Mitternacht

tstauder

Mitglied
Mitternacht ist vorbei. Der funkelnde Himmel spannt sich über die Welt. Im Spiegel des Mondes tanzen Silberstrahlen mit dem Rauschen, das die Nacht erfüllt. Ein Bach mündet in den See. Das gleichmäßige Plätschern beruhigt. Kein störendes Geräusch ist zu hören, als das Knacken des grauen Schotters unter den Füße. Ein leiser Windhauch zieht am Jungen vorbei und haucht mit seinem frischen Geist die Blätter zu leben. Sie winken ihm aufgeregt zu. Er freut sich über ihre Geste und läßt seine Gedanken forttragen zum gelebten Abend. Der Blick verliert sich in der Nacht, sie umhüllt ihn gütig, schenkt ihm Ruhe. Am Ufer angelangt bemalt der Mond sein Gesicht mit kaltem Silber. Er bückt sich, sieht eine blasse Verzerrung, fährt mit dem Zeigefinger darauf zu. Gleichmäßige Kreise ziehen sich weit in die Dunkelheit hinein und flüstern. Trau dich. Noch in seinen Träumen gefangen, hört er nicht. Trau dich, ruft es über den See und silbrige Wesen leuchten ihn an. Die Schönheit der Tiefe lockt im Rausch, plätschert begehrend, berühr mich. Verzaubert hört er die Stimme. Seine Hand verschwindet in der kühlen Verführung. Erfrischt zieht er sie zurück. Berühr mich, ruft der Wind ruhig aus der Ferne und schickt ihm einen Hauch Liebkosung. Das junge Leben gleitet ins Element, treibt geblendet, lacht und schwebt. Gekrönt mit den Kostbarkeiten des Mondes, umschwärmt von den lieblichsten Gestalten genießt er den Augenblick. Seine Wünsche sind in die Tiefe entschwunden. Glücklich badet der Junge sich im Silber. Und die Stimme berührt sein Ohr. Tauch in meine Welt. Sink hinab in das Reich des Vergessens, in die Arme deiner Sehnsüchte. Der Wind bläst kalte Nacht ins Gesicht. Die Schatten am Ufer sind weit entfernt. Verstecken sich hinter den Bäumen. Sanfte Hände ziehen beständig an den Beinen, umschlingen den Hals, berühren den blauen Mund. Laß Dich fallen. Laß mich ein. Die Hände krallen sich an die Füßen, zerren mit Geduld. Sein Herz erkennt die Gefahr. Auf einen großen Baum richtet er seinen Blick. Dessen Äste hängen traurig über der Wasseroberfläche. Gezielt schwimmt er darauf zu. Er versucht seinen Muskeln die Müdigkeit zu verbieten. Die ganze Konzentration gilt der nächsten Bewegung. Wiederholt reißt er seinen Arm hoch und wirft ihn nach vorne. Seine Beine sind so schwer. Wie lange willst du dich noch verwehren. Das Ziel ist in Reichweite. Ein Fuß streift einen Ast der in der Tiefe gefangen ist. Bald ist der Baum am Ufer erreicht. Die Muskeln müssen einen Augenblick rasten. Siegessicher begehrt der Feind Einlaß. Der Tot lächelt beim ersten und lacht beim zweiten Hilfeschrei. Was macht es wenn die Stille für einen Moment durchschnitten wird? Sie kehrt unaufhaltsam wieder. Es klingt fast lächerlich, doch der Überlebenswillen des Jungen ließ ihn die letzten Meter überwinden oder war es ein Wesen des Sees, das Mitleid mit ihm empfunden hat? Schnaufend und mit schwindligem Kopf kniet er am Ufer. Das Dunkel verschluckt jeden seiner schweren Atemzüge. Langsam wird ihm bewußt, welcher Gefahr er entronnen ist. Es ist wunderlich, daß er keine Panik verspürt hat. Im Kampf hat er ganz die Angst vergessen. Erst jetzt wird ihm bewußt, wie nahe der Tod ihm gewesen war. Ein Windstoß bläst ihn in die kalte Gegenwart. Erschöpft macht er sich auf den Weg zum anderen Ufer, wo in einem Gebüsch seine Kleider warten. Er lächelt und denkt an die alten Geschichten, wo der Spitzbub den Tod austrickst. Irgendwie fühlt er sich stark. So leicht bekommst du mich nicht. Er macht sich eilig auf den Nachhauseweg. Der See liegt nicht weit außerhalb vom Dorf. Die Schatten hinter den Bäumen kommen ihm aber etwas dunkel vor. Und Geräusche vernimmt er, die ihm zuvor nicht so aufgefallen waren. Doch Angst hat er keine und den See durchschwimmen wird er in Zukunft wohl auch nicht mehr. Das scheint mir sicher. Geschafft läßt er sich in sein Bett fallen. Ganz leise, wie ein Dieb, hat er sich ins schlafende Haus geschlichen.
Erleichtert denkt er an den Abend und was ihm alles begegnet ist. Im Nachbardorf war er auf dem Ball und hatte dort wunderbar getanzt. Sie hatte eine so liebe Stimme. Flüsterte der Wind nicht mit derselben Stimme?
Im Schlaf hört er nicht. Nimm dich in acht. Seine Mutter schaut durch die spaltweit geöffnete Tür. Einen schwermütigen Seufzer gibt sie von sich.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Thomas,

nach einiger Zeit bin ich wieder mal dabei, die Kurzgeschichten zu durchforsten. Da ich noch nicht ganz durch bin, kann ich auch noch nicht behaupten, daß sie die beste der letzten 14 Tage ist. Aber sie ist verdammt gut. Und es tat auch verdammt gut, sie zu lesen. Glückwunsch.

Gruß Ralph
 
C

connor

Gast
Hallo Thomas.

Mir hat Deine Geschichte auch sehr gut gefallen.
Vor allem im ersten Teil fesselte mich Deine bildhafte Beschreibung.

Beste Grüsse
connor
 



 
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