4. “Das macht dann 6,50 €, bitte.”
Es ist tatsächlich wahr. Ich bin nicht mehr in der Ausbildung zum Krankenpfleger. Durch ein vollkommenes Missverständnis musste ich den Traumberuf schlechthin aufgeben und mir nun etwas Neues suchen. Auf meinem Schreibtisch liegt schon die ganze Zeit der Bierdeckel mit Bennis Telefonnummer, aber ich traue mich nicht ihn anzurufen. Er sagt zwar, dass er mir helfen will, ich will ihn aber noch nicht fragen. Ich meine, ich habe zweimal vor ihm geweint, ohne dass ich ihn wirklich gekannt habe. Das muss für den Anfang reichen, da muss ich ihn nicht auch noch mit meinen Jobproblemen belasten.
Ich habe noch ein paar Tage Zeit, bevor ich mich wirklich um einen Job kümmern muss, meine Mutter hatte mir ein wenig Geld überwiesen. Ein wenig ist vielleicht etwas übertrieben, es reicht für zwei Monatsmieten plus Einkäufe plus jedes zweite Wochenende weggehen. Meine Mutter ist nämlich verhältnismäßig reich. Sie hat vor ein paar Jahren etwas mehr Geld im Lotto gewonnen und tourt seitdem um die Welt. “Komm doch mit, Schatz, das wird bestimmt klasse.”, hatte sie gesagt, aber ich hätte lieber mit dem Teufel gerungen, als mit ihr auf Weltreise zu gehen.
Meine Mutter ist nämlich sehr anstrengend. Laut, exzentrisch, redet ununterbrochen in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit und hat alle zwei Wochen einen neuen Lover. Gut, auf das letzte bin ich vielleicht etwas neidisch, auf das Geld und die schönen Reisen auch, aber hey, ich musste mich damals entscheiden zwischen meinem Traumberuf und meiner Mutter. Wer hätte sich da nicht für die Arbeit entschieden?
Ich durchforste schon seit Stunden das gesamte Internet nach guten Jobs. Dabei gehe ich alle Möglichkeiten durch, 400-€-Job, Teilzeit, Vollzeit, nur die 1-€-Jobs, die lasse ich aus, das überlasse ich Leuten, die es noch dringender brauchen als ich. Während meiner Suche stoße ich immer wieder auf Call Center Agenturen, aber damit fange ich gar nicht erst wieder an. Ich hatte es in der Vergangenheit mehrfach mit Call Centern versucht, aber mein gutes moralisches Vorstellungsvermögen und meine pure Menschlichkeit verhindern leider, dass ich 80-jährigen Damen Internet samt DSL verkaufen kann. Oder aber HartzIV-Empfängern irgendwelchen teuren Schnickschnack, den sowieso niemand braucht.
Zwischen all den Jobangeboten fällt mir auch immer wieder das “Pornodarsteller” ins Auge. Ganz im Ernst – ich habe bereits über die Möglichkeit nachgedacht, Pornostar zu werden. Immerhin ist das doch ein gewaltiges Sprungbrett in Richtung Hollywood. Naja, zumindest ins Rotlichtviertel dort. Immerhin ist die Bezahlung gut. 1500 € pro Dreh, 2000 € pro Tag, man muss sich nur die guten Rosinen rauspicken und verschlingen.
Dann habe ich den Geistesblitz schlechthin. Ich gehe auf die Website von Akzenta, suche meinen Akzentamarkt heraus (ich bin etwas enttäuscht, dass dort nichts über sprechendes Gemüse steht), ändere meine Standardbewerbung so ab, dass ich fortan einen Job als Verkäufer suche, und schreibe noch mit hinzu, dass ich bereits viele dort Angestellte kenne und wir uns immer mit Vornamen ansprechen. Ein klein wenig zu dick aufgetragen klingt das schon, das gebe ich zu, aber es ist immerhin die Wahrheit und dabei sollte man ja bleiben, wenn man sich wo bewirbt.
