Mein linker Arm

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monti

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Mein linker Arm

I.
Mein linker Arm hasst es, bewegt zu werden. Er hasst es, wenn ich laufe, Treppen steige, ihn benutze, ihn wasche, er hasst jede Art von Erschütterung, Beeinflussung, Veränderung. Ist überhaupt ein komischer Kerl, sehr launisch, sehr pessimistisch. Wie oft habe ich ihm gesagt: „Du, linker Arm, sei vernünftig. Du kannst nicht alle Arbeit deinem Bruder überlassen. Ich muss auch auf dich zurückgreifen können. Ich brauche dich, und du brauchst mich. Die Welt ist nicht so schlecht, wie du denkst. Begreif doch: Ohne Bewegung stirbst du ab. Und du musst gewaschen werden, sonst fängst du an zu stinken.“ Aber mein linker Arm will nicht hören, stellt sich taub. Er wird steif, wenn ich ihn schlenkere, er tut weh, wenn ich mit ihm etwas heben möchte, bekommt Ausschlag, wenn er mit Seife gewaschen wird. Oft sage ich zum rechten Arm: „Sprich mit deinem Bruder, sag ihm, was richtig und was falsch ist.“
Der rechte Arm hat es aber schon seit langem aufgegeben, mit seinem linken Bruder zu reden. „Wenn man ihn einen Blödmann hieße, wäre das noch ein Lob“, sagt er.
Ich fürchte, er hat Recht. Im Grunde ist der linke Arm ja ein guter Kerl, nur dass er von Geburt an gegenüber seinem Bruder benachteiligt wurde, hat er wohl nicht verkraftet. Neulich hat er meinen besten Freund abgewatscht, einem Polizisten den Stinkefinger hingehalten, der Sekretärin in den Hintern gekniffen, mich beim Essen mit der Gabel in den Oberschenkel gestochen. Dieser Mistkerl. Manchmal hasse ich ihn.

Ich bin letztes Jahr vierzig geworden, und da der linke Arm mir immer mehr Schwierigkeiten bereitet, habe ich beschlossen, mir den Übeltäter abnehmen zu lassen. Lieber nur mit einem Arm leben als einen Querulanten im Haus haben. In drei Tagen wird er sozusagen geschlachtet. Ich habe nach langer Suche einen Arzt gefunden, der ihn mir abschneidet. Ein teurer Spaß. Der linke Arm weiß nichts davon, er ist immer abwesend, zeigt nie Teilnahme.


II.
Eine Woche ist vergangen. Mein linker Arm ist noch dran. Ein Wunder ist geschehen: Er tut alles, was ich ihm auftrage, ohne zu murren, ist brav wie ein Lamm. Kurz vor der Operation hat er Wind davon bekommen, dass er über die Klinge springen sollte. Schüttelfrost befiel ihn. Am Tag darauf benahm er sich so gehorsam, so zuvorkommend, dass ich die Operation verschob, um ihm eine letzte Chance zu geben. Und siehe da, er zeigte kein Widerstreben mehr, befolgte jeden Befehl. So beschloss ich, ihn zu behalten. Die ersten Tage nach dem Sinneswandel waren wunderbar, in seinem Diensteifer benahm sich der linke Arm zuvorkommend und eilfertig. Er griff nach der Kaffeekanne, bevor ich meinen rechten Arm dazu auffordern konnte, er glättete mein Haar, bevor ich merkte, dass es in Unordnung geraten war. Ich staunte nur. Der linke Arm war wie ein neues Wesen. Ich lobte ihn, wo ich konnte. Das ging sogar soweit, dass der rechte Arm eifersüchtig, ja widerspenstig wurde, wenn ich den linken lobte und mit seiner Hilfe streichelte. Aber zum Glück blieb der rechte vernünftig, er redete sogar wieder mit seinem linken Bruder.
Ja, mein Leben hat sich normalisiert. War der linke Arm früher ein Störenfried, so übt er sich nun in Harmonie. Wenn er gewaschen wird, brüllt er: hipp hipp hurra. Wenn ich die Treppen aufsteige, zittert er nicht mehr, im Gegenteil, er zieht mich am Geländer regelrecht in die Höhe, so dass ich kaum folgen kann. Und wenn ich ihn mit Ellbogen auf den Tisch setze, um meinen Kopf auf die Hand zu legen, dann erlebe ich eine Art Orgasmus im linken Arm, eine Welle des Wohlbefindens geht von dort durch den ganzen Körper.
Das schafft nicht einmal der rechte Arm.
 
