Mittagessen

Mittagessen von Andreas Müller

„Ich will sie nicht essen!“ Er wollte sie wirklich nicht
essen, ja ihrem Geschmack verdankte er übelste Magenkrämpfe! „Du isst sie jetzt auf!“ – „Was auf den Tisch kommt wird gegessen!“ Verdammt, da war wieder diese tiefe, bestimmende Stimme, der er unmöglich widersprechen durfte! Sein trauriger Blick nutzte ihm hier wirklich nicht mehr viel: „Ich will nichts mehr hör´n! Ich esse sie, sie isst sie...“ Er zeigte auf seine Schwester. „...wir essen sie
alle. Schon immer. Und werden sie immer essen!“ Jetzt kam
bestimmt wieder der Vortrag, dass unser Geschlecht dafür
geschaffen war, sie zu verspeisen, sonst machte es eh
niemand! Aber wie war ihm das egal. Er spielte manchmal mit
ihnen. Oh, wie machte dies Spaß! Er flitzte durch den
Schilf, schwamm am Pfeiler vorbei und plötzlich, so
schnell, dass sie ihn nie angeschwommen sahen, sprang er
zwischen ihnen hindurch und winkte neckisch mit seiner
Schwanzflosse. Sie flogen dann immer ganz aufgeregt davon.
Manche waren so aufgeregt, dass sie auf dem Wasser
aufschlugen, und sofort von einem der Gefräßigen gepackt
und verschlungen wurden. Das wollte er wirklich nicht! Er
verstand nie, warum keiner es ihm gleich machte, und sich
an den Algen satt aß. „Lange schaue ich jetzt wirklich
nicht mehr zu!“ Und wieder riss ihn die tiefe Stimme in die
Realität zurück. Was sollte er tun? Ihm blieb ja sowieso
nichts anderes übrig. Wenn er sie wieder nicht essen
wollte, so würde das mit dem Spielen am Nachmittag
überhaupt nichts werden. „Ok, aber ab morgen nicht mehr!“
Und mit einem schnellen Schnappen würgte er sie schon
hinunter...

„Ich hab´ einen!“ Überglücklich zog der Mann den soeben gefangenen Fisch aus dem Wasser. Mit dem Holzscheit zertrümmerte er dessen Schädel. Wenn der Haken nicht so tief im Rachen hängen würde, hätte er ihn wieder in den Fluss geschmissen, aber so? „Jetzt heul´ nicht, der schmeckt dir bestimmt besonders gut. Schau mal wie jung der noch ist!“ Das Mädchen mochte das Töten der Fische noch nie, genauso wenig, wie das Essen derjenigen. Aber die Zeiten waren schlimm, doch die Befreier rückten anscheinend schon zur Hauptstadt vor! Ein Schuss knallte durch die Luft. Das Mädchen schrie. Nie wieder hatte sie den Anblick der gratulierenden Soldaten über ihrem toten Vater vergessen...
 
S

Sanne Benz

Gast
lieber andreas,
ich hab sie etliche male gelesen..
mir kommt dabei in den sinn:
"fressen und gefressen werden"
ich kann nicht viel sagen..fällt mir schwer mich aus zu drücken.
gefällt mir ..
lg
sanne
 

Dexter

Mitglied
Hallo Andreas

Gefällt mir echt gut Deine Geschichte.
Besonders faszinieren mich dabei die unvermittelten aber
doch logischen Wechsel der Schauplätze.

Schade, dass es bis jetzt nur ein Stück von dir gibt.
Hoffe mal wieder von dir zu lesen.

