Mein Wille geschehe

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flammarion

Foren-Redakteur
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Mein Wille geschehe

Ronald Schuster tobte: „Ich werde die Erde vernichten, ihr werdet es schon sehen!“ Wieder einmal hatte man ihn ausgelacht, weil er einen Sprachfehler hatte. Er konnte beim besten Willen keine Zischlaute aussprechen. Aber wenn er erwachsen sein wird, dann wird er es allen zeigen, dann soll die Welt erzittern vor ihm und niemand wird es mehr wagen, wegen so einer unwichtigen Kleinigkeit zu lachen!
Zwanzig Jahre später war Ronald tatsächlich ein mächtiger Boss. Ein Gangsterboss, dessen Verbindungen bis in alle Kontinente reichten. Er war der geheime Führer der Russen-Mafia und begann auch schon, die italienische Mafia zu unterwandern. Und niemand lachte mehr über ihn. Wer es heimlich tat, musste damit rechnen, erschossen zu werden. Da kannte Ronald weder Freunde noch Verwandte.
Sein Hass auf Menschen war unermesslich. Zwanzig Tote bei einem Grubenunglück – Na und?
Hundertzwanzig Tote bei einem Eisenbahnzusammenstoß – Na und?
Tausend Tote bei einer Seuche – Na und?
Das ließ ihn alles völlig kalt. Er überlegte, wie man die Menschen von der Erde tilgen kann.
Eines Tages fiel ihm eine Erfindung in die Hände: eine Zeitmaschine. Der Wissenschaftler wurde so lange gefoltert, bis er die Bedienungsanleitung preisgab. Ronald schickte einen Vertrauten mit einem Biologen in die Vergangenheit. Sie sollten die Urform des menschlichen Lebens aufspüren und vernichten. Ein Unvorsichtiger meinte dazu: „Aber dann bist du doch auch tot, Boss!“ Er wurde sofort erschossen. "Klugscheißer kann ich nicht gebrauchen."

Biggy, so der Name des Vertrauten, zog mit einem namhaften Professor tief in die Vergangenheit. Der Professor hatte anfangs sogar Vergnügen an der Reise, weil er längst ausgestorbene Pflanzen und Tiere zu Gesicht bekam. Natürlich hatte man ihm den Zweck der Fahrt nicht offenbart.
Dann erblickte er ein Missing Link und machte Biggy darauf aufmerksam. Der Professor war ganz aus dem Häuschen über diese wunderbare, einmalige Entdeckung. Biggy aber schoss und briet das Tier. „Schmeckt köstlich, so ein Missing Link. Hier, nimm auch ein Stück, Professorchen. Willst doch nicht verhungern, oder? Warum bist du denn auf einmal so zickig?“

Endlich fanden sie den Ursprung des menschlichen Lebens. Biggy zog seine Waffe und zielte. Der Professor fiel ihm in den Arm, aber er konnte gegen den kampferprobten Riesen nichts ausrichten. Er war der letzte Mensch, der durch eine Schusswaffe starb. Alle anderen, einschließlich Ronald, waren nur einfach ganz plötzlich spurlos verschwunden. Dichte Wälder und saftige Wiesen bedeckten die Kontinente, und große Insekten dachten über den Sinn des Lebens nach.

April 2003
 

Evchen13

Mitglied
Hallöchen flammarion,

deine Geschichte ist sehr tiefsinnig. Tja die Menschen, irgendwann rotten sie sich selber aus!

Es ist wunderbar geschrieben und das Anliegen sehr schön erkennbar. Gefällt mir gut.

Liebe Grüße

Ev
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

danke für dein interesse, evchen. hoffentlich lernen die menschen endlich, dass krieg keine lösung ist. der im irak hat auch viel zu lange gedauert! lg
 
R

Rote Socke

Gast
Liebe oldicke,

das ist wieder ein Text der mich anspricht. Er zeigt deutlich, wie rigoros manche Zeitgenossen sich auf eine allmächtige Ebene begeben und von dort ihren Willen aufzwingen.

Dieser Satz: "Ein Unvorsichtiger meinte dazu: „Aber dann bist du doch auch tot, Boss!“ Er wurde sofort erschossen."
Ist ein wahres Juwel.

Schöne Grüße
Socke
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank, lieber volkmar. angesichts des irak-krieges bin ich in einer derart miesen stimmung, dass ich selber nicht weiss, wohin mit mir und meinem frust.
ganz lieb grüßt
 



 
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