Mit Leid

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Anonym

Gast
Zahm las ich deinen Willen,
doch du verwest.

Damit das Licht aus den Tagen fällt,
unser Trümmerland sich fangen lässt,
so sollte ich die Asche in die Hände nehmen,
sie mit Schweiß zu Sinn verschmelzen,
dass ich den Kindern etwas bringe -
doch ich bin verstummt.

Wenn zum Menschsein
hier zu bleiben
gehört,
ein Büschel mehr Gedanken pflanzen,
zweifle ich.

Wühl des Nachts in Maden.
Immer wieder fällt die Fingerspitze in die Tastatur,
reißt ihre Phrasen in das Plastikbett,
handzahm.
 

LeseWurm

Mitglied
zuerst: etwas Textarbeit

...
(Dass)Das das Licht aus den Tagen fällt,
unser Trümmerland sich fangen lässt,
so sollte ich die Asche in die Hände nehmen,
sie mit Schweiß zu Sinn verschmelzen,
(dass)das ich den Kindern etwas bringe -
doch ich bin verstummt.
...

und dann: Ich gestehe, dass ich nicht recht verstehe.
 

Anonym

Gast
Hallo LeseWurm,

danke für die Aufmerksamkeit.
Zugegeben, mit der Regelung bezüglich des 'dass' stehe ich auf dem Kriegsfuß, da die veränderte Schreibung dem Wörtchen keinen weiteren Sinn hinzufügt, den die Satzstellung nicht schon enthält, jedoch beuge ich mich der Konvention.

Mir selbst sind inzwischen drei verschiedene Interpretationsrichtungen eingefallen. Man könnte es als Trauergedicht, als politisches Werk oder als Tagebucheintrag lesen, vielleicht kannst Du einer Richtung folgen.

Mit freundlichen Grüßen
A.
 

LeseWurm

Mitglied
Etwas aus dem Gedicht spricht mich an, auch wenn ich als Ganzes so recht keinen Zugang finde.
Hier kurz meine Eindrücke:

Zahm las ich deinen Willen,
doch du verwest.
Irgendwie folge ich jemandem/etwas, der/das aber sei Sein aufgibt.



Dass das Licht aus den Tagen fällt,
unser Trümmerland sich fangen lässt,
Wird es dunkel? Oder hell? Warum sollte ich ein Trümmerland fangen? Vielleicht auffangen in meinen Armen?



so sollte ich die Asche in die Hände nehmen,
sie mit Schweiß zu Sinn verschmelzen,
dass ich den Kindern etwas bringe -
Meine Lieblingsstelle. Man sollte aus dem Vergangenen lernen, es sinnvoll machen. Eigentlich ein positiver, optimistischer Ansatz, doch ...



doch ich bin verstummt.
Dieser letzte Satz ist negativ, resigniert: Habe ich aufgegeben? Sieht so aus.



Wenn zum Menschsein gehört,
hier zu bleiben,
zweifle ich am Menschsein.
Grundsätztlicher Zweifel. Aber in mir regt sich Widerspruch, Trotz(?). Gehört nicht ewiges Strampeln zum Menschsein?



Man liegt auf Geld und wühlt des nachts in Maden.
Was nutzt Geld, wenn alles stirbt, vergeht, keinen Sinn macht?



Immer wieder fällt die Fingerspitze in die Tastatur
und reißt nur Phrasen in das Plastikbett.
Selbst das Abarbeiten solcher Gefühle durch Schreiben bringt nicht wirklich Sinn. Erleichterung erst gar nicht - eher Frust.



Wär ich nur blind wie einst,
und frei.
Früher war es besser? Aber ich nahm auch weniger wahr, was auch eine Art Freiheit ist.

So betrachtet, kann ich etwas erkennen.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
„Zugegeben, mit der Regelung bezüglich des 'dass' stehe ich auf dem Kriegsfuß, da die veränderte Schreibung dem Wörtchen keinen weiteren Sinn hinzufügt,…"
Es sind zwei verschiedene Worte. Was im Bereich Prosa eher unwahrscheinlich ist – dass die Stellung im Satz/Text nicht erklärt, welches der Worte gemeint ist – kann in der Lyrik aber rasch mal passieren:

Kauf ein Buch, das(s) ich lesen werde.

-----------------------
Ich weiß, es ist eine gern genommene Formulierung, dass irgendwas irgendwo rausfällt. Aber: Was "passiert", wenn "das Licht aus dem Tag fällt"? Wird der Tag dunkel? Aber warum sollte er/sie anstreben, dass es dunkel wird? Oder: Ein „aus der Zeit gefallener Moment“ z.B. verliert die Verbindung zum „dorthin“ und „von dort weiter“, verliert die Eigenschaft des Fließens und eingebtet seins – nichts davon funktoniert aber bei "Licht fällt aus dem Tag".

„Trümmerland fangen“ – wenn es weg will, ist doch gut! Dann ist Platz für Neues.

Reißt man die Phrasen wirklich IN das Plastikbett (der Tastatur)?


Alles andere ist m.E. top.
 

