Mir rutscht die Hand aus.

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nachtsicht

Mitglied
Schreib mich, sagt das heut Erlebte in meinem Kopf. Ich setze mich vor den Bildschirm des alten Computers, die Beine unter einer karierten Decke wie bei einem Rollstuhlfahrer. Zwei Meter neben dem Schreibtisch tönt Günther Jauch, wie immer lockt er Joker heraus, lockert verkrampfte Langweiler, loggt Antworten ein, die, wie man nach der Werbepause erfährt, "gerade noch mal gut gegangen sind". Normalerweise rate ich mit, blättere im Lexikon, rauche F6, esse Wurst.
Heute nicht.
Heut schreibe ich es auf, um mir für morgen eine schöne Erinnerung zuzubereiten. So wie sich andere das Brot für die Frühstückspause auch schon am Abend zuvor schmieren.

18.02.2005 Eine Frau sah mir beim Einkaufen in die Augen und lächelte.

Speichern unter... "Der schöne Moment meines Lebens."
Inspiration für die nächsten zwanzig Onanien, viel persönlicher als die Pornos im Regal, die ich schon auswendig nachsynchronisieren, also genau mitstöhnen kann. Mindestens zwei Packungen Taschentücher voll mit Fantasien von uns beiden. In ihrem Korb lagen tote Tiere, in meiner Hand der billigste Klare. Ich kaufe immer nur eine Flasche, damit ich jeden Tag unter Menschen komme.

Als sie mich im letzten Herbst freigelassen haben nach den vielen Jahren, habe ich mich auf einen Haufen Laub gelegt und glauben wollen, dass von da an alles besser wird. Heute weiss ich, dass ich es wieder tun werde, und wieder. Ich muss. Die Kinder auf dem Spielplatz vor meinem Haus spielen tagsüber noch und lachen.
 

Gandl

Mitglied
Hi nachtsicht,
boah ... in allerkürzester Kürze eine Story von irritierender Gewalt. Uff.
Da schlucke selbst ich ...
Grandios auf den Punkt gebracht.
Gespenstisch, das Jetzt und die Zukunftsvision.
Lieben Gruß
Gandl
 

nachtsicht

Mitglied
Vielen Dank Gandl.

Ich freue mich über jedes ernst gemeinte Lob.
Obwohl du mich sehr gut bewertest hast, meine Frage
an dich und alle anderen: Was kann ich besser machen?

Helft mir beim wachsen.

Nachtsicht
 

San Martin

Mitglied
Widerwärtig. Nicht der Text, aber der Inhalt... es ist bedrückend, wenn man das Leben dieses Menschen durch seine Augen betrachtet. Dabei ist der Mann nicht nur widerlich und böse, sondern hat menschliche Züge. Zumindest das ist durchaus gelungen; Schwarz&Weiß sollte es nur bei Fantasy geben. Tja... der Text ist zuallererst provokativ, hat aber mehr zu bieten als das. Die Wende am Schluss, in der er als Kinderschänder enthüllt wird, hat einen gewissen Schockeffekt; ich frage mich aber, welchen Weg die Atmosphäre genommen hätte, wenn du die Wende weggelassen hättest; dann hätte sich der Text auf die leere, abstoßende Existenz dieses Menchen konzentriert und sehr nachdenklich gestimmt, weil einem dieser Typ dann etwas leid tut. Hinter diesen Überlegungen bleibt alles Formale irrelevant.
 

Yamana

Mitglied
ja hmm

das ist harte kost,nachtsicht
und bis zum letzten abschnitt schaffst du es, den milden, einsam-grauen spätnachmittag (des dichters?) auf schönste weise in die luft zu jagen: guckt euch mal die scherben an. das ist echt gut gemacht!
in der giftigen überhöhung kann ich da einiges an verwerfungen wiederfinden die (mich) angehen...

.. und dann kommt der letzte abschnitt: ach so, aha, ein kinderficker ist der, behauptet nun der text....
für mich wechselt da das genre, ist so, als wollte der text sich nun aufplustern, moralisch werden, sozusagen; seht mal her: pornos, f6 rauchen, proll - die übliche mischung des üblichen verdächtigen;was vorher als absolut geglückte, scharf gezeichnete momentaufnahme wirkte, wird nun entwertet;
sorry, aber von einem text, der von einem kinderficker handelt, "erwarte" ich mehr substanz, mag sein, weil ich da den moral-trip bekomme und der abscheu vor solchen typen mich mit sich reisst. mich stört der "schock-effekt" von dem san martin auch schon spricht, denn für mich ist es so, dass der text diesem thema nicht gerecht wird / werden kann.
irgend wie kann ich mich des eindrucks nicht erwehren, als "klebe" der letzte abschnitt nur so von ungefähr hintendran an einem text, der bis dahin wirklich ausgesprochen gelungen ist.
grüsse yamana
 

nachtsicht

Mitglied
Ohne den Kinderfickereffekt endet der Text im Nichts.
Beabsichtigt war nich nur das verzerrte Spiegeln vieler der Leser, es sollte auch die Bewusstheit, dass jeder abgründig sein kann, gestärkt werden.

Welche Vorstellungen habt ihr von einem alternativen Ende?
 

San Martin

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von nachtsicht
Ohne den Kinderfickereffekt endet der Text im Nichts.
Da bin ich anderer Meinung. Wie ein alternatives Ende aussehen kann, weiß ich nicht; es sollte natürlich eine kleine Pointe haben, braucht aber nicht unbedingt diesen Schockeffekt. Das Leben des Mannes ist bereits abscheulich genug...
 



 
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