Mein Weg zu mir ( Teil1)

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strolch

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Mein Weg zu mir (Teil1)

Ich habe die „Reise nach Innen“ gelesen. Mir ging schon beim Lesen soviel durch den Kopf. Ja, musste erst einmal im Kopf sortieren.
Da ist soviel gesagt, was ich auch kenne oder im Unterbewusstsein wahrgenommen habe.

Mir ist leider kein lustiger Wicht erschienen und hat mich auf diese Reise mitgenommen. Aber vielleicht habe ich ihm auch nur keine Chance gegeben.
Mein Weg zu mir war sehr schmerzhaft und zuerst oft nur ein Schritt und dann wieder schnell zurück. Ich habe mich dagegen gewehrt und gleichzeitig fühlte ich – dass ich es tun muss.
Es war ein Wiederstreit der Gefühle. Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, den Deckel zu halten. – Nein Deckel hat nicht gereicht, es war ein tiefes Loch und darauf ein Felsen. Doch auch ein Felsen konnte nicht schwer genug sein.
Heute weiß ich, dass ich viel zuviel Zeit und Kraft damit verbrachte, es zu begraben.

Es kam soviel zusammen, die unverarbeitete Kindheit, die versuchte Vergewaltigung, Probleme mit dem Freund, dem Adoptivvater und dessen neuer Frau, Probleme auf der Arbeit und…
Damals war ich am Boden, dass ich meinem Leben ein Ende setzen wollte.
Aber der Lebenswille war stärker, ich machte einen Schnitt. Heute würde man vielleicht sagen, ich bin ausgestiegen, eben nicht aus dem Leben, sondern aus dem frühren Leben.


Meine Eltern wollten, dass ich den Weg gehe, den sie für mich, als den Richtigen hielten.
Nur, ich war schon immer ziemlich stur und reagiere auch heute noch sehr empfindlich, auf Versuche, mir vor zuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.
Ich habe schon immer versucht, meinen Weg zu gehen.

Aufgewachsen bin ich in einem christlichen Elternhaus und nach den Wünschen meiner Eltern, sollte ich Diakonisse werden.
Deshalb sollte ich auch keine Jugendweihe machen, sondern nur Konfirmation. Der Konfirmationsunterricht machte mir Spaß und mit der Pastorin habe ich später oft zusammen gearbeitet. Sie gehörte zu den Menschen, die ihr Glauben lebten und wirklich aufopferungsvoll, sich für die Belange von Menschen, die in Not waren, einsetzte. Für sie spielte es keine Rolle, ob der Jenige Christ war oder nicht.

Aber ich habe auch Jungendweihe gemacht, weil ich es wollte.
Meine Mutter wollte es überhaupt nicht, traute sich aber nicht, mich zu hindern.
Irgendwie hatten sie Angst, weil mein Vater ein Fuhrgeschäft hatte, einen alten klapperigen Magirus oder so was Ähnliches. Privatunternehmer wurden in der DDR - nicht so sehr gemocht, bloß soweit ich weiß, hatte er nie Schwierigkeiten, noch dazu, er fuhr als Kommissionspartner für den Kraftverkehr. Es herrschte bei meiner Mutter, sowieso Angst. Unser Nachtbar war Parteisekretär der SED in einem großen Betrieb. Wie das zu Hause gesagt wurde, dachte ich immer, Wunder wie schlimm dies wäre.