Mein Drucker spuckt, mit letzter Kraft, die drei Seiten meiner Bewerbung aus (Lebenslauf, Bewerbungsschreiben mit Foto, letztes Zeugnis) und durchkrame den Schrank nach einer passenden Mappe. Ich weiß, dass ich hier irgendwo noch mindestens fünf habe, da ich das letzte Paket damals nicht geöffnet habe. Tatsächlich finde ich die teuren Mappen (eingeschlagen in schwarzem Samt, Magnetschließe) und verstaue die Papiere im Inneren. Jacke, Tasche, Schlüssel, Handy, alles, was man benötigt, wenn man mal eben einkaufen geht, wandert in meine unmittelbare Nähe über, ich knuffe die Katzen liebevoll zum Abschied und verlasse meine Wohnung. Mit der 32 fahre ich bis zur Werther Brücke und steige dort, für zwei Stationen, in die Schwebebahn. Mein Herz pocht schon ein wenig, einmal, weil ich nicht früher darauf gekommen bin, mich in meinem Akzenta zu bewerben, und dann, weil ich wahnsinnig aufgeregt bin. Das ist mein erstes Bewerbungsgespräch seit Jahren und ich bin wahrscheinlich total aus der Übung. Das heißt, sofern es zu einem Gespräch kommt.
Mit meiner üblichen Jedi-Geste öffne ich die Eingangstüre und schreite direkt zur Information. Ich habe Glück, Rosi steht dort und telefoniert.
Mit Rosi verstehe ich mich super. Einmal waren wir sogar was trinken, allerdings nur, weil wir uns zufällig in der Stadt getroffen haben. Es war jedoch unglaublich witzig und hinterher sind wir beide angetrunken nach Hause gegangen. Um 15 Uhr.
Ich positioniere mich so an der Information, dass sie mich auf jeden Fall sehen muss, und warte darauf, dass sie ihr Telefonat beendet. Da ich jedoch bereits diverse Minuten warten darf, räuspere ich mich ein, zwei Mal und tatsächlich, jetzt bemerkt sie mich. Sie lächelt, deutet mir mit der Hand an, dass sie noch zwei Minütchen braucht und als mich nach diesen zwei Minütchen eine strahlende Rosi herzlich begrüßt, fällt all meine Anspannung von mir ab.
“Alex, schön dich zu sehen. Du hast dich ja lange nicht mehr blicken lassen.”
“Ja, war in letzter Zeit etwas im Stress. Sag, kannst du das hier für mich deinem Chef geben?”
“Was ist denn das?”
Sie rückt ihre winzige Brille zurecht und schaut auf meine Mappe. Erwartungsvoll blicke ich in ihr Gesicht, versuche durch ihre Augen in ihr Hirn zu gucken. Klappt nicht, welch Wunder.
“Du möchtest also Mitglied der Akzenta-Familie werden. Hast du ein Glück.”
“Wieso?”
“Grade heute ist jemand entlassen worden. Und Herr Lennemann ist heute persönlich zu Besuch. Der ist wie du.”
“Verzweifelt und arbeitslos?”
“Er steht auf Männer, Dummerchen. Warte kurz hier, ich hole ihn.”
Ich wippe nervös vor und zurück. Ich darf es nicht ausnutzen, dass dieser Herr Lennemann schwul ist. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, ich bin ja prinzipiell gesehen für Sex mit Vorgesetzten, um einen Vorteil zu erlangen.
Während Rosi mich warten lässt blättere ich durch die Prospekte, die an der Info liegen. Werbung, Produktanpreisung, alles, was ich zuhause immer sofort entsorge. Und nun sollte ich genau dies alles verkaufen. Zumindest kassieren.
Rosi kommt zurück, im Schlepptau ein unglaublich gutaussehender, zu meinem Erstaunen junger, Mann. Geschätzte fünfundzwanzig Jahre. Haut leicht gebräunt. Dunkle Augen. Er trägt den falschen Nachnamen für sein Aussehen.
“Ahh, Sie sind Herr Me...” will er grade ansetzen, er kommt jedoch nicht weiter, da er über seine eigenen Füße fällt und mich zu Boden reißt.
Ich habe ja nichts gegen körperliche Nähe von unbekannten Menschen, solange sie gut aussehen, aber so langsam habe ich die Nase voll dabei ständig umgeschubst zu werden. Drei Mal in zwei Monaten ist ein Schnitt, der ein Leben lang reicht. Erst der Typ in der Disco, der so widerlich nach Bier gestunken hat, dann Benni, jetzt Herr Lennemann.
“Guten Tag, Herr Lennemann, ja, ich bin Alexander Mertens. Und ich würde gerne in diesem Akzentamarkt einen Job als Kassierer bekommen.”
