Meine Teekanne

Lugh

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Es war ein schöner Sonntag. Der Schnee fiel sanft auf den Boden, im Garten meines Nachbarn veranstalteten die Kinder eine Schneeballschlacht. Zuvor hatten sie noch einen hübschen Schneemann gebaucht. Ich genieße diese ruhigen Wintertage, niemand stört. Ab und zu kommen schon die Leute um Spenden zu sammeln, wie immer, vier Wochen vor Weihnachten. Wie schön wäre jetzt eine gute, warme Tasse Tee. Aber das geht leider nicht, denn meine Teekanne spricht. Halten Sie mich jetzt nicht für verrückt, denn das bin ich nicht. Ich bin nur ein normaler Mensch mit einer sprechenden Teekanne. Die Teekanne habe ich von meiner Mutter bekommen, ich weiß aber nicht, ob die Teekanne auch schon mit meiner Mutter geredet hat. Die Teekanne spricht nicht gerne über sie. Ich glaube, die Teekanne hatte es bei meiner Mutter nicht so gut wie bei mir. Meine Teekanne verträgt leider überhaupt kein heißes Wasser, deswegen kann ich mit ihr auch keinen Tee machen. Auch eine zweite Teekanne konnte ich nicht kaufen, da wurde meine alte Teekanne ganz furchtbar wütend. Ich glaube, sie war eifersüchtig. Sie fing richtig an zu kochen, obwohl sie doch gar nicht auf dem Herd stand. Aber eigentlich ist es nicht so schlimm, dass ich keinen Tee mehr habe. Jetzt trinke ich halt Fruchtsaft statt Früchtetee. Ab und zu hänge ich meiner Teekanne aber einen Teebeutel um, damit sie nach Tee duftete, das gefällt ihr sehr. Eine Teekanne kommt halt nicht ganz ohne Tee aus. Natürlich steht meine Teekanne nicht bei dem ordinären Geschirr. Ich habe ihr ein hübsches Plätzchen über dem Kamin frei gemacht. Dort stelle ich auch immer die Fotos von ihr auf. Da haben wir mich und meine Teekanne zu Weihnachten unter dem Christbaum, ich und meine Teekanne vor den Niagarafällen, hier zusammen am Grab von Elvis .... Meine Teekanne begleitet mich überall hin, schließlich kann ich sie ja nicht alleine zu Hause lassen. Mit wem sollte sie da reden? Mit den Salatschüsseln? Lächerlich. Also nehme ich sie auch immer mit in die Arbeit. In meine Aktentasche passt sie nicht hinein, also trag ich sie in der anderen Hand. In der einen Hand meine Tasche, in der anderen meine Teekanne, so gehe ich immer zum Bahnhof und fahre zu meiner Arbeit. Im Büro stelle ich sie auf meinen Schreibtisch zu den Pflanzen. Es gefällt ihr dort am Besten. Aber man muss vorsichtig sein. Vor einiger Zeit wollte doch tatsächlich jemand mit meine Teekanne Tee machen. Da kam ich also vom Kopierer zurück und musste entsetzt feststellen, dass meine Teekanne weg war. Ein Kollege verriet mir, dass die Sekretärin mit ihr in die kleine Küche am Ende des Ganges gegangen war um Tee zu kochen. Tee kochen, können Sie sich etwas barbarischeres vorstellen? Heißes Wasser in diesem arme Geschöpf füllen. Das galt es zu verhindern, ich rannte zur Küche. Energisch riss ich die Tür auf und sah gerade, wie meine Teekanne zum Wasserhahn geführt wurde. „Nein!“, schrie ich. Die Sekretärin hielt inne und sah mich verwundert an. Schnell war ich bei ihr, stieß sie weg und nahm meine Teekanne wieder an mich. „Mache Sie das nie wieder. Lassen Sie die Finger von meiner Teekanne, oder Sie werden es bereuen!“ Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und verschwand. Ein paar Tage darauf bekam ich auch mein neues Büro, wo ich das Zimmer ganz für mich alleine hatte. Es ist zwar nicht so groß und schön eingerichtet wie mein altes Büro, aber hier war ich mit meiner Teekanne alleine und wir konnten uns auch ungestört unterhalten. Manchmal habe ich jedoch das Gefühl, man würde uns belauschen. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, denn wen interessiert es schon, was jemand mit seiner Teekanne beredet?

Seit gestern habe ich aber nicht mehr mit ihr geredet. Genaugenommen redete sie nicht mehr mit mir. Ich fürchte, ich habe sie beleidigt. Ich wollte den Kamin abstauben, dabei stieß ich aus Versehen meine Teekanne und bevor ich noch reagieren konnte, fiel sie auf den Boden. Sofort hob ich sie wieder hoch und fragte sie, ob ihr doch hoffentlich nichts passiert sei. Sie aber wurde wütend und beschimpfte mich als unfähigen Tölpel. Aber was viel schlimmer war, sie beschimpfte auch meine Mutter. Sie sagte, ich würde mich schon so anstellen wie meine Mutter mit ihren Rheumafingern und dann bezeichnete sie meine Mutter auch noch als alte, senile Schachtel. Das war mir zuviel und ich stieß sie noch einmal, diesmal absichtlich vom Kamin. Diesmal ließ ich sie liegen. Erst wenn ich von ihr eine Entschuldigung zu hören bekam, würde ich sie wieder auf ihren alten Platz stellen. Bis dahin werde ich WARMEN Punsch trinken.

Es ist genug. Seit Stunden sitze ich hier, trinke meine Punsch, aber ich kann nicht mehr fröhlich sein. Ich brauche keinen Punsch, ich brauche meine Teekanne, auch wenn sie mir keinen Tee machen will. Ich habe mich auch so schlecht ihr gegenüber benommen, sie zweimal auf den Boden geschmissen und dort liegen lassen. Hoffentlich ist sie nicht zu böse auf mich.


„Was ist hier passiert?“
„Die Kinder von nebenan haben uns gerufen. Sie haben durch das Fenster gesehen, dass der Mann tot hier lag.“
„Mord?“
„Glaub ich nicht. Der Alkoholfahne nach würde ich sagen, er ist stockbetrunken in das Zimmer gekommen, und dann über diese Teekanne gestolpert. Dabei ist er mit dem Kopf gegen den Kamin gefallen und bumm, tot.“
„Man, das ist aber auch eine potthäßliche Teekanne.“


Also, seid nett zu euren Teekannen.
 



 
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