Melanies Wünsche

1,00 Stern(e) 1 Stimme
Ein wichtiger Bestandteil der Familie sind die Großeltern. Sofern sie noch leben, sind sie sehr nützlich. Sie tragen wesentlich zur Erfüllung eigener Wünsche bei. In meinem Falle heißt das, dass sie gebefreudiger sind als meine Eltern. Die zeigen sich oftmals knausrig, wenn sie ein Bedürfnis ihres einzigen Kindes erfüllen sollen. Sie betonen zwar immer wieder, wie lieb sie mich haben, doch die Realität sieht anders aus. Vor allem mein Papa ist ein echter Geizkragen. Eigentlich müsste er meine Wünsche von meinen Lippen ablesen. Wenn er auf sie mal guckt, äußert er ärgerlich, dass ich mich vom Lippenstift fernhalten soll. Vor allem von dem meiner Mutter. Ich sei zu jung, mich farblich zu verunstalten. Ich sagte ihm, dass Küsse besser schmecken, wenn sie von geschminkten Lippen kommen. Ob ich ihn davon überzeugen solle. Ich sei wohl verrückt, meinte er, sich ängstlich umblickend. Wenn das jemand sehe, glaube er, der Vater treibt es mit der Tochter. Für diese Unzucht käme er Jahrzehnte hinter Gitter.
„Als ich jünger war, hast du mich oft geküsst: auf Stirn, Mund und selbst den Bauchnabel. Sogar in Mamas Beisein“, erinnerte ich ihn.
„Als ich diese Liebesbekundungen von mir gab, warst du noch nicht schulpflichtig.“
„Ach so“, fragte ich, „das Küssen eines Kleinkindes hätte dich nicht hinter Gitter gebracht?“
„Dieses Küssen gehört zum Pflichtprogramm eines jungen Vaters.“
Meine Mama hingegen küsst gern. Vor allem auch Personen, die nicht zu unserem verwandtschaftlichen Kreis gehören. Wenn sie dabei versehentlich die Lippen eines fremden Mannes erwischt, entschuldigt sie das mit dem zufälligen Fehlen ihrer Kontaktlinsen.
Als ich sie dabei einmal überraschte, erklärte sie, dass mir ihr Falschkuss als Beispiel dienen solle, wie ich mich nie verhalten soll. So bliebe meine reine Mädchenseele von Lastern frei. Ich versprach, so zu werden wie sie und außerehelich nur Männer zu küssen, die mir zufällig an die Lippen geraten.
Zurück zu meinen Großeltern und deren Güte. Um sie mit meinen Wünschen nicht zu überlasten, denn Mama und Papa sollen sich nicht übergangen fühlen, habe ich meine Wunschvorstellungen in zwei Gruppen eingeteilt. Der einen, die den Geldbeutel weniger belastet, gehören meine Eltern an; der anderen mit finanzieller Mehrbelastung meine Großeltern.
Da ich ein penibler Mensch bin, nehme ich die Eintragungen in dieser Liste sehr sorgfältig vor. Zwei Beispiele sollen das belegen. Habe ich von meinen Eltern 5 Euro erbeten, um mir wieder einige Süßigkeiten leisten zu können, denn ich bin eine richtige Naschkatze, dann vermerke ich diese Summe mit dem Datum des Erhalts in genannter Liste. Meinen Großeltern darf ich mit 5 Euro nicht kommen. Die würden sie als Beleidigung auffassen. Ihre Rente ist zwar nicht üppig, doch ausreichend, ihrer Enkeltochter ausgefallene Wünsche zu erfüllen. Hierzu gehört die Anpassung meines Outfits an die aktuelle Teenie-Mode. Ich würde mich zum Gespött meiner Mitschülerinnen machen, wenn ich in bäuerlicher Kluft und nicht in Markenklamotten daherkomme. Die kosten natürlich ein Sümmchen. Auch das erfasse ich mit genauem Erhaltsdatum in der Liste.
Eine diesbezügliche Finanzierung rief einst ein kleines Missverständnis hervor. Oma wollte wissen, welches Bekleidungsstück ich zu kaufen gedenke. Ich antwortete, dass es eine Jeans sein soll. Sie hatte verstanden, dass es eine von James Dean sein soll. Mit dem Begriff James Dean konnte ich nichts anfangen, weshalb ich konkret erklärte, dass es eine Mustang sein wird.
„Kuhstank?“, fragte Oma, sich beide Hände hinter die Ohren haltend. Etwas lauter wiederholte ich die Jeansmarke und fügte hinzu, dass eventuell austretende Darmdüfte der Hose rasch entweichen können, weil sie zerschlissen sein wird.
„Beschiss…“.
„Zerschlissen, Oma“, unterbrach ich laut ihren Hörfehler, „eine Hose mit Löchern und Schlitzen.“
Nachdem sie diese Erklärung geistig verarbeitet hatte, wunderte sie sich, dass nun auch Lumpen wieder in Mode seien. Nach dem II. Weltkrieg hätte sie solche getragen. Die Löcher und Schlitze wurden allerdings notdürftig gestopft.
Ob wieder ein Krieg geplant sei, wollte sie wissen.
In Deutschland nicht, erwiderte ich, denn hier hat eine Frau das Sagen. Angela Merkel wird auch weiterhin Wladimir Wladimirowitsch Putin die Stirn bieten.
 



 
Oben Unten