Anonym

Gast
Hallo Jon,

zum das:
Ich hab mich ja schon unterdrücken lassen, gebe aber zu bedenken, dass dem veralteten "was" eine solche Regelung nicht angebastelt wurde.
Und phonetisch ist es immer ein und dieselbe Lautfolge.
In Deinem Beispiel würde ich als Lyriker stets das normale das verwenden, da es beide Lesarten impliziert, das verrückte dass jedoch brachial eindeutig ist.
:)

Das fallende Licht ist zugegeben ein verwegenes Bild.
Bei seiner Entstehung brachen gerade Sonnenstrahlen durch dunkle Wolken. Da ich die beschriebene Zeit als verdunkelt empfinde, gefiel mir die Vorstellung, sich das Licht am Ende des Tunnels ähnlich den Sonnenstrahlen am Herbsthimmel zu wünschen.
Dazu kommt noch, dass das Bild auch sein Gegenteil bedeuten kann, nämlich, dass das ganze Licht herausfällt, und Dunkelheit bleibt.

Das Trümmerland ist in seiner Intention politisch erdacht. Insofern geht es mir nicht um Flucht, sondern um Begreifen, Verstehen. Schwer nachzuvollziehen, ich gebs zu. Ich habe beschlossen, dieses und einige andere Texte zu einem Zyklus zusammenzufassen, da mir die politische Deutung doch wichtig ist. Danke für die Anregung.

Du kannst mich nicht tippen sehen, aber ich hacke und reiße da tatsächlich auf der armen Tastatur herum.
Reißen ist ein sehr starkes und emotionales Wort, es soll ein wenig das Aus-sich-Herausreißen anklingen.

Für dies und das top: Dankeschön.

Mit freundlichen Grüßen,
A.
 

LeseWurm

Mitglied
Wenn ich mich mal einmischen darf:

zum das:
Ich hab mich ja schon unterdrücken lassen, gebe aber zu bedenken, dass dem veralteten "was" eine solche Regelung nicht angebastelt wurde.
...[SNIP]
In Deinem Beispiel würde ich als Lyriker stets das normale das verwenden, da es beide Lesarten impliziert, das verrückte dass jedoch brachial eindeutig ist.
Diese wie du sagst "brachiale" Eindeutigkeit eröffnet einem aber die Chance seine Aussagen eindeutig zu verfassen. Grammatikalisch (grammatisch?) ist es doch nicht schwer zuzuordnen. Grob:
"das" kann man durch "welches" oder "was" ersetzen,
"dass" z.B. durch "damit".
Bei der Gelegenheit:
Die Mehrdeutigkeit in Jons Beispiel fände ich persönlich sogar besonders schön, meistens tendiere ich aber zu präziser Aussage.

Das fallende Licht ist zugegeben ein verwegenes Bild.
Bei seiner Entstehung brachen gerade Sonnenstrahlen durch dunkle Wolken. Da ich die beschriebene Zeit als verdunkelt empfinde, gefiel mir die Vorstellung, sich das Licht am Ende des Tunnels ähnlich den Sonnenstrahlen am Herbsthimmel zu wünschen.
Dazu kommt noch, dass das Bild auch sein Gegenteil bedeuten kann, nämlich, dass das ganze Licht herausfällt, und Dunkelheit bleibt.
Die mehrfache Möglichkeit der Deutung (Wird es hell oder dunkel?) scheint dir zu gefallen. Für mich war sie verwirrend (s.o.)

Das Trümmerland ist in seiner Intention politisch erdacht. Insofern geht es mir nicht um Flucht, sondern um Begreifen, Verstehen. Schwer nachzuvollziehen, ich gebs zu.
Trümmerland <-> Nachkriegszustand in Deutschland; Irak, Afghanistan ...
Das verbinde ich damit. Ja, gut.
Aber "fangen" ist wirklich schwer als "begreifen" zu verstehen.

... ich hacke und reiße da tatsächlich auf der armen Tastatur herum. Reißen ist ein sehr starkes und emotionales Wort, es soll ein wenig das Aus-sich-Herausreißen anklingen.
"Phrasen ins Plastikbett reißen" <-> heftig (aber vergebens, sinnlos) auf die Tastatur hämmern.
Diese Assoziation dagegen verband ich ganz automatisch mit deiner Wortwahl. Sagt man nicht auch "Phrasereißer"?

ein lieber Gruß
vom dass-Verteidiger :)
 

Anonym

Gast
Hallo LeseWurm,

ja das Reißen geht auf das Phrasenreißen zurücken. Dreschen war mir in Verbindung mit der Tastatur zu normal.
:D

Alle prügeln auf mich das-Freund ein
:(
A.
der den Zustand immer noch nicht fangen kann, ob es dunkelt oder lichtet im Trümmerland
 

LeseWurm

Mitglied
Danke A.,

stimmt. Phrasen-Drescher und der Reißer war doch der mit den Possen?
Oder habe ich mich schon wieder vertan.

Ich hoffe, dass meine beschriebenen Eindrücke hilfreich sind. Ist natürlich wie immer nur meine Meinung.
 

Anonym

Gast
So, neue Version online.

Hier zum Vergleich die alte:

Zahm las ich deinen Willen,
doch du verwest.

Dass das Licht aus den Tagen fällt,
unser Trümmerland sich fangen lässt,
so sollte ich die Asche in die Hände nehmen,
sie mit Schweiß zu Sinn verschmelzen,
dass ich den Kindern etwas bringe -
doch ich bin verstummt.
Wenn zum Menschsein gehört,
hier zu bleiben,
zweifle ich am Menschsein.

Man liegt auf Geld und wühlt des nachts in Maden.
Immer wieder fällt die Fingerspitze in die Tastatur
und reißt nur Phrasen in das Plastikbett.

Wär ich nur blind wie einst,
und frei.
 



 
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