Ich bin nicht in die FDJ eingetreten – einfach nur deshalb, weil ich nicht damit einverstanden war, dass man uns die Aufnahmeanträge so auf den Tisch gepackt hatte. Nicht weil ich dagegen war.
Aber ich bin später in die SED eingetreten, mit 26 Jahren, weil ich es wollte. Musste den Parteisekretär erst suchen. Das war ihm noch nicht passiert, dass da jemand kommt und sagte, ich will in die Partei.
Dies hatte mit Genossen zu tun, die da waren, als ich jemanden brauchte, die mir halfen und vor allem, die an mich geglaubt haben.
Keiner von ihnen hat mich jemals gedrängt, in die Partei einzutreten.
*
Meine Eltern erzählte mir immer, wie dumm und undankbar ich wäre.
Ja Dankbarkeit spielte bei ihnen eine große Rolle, ich sollte dankbar sein und mich überschwänglich freuen, wenn ich was geschenkt bekam.
Sie beschenkten mich, ja überhäuften mich damit, obwohl sie gar nicht soviel Geld hatten. – Aber immer diese Erwartung, dass ich nun aber Dankbarkeit zeige. Es löste etwas in mir aus – Angst vor Geschenke.
Auch heute noch, habe ich eine Abneigung gegen Geschenke, kann selbst schlecht Geschenke machen und annehmen. Später habe ich dann immer die Bücher genommen, dies war wirklich etwas, worüber ich mich freute und bin lesen gegangen.
Oft haben sie mich gesucht, aber ich saß mit einem Buch auf einer schmalen Fußbank hinter dem Kachelofen oder besser zwischen Ofen und Wand, dies Versteck habe ich ihnen nie verraten. Natürlich war es da viel zu dunkel zum lesen, aber das machte nichts, so lange ich noch die Schrift irgendwie lesen konnte.
Meine Mutter hat mir auch früher Märchen vorgelesen, aber sie hat alles raus genommen, wo sie dachte, dies wäre für mich zu traurig. Das habe ich natürlich gespürt, dann Fantasien entwickelt, die viel schlimmer waren.
Ich durfte zu Hause nicht alles lesen, meine Mutter versteckte die Bücher, die ich nicht lesen durfte.
Meine Oma war da anders, sie war eine sehr belesende Frau und bei ihr durfte ich alles lesen. Dies hat mir auch nicht geschadet, sondern in Gegenteil, denn es gibt bestimmt wenige Kinder die mit 12 Jahren, Friedrich Schiller und Wolfgang Goethe gelesen haben.
Mit dieser Oma habe ich auch oft an Winterabenden im Dunkelnden gesessen und wir erfanden Geschichten und erzählten uns diese.
Sie wohnte gleich nehmen uns und doch es war das Größte, wenn ich bei ihr schlafen durfte.
Sie war verheiratet, an meinen Opa habe ich kaum eine Erinnerung, nur das er sehr still war, Kautabak kaute und Pfeife rauchte.
Aber sie, das war Zuflucht, das war Verständnis ohne übertriebene Führsorge.
Mit ihr hütete ich im Sommer ihre Ziegen, die eine war so frech, da mussten wir immer aufpassen, dass sie nicht die Zeitungen aus den Briefkästen klaute und auffraß, war sie ganz wild drauf. Aber leider auch auf mich, wenn sie mich sah, nahm sie Anlauf, Kopf runder und stieß mich um.

Meine Oma starb mit 86 Jahren an Darmkrebs und ich pflegte sie noch einige Zeit zu Hause. Hab mir einiges einfallen lassen, damit sie Essen zu sich nahm. Zu dieser Zeit war ich 21 Jahre und arbeitete in einem anderen Ort. Es war für mich eine schwere Zeit, weil ich meine Oma sehr liebte, sie war für mich immer eine wichtige Bezugperson. Bei jeden Telefonläutern auf der Arbeit, krampfte sich mein Magen zusammen, hatte ich Angst, dass die Nachricht kommt, dass sie tot ist.
Die letzten Wochen kam sie dann doch ins Krankenhaus und da erlebte ich etwas, wo ich heute noch erstaunt bin.
Meine Oma hatte eine Schwester in Westberlin, diese wollte sie unbedingt noch sehen. Was ja nicht so schnell ging, mit Antrag und Einreiseerlaubnis. Sie kam und meine Oma blühte auf, es ging ihr gut.
Nachdem die Schwester wieder weg war, verstarb sie nach zwei Tage.