K

Kasoma

Gast
Tja, monti...

rein vom Leseeindruck ist das o.K! Nur der Inhalt macht mir zu schaffen: Was soll ich davon halten?
Angesichts der Tatsache, dass andere wirklich nur einen Arm haben!? Bedenklich? Vielleicht!
Vermutlich bist Du hier ein wenig übers Ziel hinausgerutscht? Mag sein!
Wäre es eine Satire, nun gut, aber wo wäre die Pointe?

ratloser Gruß von Kasoma
 

Justina

Mitglied
Hallo Monti,

ein weiterer skuriler Text von Dir, der mir sehr gut gefällt. Er läßt mich an eine Familie denken, die ein "Schwarzes Schaf" in ihren Reihen hat. Dieses schwarze Schaf hat schon Einiges auf dem Kerbholz, kommt aber irgendwann nach Androhung heftigster Sanktionen zur Besinnung und versucht, sich zu integrieren. Dabei schießt es natürlich schon mal übers Ziel hinaus, weil die neue Rolle noch so ungeübt ist.

Natürlich kann man das Amputationsvorhaben als geschmacklos empfinden - ich weiß es nicht genau einzuordnen. Ist es ein schräger Scherz, oder greifst Du dieses Krankheitsbild auf, bei dem Menschen wegen psychischer Störungen u.U. darauf dringen, vollkommen gesunde Gliedmaßen amputiert zu bekommen, um sich endlich „normal“ fühlen zu können (Dysmorphophobie nennt man es wohl, wie ich gerade bei "Google" erfahren habe)?

Grüße von
Justina
 

monti

Mitglied
Hallo Kasoma, hallo Justina,

ihr habt ja schnell geantwortet. Toll. Ja, es ist wohl nicht leicht, bei dieser Art von Literatur mitzuschwingen. Ich bin halt ein großer Anhänger von Daniil Charms und Gogol, den großen Meistern absurder und skurril-bizarrer Prosa. Bei Gogol wacht jemand eines Morgens ohne Nase auf. Bei Charms fliegt einem Mann eine Fliege durchs Gehirn und hinterläßt ein Loch.
Bei meinem Text allerdings gibt es einen Hintergrund, ich las irgendwo einen Artikel, in dem von Leuten berichtet wurde, die sich mit einem ihrer gesunden Körperteile nicht identifizieren konnten und ihn abschneiden lassen wollten. Bei Schreiben selbst habe ich zwar nicht daran gedacht, aber später fiel mir der Zusammenhang ein. Justina, du hast das richtig erkannt.
Ich habe noch die dichterische Freiheit hineinfließen lassen und den Konflikt mit dem anderen Arm hineingebaut.Über das Resultat läßt sich in der Tat streiten, ich selber bin da zwiespältig.

Gruß
 
M

mirami

Gast
Hallo monti,

spannend und gut geschrieben. Ich kam allerdings die ganze Zeit nicht auf die Idee, dass es sich wirklich um den linken Arm handeln könnte. Ich dachte eher an den inneren Schweinehund :)

LG
mirami
 

monti

Mitglied
Hallo mirami,

vielen Dank für das Lob. An den inneren Schweinehund habe ich gar nicht gedacht, eher daran, dass es im oder am Körper immer etwas gibt, das uns nicht gefällt.

Gruß
 



 
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