Mein neues Zuhause

Mein neues Zuhause

Es war an einem bis dahin ganz ueblich verlaufenden Schultag, als ich mich in einer meiner wenigen Freistunden, die
mir in der Woche zur Verfuegung stehen, in die Mensa unserer Schule begeben wollte, um mich dort meinen noch
anstehenden Hausaufgaben zu widmen.
Es war noch Pause und ich irrte einmal wieder ziellos durch die Schule. Ich probierte alle Stockwerke aus, war im
obersten, wollte noch hoeher hinaus, auf das Dach, doch man ließ mich nicht. Ich war ganz unten, im Keller, wollte
noch tiefer hinaus, in das Fundament, doch man ließ mich nicht und so wanderte ich immer irgendwo in der Mitte,
lief die Serpentinen entlang, kam nie ins Tal und konnte niemals den Ausblick vom Gipfel aus genießen, waere das
Wetter schoen und der Himmel wolkenlos gewesen. Ich erklomm hohe und stieg tiefe Treppen hinab, mal mit Hilfe
des Gelaenders und mal ohne seine Hilfe, wechselte meine Position, beobachtete oder wurde beobachtet von den
anderen Bergsteigern. Einige derer kannte ich von diversen Versuchen und Unternehmungen, den Gipfel zu
erstuermen oder ins Tal hinabzusteigen und wir grueßten uns, mal mit kraeftigem Gruße und lauter Stimme, mal mit
einem Augurenlaecheln und fluechtigen Blicken, je nachdem, wie weit sich die Bekanntschaft durch die Kletterreisen
entwickelt hatte. Die meisten Bergsteiger waren auch jemals weder auf dem Gipfel noch im Tal gewesen. Diese
Tatsache verband uns alle irgendwie auf eine bestimmte Art und Weise. Wir waren ein Kollektiv, eine gewisse
Gemeinschaft, trotz unserer differenzierenden Gemueter. Das stimmte mich zu diesem Zeitpunkt froehlich. Doch
alsbald ertoente das Nebelhorn und die Reihen lichteten sich, denn die Bergsteiger verschwanden in ihre Huetten. Nur
ich und einige verwirrte und entgeisterte Seelen waren noch draußen. Ich wollte nun aber auch in meine Huette, denn
es wurde kalt, und begab mich also leichten Herzens und guten Gewissens hin zur Mensa. Sie befand sich im Keller
des Gebaeudes und ich musste also wieder einmal Treppen hinabsteigen, dieses Mal mit Hilfe des Gelaenders, denn
ich war muede und geschwaecht von der langen Kletterreise. Ich war jetzt also auf dem Wege zur Mensa, dachte mir
nichts Boeses, doch was musste ich ploetzlich und zu meinem groeßten Erstaunen in der Vorhalle derselbigen
erblicken? Was ich dort vorfand, war etwas Erschreckliches fuer mich, ja es verwunderte mich sogar ein wenig: Es
war ein Rollbrett, welches dort unschuldig in einer einsamen und dunklen Ecke verweilte. Doch wer hatte es dort
platziert und wem gehoerte es? Sollte es dort liegen, hatte es jemand versehentlich vergessen oder war es womoeglich
in letzter Instanz absichtlich dort fuer mich hingelegt worden? Ich fand auf diese Fragen keine Antworten und fuehlte
mich deshalb ein wenig unbehaglich, doch entschloss ich mich trotzdem dazu, das Rollbrett anzusprechen. Wir
plauderten ein wenig und es lud mich dazu ein, es auszuprobieren. Ich forderte eine kurze Bedenkzeit, denn ich hatte
Bedenken. Andererseits reizte es mich wieder, mit dem Rollbrett durch die Mensa zu rollen. Ich wollte es wagen und
nahm die Einladung an. Wir verstanden uns auf Anhieb. Es bestand eine alte Vertrautheit. Bevor ich mich aber auf
das schwierige Terrain des Innenraums der Mensa wagen wollte, uebte ich noch einige Zeit in der Vorhalle. Ich hatte
kaum groeßere Schwierigkeiten. Das Rollbrett machte das, was ich wollte und umgekehrt. Nach ungefaehr zehn
Minuten fuehlte ich mich mutig genug und bestens praepariert, um die Mensa zu durchqueren.
Ich nahm jetzt ein weiten Anlauf, nutzte den ganzen Raum der Vorhalle dazu aus, setzte an, holte Schwung und fuhr
los. Ich fuhr, wurde schneller, passierte die enge Eingangstuer der Mensa und der Fahrtwind ließ mein Haar wehen.
Alles lief gut, bis ich zu meinem Erschrecken einige weibliche Bergsteiger an einem Tisch nahe der Fenster sitzen
sah. Es entwickelte sich ein gegenseitiges Beschauen, ich geriet in Verlegenheit, wurde abgelenkt und
vernachlaessigte dadurch meine Konzentration auf das Rollbrett und fuhr trotzdem weiter, wollte noch ein letztes Mal
Schwung holen, um meiner misslichen Lage zu entfliehen, doch da rutschte ploetzlich das Rollbrett unter meinen
Fueßen weg, flog in hohem Bogen hin zu den Bergsteigerinnen und ich auf den Ruecken, landete zwischen zwei
Metallstuehlen und hatte immer noch so viel Fahrt drauf, dass es die Stuehle zum Zittern brachte. Die Anzahl von
periodisch wiederkehrenden Einzelzustaenden pro Zeiteinheit erhoehte sich, erreichte bald ihre Amplitude und ein
ohrenbetaeubender Laerm hallte durch die Mensa. Durch das staendige Aufeinanderschlagen der Metallbeine der
Stuehle mit hoher Frequenz erweckte es den Eindruck als klingelte unsere Schulglocke, doch es konnte ja nicht schon
wieder klingeln, es hatte ja eben gerade erst, oder hatte ich mein Zeitgefuehl verloren? Die Bergsteiger beruhigten das
sich verselbststaendigte Rollbrett und das Klingeln hatte ein Ende. Ich lag immer noch auf dem kalten und glatten
Mensaboden und fing langsam an, mich zu besinnen.
Es klingelte zur Pause, die Freistunde war zu Ende und ich hatte meine Hausaufgaben nicht schaffen koennen. Nach
dem Versuch, dem Lehrer zu erklaeren, warum ich meine Hausaufgaben vergessen hatte...
 



 
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