Mit einem hatten meine Eltern Recht, ich war in der Schule wirklich schlecht. In meinen Schulzeugnis stand immer “Brigitte hat ihr Leistungsvermögen noch nicht erreicht“. Es war kein nicht Wollen, wie mir unterstellt wurde, ich konnte nicht.
Ich bin eine richtige Spätentwicklerin, habe erst mit drei Jahren laufen und sprechen gelernt. Deshalb wurde ich auch erst mit acht Jahren eingeschult und war noch die Kleinste, dies hat sich auch nie geändert.
Meine Eltern setzten mich wegen meiner schlechten schulischen Leistungen sehr unter Druck. Meine Mutter saß mit dem Handfeger neben mir bei den Hausaufgaben. Er kam nie zum Einsatz, aber es reichte, diese Drohung blockierte mich noch mehr. Ich wollte es besonders gut machen und machte noch mehr Fehler.
Irgendwann gaben sie es dann auf.
Auch beschlossen sie, dass ich aus der 8.Klasse aus der Schule raus sollte, wie sie das überhaupt geschafft haben, weiß ich nicht. Es war in der DDR eine Ausnahme, wenn jemand schon mit dem Abschluss der 8.Klasse ausgeschult wurde. Ich wurde sogar besser, weil ich nicht raus wollte, sondern den 10.Klassenabschluß wollte.
Aber es half nichts, ich musste raus, in einem Kinderheim in Wernigerode arbeiten. Dies war natürlich ein christliches Kinderheim. Meine Mutter kannte die Oberschwester dort und es war auch beschlossene Sache, ich sollte Diakonisse werden.
Mein Vater meinte, „ich sollte mal sehen, wie es in einem Heim ist!“
Nur, ich wusste damals gar nicht, dass ich aus einem Heim kam.
In der Schule hatte dies zwar ein Mitschüler behauptet und ich hatte zu Hause danach gefragt, aber meine Mutter hatte mir sogar die Kaiserschnittnarbe gezeigt. Das war ja glaubhaft für mich, nur es stimmte nicht, dies erfuhr ich aber viel später.

Wernigerode war für mich eine sehr schöne Zeit. Ich hatte da eine Freundin und ihre Eltern gaben mir ein Zuhause. Sie hieß witziger Weise auch Brigitte und war auch adoptiert.
Da war Fröhlichkeit im Haus und vor allem sie nahmen uns ernst als Persönlichkeit. Es wurde nicht gesagt: “Als Kind hast du kein Willen zu haben, “ wie bei mir zu Hause.

Die Schwestern dort waren in Ordnung und es machte viel Spaß.
Obwohl die erste Zeit, war es schon schwierig, denn da musste ich die Kleinen auch windeln. Da war ein Junge den nannten wir Zappelphilipp und die Schwester war immer sehr nervös, so durfte ich ihn versorgen, dies war nicht einfach. Das Schlimmste war, aber ihn zu füttern, denn der wollte keinen Brei und alles was mit essen zu tun hatte. Meist brach er es aus, bis wir ihn umstellten, auf Brot, da hat er alles nachgeholt und richtig gierig gegessen immer in jeder Hand eine Schnitte, obwohl er gar keine Angst haben musste, das es ihm einer weg nahm.
Gewohnt habe ich in dem Kinderheim.

Damit ich den Abschluss der 10.Klasse machen konnte, habe ich einfach behauptet, dass sie Ärger bekämen, wenn sie mich nicht zur Berufsschule gehen lassen.
An dieser Berufsschule war ein alter Deutschlehrer, der hat mir Heinrich Heine vergrault. Für ihn gab es nur Heinrich Heine, Heinrich Heine…, das war einfach zuviel dem Guten. Bei ihm habe ich „die Freie Rede “ gelernt. Er nahm uns die Scheu vor der Klasse zu reden, dafür bin ich ihm heute noch dankbar.
Wir mussten bei ihm viele Vorträge halten. Hatten wir nur Stichwörter, durften wir den Zettel behalten, der gab Sicherheit. Wer wortwörtlich alles auf schrieb, musste es abgegeben. Da war dann nichts zum festhalten.
Ich bin von Natur aus faul, so habe ich dann wirklich nur noch Stichwörter aufgeschrieben.


In diesem Zeitraum erkrankte meine Mutter wieder an Krebs.
Das erste Mal trat diese Krankheit bei ihr auf, da war ich neun Jahre alt. Gesagt wurde mir nichts, aber als Kind spürt man, wenn etwas vertuscht wird. Es machte mich unsicher und ängstlich, aber da zu Hause darüber nicht gesprochen wurde, blieb dies Angstgefühl unterschwellig.
Es machte mich hilflos, obwohl ich damals dies, so nicht erkennen konnte.
Ich bin der Meinung, man sollte Kindern sagen, was los ist auch über Krankheit und Tod, denn es gehört zum Leben.
Ich erinnere mich an eine Begebenheit, mein einer Opa war gestorben, da war ich 7 oder acht Jahre alt. Alle gingen zur Beerdigung, aber ich musste zu Hause bleiben allein. Sicher sie wollten mich schützen, ob das wirklich Schutz war, ich weiß nicht. Ich kam mir sehr verloren vor.