“K-kein Thema, ich habe ihre Bew-Bewerbung gesehen. Kommen Sie b-b-bitte mit in mein Büro.”
Er steht von mir auf, die hereinkommenden Kunden denken sich bestimmt ihren Teil, und er geht voraus in Richtung seines Büros.
“Stottert der immer so?”, flüstere ich Rosi zu.
“Eigentlich nicht.”, antwortet sie mit einem Lächeln.
Herr Lennemann führt mich einmal quer durch den Markt, kein Wunder, dass Rosi mich so lange alleine gelassen hat. Hinter meinem Lieblingsgemüsestand (“Komm schon, du hübscher Kerl, kauf mich!”), zwischen Getränke- und MoPro-Abteilung, führt er mich durch eine große Doppeltür in den Backstagebereich.
Ich komme mir direkt vor wie ein Angestellter. Überall, wo wir langgehen, werde ich von den Leuten gegrüßt, die ich durch meine häufigen Einkäufe schon kenne. Meist zwinkern sie mir zu, oder heben die Hand.
“Hey Alex, haben sie dich jetzt auch bekommen?”, feixt Serdat, ein türkischer Mitarbeiter von der Fleischtheke.
“Ich kämpfe noch drum, Serd.”
“Herr Mertens, b-b-bitte hier entlang.”
Durch noch eine Tür, einen weiteren Gang, eine weitere Tür, Treppe, Gang, Tor, Tür, Gang und finaler Tür kommen wir in Herr Lennemanns Büro an. Er bitte mich vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, was ich mit einem Lächeln sofort tue.
“S-Sie mö-mö-möchten für uns arbeiten, ich h-habe hier schon mal einen V-V-Vertrag, für eine Teilz-Teilzeitstelle als Kassierer. P-P-P-P-P...”
Er fasst sich an die Stirn.
“Entschuldigen Sie bitte, ich bin etwas nervös.”
“SIE sind nervös? Sollte ich das nicht sein?”
“Nein, nein. In der Tat habe ich keinen Grund so angespannt zu sein, aber das ist mein erstes Be-Be-Bewerbungsgespräch seit langem. Bislang hat das immer m-m-mein Stellvertreter gemacht.”
“Is' klar.”
Er steht kurz auf, trinkt einen Schluck Wasser, stellt sich ans Fenster und atmet tief ein und aus. Dann setzt er sich wieder.
“Nochmal von vorne, entschuldigen Sie bitte. Also, hier ist der Vertrag, Sie müssen quasi nur noch Ihre Personalien eintragen und unterschreiben. Sie arbeiten hier auf Stundenbasis, bei Berufsbeginn gibt es 8,60 € die Stunde, mit Tendenz nach oben. Weihnachtsgeld gibt es, welches zwei Drittel vom Bruttolohn beträgt.”
Ich staune nicht schlecht. Da fang ich grad erst an zu arbeiten, und schon wird mir alles auf einem Silbertablett präsentiert. Ich überlege für den Bruchteil einer Sekunde, ob es sich lohnen würde, trete dann meinem Gewissen mit einem lauten Lachen in den Arsch und setze meinen Stempel unter den Vertrag.
“Sehr gut, ich denke Sie und ich werden gut miteinander klar kommen. Haben Sie heute noch was vor?”
“Nein, eigentlich nicht. Wieso?”
Für einen Augenblick denke ich, er will mich angraben.
“Weil Sie dann jetzt theoretisch schon in die Kassiertätigkeit eingeführt werden könnten, wenn Sie denn möchten.”
“Sehr gern.”
“Gut, dann gehen Sie jetzt in den Aufenthaltsraum, den wir vorhin passiert haben, nehmen dieses Schreiben mit”, er füllt schnell ein Standardformular aus, “und melden sich bei Fred, er ist verantwortlich für die Neuen und für den Arbeitsdress.”
“Gut, danke.”
Ich verlasse sein Büro und will grade die Türe schließen, als er hinter mir her ruft.
“Ach, Herr Mertens?”
“Ja?”
“Ich … es ist mir etwas unangenehm.”
“Bitte, muss es nicht.”
Kurze Pause.
“Ich habe Ihr Internetprofil gesehen, dort wo Sie … nunja, das mit den Fotos, und den Songtexten, auf dieser … homosexuellen Website...”
Ich habe eine dunkle Ahnung was jetzt kommt.