Viele Grüsse
Dexter
 
S

Sanne Benz

Gast
hi,
ich wollte mal schauen, was es beim andreas noch so zu lesen gibt.
Denn immerhin verzeichnet er SECHS posts..
ich finde aber NUR diesen thread als EINZIGEN post/beitrag.
WIE kommt das, wo sind die anderen??
*grübel*

nett,dexter..das du in deinem profil auf andreas "mittagessen" hingewiesen hast..;)

lG
sanne
 

heidekind

Mitglied
Lieber Andreas, dein Beitrag ist Klasse. Die Übergänge zu den verschiedenen "Geschichten" sind dir sehr gut gelungen.
Ich hatte das Glück, diese Sprüche "Was auf den Tisch kommt.." usw. nicht gesagt zu bekommen. Und die Portionen, die mir meine Eltern auf den Teller taten, waren imm gut zu schaffen, lieber nachnehmen, war ihre Devise. Das habe ich auch so an meine Tochter weitergegeben. So hatten wir eigentlich immer lustige Mahlzeiten und Unterhaltung. Gut, das es die Zeit nicht mehr gibt:
Bei Tisch wird nicht gesprochen, dabei ist doch gerade Geselligkeit das Schöne, in südlichen Ländern auch Sitte.
Kennst du das Buch "Die kleine Möwe Jonathan"?. Es beschreibt die Geschichte eines Mövenkindes, das anders sein wollte als die anderen. Ein Satz in deiner Geschichte erinnerte mich daran.
Wir hatten früher einige Tiere, aber wir konnten sie nie
selber essen, das hätte keiner von uns fertiggebracht. So kauften wir an Schlachttagen unser Essen von anderen Leuten.
Beeindruckend sind deine Zeilen über den "Schrei des Mädchens". Viele Menschen wird es geben, die Dinge aus der Zeit niemals vergessen. Mein Papa kam schwerverwundet aus dem Rußlandfeldzug wieder, aber er war da...
Einen guten Sonntag wünscht Dir Heidemarie-Heidekind.
Und viel Erfolg hier und bei allem, was Du machst.
 
Hi Sanne!

nett, dass dir die Geschichte gefällt. Wenn ich sie mir jetzt nach einiger Zeit nochmals durchlese, fällt mir das "Fressen und gefressen werden" auch auf. Interessant, was Lesern auf einen Text einfällt! Ich wollte damit eigentlich eher das Problem mit der Unfähigkeit der Durchsetzung des freien Willens gegenüber der Tradition und ihren Folgen darstellen. Oder dem Unterschied von Befriedigung eines Bedürfnisses und den Folgen der Befriedigung angeblicher/falscher Bedürfnisse (und dem Erkennen derer). Hm, sorry, aber kann es beim besten Willen nicht genauer erklären. Ich glaube, ist auch nicht so wichtig, solange der Betrachter einen Nutzen in der Geschichte sieht.

Einen post erhält man wohl für jeden Beitrag und jede Antwort die abgegeben werden, denke ich mal.

Gruß
andreas
 
S

Sanne Benz

Gast
hallo andreas,
ja..das ist das tolle..ein gedicht oder geschichte/text..und die leser zeigen dir noch einige andere interpretationen.
Ja..wegen des posts. und leider sichtbar. :(
aber demnach müsstest DU doch nun NEUN haben..komisch..

schönen abend
lG
sanne
 
hey dexter!

Hab verstanden! Freue mich immer, wenn jemandem meine Geschichte gefällt. Ich hoffe, mir fällt bald wieder was ein, muss wohl erst darüber schlafen ;))
 
Hallo heidekind!

ja, eine schöne Kindheit ist was wert. Die Tiere in meiner Kindheit möchte ich auch nicht missen, geschweige denn essen. Das Buch mit der kleinen Möwe kenne ich nicht, werd aber mal schauen, dass ich es lese-danke für den Tip! Freut mich, dass dein Vater wieder kam, war nicht selbstverständlich. So gibt es für jeden Eindrücke, die er nie vergisst. Na dann, einen schönen Wochenstart und weiterhin viel Freude beim Schreiben

Gruß
andreas
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
auch

ich bin nahezu erschlagen von deinem text. haste sauber hinbekommen. mich bewegt es dazu "Sag mir, wo die Blumen sind" zu singen. bin gespannt auf weitere sachen von dir. ganz lieb grüßt
 
Hey flammarion,

danke für das dicke Lob. Seit ich deinen Beitrag gelesen haben, fällt mir natürlich auch jedes mal, wenn ich an den Text denke, die Melodie diese Liedes ein. Musste erst mal grinsen, passt aber echt. Geb mir Mühe, bald wieder was von mir hören zu lassen.

Tschö
und noch nen schönen Aufenthalt
andi
 



 
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