nur aus dem Inhalt werde ich nicht ganz schlau. Ist mit dem Vogel sinnbildlich das Leben gemeint?

Fragend sendet einen Gutenachtgruß
Larissa
 

Walther

Mitglied
Hi Larissa!

Das Gedicht ist ein Spiel mit dem Spruch "Vogel, friß oder stirb!" und den vielen Vogelliedern - "Kommt ein Vogel geflogen, ...", "Flieg, mein Vogel, flieg, ..." -, der alten Ikarusmetapher vom Highflyer und Tiefstürzer und: einfach den Frühling erleben.

In den Garten sitzen, mit den Vögel "sprechen", ein Liedchen hören, eine Melodiesequenz zurückpfeifen und die Antwort hören. Und schon wird die Sache rund.

Am Ende wird eben durch das Tirilitirila alles, was uns umtreibt, reduziert und distanziert, im Großen und Ganzen der umgebenden Natur das aktuelle, individuelle Schicksal relativ. Beim Zuhören des aufgeregten und fröhlichen Zwitscherns der Vögel werden wir für einen Moment in der richtigen Dimension "eingeordnet", bis uns das Leben und das Streben nach eigener Erfüllung wieder aus der eigentlichen Wahrheit entführt.

Frühlingsgrüße

W.
 



 
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