“Jaaaaa, und?”
“Ich … nunja, ich habe es mit großen Interesse betrachtet und mich gefragt, ob Sie und … ich ...”
“Jaaaaa?”
“Ob wir … mal … zusammen Mittag essen, oder etwas trinken gehen.”
“Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Herr Lennemann, aber ich...”
“Sie haben bereits jemanden. Natürlich, wie könnte jemand wie Sie nur Single sein.”
Genau.
“Ja, genau so ist es. Sorry.”
“Macht nichts, die nettesten Männer sind immer die, die bereits vergeben sind. Viel Glück bei ihrem neuen Job, Herr Mertens.”
“Danke.”
Eigentlich wollte ich ja sagen, dass ich mich hier nicht beworben habe, um Dates auszumachen und Jungs kennen zu lernen. Dafür gibt es das Internet, dafür gibt es das “Get Up” und das “Espresso&More”. Aber da er mir die perfekte Vorlage gegeben hat, habe ich mich für seine Variante entschieden. Zumindest für den Anfang.
Den Weg zurück in den Angestelltenaufenthaltsraum finde ich mit Hilfe des Hausmeisters. Unglaublich freundlich zeigt er mir den Weg und zieht am Ende sogar seinen Hut.
“Alex, mein Freeeeeeund!”
Serdat kommt auch mich zu gelaufen.
“Du weinst nicht, du schmollst nicht und du bist nicht sauer, demnach schließe ich, dass du den Job hast.”
“So kann man es auch sagen, ja, weißt du wer Fred ist, Serd?”
“Das ist der junge Mann mit den Engelslöckchen, hast du heute noch deine Einführung?”
“Ja, jetzt sofort sozusagen.”
“Ach, schade, ich muss jetzt leider los, Kickboxtraining. Wünsch dir viel Spaß.”
“Danke, Serd.”
Fred sitzt an einem großen Tisch und tippt auf seinem Laptop. Ich weiß nicht, ob er mich bemerkt hat, aber ich räuspere mich so laut und gleichzeitig so dezent wie möglich.
“Ich habe dich schon bemerkt. Ich muss nur noch schnell diese Mission beenden. Schau schon mal in den Schrank hinter mir, da findest du einen Kittel.”
Im Schrank befinden sich mehrere Kittel, ich lese unauffällig die Namensschilder, während meiner Suche nach einem unbenutzten. Er sitzt wie angegossen und sofort fühle ich mich pudelwohl in ihm. Ich will grad den Schrank wieder schließen, als mein Blick auf ein weiteres Namensschild fällt. Ein Name, der mir sofort in den Ohren klingelt und meine Alarmglocken läuten lässt.
“T. Lenk”
Ich kenne nur einen T. Lenk, diesen einen T. Lenk, der mein Herz berührt, es gestreichelt, dann zusammengequetscht, herausgerissen, durch den Fleischwolf gedreht und zu Würstchen verarbeitet hat. Jetzt weiß ich wenigstens wo es hingekommen ist, direkt an die Fleischtheke vom Akzenta.
“Hey, der Kittel steht dir gut.”
“Danke, steht das T. hier für Tristan?”
“Du kennst Tristan?”
“Ja, flüchtig. Arbeitet der noch hier?”
“Nein, der ist umgezogen. Irgendwo in den Osten.”
“Irgendwo in den Osten” ist gut. Er ist nach Berlin gegangen, gerade zu dem Zeitpunkt, wo ich ihm sagen wollte, dass ich ihn über alles liebe und mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen könne. Zu dem Zeitpunkt, wo ich einen wunderschönen Ring habe anfertigen lassen, in welchem “T & A” eingraviert war. Er ist einfach abgehauen, ohne ein Wort zu sagen, ohne mir Bescheid zu geben, dass er fährt. Ich habe es über Dritte erfahren. Drei Wochen lang habe ich getrauert, dann bin ich mit Annika nach Berlin gefahren, wir haben ihn ausfindig gemacht und ich habe in der Disco vor seinen Augen mit wem rumgemacht. Das hat den Guten echt fertig gemacht, er kam angekrochen und hat sich entschuldigt, dass er nicht einfach so hätte fahren dürfen, dass ich gerne bei ihm bleiben dürfe. “Wir sind hier fertig, Maus.”, habe ich nur gesagt und Annika und ich sind wieder gefahren. Auf der ganzen Autofahrt von Berlin nach Wuppertal habe ich nur geweint, sie zeitweise auch, und ich habe drei Flaschen Jägermeister mit Cola vernichtet. In dem Augenblick, in welchem wir die Stadtgrenze passiert hatten, war ich über ihn hinweg und seitdem habe ich dieses Teufelsgebräu nie wieder getrunken.
