Mein lieber Herr Descartes

Mein lieber Herr Descartes

„Vatta, komm doch ma an en Grill.“ Die Stimme der Mutter hallt unwiderstehlich durchs Haus. Vatta lässt sich nicht zweimal bitten, denn er ist: Der Grillmaster. „Ladies and Gentleman, please welcome the official Champion, the one and only, The Grillmaster. Sein Kampfrekord: 75 Schnitzel, 123 Würstchen, 45 Koteletts, 23 Fische, nur dreimal verbrannt. Ein Würstchen vom Grill gefallen.“ Seine Haltung: Graziös! Brillant! Phänomenal! Ausgeburt an komplexer Genialität! Die Zange: Stahl, unkaputtbar. Gefährlich im Schein der untergehenden Sonne funkelnd. Geschwungene Linien. Sexy. Er verkörpert Klischees. Vorsicht, jetzt wird Hilfestellung zur Interpretation geleistet: Er versucht Standardisierungen durch Standardisierungen zu überdecken, zu verdrängen. Seine Muskeln unter der Schürze - Aufdruck: Hier bin ich der Chef -sollen weibliche, auf Gartenstühle plazierte Nachbarinnen beeindrucken. Zwischendurch mal ein bisschen jodeln (Kultur!), beiläufig atlantikprofunde Fremdsprachenkenntnisse behutsam andeuten (noch mal Kultur!) - Hello, my Name is Diether, do you want a Würstchen? - und natürlich Witzeken erzählen: Früher wollte ich Philosoph werden, doch meiner Vater der soph schon so viel. Achtung dies ist ein offiziell anerkannter Schenkelklopfer Gag aus dem Mesolithikum, entfernen sie vor Gebrauch bitte die Gesteinsschichten. Der ein oder andere Anwesende versucht ein Lächeln anzudeuten wie Skispringer den Telemark. Aber ernst mit dem lächeln meint es keiner. Warum auch? Habe ich was vergessen? Die Kleidung. T-Shirt, das zwischen „Beim Löwenkampf im alten Rom voll erwischt“ und „Konkretisierung der Folgen von übermüdeten Kinderarbeitern am Webstuhl“ schwankt. Die Hose: Echt Porno. Fast eine Hotpants aus Jeans, die Schwellkörper selbstbewusst ins Rampenlicht gerückt. Nichts für zarte Gemüter. Nun aber zur Hauptsache: Grillen. Dat muss sein. Geschickt meint er das Würstchen zu wenden, geschickt Bräunungszeiten zu kalkulieren. Braunstufe 9: Aha noch drei Minuten. Eine Minute später alles schwarz. Oh ne, meine Statistik! Aber dann: Ein optimal gegrilltes Schnitzel, welche Erleichterung. Ein Meisterwerk der nachkriegszeitlichen Kochkunst. Er wähnt die ihm zufliegenden Herzen der lokalen Damenwelt, aber es ist nur die Ungeduld der Bärenhungriginnen, die gierige Blicke hervorruft (Kürbiskernbrei bis Leck mich am Arsch Diät ist schließlich kurzzeitig außer Kraft gesetzt). Er tanzt um den Grill und singt 70er Jahre Songs. Zum Zeichen seines funktionierenden Erinnerungsvermögen. Sollte man denken. Ist es doch nur - Interpretateure und alle dies es werden wollen aufgepasst - die Sehnsucht nach besseren Zeiten ohne faden Alltagseinheitsbrei und Potenzunerfreulichkeiten. Aba ma rasch weggegrillt. Man ist ja wer...irgendwie. Ich grille also bin ich.
 



 
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