Jedenfalls nach sieben Jahre Ruhe, brach diese Krankheit wieder aus.
Sie lag sehr lange im Krankenhaus und wäre schon im Januar an Herzversagen gestorben, wenn man sie nicht wieder zurückgeholt hätte. – So siechte sie noch bis Mitte Mai dahin – anders kann man dies nicht nennen.
Kurz vor meinen Prüfungen zum 10.Klasseabschluß, befand sie sich im Endstadium.

Mein Vater verlangte, dass ich von morgens bis abends am Krankenbett meiner Mutter im Krankenhaus verbringe.
Ich sollte Dankbarkeit zeigen. – Dafür das sie mich adoptiert hatten. Nur dies wüsste ich ja gar nicht.

Ich saß wochenlang, neben einer Frau, zu der ich keine Beziehung mehr hatte, die mir fremd war. Sie war abgezehrt, mit faustdickem Loch im Gesäß, wo man den weißen Knochen sehen konnte.
Wenn sie aufwachte schrie sie nach ihrer Spritze, verfluchte mich.
Vor allem - die mich haste, weil sie meinte ich sei dumm und faul und das sie nur ärgern wollte.
Ich fühlte aber auch diese Ohnmacht, dass da etwas geschieht und man nichts machen kann – Hilflosigkeit.


Als sie starb, sagte es keiner, aber ich spürte es.
Nachdem die Schwestern sie gewaschen hatten, sah sie friedlich und jung aus – als wollte sie sagen: “nun habe ich es geschafft.

Wir lebten auf einem Dorf und da war damals noch Tradition, dass Beileidskarten und die Kränze, in das Trauerhaus gebracht werden.
Jedenfalls nach dem Tod meiner Mutter ging es am Laufenden Band, das Leute zur Kondolenz kamen.
Ich empfand diese Kondolenzbesuche schrecklich. Ich habe mich dann verkrochen und war mit mir allein und es ging mir nicht gut, habe viel geweint und auch angst gehabt. Dies geschah eigentlich unbemerkt von den anderen, weil, wenn mein Vater dabei war, dann weinte ich nicht.
Ja, ich denke schon, dass es für ihn so gewirkt hat, dass mir dies egal ist. Obwohl, Gefühle zeigen, dass habe ich schon viel früher verlernt oder unterdrückt. Vielleicht gerade weil man von mir verlangte diese zu zeigen.

Am Tag der Beerdigung konnte ich nicht mehr weinen, war leer. Mein Vater machte mir Vorwurfe und meinte, ich sei kalt und hart.



Nach dem Tod meiner Mutter, schloss ich noch die 10.Klasse ab und arbeitete in Wernigerode.
In diesem Heim hatten wir einen alten Hausmeister, er war über 80 Jahre, klein, ziemlich verhutzelt, hatte keine Zähne mehr und roch entsetzlich nach alten ungewaschen Mann und nach Tabakqualm. Dieser Mann erschlich sich mein Vertrauen, ich war mit meinen 17 Jahren noch sehr naiv.
Ich ging mit ihm in den Keller, um ihn zu helfen, aber da warf er mich auf Säcke riss mir die Sachen vom Leib, wollte mich vergewaltigen. Im letzten Moment konnte ich einen Hebelgriff anwenden und mich befreien. – Ich habe niemanden davon erzählt und es jahrzehnte verdrängt.
 
I

IKT

Gast
Liebe Brigitte, also Deine Geschchte bis hierher ist ziemlich traurig. (Obwohl - traurig trifft es auch nicht richtig. Aber mir fällt nichts anderes ein.)
Ich hoffe es gibt einen Teil in Deinem Leben, der Dich für all das wenigstens ein kleines bißchen entschädigt.
Auf alle Fälle schicke ich Dir einen "Soulkiss" und wünsche Dir einen schönen Abend (zum dritten Mal?)! :D
LG Iris
 

strolch

Mitglied
aber ja

ja iris, gab auch sehr schöne zeiten, kommen noch hier irgendwann, mußte mir erst dies hier von der seele schreiben.
dir einen sehr schönen tag
brigitte
 



 
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