Melanie und Arnfried

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Ich sei sehenswert und begehrlich, meinte mein neuer Freund. Er war keines von beiden, entsprach aber wegen seiner kräftigen Statur den Vorstellungen meines Vaters. Der setzte ihn sofort für muskulöse Arbeiten im, am und ums Haus ein. Die Schule hatte Arnfried, so hieß er, bereits verlassen. Mit mäßigen Abschlussnoten. Das Leben verlange andere Fähigkeiten, nahm mein Vater seine geringe Intelligenz in Schutz. Dann schrie er „Aua!“, weil ihm Arnfried mit dem Hammer auf den rechten Daumen geschlagen hatte. Beide befestigten lockere Zaunlatten. Trotzdem sah mein Papa in Arnfried seinen künftigen Schwiegersohn. Von Kopf bis Fuß entspreche er dem Urbild eines Proletariers. Nach getaner Arbeit führte er ihn deshalb auch in den Genuss von Bier ein.
Meine Mama vertrat eine andere Ansicht. Die ließ sie jedoch nur mich hören. Sie könne nicht verstehen, weshalb ich mich in einen so unschönen und grobschlächtigen Kerl verliebt habe. Ich sei nicht in ihn verliebt, erklärte ich, ich habe nur Papas Wunsch entsprochen. Echte Liebe basiere auf dem Gleichklang zweier Herzen, die freiwillig und ohne Zwang zueinander gefunden haben, meinte Mama. Ob bei ihr und Papa Gleichklang herrsche, fragte ich. In der Anfangsphase ihrer Beziehung sei das so gewesen, behauptete sie. Da war auch noch nicht abzusehen, dass er mal einen Bierbauch und schütteres Haar bekommt. Damit wollte sie unterstreichen, dass ihr künftiger Schwiegersohn hübsch sein müsse. Nur ein hübscher Mann könne hübsche Kinder zeugen.
Ob ich hübsch sei, wollte ich wissen. Töchter geraten in ihrer Erscheinung überwiegend nach der Mutter, stellte Mama ihre Reize über die Papas.
Im weiteren Verlauf unseres fraulichen Gesprächs stellte ich klar, dass ich an eine Heirat und ans Kinderkriegen nicht denke. Ich sei ja noch nicht volljährig. Ich wolle mir die Jungfernschaft so lange wie möglich erhalten und mich des Lebens freuen.
„Selbstverständlich“, beeilte sich Mama zu sagen, „das entspricht auch meinem Wunsch. Kindheit und Jugend sind die schönsten Momente im Leben. Genieße sie und lasse dich von Arnfried zu keiner frühreifen Handlung verleiten.“
„Den werde ich nur vorübergehend in Gebrauch haben“, beruhigte ich, „mein Interesse gilt einem bräunlich gefärbtem Jungen der 10. Klasse.“
„Wie bräunlich ist er?“, fragte Mama etwas entsetzt.
„Dunkelbräunlich, fast schwarz. Er wäscht sich aber jeden Tag. Meiner Freundin Susi, die ihn im Moment benutzt, hat er gestanden, dass er beschnitten ist.“
Das Entsetzen meiner Mama wuchs. „Was haben sie ihm abgeschnitten?“
Ich zuckte die Achseln: „Das weiß ich nicht. Ich werde Susi fragen.“
„Und den willst du zu deinem Freund machen? Wo kommt er denn her? Bei uns scheint doch nicht so oft die Sonne, dass er dunkelhäutig ist.“
„Er stammt aus Afrika. Da sind die meisten Menschen so gefärbt. Die kleinen Negerlein - Negerlein darf man nicht mehr sagen -, sehen ganz süß aus.“
Weil ich verzückte Augen machte, bat mich Mama händeringend, mir die geplante Freundschaft mit dem schwarzen Jungen gut zu überlegen. Vielleicht wolle ihn Susi auch gar nicht abgeben.
Ich hatte das Gefühl, dass sie zehn kleine Negerlein als Enkelkinder nicht will. Vielleicht entwickle sich aus der Freundschaft mit Arnfried eine dauerhafte Liebe, meinte sie, unsere Unterhaltung abschließend.
Die ersten Zeilen des Liedes ‚Schwarz-braun ist die Haselnuss‘ singend verließ ich das Wohnzimmer. Ich begab mich in mein Zimmer, das früher Kinderzimmer hieß und nun die Bezeichnung Jugendzimmer trägt. In den Anfangsjahren meines Wachstums war es mit Kuscheltieren und Barbiepuppen vollgestopft. Als ich in mir die ersten Regungen zum anderen Geschlecht spürte, beklebte ich die Wände mit Postern von männlichen Stars. Meinem Vater missfiel das, und er riet mir, ein Bild eines führenden Arbeiterführers aufzuhängen. Zum Beispiel Karl Marx. Warum ich den aufhängen solle, der sei doch ohnehin schon tot, meinte ich.
Er sei über das verblassende Geschichtsbewusstsein der heutigen Jugend entsetzt, knurrte Papa und zeigte dem Poster der Kelly-Familie, die ihn freundlich anlächelte, die Rot-Front-Faust.
 



 
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