Dadurch, dass ich seinen Namen gelesen habe, werden meine Knie für einen kleinen Augenblick weich, ich schaffe es jedoch mich wieder zu fassen, bevor Fred etwas bemerken kann.
“Dann mal auf, Freund von Tristan, ab an die Kasse.”
In Gedanken lasse ich Fred auf eine Millionen Arten sterben.
Die Arbeit an der Kasse macht Spaß. Fred zeigt mir den Scanner, erklärt mir, wie ich die Tasten richtig benutze und als letztes das EC-Gerät. Ich kassiere mehrere Kunden, bevor er mich dann komplett allein an der Kasse lässt. “Mach mal 'ne Weile, wenn du Hilfe brauchst – ich bin die 36.” Es läuft erstaunlich gut, ich mache keine Fehler und die Kunden lächeln über mein “Ich bin neu – bitte helfen Sie mir!”-Schild. Ich bin grad drin in meinem neuen Element, als mich ein vertrautes Gesicht an der Kasse aufschauen lässt. Es ist Mike.
“Oh, hi Mike.”
“Hi.”
“Weißt du noch, ich hab vor der Kasse geweint.”
“Ja.”
“Und? Arbeitest du auch noch hier? Wär ja lustig, wenn wir jetzt Kollegen wären.”
“Nein.”
“Was nein?”
“Nein, ich arbeite nicht hier und nein, es wäre nicht lustig. Jetzt kassier mich schon.”
Ich weiß zwar nicht was er hat, aber er verschwindet ziemlich angefressen und macht meine Kasse um stolze 4,33 € reicher. Strike.
Ich kassiere nun schon gefühlte drei Tage, und so langsam werde ich müde. Ich werde heute Abend ganz bestimmt ein “piep piep” im Ohr haben, vom Scanner. Ich weiß nicht, wie lange ich das hier machen werde, aber für's erste muss ich wohl oder übel damit leben müssen.
Als sich nach einer Weile niemand mehr an meine Kasse stellt blick ich ganz flink auf mein Handy. Einen Anruf verpasst, zwei Nachrichten. Ich will grad die Nachrichten lesen, da stellt sich auch schon ein ganz sympathischer Geselle an meine Kasse.
Es ist ein Mann, ein Obdachloser, dem Aussehen nach zu urteilen. Er trägt einen Hut und einen langen Bart. Er legt sechs Flaschen Bier und eine Flasche Klaren auf's Förderband und mit dem Fußschalter lasse ich die Flaschen zu mir rollen. Flasche für Flasche wandert über den Scanner, ich habe noch nicht so ganz geblickt wie es geht, dass ich vom selben Produkt mehrere Teile auf einmal scanne. Aber das ist ja logisch, ist ja noch nicht mal mein erster offizieller Tag.
“Das ma...”
“Das macht dann 6,50 €, bitte.”
Ich schaue den Obdachlosen ganz verdutzt an.
“Ja, genau, das...”
“Das macht dann 6,50 €, bitte.”
Will der mich verarschen? Ich schaue auf den Kassenbildschirm. Er hat Recht.
“Das macht dann 6,50 €, bitte.”
“6,50 €. Es sind immer 6,50 €.”
Er legt mir den Betrag in kleinen Münzen auf die Kasse und ich benötige erst einmal ein paar Augenblicke, um das ganze Geld zu zählen. Es stimmt auf den Cent genau.
“Danke, schönen Ta...”
Doch er ist schon verschwunden. Was ein komischer Kauz. Ich bete, inständig, dass es nicht noch mehr von der Sorte gibt, dann fällt mir ein, dass ich nie wieder beten wollte und gebe mir einen imaginären Hieb mit der Peitsche.
Mein erster halber Tag endet mit einem weiteren, stotterlastigen Lobvortrag von Herrn Lennemann, feierlich überreicht er mir meine Stempelkarte. Ich bedanke mich artig, stecke die Karte in mein Portmonee und verlasse strahlend meinen Akzentamarkt.